Entscheidungsstichwort (Thema)

Berufsschadensausgleich. Landwirt. altersbedingtes Ausscheiden

 

Leitsatz (amtlich)

Auch ein Selbständiger (hier: Landwirt) kann vor Vollendung des 65. Lebensjahres "altersbedingt" aus dem Erwerbsleben ausscheiden und daher den Anspruch auf Berufsschadensausgleich - pauschal gekürzt - behalten.

 

Orientierungssatz

Das Gesetz unterstellt bei schädigungsunabhängigem, wohl aber altersbedingtem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben das Fortbestehen eines schädigungsbedingten Einkommensverlustes iS des § 30 Abs 3 BVG. Kausalitätserwägungen über die finanziellen Auswirkungen sind danach entbehrlich, wenn der Beschädigte im Zeitpunkt des altersbedingten Ausscheidens aus dem Erwerbsleben entweder tatsächlich bereits Berufsschadensausgleich bezieht oder bereits für die unmittelbar vorangegangene Zeit Anspruch auf Berufsschadensausgleich hat. Das Gesetz verlang nicht, daß die Verwaltung diesen Anspruch erfüllt hat.

 

Normenkette

BVG § 30 Abs 5 Fassung: 1975-12-18; BVG§30Abs3u4u5DV § 8 Fassung: 1977-01-18; BSchAV § 8 Nr 2; GAL § 2 Abs 2 Buchst b

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 13.02.1985; Aktenzeichen L 10 V 22/84)

SG Münster (Entscheidung vom 15.12.1983; Aktenzeichen S 4 V 30/78)

 

Tatbestand

Der Kläger, ein landwirtschaftlicher Unternehmer, begehrt Berufsschadensausgleich. Streitig ist nur noch die Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben.

Vom Beklagten erhält er Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 vH unter Berücksichtigung eines besonderen beruflichen Betroffenseins. In seinem 61. Lebensjahr übergab der Kläger wegen schädigungsunabhängiger Erwerbsunfähigkeit mit Wirkung vom 1. Januar 1979 seinen landwirtschaftlichen Betrieb an seinen Sohn. Seitdem bezieht er das vorzeitige Altersgeld von der landwirtschaftlichen Alterskasse.

Der Beklagte lehnte den schon 1972 gestellten Antrag des Klägers ab, ihm Berufsschadensausgleich zu gewähren (angefochtener Bescheid vom 16. Januar 1978). Demgegenüber hat das Sozialgericht (SG) den Beklagten verurteilt, dem Kläger von Juni 1972 bis Dezember 1978 Berufsschadensausgleich zu gewähren, und im übrigen die Klage abgewiesen (Urteil vom 15. Dezember 1983). Auf die allein vom Kläger eingelegte Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) den Beklagten zusätzlich verurteilt, dem Kläger für die Zeit ab 1. Januar 1979 Berufsschadensausgleich zu gewähren unter Zugrundelegung eines Vergleichseinkommens von 75 vH des Endgrundgehalts der Besoldungsgruppe A 7 zuzüglich des Ortszuschlags Stufe 2 Bundesbesoldungsgesetz (Urteil vom 13. Februar 1985): Zwar sei die Erwerbsunfähigkeit des Klägers schädigungsunabhängig eingetreten, aber das berühre den Anspruch auf Berufsschadensausgleich nicht, weil der Klägers altersbedingt aus dem Erwerbsleben geschieden sei.

Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision macht der Beklagte geltend, der Kläger habe infolge seines Ausscheidens aus dem Erwerbsleben keinen schädigungsbedingten Einkommensverlust. Da die erstmalige Feststellung von Berufsschadensausgleich begehrt werde, müsse der Anspruch schon an dem Fehlen dieser Anspruchsvoraussetzung scheitern. Im übrigen sei der Kläger auch nicht altersbedingt aus dem Erwerbsleben ausgeschieden. Denn der Bezug vorzeitigen Altersgeldes von der landwirtschaftlichen Alterskasse hänge nicht von einer Altersgrenze, sondern von der Erwerbsunfähigkeit ab.

Der Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten ist unbegründet.

Zu Recht hat das LSG entschieden, daß dem Kläger auch über den Zeitpunkt hinaus, von dem ab er nach Vollendung des 60. Lebensjahres vorzeitiges Altersgeld gemäß § 2 Abs 2 des Gesetzes über die Altershilfe für Landwirte (GAL) erhält, Berufsschadensausgleich zusteht. Allerdings ist der fortbestehende Anspruch nunmehr unter Beachtung der Kürzungsvorschrift des § 8 der Durchführungsverordnung (DVO) zu § 30 Abs 3 bis 5 des Bundesversorgungsgesetzes -BVG(letzte Fassung vom 18. Januar 1977 - BGBl I 162 - = § 8 Berufsschadensausgleichsverordnung -BSchAV- idF der Bekanntmachung vom 29. Juni 1984 - BGBl I 861 -) zu erfüllen.

Zutreffend hat das LSG die Berufung des Klägers als zulässig beurteilt (§ 143 SGG), weil auch der mit ihr verfolgte Teil des Klagebegehrens die erstmalige Feststellung von Berufsschadensausgleich betrifft.

Da der Beklagte keine Berufung eingelegt hat, steht nach dem Urteil des SG rechtskräftig fest, daß der Kläger während seiner aktiven Zeit als landwirtschaftlicher Unternehmer einen Einkommensverlust iS des § 30 Abs 3 BVG hatte und ihm deshalb vom Antragsmonat bis zur Abgabe seines landwirtschaftlichen Unternehmens Berufsschadensausgleich nach dem Endgrundgehalt der Besoldungsgruppe A 7 zuzüglich des Ortszuschlags Stufe 2 Bundesbesoldungsgesetz (BBesG) zustand (§ 30 Abs 3 und 4 BVG in den Fassungen seit dem Dritten Anpassungsgesetz-KOV - 3. AnpG-KOV - vom 16. Dezember 1971 iVm § 5 Abs 1 DVO zu § 30 Abs 3 und 4 BVG in den Fassungen seit dem 28. Februar 1968 - BGBl I 194).

Dieser Anspruch endet nicht dadurch, daß der Kläger seine berufliche Tätigkeit aufgegeben hat. Das LSG hat zwar festgestellt, daß der Kläger sein landwirtschaftliches Unternehmen im 61. Lebensjahr wegen schädigungsunabhängiger Erwerbsunfähigkeit abgab, nachdem er bis dahin für 96 Kalendermonate Beiträge zur landwirtschaftlichen Alterskasse geleistet hatte. Aber ein derart motiviertes Ausscheiden aus dem Erwerbsleben berührt nach § 30 Abs 5 Satz 1 Halbs 2 BVG idF des Art 2 § 1 Nr 4 Buchst a des Gesetzes zur Verbesserung der Haushaltsstruktur im Geltungsbereich des Arbeitsförderungs- und des Bundesversorgungsgesetzes vom 18. Dezember 1975 (BGBl I 1331, nunmehr mit Wirkung vom 1. Januar 1982 Abs 6 nach Art 1 Nr 13 Buchst d des Gesetzes vom 20. November 1981 - BGBl I 1199 -) den Anspruch auf Berufsschadensausgleich nicht. Nach dieser Vorschrift gilt das altersbedingte Ausscheiden aus dem Erwerbsleben grundsätzlich nicht als nachträglicher, schädigungsunabhängiger Schaden (Nachschaden). Wie der Senat in BSGE 56, 121, 122 = SozR 3100 § 30 Nr 60 ausgeführt hat, ist damit eine Ausnahme von dem allgemein in § 30 Abs 5 BVG aF enthaltenen übergeordneten Grundsatz geregelt, Entschädigungen für versorgungsfremde Nachschäden zu vermeiden. Bei schädigungsunabhängigem, wohl aber altersbedingtem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben unterstellt das Gesetz das Fortbestehen eines schädigungsbedingten Einkommensverlustes iS des § 30 Abs 3 BVG. Danach sind Kausalitätserwägungen über die finanziellen Auswirkungen entbehrlich, wenn der Beschädigte im Zeitpunkt des altersbedingten Ausscheidens aus dem Erwerbsleben entweder tatsächlich bereits Berufsschadensausgleich bezieht oder bereits für die unmittelbar vorangegangene Zeit einen Anspruch auf Berufsschadensausgleich hat. Das Gesetz verlangt nicht, daß die Verwaltung diesen Anspruch erfüllt hat.

