Leitsatz (amtlich)
Zur Frage des Ursachenzusammenhangs für eine Wehrdienstbeschädigung, wenn eine Wehrdienstverrichtung - Strahlflugzeugfliegen - auf ein anlagebedingtes Leiden so einwirkt, daß eine neue Gesundheitsstörung auftritt, die wahrscheinlich, aber wesentlich später, schicksalsmäßig aufgetreten wäre.
Normenkette
SVG § 81 Abs 1, § 81 Abs 5 S 1, § 85 Abs 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der 1949 geborene Kläger wurde ab 1977 als Soldat zum Kampfbeobachter auf Flugzeugen mit Düsentriebwerken ausgebildet. Im Februar 1979, als er eine Gesamtflugzeit von rund 113 Stunden aufzuweisen hatte, wurde bei ihm eine Subarachnoidalblutung aus einem Hirn-Aneurysma operiert. Wegen der Folgen der Ruptur begehrt der Kläger einen Ausgleich nach § 85 Soldatenversorgungsgesetz (SVG). Der Antrag wurde abgelehnt (Bescheid vom 14. Januar 1980). Das Sozialgericht (SG) hat diesen Bescheid aufgehoben und festgestellt, daß "spastische Facio-Hemiparese links nach operativ behandelter Subarachnoidalblutung aus einem Aneurysma" die Folge einer Wehrdienstbeschädigung ist, und die Beklagte verurteilt, dem Kläger hierfür Versorgung nach dem SVG zu gewähren (Urteil vom 19. Dezember 1983). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und als weitere Wehrdienstbeschädigung "Krampfanfälle" festgestellt (Urteil vom 11. Juli 1985). Aufgrund von drei luftfahrtmedizinischen Gutachten hat es einen ursächlichen Zusammenhang zwischen den Blutungsfolgen und dem Flugdienst für wahrscheinlich gehalten. Die positiven G-Belastungen beim passiven Fliegen in Strahlflugzeugen hätten als annähernd gleichwertige Mitursache die Blutungen wesentlich früher, als sonst zu erwarten gewesen wäre, eintreten lassen. Die Ruptur sei infolge des Fliegens deutlich früher eingetreten, und zwar mindestens um ein Jahr. Die Folgen seien nicht bloß mit einem Verschlimmerungsanteil anzuerkennen; dies käme nur in Betracht, wenn das Aneurysma noch nicht zu bleibenden Gesundheitsstörungen geführt hätte und lediglich die Gefäßmißbildung anteilig anzuerkennen wäre.
Die Beklagte rügt mit der - vom LSG zugelassenen - Revision eine Verletzung des § 81 Abs 5 SVG. Nach ihrer Auffassung, die sich auf Stellungnahmen des Sanitätsamtes der Bundeswehr stützt, ist die angeborene Gefäßanomalie nicht durch Flugbelastungen verschlimmert worden. Mit der Entscheidung, der Anspruch des Klägers sei im Sinn der Entstehung zu bejahen, habe das LSG die versorgungsrechtliche Kausalitätsnorm der wesentlichen Bedingung verletzt. Auch die Vorverlegung der Ruptur um mindestens ein Jahr, was für eine Mitverursachung des Todes bedeutsam sein könne, sei rechtsfehlerhaft.
Die Beklagte beantragt, die Urteile des Landessozialgerichts und des Sozialgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten hat keinen Erfolg.
Mit Recht haben die Vorinstanzen die Halbseitenlähmung des Klägers, die Richter des LSG außerdem Krampfanfälle als wahrscheinliche gesundheitliche Folgen einer Schädigung durch Wehrdienstverrichtungen festgestellt und die Beklagte dem Grunde nach verpflichtet, dem Kläger wegen dieser Gesundheitsstörungen einen Ausgleich zu gewähren (§ 85 Abs 1, § 81 Abs 1 und 5 Satz 1, § 88 Abs 1 Satz 1 SVG).
