Entscheidungsstichwort (Thema)

Erstattungsanspruch und Kindergeldzuschlag. Anrechnung des Kinderzuschlags auf die Sozialhilfe

 

Orientierungssatz

1. Ziel der §§ 103, 104 SGB 10 ist es, Doppelleistungen an den Berechtigten zu verhindern. Solche Doppelleistungen sind die Zahlung des Kindergeldzuschlags und die Hilfe zum Lebensunterhalt, weil der Kindergeldzuschlag Teil des bedarfsdeckenden Einkommens iS des § 76 Abs 1 BSHG ist (vgl BSG vom 3.4. 1990 10 RKg 29/89 mwN = SozR 3-5870 § 11a Nr 1) und infolgedessen bei der Bedarfsberechnung der Hilfe zum Lebensunterhalt zu berücksichtigen ist.

2. Zur Anwendung der §§ 103, 104 SGB 10 auf die Voraussetzungen des § 11a BKGG.

 

Normenkette

SGB 10 §§ 103-104; BKGG § 11a Abs. 1, 7-8; BSHG § 76 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 22.08.1989; Aktenzeichen L 3 Kg 27/89)

SG Hannover (Entscheidung vom 16.02.1989; Aktenzeichen S 31 Kg 63/87)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, an die Klägerin den ihr bewilligten Kindergeldzuschlag auszuzahlen.

Die Klägerin bezog für ihre Kinder Andreas und Christian in der Zeit von Januar bis Dezember 1986 Kindergeld. Außerdem erhielt sie von der Beigeladenen für sich und ihre Kinder Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Mit Schreiben vom 12. Januar 1987 stellte die Beigeladene bei der Beklagten einen Erstattungsantrag gemäß § 104 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB X) bezüglich des für die Zeit ab 1. Januar 1986 zu gewährenden Kindergeldzuschlags. Mit Bescheid vom 22. Mai 1987 bewilligte die Beklagte der Klägerin antragsgemäß für das Jahr 1986 einen Kindergeldzuschlag von 91,- DM monatlich (insgesamt 1.092,- DM). Zugleich teilte sie ihr mit, daß die Nachzahlung einbehalten und wegen der geltend gemachten Erstattungsforderung an die Beigeladene überwiesen werde. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 22. Juni 1987).

Die dagegen erhobene Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) hat zur Begründung seiner Entscheidung ua ausgeführt: Die Klägerin habe gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung des ihr mit Bescheid vom 22. Mai 1987 bewilligten Kindergeldzuschlages. Ihr Anspruch gelte gemäß § 107 Abs 1 SGB X als erfüllt. Denn es bestehe hier ein Erstattungsanspruch der nachrangig verpflichteten Beigeladenen. Die Beigeladene habe gemäß § 2 BSHG als nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen, nämlich Sozialhilfe, erbracht, die Klägerin habe jedoch vorrangig einen Anspruch auf Kindergeldzuschlag gemäß § 11a BKGG gegen die Beklagte. Bei dem der Klägerin bewilligten Kindergeldzuschlag für die Zeit von Januar bis Dezember 1986 handele es sich um anrechenbares Einkommen iS der §§ 76 Abs 1 und 77 BSHG. Der Annahme des Nachrang-Vorrang-Verhältnisses stehe auch nicht entgegen, daß die Beklagte den von ihr bewilligten Kindergeldzuschlag erst nach Ablauf des Zeitraums, in dem die Leistungen von dem beigeladenen Sozialhilfeträger erbracht worden seien, festgestellt habe. Denn die von der Beklagten der Klägerin gewährte Leistung betreffe den gleichen Leistungszeitraum, wie dies für den Erstattungsanspruch nach § 104 Abs 1 SGB X erforderlich sei. Allerdings richte sich der Kindergeldzuschlag nach den Einkommensverhältnissen des Jahres, für das er zu zahlen sei. Die Gewährung dieser Leistung lasse sich aber praktisch nur bewältigen, wenn über die Zahlung endgültig erst nach Ablauf dieses Jahres entschieden werde, also dann, wenn die steuerliche Behandlung des Einkommens abgeschlossen sei. Aus der nachträglichen Zahlung folge jedoch nicht, daß der Anspruch auf Kindergeldzuschlag erst mit der Antragstellung durch den Berechtigten nach Ablauf des Jahres entstehe und es insofern an der nach § 104 Abs 1 SGB X erforderlichen Identität der Leistungszeiträume fehle. Die aus verwaltungstechnischen Gründen im Gesetz geregelten Auszahlungsmodalitäten berührten nicht den gesetzlichen Leistungszeitraum, der hier mit dem Zeitraum des Kindergeldbezuges identisch sei. Die aus praktischen Gründen hinausgeschobene Auszahlung ändere damit nichts an der Entstehung und der Zweckbestimmung des Anspruchs, durch den in dem hier streitigen Zeitraum das bezogene Kindergeld erhöht worden sei.

Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision macht die Klägerin geltend, der Anspruch auf Auszahlung des Kindergeldzuschlags sei nicht gemäß § 107 Abs 1 SGB X als erfüllt anzusehen. Eine solche Erfüllungsfiktion würde nur dann eintreten, wenn ein Erstattungsanspruch der Beigeladenen bestände. Das sei aber nicht der Fall. Die Beigeladene sei - entgegen der Annahme des LSG - nicht nachrangig zur Gewährung von Sozialhilfe verpflichtet gewesen. Der Anspruch auf den Kindergeldzuschlag sei hier erst im Jahr 1987 entstanden. Deshalb habe er nicht auf Leistungen der Sozialhilfe im Jahre 1986 angerechnet werden können. Aber selbst wenn man davon ausgehe, daß der Anspruch auf den Kindergeldzuschlag bereits 1986 entstanden sei, so sei er jedenfalls in diesem Jahr nicht bereits fällig gewesen. Die Voraussetzungen für die Auszahlung (§ 11a Abs 8 Bundeskindergeldgesetz -BKGG-) hätten nämlich im Jahre 1986 nicht vorgelegen. Sei dieser Anspruch aber erst 1987 fällig geworden, so stehe dem Anspruch der Beigeladenen auf Erstattung entgegen, daß es 1986 keine rechtzeitige Erfüllung habe geben können. Im übrigen fehle es im vorliegenden Falle an einer Gleichzeitigkeit der Leistungen nach dem BKGG und dem BSHG. Denn der Kindergeldzuschlag nach § 11a Abs 7 BKGG habe ihr, der Klägerin, im Jahr 1986 nicht zur Verfügung gestanden, sondern nur die Sozialhilfe nach dem BSHG.

Die Klägerin beantragt,

die Urteile des Sozialgerichts Hannover vom 16. Februar 1989 und des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 22. August 1989 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 22. Mai 1987 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Juni 1987 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin den Kindergeldzuschlag für die Zeit von Januar bis Dezember 1986 in Höhe von insgesamt 1.092,- DM zu zahlen.

Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,

die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Sie halten die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Die Beklagte führt ergänzend aus: Es habe ein Erstattungsanspruch der Beigeladenen gemäß § 104 SGB X bestanden. Da der Kindergeldzuschlag schon nach seiner Zweckbestimmung als berücksichtigungsfähiges Einkommen iS von § 76 BSHG anzusehen sei, sei die Leistungsverpflichtung des Sozialhilfeträgers nur nachrangig gewesen. Aufgrund des Erstattungsanspruchs der Beigeladenen gelte aber der Zahlungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte gemäß § 107 SGB X als erfüllt. Obwohl die Zahlung des Kindergeldzuschlages für 1986 gemäß § 11a Abs 7 BKGG erst 1987 habe erfolgen können, ändere dies nichts daran, daß der Kindergeldzuschlag auf den Anspruch der Klägerin auf Sozialhilfe anzurechnen sei. Denn dieser Anspruch müsse als Einkommen denjenigen Monaten zugeordnet werden, für die er bestimmt sei.

 

Entscheidungsgründe

Der Senat konnte nach Lage der Akten entscheiden, weil das Gericht in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen hat und keiner der Beteiligten zu dem Termin erschienen ist (§ 126 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

Die Revision der Klägerin ist im Ergebnis unbegründet. Die Erstattungspflicht der Beklagten gegenüber der Beigeladenen mit der Folge des Eintrittes der Erfüllungsfiktion gemäß § 107 SGB X folgt zwar nicht, wie das LSG meint, aus § 104 SGB X, sondern aus § 103 SGB X.

Sowohl die Vorschrift des § 103 SGB X als auch die des § 104 SGB X regeln Fälle, in denen dem Leistungsberechtigten - hier der Klägerin - Sozialleistungen im Sinne des Sozialgesetzbuches gegen mehrere Leistungsträger zustehen. Ziel beider Vorschriften ist es, Doppelleistungen an den Berechtigten zu verhindern. Solche Doppelleistungen wären im Falle der Klägerin die Zahlung des Kindergeldzuschlages und die Hilfe zum Lebensunterhalt, weil - wovon die Beteiligten übereinstimmend ausgehen - der Kindergeldzuschlag Teil des bedarfsdeckenden Einkommens iS des § 76 Abs 1 BSHG ist (vgl dazu im einzelnen erkennender Senat, Urteil vom heutigen Tage in der Sache 10 RKg 29/89 mwN - zur Veröffentlichung bestimmt; ebenso VG Kassel, Urteil vom 22. November 1987 - V 4 E 1893/86 -, ZfSH/SGB 1988, 211) und infolgedessen bei der Bedarfsberechnung der Hilfe zum Lebensunterhalt zu berücksichtigen ist.