Zutreffend hat das LSG entschieden, daß der Kläger altersbedingt aus dem Erwerbsleben ausgeschieden ist. Was der in § 30 Abs 5 BVG aF = § 30 Abs 6 BVG nF nicht näher definierte Begriff "altersbedingtes Ausscheiden aus dem Erwerbsleben" meint, wird in der Rechtsfolgeregelung des § 8 DVO zu § 30 Abs 3 bis 5 BVG (heute: BSchAV) klargestellt. Nach Abs 1 dieser Vorschrift galten als Vergleichseinkommen iS des § 30 Abs 4 Satz 2 bis 6 BVG aF = § 30 Abs 5 BVG nF mit Ablauf des Monats, in dem der Beschädigte das 65. Lebensjahr vollendet hat, 75 vH des nach § 30 Abs 4 Satz 7 BVG aF = § 30 Abs 5 letzter Satz BVG nF bekanntgemachten Betrages. Nach § 8 Abs 2 DVO zu § 30 Abs 3 bis 5 BVG galt aber Abs 1 entsprechend, wenn der Beschädigte wegen Erreichens oder Inanspruchnahme einer gesetzlichen Altersgrenze vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheidet. Das ist seitdem geltendes Recht. Nach § 8 Nrn 2 und 3 BSchAV genügt ebenfalls die Inanspruchnahme "einer" gesetzlichen Altersgrenze oder das Gebrauchmachen von der "Möglichkeit des vorzeitigen Übergangs in den Ruhestand" für das altersbedingte Ausscheiden. Der Kläger ist in diesem Sinne vorzeitig altersbedingt aus dem Erwerbsleben ausgeschieden. Er ist unter Inanspruchnahme der Altersgrenze von 60 Jahren für das vorzeitige Altersgeld nach § 2 Abs 2 Buchst b GAL (in den seit dem Sechsten Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte vom 26. Juli 1972 - BGBl I 1293 - geltenden Fassungen) vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden, indem er sein Unternehmen abgegeben hat.

Zwar ist dem Beklagten einzuräumen, daß das vorzeitige Altersgeld ursprünglich unabhängig von einer Altersgrenze gewährt wurde, wenn Erwerbsunfähigkeit iS des § 1247 Abs 2 RVO vorlag, Beiträge für mindestens 60 Kalendermonate gezahlt waren und das Unternehmen abgegeben wurde (§ 2 Abs 1a GAL idF des 2. Änderungsgesetzes vom 23. Mai 1963 - BGBl I 353 -). Aber mit dem GAL 1972 idF des 6. Änderungsgesetzes (aaO) wurde unter bestimmten Voraussetzungen für das vorzeitige Altersgeld die Altersgrenze bei der Vollendung des 60. Lebensjahres gezogen. Es mußten "mindestens bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres oder bis zum Eintritt der Erwerbsunfähigkeit und für mindestens 60 Kalendermonate Beiträge an die landwirtschaftliche Alterskasse gezahlt" worden sein (§ 2 Abs 1 Buchst b GAL 1972). Für alle Landwirte, die erst nach der Vollendung des 60. Lebensjahres erwerbsunfähig werden, gilt seitdem mindestens diese Altersgrenze im Rahmen der für den Anspruch auf vorzeitiges Altersgeld vorausgesetzten Beitragszahlungen (vgl die Begründung zum Regierungsentwurf des GAL 1972, BT-Drucks VI/3463 zu Art 1 und zu Nr 2).

Der Kläger gehört zu diesem von der Altersgrenze erfaßten Personenkreis, denn er ist erst nach seinem 60. Lebensjahr erwerbsunfähig geworden. Er ist somit altersbedingt iS des § 30 Abs 5 BVG aF iVm § 8 DVO zu § 30 Abs 3 bis 5 BVG (= § 30 Abs 6 BVG nF iVm § 8 Nr 2 BSchAV) aus dem Erwerbsleben ausgeschieden. Daß die Erwerbsunfähigkeit zusätzlich bestehen muß, beseitigt die Bedingung des Alters als eine wesentliche Voraussetzung einer besonderen Art von Altersrente nicht. Denn nach dem Erreichen der Altersgrenze von sechzig Jahren hat auch die Erwerbsunfähigkeit in der Regel eine altersbedingte Qualität. Dem Kläger steht weiterhin Berufsschadensausgleich, allerdings unter Anwendung der Vorschrift des § 8 Abs 2 DVO zu § 30 Abs 3 bis 5 BVG (= § 8 BSchAV), zu.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1657390

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