Entscheidungsstichwort (Thema)
Psychiatrische Behandlung. psychotherapeutische Behandlung. Bestandteil. Arbeitsgemeinschaft nach § 19 EKV-Ärzte
Orientierungssatz
1. Der Arbeitsgemeinschaft obliegt gemäß § 19 EKV die verbindliche Auslegung der E-GO (§ 19 Abs 4 Buchst b EKV).
2. Die Auslegung des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs ist entsprechend der Feststellung Nr 386 vorgegeben. Danach ist bei einem sowohl psychiatrisch wie psychotherapeutisch ausgerichteten Gespräch die psychotherapeutische Behandlung nach Nr 849 E-GO Bestandteil der psychiatrischen. Diese Zuordnung kann nur allein auf der Höherwertigkeit der Leistung nach Nr 806 E-GO beruhen. Daraus ergibt sich zwangsläufig die Auslegung, daß umgekehrt beim Zusammentreffen der psychotherapeutischen Behandlung mit der geringer bewerteten "kleinen" psychiatrischen Behandlung diese zurücktritt und nicht berechnungsfähig ist.
Normenkette
EKV-Ä § 19 Abs 4 Buchst b; E-GO Nr 849; E-GO Nr 806
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 19.03.1986; Aktenzeichen L 1 Ka 3046/85) |
SG Reutlingen (Entscheidung vom 02.10.1985; Aktenzeichen S 1 Ka 1305/85) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob und in welcher Weise der Kläger für Leistungen in den Quartalen IV/1983 und I/1985 Anspruch auf Vergütung nach den Nrn 804 oder 806 und 849 der Ersatzkassengebührenordnung (E-GO) nebeneinander gehabt hat.
Nach den Nrn 804 und 806 E-GO werden psychiatrische Behandlungen, nach der Nr 849 wird eine psychotherapeutische Behandlung vergütet. Die Arbeitsgemeinschaft nach § 19 des Arzt/Ersatzkassen-Vertrages (EKV-Ärzte) traf am 30./31. August 1983 die am 7. Oktober 1983 im Deutschen Ärzteblatt (DÄ) bekanntgemachte Feststellung Nr 386: "Neben der Leistung nach Nr 806 ist die Leistung nach Nr 849 nicht berechnungsfähig" und am 12./13. Dezember 1984 die am 6. Februar 1985 bekanntgemachte Feststellung Nr 426: "Neben den Leistungen nach den Nrn 804 und 806 ist die Leistung nach Nr 849 nicht berechnungsfähig".
Der Kläger ist als praktischer Arzt mit der Zusatzbezeichnung Psychotherapie niedergelassen und Mitglied der Beklagten. Er nimmt als Vertragsarzt an der ärztlichen Versorgung der Mitglieder der Ersatzkassen und ihrer Angehörigen teil. Auf den Antrag der Deutschen Angestellten-Krankenkasse (DAK) vom 21. März 1984 stellte die Beklagte die Ersatzkassenabrechnung des Klägers für das Quartal IV/1983 dahin richtig, daß sie bei fünf Patienten, für die der Kläger 42-mal neben der Gebühren-Nr 806 E-GO die Gebühren-Nr 849 E-GO abgerechnet hatte, die letztere Gebühr strich und ihn mit 1.134,-- DM belastete. Im Widerspruchsbescheid führte die Beklagte aus, die vom Kläger hilfsweise begehrte Umwandlung der Nr 806 in Nr 804 E-GO sei durch die Feststellung Nr 426 ausgeschlossen. Bei der Abrechnung des Quartals II/1985 strich die Beklagte die Nr 804 E-GO in allen Fällen, in denen der Kläger sie neben der Nr 849 geltend gemacht hatte.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klagen gegen die Berichtigungen abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und ausgeführt, die Fristen für die Berichtigung von Fehlern bei der Anwendung der Gebührenordnung seien gewahrt. Mit Recht habe die Beklagte den Wortlaut der Feststellung Nr 426 in sein Gegenteil verkehrt und entschieden, daß Nr 804 neben Nr 849 E-GO nicht berechnungsfähig sei. Die Feststellungen Nr 386 und 426 seien im übrigen schon deshalb rechtmäßig, weil sie auch nach Auffassung des Gerichts das Verhältnis der Gebührennummern 804, 806 und 849 zueinander nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen zutreffend bestimmten. Der Kläger habe zutreffend ausgeführt, daß es in einer Vielzahl von Fällen erforderlich sei, ein therapeutisches Gespräch sowohl psychiatrisch als auch psychotherapeutisch ausgerichtet zu führen. Daher sei bei einem psychiatrisch ausgerichteten Gespräch typischerweise mindestens nebenbei auch eine psychotherapeutische Ausrichtung zu erwägen oder durchzuführen und umgekehrt. Wenn trotzdem die E-GO nur zwischen dem "großen" psychiatrischen therapeutischen Gespräch und der "großen" psychotherapeutischen Behandlung unterscheide, komme es für die Honorierung darauf an, welche Behandlungsmethode im Vordergrund stehe oder welche höher bewertet sei.