Bei der Regelung des Konkurrenzverhältnisses zwischen den gegen mehrere Leistungsträger bestehenden, im Verhältnis zum Leistungsberechtigten nur einmal zu erfüllenden Leistungsansprüchen erfaßt § 103 SGB X nur die Fälle, in denen der zuerst leistende Sozialleistungsträger aufgrund eines im Zeitpunkt seiner Leistung nur gegen ihn bestehenden, später jedoch wegfallenden Rechtsgrundes leistet, weil an seiner Stelle ein anderer Leistungsträger leistungspflichtig geworden ist. Es handelt sich dabei also um einen Fall der condictio ob causam finitam, der für das bürgerliche Recht in § 812 Abs 1 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) entsprechend geregelt ist. Demgegenüber findet die Vorschrift des § 104 SGB X nur auf die Fälle Anwendung, in denen zwar Leistungsansprüche gegen mehrere leistungspflichtige Träger bestehen, von denen der Berechtigte jedoch nur die Erfüllung eines dieser Ansprüche durchzusetzen vermag. Der Gesetzgeber erreicht dies, indem er ein Rangverhältnis für die verschiedenen Ansprüche begründet hat. Hier wäre - darin stimmen die Beteiligten und die Vorinstanzen überein - der Anspruch der Klägerin gegen die Beigeladene gemäß § 2 BSHG nachrangig, er wäre ausgeschlossen, soweit die Beklagte den Kindergeldzuschlag leistet.

Entgegen der vom LSG vertretenen Ansicht ist im Falle der Klägerin das Konkurrenzverhältnis nicht nach § 104 SGB X, sondern nach § 103 SGB X zu beurteilen, weil die Klägerin im Zeitpunkt der Gewährung der Sozialhilfeleistungen, die in der streitigen Zeit ohne Berücksichtigung des Kindergeldzuschlages erfolgten, noch keinen Anspruch auf Zahlung des Kindergeldzuschlages nach § 11a Abs 7 BKGG hatte. Sowohl aus den unterschiedlichen Regelungen des § 11 BKGG einerseits und des § 11a Abs 1 BKGG andererseits über die Berechnung des für das Regelkindergeld und den Kindergeldzuschlag maßgeblichen Einkommens (vgl insbesondere § 11 Abs 3 BKGG und § 11a Abs 1 BKGG) als auch aus der unterschiedlichen Regelung der Anspruchsvoraussetzungen für die laufende Zahlung des Kindergeldes in § 9 Abs 1 BKGG und des Kindergeldzuschlages in § 11a Absätze 7 und 8 BKGG, vor allem aber aus der Zielsetzung und der Systematik des § 11a BKGG folgt, daß es sich bei dem Kindergeldzuschlag um einen rechtlich selbständigen Teil des Kindergeldes handelt (vgl dazu erkennender Senat, Urteil vom 18. Juli 1989 - 10 RKg 27/88 -, SozR 5870 § 11a Nr 1).

Der Anspruch auf diesen rechtlich selbständigen Teil des Kindergeldes - den Kindergeldzuschlag - entstand im vorliegenden Falle für das Jahr 1986 erst mit der Bewilligung gemäß § 11a Abs 7 BKGG durch Bescheid vom 22. Mai 1987. Damit entfiel aber nachträglich der Anspruch auf die von der Beigeladenen für 1986 der Klägerin gewährten Sozialhilfeleistungen, so daß die Voraussetzungen des § 103 Abs 1 SGB X gegeben waren: Die Beklagte hatte der Beigeladenen die erbrachten Sozialleistungen zu erstatten. Dem steht auch nicht § 103 Abs 1 letzter Halbsatz SGB X entgegen; denn im Zeitpunkt der Kenntnisnahme von den Sozialleistungen war der Kindergeldzuschlag nicht an die Klägerin ausgezahlt.

Ist aber ein Erstattungsanspruch der Beigeladenen gegen die Beklagte entstanden, so gilt gemäß § 107 Abs 1 SGB X der Anspruch des Berechtigten als erfüllt, soweit der Erstattungsanspruch besteht. Dieser betrifft den Kindergeldzuschlag für das ganze Jahr 1986. Denn die Sozialhilfeleistungen waren in Höhe des Kindergeldzuschlages für den genannten Zeitraum gewährt worden. Damit sind aber auch die für die Beigeladene geltenden Rechtsvorschriften erfüllt (§ 103 Abs 2 SGB X).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1666334

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge