Entscheidungsstichwort (Thema)
Erziehungsgeld. Erziehungsurlaub. Berufsausbildung. Berufsbildung. Fortbildung. Weiterbildung. Umschulung
Leitsatz (amtlich)
- Berufsausbildung bzw Berufsbildung im Sinn des § 2 BErzGG ist nicht nur die Ausbildung bis zum ersten beruflichen Abschluß, sondern auch eine darauf aufbauende weitere Ausbildung zum beruflichen Aufstieg.
- Zum Anspruch auf Erziehungsgeld bei Absolvierung einer Aufstiegsausbildung für den gehobenen Dienst.
Normenkette
BErzGG § 2 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 2; BBiG §§ 1, 3; GG Art. 3 Abs. 1-2, Art. 12
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin werden die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 27. November 1992 und des Sozialgerichts Köln vom 28. November 1991 sowie der Bescheid des Beklagten vom 22. November 1990 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. April 1991 aufgehoben. Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Erziehungsgeld in Höhe von 600,-- DM monatlich für die Zeit vom 1. November 1990 bis 4. März 1991 und in Höhe von 545,-- DM monatlich für die Zeit vom 5. März 1991 bis 1. September 1991 zu gewähren.
Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist, ob die Klägerin Anspruch auf Erziehungsgeld (Erzg) hat, weil sie eine Beschäftigung zur Berufsbildung ausübt.
Die Klägerin trat nach der mittleren Reife im September 1979 unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf in den Dienst der Finanzverwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen (NRW) ein. Nach der Laufbahnprüfung für den mittleren Dienst wurde sie in das Beamtenverhältnis auf Probe übernommen und nach Vollendung des 27. Lebensjahres zur Beamtin auf Lebenszeit ernannt. Im April 1988 wurde sie gemäß § 6 Steuerbeamten-Ausbildungsgesetz idF der Bekanntmachung vom 14. September 1976 (BGBl I S 2793) ab 15. August 1988 zur Einführung in die Aufgaben des gehobenen Dienstes unter Fortzahlung der vollen Dienstbezüge als Studentin zugelassen. Am 4. September 1990 wurde ihr Sohn D… geboren. Die Aufstiegsausbildung wurde während der Zeit des Mutterschutzes (11. Juli bis 31. Oktober 1990) unterbrochen und am 1. September 1991 erfolgreich beendet. Im Rahmen der Aufstiegsausbildung hat die Klägerin während mehrerer Zeiträume die Fachhochschule für Finanzen NRW besucht, während der hier streitigen Bezugszeit in der Zeit vom 5. Januar bis zum 16. Juni 1991. Der Beklagte lehnte es ab, der Klägerin Erzg zu gewähren, weil es sich bei der Aufstiegsausbildung nicht um eine Beschäftigung zur Berufsausbildung iS des Bundeserziehungsgeldgesetzes (BErzGG) handele (Bescheid vom 22. November 1990; Widerspruchsbescheid vom 18. April 1991). Die Klägerin nahm nach Beendigung der Aufstiegsausbildung für die restliche Zeit des Erziehungsurlaubs eine Ermäßigung der Arbeitszeit auf fünf Zehntel in Anspruch. Der Beklagte bewilligte ihr daraufhin Erzg in Höhe von 545,-- DM monatlich für die Zeit ab 2. September 1991 unter Anrechnung ihres Einkommens.
Klage und Berufung blieben hinsichtlich der noch streitigen Bezugszeit zwischen dem Ablauf der Mutterschutzfrist (30. Oktober 1990) und dem 1. September 1991 erfolglos (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ vom 28. November 1991; Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 27. November 1992). Das LSG hat zur Begründung ausgeführt, als Berufsausbildung könne nur eine Bildungsmaßnahme anerkannt werden, die Voraussetzung für die Berufsausübung überhaupt sei. Die Klägerin habe bereits vor der Geburt ihres Sohnes eine gesicherte berufliche Stellung erreicht. Auch ohne einen erfolgreichen Abschluß der Aufstiegsausbildung hätte sie keine beruflichen Nachteile hinnehmen müssen. Die Aufstiegsausbildung diene nur der Beförderung in eine höhere Laufbahn derselben Fachrichtung.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 2 Abs 1 Nr 3 BErzGG. Das LSG habe den Begriff der Berufsausbildung in dieser Vorschrift falsch ausgelegt. Die Gesetzesmaterialien machten deutlich, daß der Gesetzgeber von einem umfassenden Begriff der Berufsausbildung bzw Berufsbildung ausgegangen sei. Die vom LSG vorgenommene Auslegung verstoße zudem gegen den Gleichheitsgrundsatz, weil diejenigen Aufstiegsbewerberinnen, die nach Ausscheiden aus dem Beamtenverhältnis im mittleren Dienst als sog verkappte Aufstiegsbewerberinnen die Zulassungsvoraussetzungen für den gehobenen Dienst erfüllten, in den Genuß von Erzg kämen.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 27. November 1992 und des Sozialgerichts Köln vom 28. November 199 1 sowie den Bescheid des Beklagten vom 22. November 1990 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. April 1991 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin Erziehungsgeld in Höhe von 600,-- DM monatlich für die Zeit vom 1. November 1990 bis 4. März 1991 und in Höhe von 545,-- DM monatlich für die Zeit vom 5. März 1991 bis 1. September 1991 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist begründet. Ihr steht auch für die Zeit der Aufstiegsausbildung Erzg zu.
1. Gemäß § 1 Abs 1 Nr 4 BErzGG hat Anspruch auf Erzg nur, wer keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt. Als nicht volle Erwerbstätigkeit sah das BErzGG in seiner ursprünglichen Fassung (vom 6. Dezember 1985, BGBl I S 2154) nur Teilzeitbeschäftigungen an. Der damit als Anspruchsvoraussetzung geforderte Verzicht auf eine vollschichtige Beschäftigung sollte auch für Auszubildende, Anlernlinge, Umschüler, Volontäre, Praktikanten sowie für Personen in einem dem Ausbildungsverhältnis vergleichbaren Beschäftigungsverhältnis gelten (BT-Drucks 10/3792, S 15). Schüler und Studenten waren von dieser Einschränkung nicht betroffen, da sie nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stehen. Auf Veranlassung des Bundesrates (BR-Drucks 261/89, Ziff 6, zu Art 1 Nr 2) wurde § 2 Abs 1 BErzGG, der festlegt, in welchen Fällen bei Teilzeitbeschäftigung keine “volle” Erwerbstätigkeit anzunehmen ist, durch das Änderungsgesetz zum BErzGG vom 30. Juni 1989 (BErzGG-ÄndG, BGBl I S 1297) um die Regelung in Nr 3 ergänzt. Danach galt als nicht volle Erwerbstätigkeit auch die Ausübung einer Beschäftigung zur Berufsausbildung. Begründet wurde dies damit, daß die zur Berufsausbildung Beschäftigten nicht in einen Konflikt geraten dürften zwischen dem Anspruch auf Erzg und der Aufnahme und dem Abschluß einer Berufsausbildung, die gerade auch im Interesse des Kindes liege. Die zeitliche Gebundenheit der Auszubildenden sei prinzipiell derjenigen bei Schülern und Studenten gleichzusetzen; daher sei ihre rechtliche Gleichstellung geboten (BT-Drucks 11/4708, S 3). Darüber hinaus sah man die Neuregelung als weitere flankierende Maßnahme zum Schutz des ungeborenen Lebens an (BT-Drucks 11/4776, S 2 f). Bei der Gleichstellung von Lohnersatzleistungen mit einer den Bezug von Erzg ausschließenden vollen Erwerbstätigkeit (in § 2 Abs 2 Nr 2 BErzGG) wurde zugleich festgelegt, daß diese Regelung für die zu ihrer “Berufsbildung” Beschäftigten nicht gilt. Mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes (2. BErzG-ÄndG) vom 6. Dezember 1991 (BGBl I S 2142) wurde in § 2 Abs 1 Nr 3 BErzGG das Wort “Berufsausbildung” durch “Berufsbildung” ersetzt, so daß nunmehr in § 2 Abs 1 und 2 übereinstimmend das Wort “Berufsbildung” steht.