Bei der Entscheidung über die Voraussetzungen dieses Anspruches ist von den tatsächlichen Feststellungen des LSG auszugehen. Sie sind für das Revisionsgericht verbindlich; denn die Beklagte hat sie nicht in zulässiger Form angegriffen (§ 163 Sozialgerichtsgesetz -SGG-). Die Revisionsklägerin behauptet, die medizinischen Voraussetzungen für die Annahme einer Leidensverursachung iS des § 81 Abs 1 und 5 Satz 1 SVG seien nicht zugunsten des Klägers gegeben. Sie würdigt das Ergebnis der Beweisaufnahme anders als das LSG und weist auf ein weiteres Erkenntnismittel hin. Damit könnte sie das Unterlassen einer Sachaufklärung (§ 103 SGG) und einen Beweiswürdigungsfehler (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) als Verfahrensmängel meinen. Sie hat dazu aber nicht in der nach § 164 Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Weise schlüssig und substantiiert aufgezeigt, warum dem Berufungsgericht es sich hätte aufdrängen müssen, einen bestimmten weiteren Beweis zu erheben (BSG SozR Nr 14 zu § 103 SGG), und daß und inwieweit das Gericht die gesetzlichen Grenzen seines Rechts zur freien richterlichen Beweiswürdigung (vgl BSGE 2, 236, 237) verletzt haben soll.
Die Rüge der Beklagten, das LSG habe die versorgungsrechtliche Kausalitätsnorm der wesentlichen Bedingung nicht zutreffend angewandt, betrifft in erster Linie nicht diese rechtliche Bewertung von Tatsachen, die von der Beweiswürdigung zu unterscheiden ist (BSGE 1, 268 f; BSG SozR 3100 § 1 Nr 3), sondern die tatsächliche Feststellung des Ursachenzusammenhangs im medizinischen Sinn. Das LSG hat, den flugmedizinischen Gutachten folgend, eine deutliche Beschleunigung der Aneurysmaentwicklung durch die positiven Flug-Belastungen in Strahlflugzeugen angenommen; diese hätten im Unterschied zu alltäglichen Einwirkungen schwerwiegende Blutdrucksteigerungen bewirkt und die Blutung, die unmittelbar die Halbseitenlähmung herbeigeführt hat, wesentlich früher eintreten lassen, als sonst zu erwarten gewesen wäre. Abschließend hat das Berufungsgericht das Ausmaß der Beschleunigung und damit der wehrdienstbedingten Einwirkung mit mindestens einem Jahr bewertet. Zusammenfassend hat es entschieden, die Flugbelastung sei eine annähernd gleichwertige Mitbedingung. Die dagegen gerichtete Rüge ist als Verfahrensrüge im Sinn der zweiten Alternative des § 164 Abs 2 Satz 3 SGG unzureichend und damit unzulässig.
Soweit die Beklagte außerdem in sachlich-rechtlicher Hinsicht die Übertragung des Maßstabes von einem Jahr von der Kausalitätsbeurteilung für Hinterbliebenenansprüche (§§ 38 ff Bundesversorgungsgesetz -BVG-; BSG SozR 3100 § 1 Nr 21) auf Verschlimmerungsfälle der Beschädigtenversorgung beanstandet, erfaßt sie nicht zutreffend den Streitgegenstand dieses Verfahrens.
Das LSG hat ausdrücklich eine versorgungsrechtliche Kausalitätsbeurteilung für eine mögliche Verschlimmerung des Gefäßleidens durch Wehrdiensteinwirkungen ausgeschlossen. Statt dessen hat es die erst 1979 aufgetretenen, für den Versorgungsanspruch bedeutsamen Gesundheitsstörungen - Halbseitenlähmung und Krampfanfälle - des Klägers, die unstreitig auf eine ruhende Anlage zurückgehen, auf ihre zusätzliche ursächliche Verknüpfung mit den vorausgegangenen Einwirkungen des Fliegens geprüft. Dies hatte unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Entstehung von Schädigungsfolgen zu geschehen. Eine Verschlimmerung kommt hingegen in Betracht, wenn ein schon in Erscheinung getretenes Krankheitsgeschehen infolge versorgungsrechtlich geschützter Einflüsse stärker oder beschleunigter sich entwickelt (BSG SozR 3100 § 1 Nr 3; 3200 § 81 Nr 3; Kieswald in: Entwicklung des Sozialrechts, Aufgabe der Rechtsprechung, 1984, S 469, 475). Ob als Maßstab dafür, daß ein Leiden sich in diesem Sinn früher, als sonst zu erwarten gewesen wäre, verschlimmert hat, der Zeitraum von einem Jahr ebenso wie in Todesfällen brauchbar ist (vgl Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Band II, S 488 t; Watermann, Die Ordnungsfunktionen von Kausalität und Finalität im Recht, 1968, S 111), bleibt hier bei der bezeichneten Sachlage außer Betracht.