Der Kläger macht mit der Revision geltend, die umstrittenen Feststellungen hätten nicht nur interpretierenden, sondern rechtsgestaltenden Charakter. Dazu sei die Arbeitsgemeinschaft nach § 19 EKV-Ärzte nicht zuständig. Es sei kein Grund ersichtlich, warum die unterschiedlichen therapeutischen Maßnahmen nicht kumulativ eingesetzt werden sollten. Das Verhältnis der psychiatrischen und der psychotherapeutischen Behandlung zueinander hätte das LSG nicht aufgrund eigener Sachkunde beurteilen dürfen; es sei dabei von falschen Voraussetzungen ausgegangen und hätte ein Sachverständigengutachten einholen müssen. Auch wenn sich bei ein und demselben Patienten Krankheitssymptome beider Bereiche überlagerten oder unabhängig voneinander aufträten, wiesen das psychiatrische und das psychotherapeutische Therapiegespräch völlig unterschiedliche Inhalte auf.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg - L 1 Ka 3046/85 - vom 19. März 1986 und das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen - S 1 Ka 1305/85 - vom 2. Oktober 1985 abzuändern, die Bescheide der Beklagten vom 15. Januar 1985 und vom 21. Juni 1985 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 3. Juli 1985 und vom 22. August 1985 aufzuheben und
die Beklagte zu verurteilen, bei den vom Kläger im Quartal IV/1983 mit den Gebührennummern 806 und 849 E-GO abgerechneten Fällen auch die Gebührennummer 849 zu berücksichtigen und den Betrag von 1.134,-- DM zu vergüten,
bei den vom Kläger im Quartal I/1985 mit den Gebührennummern 804 und 849 E-GO abgerechneten Fällen auch die Gebühren-Nr. 804 E-GO zu berücksichtigen und den sich daraus ergebenden Differenzbetrag zu vergüten.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie legt eine Stellungnahme der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KÄBV) vom 6. Juni 1986 vor und macht dazu geltend, bei der Erbringung der Leistungen nach Nrn 804 und 806 könnten psychotherapeutische Maßnahmen enthalten sein. Die unterschiedliche Erbringbarkeit der Leistungen nach Nrn 804 und 806 und 849 führe dazu, daß Überschneidungen bis hin zur Identität der jeweiligen Leistungen nicht ausgeschlossen werden könnten. Wenn der Kläger darauf hinweise, daß ein psychiatrisch ausgerichtetes Therapiegespräch auch neben einem psychotherapeutisch ausgerichteten Therapiegespräch zur Anwendung kommen könne, so werde dies nicht bestritten. Problematisch seien jedoch die Überschneidungen bzw die mögliche Identität. Deshalb habe in bezug auf die Nebeneinanderberechnung der Leistungen eine Neuauslegung erfolgen müssen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Mit Recht hat das LSG die Berufung gegen das klagabweisende Urteil des SG zurückgewiesen. Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Vergütung nach Nrn 849 und 804 E-GO nicht zu.
Nach § 9 EKV-Ärzte wird die ambulante vertragsärztliche Tätigkeit, die der Kläger erbracht hat, auf der Grundlage des Bewertungsmaßstabes nach Einzelleistungen nach Maßgabe der E-GO vergütet. Der Einheitliche Bewertungsmaßstab (E-BMÄ) bestimmt den Inhalt der abrechnungsfähigen ärztlichen Leistungen und ihr wertmäßiges, in Punkten ausgedrücktes Verhältnis zueinander (§ 368g Abs 4 Reichsversicherungsordnung -RVO- iVm § 525c Abs 2 RVO). In dem am 21. März 1978 beschlossenen E-BMÄ sind als Leistungsinhalte die psychiatrische und die psychotherapeutische Behandlung in den streitigen Nrn 804, 806 und 849 im einzelnen bestimmt worden. Die Höhe der Gebühr ergibt sich aus der E-GO.
Die Abrechnungsfähigkeit der streitigen Leistungen des Klägers ist nach den Allgemeinen Bestimmungen Nr 1 des E-BMÄ ausgeschlossen. Danach ist eine Leistung dann nicht als selbständige Leistung abrechnungsfähig, wenn sie Bestandteil einer anderen abrechnungsfähigen Leistung ist. Die streitigen psychotherapeutischen Behandlungen des Klägers im vierten Quartal 1983 sind als Bestandteil der psychiatrischen Behandlungen anzusehen. Wenn die Arbeitsgemeinschaft nach § 19 EKV-Ärzte mit der Feststellung Nr 386 die Berechnungsfähigkeit der Leistungen nach Nr 849 neben denjenigen nach Nr 806 E-GO ausgeschlossen hat, so ist dies in Auslegung der Allgemeinen Bestimmungen Nr 1 des E-BMÄ gerechtfertigt. Der Arbeitsgemeinschaft obliegt die verbindliche Auslegung der E-GO (§ 19 Abs 4 Buchst b EKV-Ärzte). Das LSG hat bindende tatsächliche Feststellungen getroffen, nach denen die Feststellung Nr 386 nicht zu beanstanden ist. Danach ist ein therapeutisches Gespräch in einer Vielzahl von Fällen sowohl psychiatrisch als auch psychotherapeutisch ausgerichtet zu führen und typischerweise die jeweils andere Ausrichtung zu erwägen oder durchzuführen. Aus dieser Sachlage kann die Schlußfolgerung gezogen werden, daß es für die Honorierung darauf ankommt, welche Behandlungsmethode im Vordergrund steht oder welche höher bewertet ist.
Der Anspruch auf Vergütung der streitigen Leistungen nach Nr 849 E-GO im Quartal IV/1983 ist auch nicht teilweise begründet, nämlich hinsichtlich von möglicherweise vor Bekanntmachung der Feststellung Nr 386 erbrachten Leistungen. Ob das Inkrafttreten der Feststellung am 1. Oktober 1983 eine echte Rückwirkung darstellt, kann der Senat mit dem LSG dahingestellt lassen. Die psychiatrisch und psychotherapeutisch tätigen Vertragsärzte könnten sich nicht darauf berufen, daß sie Leistungen nach Nr 849 E-GO im Vertrauen auf die Vergütung entsprechend der bisherigen Praxis erbracht haben. Vielmehr waren sie verpflichtet, den von ihnen betreuten Versicherten und ihren mitversicherten Angehörigen die zur Heilung oder Linderung nach den Regeln der ärztlichen Kunst zweckmäßige und ausreichende Versorgung zu gewähren (vgl §§ 1 Abs 4, 2 Abs 1 und 2 sowie 5 Abs 1 EKV-Ärzte). Wenn es erforderlich war, das Gespräch auch mit psychotherapeutischer Ausrichtung zu führen - und nur um diese Fälle geht es -, durften sich die Ärzte nicht wegen einer etwa unzureichenden Vergütung der Leistungspflicht entziehen.
Schließlich steht dem Kläger auch nicht die streitige Vergütung nach § 804 im Quartal I/1985 zu. Der Ausschluß der Vergütung der Leistung nach Nr 804 neben der Leistung nach Nr 849 E-GO ergibt sich allerdings, wie das LSG zutreffend dargelegt hat, nicht aus der Feststellung Nr 426, die nach ihrem Wortlaut gerade umgekehrt die Vergütung nach Nr 849 E-GO ausschließt.
Insoweit ist aber die Auslegung des E-BMÄ entsprechend der Feststellung Nr 386 vorgegeben. Danach ist bei einem sowohl psychiatrisch wie psychotherapeutisch ausgerichteten Gespräch die psychotherapeutische Behandlung nach Nr 849 E-GO Bestandteil der psychiatrischen. Diese Zuordnung kann nur allein auf der Höherwertigkeit der Leistung nach Nr 806 E-GO beruhen. Daraus ergibt sich zwangsläufig die Auslegung, daß umgekehrt beim Zusammentreffen der psychotherapeutischen Behandlung mit der geringer bewerteten "kleinen" psychiatrischen Behandlung diese zurücktritt und nicht berechnungsfähig ist.
Die Kostenentscheidung wird auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes gestützt.
Fundstellen