§ 2 Abs 1 Nr 3 BErzGG idF des 2. BErzG-ÄndG ist hier zwar noch nicht anzuwenden. Gemäß § 39 BErzGG idF des 2. BErzGG-ÄndG sind die Vorschriften des BErzGG in der bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Fassung auf Berechtigte, die Anspruch auf Erzg oder Erziehungsurlaub für ein vor dem 1. Januar 1992 geborenes Kind haben, weiter anzuwenden. Die spätere Gesetzesänderung ist gleichwohl bei der Gesetzesauslegung zu berücksichtigen. Die Wertung der Aufstiegsausbildung zum gehobenen Dienst als Beschäftigung zur Berufsausbildung iS des § 2 BErzGG kann entgegen der Auffassung des LSG weder im Hinblick auf die vorangegangene Berufsausbildung für eine Tätigkeit im mittleren Dienst noch wegen der Gehaltsfortzahlung verneint werden.
2. Berufsausbildung iS des § 2 BErzGG ist nicht nur die Ausbildung bis zum ersten beruflichen Abschluß, sondern auch eine darauf aufbauende weitere Ausbildung zum beruflichen Aufstieg. Die in der hier noch nicht anwendbaren Neuregelung verwandte Formulierung “zur Berufsbildung Beschäftigte” umfaßt schon nach dem Wortsinn auch Fortbildung und Umschulung. Sie ist durch Vorschriften in anderen Gesetzen geprägt. Sie wurde erstmals durch das Beschäftigungsförderungsgesetz (vom 26. April 1985, BGBl I S 710) eingeführt und findet sich in § 1 Abs 2 Nr 2 des Gesetzes über arbeitsrechtliche Vorschriften zur Beschäftigungsförderung (= Art 1 des Beschäftigungsförderungsgesetzes), in § 23 Abs 1 Satz 2 Kündigungsschutzgesetz, in § 2 Abs 1 Satz 1 des Gesetzes über die Fristen für die Kündigung von Angestellten, in § 2 Abs 3 Satz 2 Arbeitsplatz-Schutzgesetz und in § 20 Abs 1 BErzGG. Sie erfaßt nach diesen Gesetzen alle Bildungsverhältnisse, die zu einer beruflichen Qualifikation führen, und beschränkt sich nicht auf das Berufsausbildungsverhältnis iS von § 3 Berufsbildungsgesetz (BBiG). Daß die Formulierung “zur Berufsbildung Beschäftigte” Fortbildung und Umschulung nicht ausschließt, scheint unbestritten (vgl Richtlinien zur Durchführung des BErzGG, Bundesministerium für Familie und Senioren, Stand 1.7.1992, unveröffentlicht, zu § 2 Nr 1.5 auf Seite 31; Zmarzlik/Zipperer/Viethen, Bundes-Erziehungsgeldgesetz 1992, 6. Aufl, § 2 RdNr 3; Zmarzlik/Zipperer/Viethen, Mutterschutzgesetz, 6. Aufl, 1991, § 20 BErzGG RdNr 2; Zmarzlik/Zipperer/Viethen, Bundes-Erziehungsgeldgesetz 1992, § 20 RdNr 1; Stevens-Bartol, BErzGG, 2. Aufl, § 20 Anm 2).
Streitig ist nur, ob auch der zuvor in § 2 verwandte Begriff der Berufsausbildung, über dessen Auslegung hier zu entscheiden ist, ebenfalls Fortbildung und Umschulung umfaßt. Nach den Gesetzesmaterialien, nach dem Sprachgebrauch des Gesetzgebers, nach Sinn und Zweck der Regelung und aus verfassungsrechtlichen Gründen ist anzunehmen, daß in der früheren Fassung “Berufsausbildung” iS von “Berufsbildung” verwandt wurde.
a) Im Rahmen des 2. BErzG-ÄndG hatte die Bundesregierung zunächst als “redaktionelle Änderung” vorgeschlagen, in § 2 Abs 2 Nr 2 BErzGG das Wort “Berufsbildung” durch das Wort “Berufsausbildung” zu ersetzen (BT-Drucks 12/1125, S 3). Der Ausschuß für Familie und Senioren des Bundesrates (BR-Drucks 481/1/91) empfahl im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens die Streichung dieser Änderung, weil die Begrenzung auf die Berufsausbildung alle Maßnahmen zur Berufsfortbildung und Umschulung nach dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG) ausschließe. Der Begriff “Berufsausbildung” sei auf Ausbildungsberufe nach dem Berufsbildungsgesetz beschränkt. Von den Maßnahmen nach dem AFG seien aber in besonderem Maße Frauen betroffen (BR-Drucks 481/1/91). Auf Empfehlung des Bundestagsausschusses für Familie und Senioren (BT-Drucks 12/1495, S 5) ist danach im 2. BErzG-ÄndG in § 2 Abs 1 Nr 3 BErzGG das Wort “Berufsausbildung” durch das Wort “Berufsbildung” ersetzt worden. Auch diese Änderung wurde als “redaktionelle Anpassung” angesehen, und zwar an die Formulierung in § 2 Abs 2 Nr 2 BErzGG (BT-Drucks 12/1495, S 15). Die Bezeichnung als “redaktionelle Anpassung” zeigt, daß der Gesetzgeber mit der Änderung des Begriffs “Berufsausbildung” in “Berufsbildung” in § 2 Abs 1 Nr 3 BErzGG keine Ausweitung des Anwendungsbereichs dieser Norm beabsichtigte.
b) “Berufsausbildung” ist ein gängiger Begriff der Gesetzessprache. Mit seiner Definition hat sich das Bundessozialgericht (BSG) wiederholt befaßt. Aus der Rechtsprechung ergibt sich, daß der Begriff für jede Vorschrift selbständig ausgelegt worden ist; dabei sind die Erkenntnisse über die Auslegung des Begriffs in anderen Vorschriften berücksichtigt worden (Zur Unfallversicherung und den Grundsätzen für die Gewährung von Waisenrente bei Schul- oder Berufsausbildung in der Rentenversicherung: BSG vom 25. Januar 1983 – 2 RU 54/81 – BAGUV RdSchr 21/83, 1; BSG SozR 3-2200 § 573 Nr 2; BSGE 19, 252, 255 = SozR Nr 6 zu § 565 RVO aF; vgl auch BSGE 26, 195 = SozR Nr 27 zu § 1267 RVO; SozR Nr 28 zu § 1267 RVO und BSGE 23, 231). Die Gesetzessprache verwendet den Begriff der Berufsausbildung in Sozialleistungsgesetzen hinsichtlich der kindbezogenen Leistungen, insbesondere im Renten- und Unfallversicherungsrecht, seit langem in einem weiten, Fortbildung und Umschulung nicht ausschließenden Sinne. Allerdings hat der Gesetzgeber im Recht der Berufsbildung und im Recht der Arbeitsförderung eine Dreiteilung der beruflichen Bildung vorgenommen in Ausbildung (im engeren Sinne), Fortbildung und Umschulung (vgl §§ 1 und 3 BBiG, §§ 19 Abs 1 Nr 3 Buchst a, 29 Abs 1 Nr 2 Buchst c SGB I, §§ 40 bis 49 AFG, § 40 Abs 1 Nrn 4 und 5 Bundessozialhilfegesetz ≪BSHG≫). In diesem Zusammenhang wird die Berufsausbildung (in dem zuvor üblichen weiteren Sinne) nunmehr berufliche Bildung genannt. Des ungeachtet wird der Begriff der Berufsausbildung in anderen Sozialleistungsgesetzen vom Gesetzgeber auch weiterhin im ursprünglichen Sinne verstanden, der Fortbildung und Umschulung nicht ausschließt, insbesondere in der Rentenversicherung (vgl nunmehr § 48 Abs 4 Nr 2 SGB Sechstes Buch ≪SGB VI≫), in der Unfallversicherung (BSG SozR 3-2200 § 573 Nr 2) und im Kindergeldrecht (vgl die Definition in BSGE 65, 250 = SozR 5870 § 2 Nr 66).
Maßgebend für die Lösung von Problemen, die mit der Anwendung des Rechtsbegriffs der Berufsausbildung verbunden sind, ist somit der jeweilige Sachzusammenhang. Dies hat das BSG in bezug auf den Begriff “ Berufsausbildung” vor allem im Hinblick auf dessen unterschiedliche Bedeutung im Rentenversicherungs- und im Arbeitsförderungsrecht bereits mit Urteil vom 19. März 1974 – 7 RAr 9/73 – BSGE 37, 163, 164 f = SozR 4100 § 41 Nr 1) deutlich gemacht. Die Bedeutung des Begriffs “Berufsausbildung” bzw “Berufsbildung” ist daher in erster Linie danach zu beurteilen, welchen Sinn die Verwendung dieses Begriffs in der konkreten Regelung hat und welches Ziel der Gesetzgeber damit verfolgt.
Die aufgezeigte Entwicklung des BErzGG macht deutlich, daß sich der Gesetzgeber bei der Einbeziehung von Teilnehmern beruflicher Bildungsmaßnahmen in den anspruchsberechtigten Personenkreis in einem Zielkonflikt befand: Die Leistungen dieses Gesetzes sollen nach seiner ursprünglichen Konzeption vor allem eine stärkere Hinwendung eines Elternteils in der ersten Lebensphase des Kindes ermöglichen oder zumindest erleichtern, indem sie die finanziellen Voraussetzungen für die Ausübung eines Wahlrechts schaffen, ob sich ein Elternteil unter Verzicht oder erheblicher Reduzierung eigener Erwerbstätigkeit und eigenen Erwerbseinkommens überwiegend der Erziehung des Kindes widmet, oder die Erwerbstätigkeit fortsetzt und die Erziehung des Kindes auf andere Weise sicherstellt (vgl BT-Drucks 10/4212, S 3; BSGE 71, 128, 133 = SozR 3-7833 § 1 Nr 9). Zur Erzielung der beabsichtigten Steuerungswirkung wurde der Anspruch auf Erzg folgerichtig davon abhängig gemacht, daß der Berechtigte durch die Ausübung einer Erwerbstätigkeit zeitlich nicht in einem Maße gebunden war, das eine eigene Betreuung und Erziehung des Kindes nicht mehr zuließ (§ 2 BErzGG). Die Einbeziehung der beruflichen Ausbildung, die in der Regel eine ganztägige Anwesenheit am Ausbildungsplatz erforderlich macht, entsprach nicht der ursprünglichen Vorstellung des Gesetzgebers über den notwendigen zeitlichen Umfang der Betreuung des Kindes. Die Gleichstellung der Auszubildenden mit Schülern und Studenten wurde allein damit begründet, daß die Betroffenen auch im Interesse des Kindes motiviert werden sollten, eine berufliche Ausbildung abzuschließen. Die Ausnahme von der ansonsten weiterhin für erforderlich gehaltenen zeitlichen Grenze der Belastung durch Erwerbstätigkeit wurde für gerechtfertigt gehalten, weil “eine abgeschlossene Berufsausbildung” für den künftigen Werdegang des jungen Menschen von entscheidender Bedeutung sei (BT-Drucks 11/4776, S 3). Der Gesetzgeber wollte damit erkennbar der Erfahrungstatsache Rechnung tragen, daß die Fortsetzung einer angefangenen Berufsausbildung für die davon in aller Regel betroffenen jungen Menschen von besonderer Bedeutung ist und eine Unterbrechung, wenn nicht gar der Abbruch der Ausbildung eine wesentlich schwerere Benachteiligung des beruflichen Werdegangs bedeutet als die Beeinträchtigung, die ein in gesicherter beruflicher Stellung befindlicher Mensch in aller Regel mit einem vorübergehenden Ausscheiden aus dem Beruf zugunsten der Kindererziehung hinnehmen muß. Entsprechend größer ist der Konflikt, wenn zwischen der Fortsetzung der Ausbildung – unter Verzicht auf Erzg – und deren Aufgabe zu entscheiden ist. Mit der Befreiung der in Ausbildung befindlichen Personen von dem Erfordernis, für die Betreuung und Erziehung des Kindes ein ausreichendes Maß an Zeit zu haben, hat der Gesetzgeber zur Milderung des Konflikts auf die verhaltenssteuernde Wirkung des Erzg verzichtet und zugleich deutlich gemacht, daß er der Erreichung des Ausbildungsziels einen hohen Stellenwert einräumt.
Die Gefährdung der Bildungsmaßnahme durch Unterbrechungen betrifft Ausbildung und Fortbildung jedoch in gleicher Weise. Ein Grund, eine Berufsausbildung nur deshalb nicht zu begünstigen, weil zuvor eine andere Ausbildung abgeschlossen wurde, besteht nicht.