Allerdings könnte das LSG für einen Fall der Entstehung von Schädigungsfolgen, wie er beim Kläger gegeben ist, ebenfalls die Beschleunigung um mindestens ein Jahr als einen zur Kausalitätsnorm gehörenden Rechtsmaßstab angesehen haben. Das mag allgemein zu erwägen sein, wenn darüber zu entscheiden ist, ob eine sich schicksalsmäßig entwickelnde Krankheitsanlage unter einer Wehrdiensteinwirkung als wesentlicher Mitbedingung eine neue Gesundheitsstörung (Schädigungsfolge) - statt des Todes - ursächlich herbeigeführt hat, so daß diese als wehrdienstbedingt entstanden zu beurteilen wäre. Dagegen richtet sich aber nicht die Revisionsbegründung. Ein solcher rechtlicher Bewertungsmaßstab war im Fall des Klägers auch überflüssig sowie ungeeignet und daher nicht tragend für das angefochtene Urteil. Jener Maßstab für die Verursachung des Todes kommt allein für einen individuellen Verlaufsvergleich als Hilfsmittel für die rechtliche Kausalitätsbeurteilung in Betracht (BSG SozR 3100 § 1 Nr 21), aber nicht dann, wenn sich nicht feststellen läßt, wann der Tod des einzelnen ohne die Einwirkung voraussichtlich eingetreten wäre. Das Berufungsgericht hat aber mangels vorausgegangener Untersuchungen der Hirngefäße nicht für einen solchen Vergleich ermitteln können, wann die Aneurysmablutung beim Kläger ohne die Flugbelastungen voraussichtlich aufgetreten wäre und die Halbseitenlähmung verursacht hätte. Das Gericht hat sich daher im wesentlichen auf die allgemeine, sachverständig vermittelte Erfahrung gestützt, derartige Blutungen und damit deren bleibende Folgen, auf die es hier ankommt, träten oft lebenslang gar nicht oder sonst erst im höheren Lebensalter und dann im statistischen Durchschnitt bei Männern mit 41 Jahren auf. Auf diesen allgemeinen Krankheitsverlauf hat das LSG seine Wertung gegründet und gründen dürfen, beim Kläger, der die Ruptur mit 29 Jahren erlitt, sei diese infolge "deutlicher" Beschleunigung eine wesentliche Mitbedingung der Halbseitenlähmung. Das wird von der Beklagten weder sachlich- noch verfahrensrechtlich beanstandet. Die Ausführungen des LSG über den um mindestens ein Jahr früheren Eintritt der neuen Gesundheitsstörung sind nur als Antwort auf die Behauptung der Beklagten bedeutsam, mit dem Eintritt der neuen Gesundheitsstörung sei auch ohne Wehrdiensteinflüsse irgendwann zu rechnen gewesen. Dieser Einwand der Beklagten braucht aber nicht mit der Einjahresfristüberlegung entkräftet zu werden; er ist vielmehr schon deshalb ohne Bedeutung, weil keine auch nur annähernd wahrscheinliche Angabe darüber gemacht werden kann, wann - und ob überhaupt - im Leben eines Aneurysmakranken mit einer Ruptur zu rechnen ist.
Somit ist das Berufungsurteil im Ergebnis zu bestätigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen