Leitsatz (amtlich)

Hat ein Bezieher von einkommensabhängigen Leistungen über ein Grundstück unter der Anrechnungsgrenze verfügt, so ist auch dann kein fiktives Einkommen anzurechnen, wenn die Verfügung ohne verständigen Grund unentgeltlich erfolgt ist (Abgrenzung zu BSG 27.3.1974 - 10 RV 113/73 = SozR 3100 § 40a Nr 1; BSG 22.9.1977 - 10 RV 65/76 = SozR 3660 § 1 Nr 5 und BSG 10.3.1976 - 10 RV 147/75 = SozR 3660 § 12 Nr 1).

 

Normenkette

BVG §§ 33, 40a Abs 2, § 41 Abs 3; BVG§33DV § 1 Abs 2 S 2, § 12 Abs 1 S 1, § 14 Abs 1 S 1

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 18.09.1986; Aktenzeichen L 7 V 3446/85)

SG Heilbronn (Entscheidung vom 03.10.1985; Aktenzeichen S 1 V 879/84)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte die einkommensabhängigen Versorgungsbezüge der Klägerin wegen kostenfreier Übertragung ihres Miteigentumsanteils an einer Eigentumswohnung um einen fiktiven Wert kürzen durfte.

Die Klägerin bezieht neben der Witwenrente Ausgleichsrente sowie Schadensausgleich. Sie war zusammen mit ihrer Tochter C gesamthänderische Eigentümerin einer Eigentumswohnung. Die der Klägerin daraus entstandenen Vorteile blieben bei der Berechnung der einkommensabhängigen Versorgungsleistungen unberücksichtigt, weil der Einheitswert des Miteigentumsanteils unter 15.000,-- DM lag.

Mit notariellem Vertrag vom 12. Januar 1979 setzten die beiden Miteigentümerinnen die an dieser Eigentumswohnung bestehende Gesellschaft bürgerlichen Rechts (§§ 705 ff Bürgerliches Gesetzbuch -BGB-) in der Weise auseinander, daß jede Gesellschafterin Miteigentümerin nach Bruchteilen - und zwar je zur Hälfte - wurde. Gleichzeitig übertrug die Klägerin ihre Miteigentumshälfte im Wege der Ausstattung ohne Gegenleistung an ihre jüngere Tochter H.

Das Versorgungsamt erließ nach Anhörung der Klägerin mit Zustimmung des Landesversorgungsamts einen Rücknahme- und Rückforderungsbescheid (Bescheid vom 20. September 1983). Der Klägerin wurde die Hälfte eines freien Wohnrechts im geschätzten Wert von 57,-- DM monatlich angerechnet. Sie habe ohne verständigen Grund ihren Miteigentumsanteil unentgeltlich abgegeben. Den Widerspruch der Klägerin wies das Landesversorgungsamt zurück (Widerspruchsbescheid vom 13. März 1984).

Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Berufung zugelassen (Urteil vom 3. Oktober 1985). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 18. September 1986). Die Voraussetzungen, die gemäß § 1 Abs 2 Satz 2 der Verordnung zur Durchführung des § 33 Bundesversorgungsgesetz (DVO zu § 33 BVG) zu einer Anrechnung fiktiven Einkommens auf die Ausgleichsrente ermächtigten, lägen nicht vor. Der Einheitswert hinsichtlich des besagten Miteigentumsanteils habe unter 15.000,-- DM, also unter der Anrechnungsgrenze des § 12 Abs 1 Satz 1 DVO zu § 33 AVG gelegen. Die Klägerin habe folglich mit ihrer Vermögensverfügung ihr bei der Feststellung der Ausgleichsrente zu berücksichtigendes Einkommen nicht gemindert, da es ohnehin nicht berücksichtigungspflichtig gewesen sei. Demnach sei eine Anrechnung bei den einkommensabhängigen Leistungen unzulässig.

Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt der Beklagte eine Verletzung materiellen Rechts (§ 1 Abs 2 DVO zu § 33 BVG). Auch in den Fällen - meint der Beklagte -, in denen bisher Einkünfte aus Hausbesitz nicht angerechnet worden seien, weil der Einheitswert unter 15.000,-- DM gelegen habe, sei ein fiktives Einkommen gemäß § 1 Abs 2 Satz 2 DVO zu § 33 BVG anzusetzen. Die pauschale Freistellung der Hausgrundstücke mit einem Einheitswert von weniger als 15.000,-- DM bei der Feststellung der einkommensabhängigen Versorgungsleistungen sei ausschließlich aus verwaltungsökonomischen Gründen erfolgt. Bei Einkommenshilfen im Sinne des BVG müsse ein Versorgungsberechtigter vorrangig seine Einkünfte zur Bestreitung seines Unterhalts einsetzen. Wenn - wie im Ausgangsfall - kein verständiger Grund für die Hingabe solcher Einkommensquellen vorlägen, dürfe dies nicht zu Lasten der Allgemeinheit gehen. Darauf verweise auch der Runderlaß des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Sozialordnung des Landes Baden-Württemberg vom 22. September 1981.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 18. September 1986 und das Urteil des SG Heilbronn vom 3. Oktober 1985 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs 2 SGG).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten hat keinen Erfolg. Der Beklagte ist nicht berechtigt, die einkommensabhängigen Versorgungsbezüge der Klägerin um einen fiktiven Betrag zu kürzen.

Nach § 45 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB 10) vom 18. August 1980 (BGBl I 1469) setzt die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, dessen Rechtswidrigkeit voraus. Letzteres haben die Vorinstanzen zutreffend verneint. Der Klägerin stehen die ihr gewährten einkommensabhängigen Leistungen ohne Anrechnung eines fiktiven Einkommensbetrages zu. § 1 Abs 2 Satz 2 DVO zu § 33 BVG ist entgegen der Meinung des Beklagten nicht anwendbar.

Die Ausgleichsrente sowie der Schadensausgleich (§§ 40a, 41 BVG in der hier seit 1981 geltenden Fassung vom 22. Juni 1976 - BGBl I 1633 - und vom 22. Januar 1982 - BGBl I 21 -) ist vom anderweitigen Einkommen des Beziehers abhängig. Für die Berechnung der Witwenausgleichsrente ist § 33 BVG entsprechend anwendbar (§ 41 Abs 3 BVG). Die volle Ausgleichsrente der Witwe ist danach - ebenso wie die Ausgleichsrente des Schwerbeschädigten - um das jeweils anzurechnende Einkommen zu mindern. Was als Einkommen gilt und welche Einkünfte bei der Feststellung der Ausgleichsrente unberücksichtigt bleiben, richtet sich nach der DVO zu § 33 BVG idF vom 1. Juli 1975 (BGBl I 1769). Nach § 14 Abs 1 dieser Verordnung sind die §§ 1 bis 12 bei der Berechnung der Witwenausgleichsrente entsprechend anzuwenden, somit auch § 1 Abs 2 Satz 2, den der Beklagte für die Herabsetzung der einkommensabhängigen Versorgungsbezüge heranzieht. Diese Vorschriften gelten auch für den Schadensausgleich (§ 40a Abs 2 iVm § 14 Abs 1 Satz 1, 1. Halbsatz DVO zu § 33 BVG; vgl BSG SozR 3660 § 12 Nr 1; SozR 3660 § 1 Nr 5).

§ 1 Abs 2 Satz 2 DVO zu § 33 BVG sieht die Anrechnung fiktiven Einkommens auf die Ausgleichsrente bzw auf den Schadensausgleich vor, wenn der Versorgungsberechtigte ohne verständigen Grund über Vermögenswerte in einer Weise verfügt hat, daß dadurch sein bei der Feststellung der genannten Versorgungsleistungen zu berücksichtigendes Einkommen gemindert wird. Diese Vorschrift zielt nicht darauf ab, Verfügungen des Versorgungsberechtigten über Vermögenswerte, insbesondere über Grundbesitz, einzuschränken. Insoweit ist das dem Versorgungsberechtigten nach Art 14 Grundgesetz verfassungsrechtlich garantierte Recht der freien Bestimmung über sein Eigentum nicht eingeschränkt (vgl BSG SozR 3660 § 1 Nr 3). Vielmehr will § 1 Abs 2 Satz 2 DVO zu § 33 BVG verhindern, daß der Versorgungsberechtigte bei einer etwaigen Vermögensdisposition ohne hinreichenden Grund auf den Anspruch auf ein angemessenes Entgelt verzichtet und auf diese Weise den Träger der Kriegsopferversorgung zu höheren Versorgungsleistungen zwingt (BSG SozR 3660 § 12 Nr 2). Dies wäre mit dem Grundsatz des Vorrangs der Verwertung eigenen Einkommens vor Inanspruchnahme der insoweit subsidiär ausgestalteten einkommensabhängigen Versorgungsleistungen unvereinbar (BSG SozR 3100 § 40a Nr 1; SozR 3660 § 1 Nr 3). Im Falle einer derartigen Verzichtsverfügung sind daher nach § 1 Abs 2 Satz 2 DVO zu § 33 BVG die Ausgleichsrente sowie der Schadensausgleich so festzustellen, als wäre die Verfügung nicht getroffen und ein Verzicht nicht ausgesprochen worden.