Zu einer einschränkenden Auslegung zwingt auch nicht die in § 2 Abs 2 Nr 2 BErzGG getroffene Regelung. Nach dieser Vorschrift schließt ua der Bezug der Lohnersatzleistung Unterhaltsgeld (Uhg) die Erzg-Berechtigung aus, wenn sie nach einer Beschäftigung mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von mehr als 19 Stunden bemessen ist; diese Regelung gilt nach dem mit dem BErzGG-ÄndG (vom 30. Juni 1989) angefügten Halbsatz nicht “für die zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten”.
Bezieht man den Halbsatz 2 auf Personen, die sich in einer Fortbildungs- oder Umschulungsmaßnahme befinden, so ergibt sich ein offensichtlicher Normwiderspruch: Für den Bezug von Uhg ist die Teilnahme an einer Maßnahme der beruflichen Fortbildung oder Umschulung Anspruchsvoraussetzung (§§ 44, 47 AFG). Der Bezug dieser Leistung schlösse – bei einer Bemessung nach mehr als 19 Wochenarbeitsstunden – den Anspruch auf ErzG aus (Halbsatz 1); Halbsatz 2 höbe dies wieder auf. Bezieht man Halbsatz 2 auf die vor Beginn der Bildungsmaßnahme schon zur Berufsbildung beschäftigt gewesenen Personen, behielte die Regelung als Ausnahme von der zeitlichen Beschränkung der Bemessungsgrundlage in Halbsatz 1 einen Sinn: Dann wäre eine Fortbildungs- oder Umschulungsmaßnahme erziehungsgeldunschädlich, wenn dem bezogenen Uhg eine Teilzeitbeschäftigung oder ein Ausbildungsverhältnis als Bemessungs grundlage diente; im übrigen wären Teilnehmer von Fortbildungsmaßnahmen mit Uhg-Bezug vom Erzg ausgeschlossen. Daraus ließe sich weiter folgern, daß der Gesetzgeber bei Fortbildungsmaßnahmen nicht generell, sondern nur bei fehlenden oder geringen Unterhaltsersatzleistungen Erzg zubilligen wollte. Der Schluß, daß erst recht bei Fortbildung unter voller Fortzahlung der Bezüge Erzg nicht in Betracht kommen kann, liegt dann nahe.
Indessen ist der Auslegung, die es bei dem aufgezeigten Widerspruch beläßt, hier der Vorzug zu geben. Die Entwicklung der Vorschrift spricht dafür, daß der Gesetzgeber bei der Einfügung des letzten Halbsatzes von Abs 2 Nr 2 über das Fortbestehen des Anwendungsbereichs der Regelung für das Uhg keine Entscheidung getroffen hat. Bei der Änderung der Vorschrift im Zuge des BErzGG-ÄndG vom 30. Juni 1989 blieb der in § 2 Abs 2 Nr 2 BErzGG seit dem Inkrafttreten des Gesetzes enthaltene Katalog der Lohnersatzleistungen unverändert. Die Privilegierung der zur Berufs(aus)bildung Beschäftigten wurde der bis dahin geltenden Fassung der Vorschrift lediglich angefügt. Dies spricht dafür, daß die in § 2 Abs 2 Nr 2 BErzGG aufgeführten Lohnersatzleistungen bei der Ergänzung der Vorschrift nicht sämtlich auf ihre Vereinbarkeit mit der im letzten Halbsatz angefügten Regelung überprüft worden sind. Über den Erzg-Anspruch beim Bezug von Uhg ist hier aber nicht zu entscheiden.
Für eine Einbeziehung von beruflichen Fortbildungsmaßnahmen in den Anwendungsbereich des § 2 Abs 1 Nr 3 BErzGG sprechen auch verfassungsrechtliche Aspekte. Der aufgezeigte Konflikt bei der Fortsetzung einer Bildungsmaßnahme nach der Geburt eines Kindes betrifft fast ausschließlich Frauen. Dies wird aus der Tatsache deutlich, daß Erziehungsurlaub nur in weniger als einem Prozent aller Fälle von den Vätern in Anspruch genommen wird (vgl BT-Plenarprotokoll 12/50, S 4100 und 4107). Eine Ausgrenzung berufsqualifizierender Fortbildungsmaßnahmen aus dem Anwendungsbereich des § 2 Abs 1 Nr 3 BErzGG beträfe somit trotz der geschlechtsneutralen Fassung dieser Vorschrift faktisch nur Frauen. Dies erscheint vor allem deshalb bedenklich, weil berufliche Qualifikationen zumeist in derselben Lebensphase notwendig werden, in die auch die Geburt von Kindern fällt, und eine Unterbrechung oder Verschiebung der Bildungsmaßnahmen häufig nicht ohne weiteres möglich ist. Eine enge Auslegung des § 2 Abs 1 Nr 3 BErzGG läßt sich von daher mit der aus Art 3 Abs 2 GG erwachsenden Verpflichtung des Staates zur Schaffung von Chancengleichheit bei der beruflichen Qualifikation von Männern und Frauen nicht vereinbaren (BVerfGE 6, 55, 82; 15, 337, 345; 57, 335, 342 ff). Das BVerfG hat in ständiger Rechtsprechung deutlich gemacht, daß auch überkommene Rollenverteilungen, wie sie etwa bei der Erziehung und Betreuung von Kleinkindern bestehen, nicht durch staatliche Maßnahmen verfestigt werden dürfen, wenn dies zu einer höheren Belastung oder sonstigen Nachteilen für Frauen führt (BVerfGE 15, 337, 345; 52, 369, 376 f; 57, 335, 344 = SozR 2200 § 1255 Nr 13).
Überdies wäre eine Auslegung, die nur die Ausbildung, nicht aber auch die Fortbildung als erziehungsgeldunschädlich ansieht, auch mit dem Allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG in Ansehung der Berufsfreiheit (Art 12 GG) nicht zu vereinbaren. Die Ausbildung für den gehobenen Dienst als Beamtenanwärter, die unmittelbar an die Schulausbildung anschließt, ist Berufsausbildung im engeren Sinne und damit selbst nach der engen Auslegung erziehungsgeldunschädlich. Hat der Beamtenanwärter nach der Schulausbildung zunächst eine andere Berufsausbildung durchlaufen, etwa eine “Lehre”, so wäre die Ausbildung als Beamtenanwärter für ihn Umschulung oder Fortbildung, also nicht erziehungsgeldunschädlich. Sachliche Gründe für die Annahme, daß ein Betroffener sein Interesse an einem bestimmten Berufsabschluß geringer wertet, wenn er diesen im zweiten Bildungsweg anstrebt, sind nicht erkennbar. Das gilt insbesondere im Hinblick auf den in den Gesetzesmaterialien angesprochenen Abbruch der Schwangerschaft.
3. Auch die Fortzahlung der vollen Vergütung, wie sie im Falle der Aufstiegsausbildung erfolgt, steht der Wertung als Berufsausbildung nicht entgegen.
a) Eine über die übliche Ausbildungsvergütung hinausgehende Bezahlung ist zwar allgemein geeignet, Zweifel daran aufkommen zu lassen, ob das Beschäftigungsverhältnis tatsächlich von der Ausbildung geprägt wird. Das gilt verstärkt für die Fortzahlung einer Vergütung, die für eine vollschichtige Berufsausübung nach Abschluß einer Berufsausbildung vorgesehen ist, insbesondere wenn sie nach Abschluß dieser Berufsausbildung für die Dauer einer weiteren Berufsausbildung gezahlt wird. § 2 Abs 1 Nr 3 BErzGG setzt in bezug auf das Beschäftigungsverhältnis voraus, daß es “zur” Berufsbildung ausgeübt wird. Die berufliche Bildung muß danach wesentlicher Inhalt des Beschäftigungsverhältnisses sein, also das Maß des Erwerbs von Kenntnissen und Fähigkeiten deutlich übersteigen, das mit jeder Art von Berufsausübung mehr oder weniger verbunden ist.
Wesentlicher Inhalt des Beschäftigungsverhältnisses der Klägerin war nach der Laufbahnprüfung für den mittleren Dienst ursprünglich zwar die Erfüllung der hier üblicherweise anfallenden dienstlichen Aufgaben. Durch die Aufnahme der Klägerin in die Aufstiegsausbildung hat sich der wesentliche Inhalt dieses Beschäftigungsverhältnisses jedoch grundlegend gewandelt. Es unterschied sich nach den vom LSG getroffenen Feststellungen nur unwesentlich von einem Ausbildungsverhältnis als Anwärter für den gehobenen Dienst in der Steuerverwaltung. Dies entnimmt der Senat den die Aufstiegsausbildung regelnden Vorschriften. Hierbei handelt es sich zwar teilweise auch um landesrechtliche Regelungen. Eine Auslegung landesrechtlicher Regelungen ist dem Revisionsgericht jedoch dann nicht verwehrt, wenn das LSG – wie hier – auf sie noch nicht zurückgegriffen hat (BSGE 7, 122, 125; 53, 242, 245 = SozR 2200 § 1248 Nr 36; BSGE 62, 131, 133 = SozR 4100 § 141b Nr 40). Zwar hat das LSG wegen seiner abweichenden Rechtsauffassung nicht ausdrücklich festgestellt, daß die Ausbildung der Klägerin tatsächlich nach diesen Vorschriften abgelaufen ist; doch sind die Beteiligten übereinstimmend hiervon ausgegangen. Beamte, die zur Einführung zugelassen sind, beginnen ihre Einführung im Jahre der Zulassung gleichzeitig mit den im gleichen Jahre eingestellten Finanzanwärtern. Die zur Einführung zugelassenen Bewerber leisten die Einführungszeit gemeinsam mit den Finanzanwärtern ab. Sie legen dieselbe Abschlußprüfung wie die Finanzanwärter ab.
b) Der Begriff der Berufsausbildung in § 2 BErzGG gibt keine Handhabe, die Zahlung der Bezüge unabhängig vom Ausbildungscharakter als schädlich anzusehen, wie dies zum Begriff der Berufsausbildung im Renten- und Unfallversicherungsrecht entschieden wurde. Nach dieser Rechtsprechung ist Waisenrente nicht zu gewähren, wenn die Waise als Inspektoranwärter mehr als 1000,-- DM monatlich verdient (SozR 2200 § 1267 Nr 27; entsprechend zu Beschäftigungsaufträgen mit 90 vH der vollen Vergütung: BSGE 39, 211, 212 = SozR 2200 § 1267 Nr 11), desgleichen nicht, wenn während einer Berufsausbildung das bisherige Beschäftigungsverhältnis mit voller Arbeitsleistung und gegen volles Arbeitsentgelt fortgesetzt wird (BSG SozR 3-2200 § 1262 Nr 2; SozR 2200 § 1267 Nr 22) oder wenn die Berufsausbildung zum Inhalt des bestehenden vollbezahlten Arbeitsverhältnisses wird (BSG SozR 5870 § 2 Nr 2). Auch die Weiterbildung zum Facharzt wurde nicht als Berufsausbildung iS des Unfallversicherungsrechts angesehen (BSG, Urteil vom 30. Oktober 1991, 2 RU 61/90, HV-Info 1992, 428). Bei Regelungen, die an den Unterhaltsanspruch des Auszubildenden anknüpfen, wie dies bei Kinderzuschuß, Waisenrente und Kindergeld der Fall ist, kommt der Höhe der Ausbildungsvergütung eine besondere Bedeutung zu. Für die Frage, ob die mit der Verschiebung eines Ausbildungsabschlusses typischerweise verbundenen Schwierigkeiten vorliegen, kommt der Vergütung keine unmittelbare Bedeutung zu. Dementsprechend macht § 2 Abs 1 Nr 3 BErzGG die Unschädlichkeit der Ausübung einer Beschäftigung zur Berufsbildung nicht von der Höhe der Vergütung oder vom Bezug einer speziellen Ausbildungsvergütung abhängig. Die Höhe des eigenen Einkommens des Erzg-Berechtigten wirkt sich nur über die Einkommensanrechnung nach §§ 5 Abs 2, 6 BErzGG auf den Zahlungsanspruch aus.
Die Klägerin hat danach auch für die Zeit, in der sie eine Aufstiegsausbildung absolvierte, Anspruch auf Erzg, und zwar für die Zeit bis zum Beginn des 7. Lebensmonats ihres Kindes in Höhe von 600,-- DM und für die nachfolgende Zeit in Höhe von 545,-- DM entsprechend der von ihr in der mündlichen Verhandlung nicht angezweifelten Höhe des ihr für die anschließende Zeit bewilligten Erzg und der insoweit erfolgten Einkommensanrechnung (§ 5 Abs 2 BErzGG).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen
Haufe-Index 915575 |
BSGE, 181 |