Im Streitfall ist § 1 Abs 2 Satz 2 DVO zu § 33 BVG nicht erfüllt. Diese Vorschrift verlangt nach ihrem Wortlaut, daß durch die Vermögensverfügung das "bei der Feststellung der Ausgleichsrente - wie auch des Schadensausgleichs - zu berücksichtigende Einkommen gemindert wird". Nur eine Vermögensverfügung, die diese Bedingung erfüllt, und nicht jede schlechthin denkbare Abgabe von Vermögenswerten, führt zu einer entsprechenden Neufeststellung der Ausgleichsrente sowie des Schadensausgleichs. Der Miteigentumsanteil der Klägerin an der Eigentumswohnung lag nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) mit seinem Einheitswert unter 15.000,-- DM. Nach § 12 Abs 1 Satz 1 DVO zu § 33 BVG bleiben daher die Erträge aus dem Anteil an dieser Eigentumswohnung bei der Feststellung der Ausgleichsrente sowie des Schadensausgleichs unberücksichtigt. Unerheblich ist, ob die Klägerin zur Hälfte an einem Gesamthandseigentums anteilsberechtigt oder zur Hälfte Bruchteilseigentümerin war. In beiden Fällen ist auf den "anteiligen Einheitswert" abzustellen (BSGE 22, 214, 215 = SozR Nr 1 zu § 12 DVO zu § 33 BVG vom 11. Januar 1961). Die rechtliche Beurteilung ändert sich nicht dadurch, daß die Klägerin über ihren Miteigentumsanteil unentgeltlich verfügt hat. Mit der Übertragung ihres Miteigentumsanteils hat sich ihr "bei der Feststellung der Ausgleichsrente sowie des Schadensausgleichs zu berücksichtigendes Einkommen" nicht gemindert. Entsprechende Einkünfte waren schon zuvor nicht berücksichtigungspflichtig. Hat die Nutzung eines Vermögensgegenstandes keine Auswirkung auf die Höhe der einkommensabhängigen Versorgungsbezüge, folgt daraus, daß auch die Verfügung über diesen Vermögensgegenstand keinen Einfluß auf die Höhe dieser Leistung haben kann.

Diese Auslegung wird auch vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung in seinem Rundschreiben vom 27. März 1984 (BVersBl 1984 S 64) vertreten. Sie ergibt sich nach der Auffassung des Senats nicht nur aus dem Wortlaut, sondern auch aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift. § 1 Abs 2 Satz 2 DVO zu § 33 BVG will eine durch den Versorgungsberechtigten hervorgerufene freiwillige Einkommenseinbuße verhindern. Der Versorgungsberechtigte ist im eigenen Interesse verpflichtet, bestehende eigene Einkommensquellen tunlichst zu erhalten, insbesondere alles zu unterlassen, was zu ihrer Beeinträchtigung führen könnte (BSG SozR 3100 § 40a Nr 1; SozR 3660 § 1 Nr 5). Der Fall der Klägerin liegt jedoch anders. Der Vermögensgegenstand, über den sie entschädigungslos verfügt hat, ist bei der Einkommensanrechnung nicht berücksichtigt worden. Dann kann der Verzicht auf eine angemessene Entschädigung bei Abgabe dieses Vermögenswertes nicht zur Anrechnung einer fiktiven Gegenleistung, etwa in Form eines Anspruchs, führen. Infolgedessen kann es auf die Frage, ob der Verzicht auf eine Gegenleistung einen "verständigen Grund" im Sinne der genannten Verordnungsvorschrift darstellt, nicht mehr ankommen.

Der Beklagte beruft sich ohne Erfolg auf die Rechtsprechung des 10. Senats (SozR 3100 § 40a Nr 1; 3660 § 12 Nr 1 und 3660 § 1 Nr 5). Abgesehen davon, daß fraglich ist, ob dieser Rechtsprechung in vollem Umfang noch zu folgen ist, betreffen die Entscheidungen einen anderen Sachverhalt. Dort hatten die Bezieher einkommensabhängiger Leistungen ihren Haus- und Grundbesitz mit einem Einheitswert unterhalb der Anrechnungsgrenze des § 12 Abs 1 Satz 1 DVO zu § 33 BVG nicht unentgeltlich veräußert. Sie hatten dafür einen Verkaufserlös vereinbart, der über der Anrechnungsgrenze lag, und erst diesen Erlös verschenkt oder erlassen. Im gegenwärtigen Streitfall ist im Unterschied dazu der Eigentumsanteil unmittelbar und unentgeltlich übertragen worden.

Nach alledem war die Revision des Beklagten als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1657401

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?