Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufsausbildung. Berufsbildung. Weiterbildung. Erziehungsgeld. Facharztausbildung. Zusatzbezeichnung. Weiterbildungsordnung. Ausbildungsvergütung. Arbeitsentgelt. Arbeitsvertrag. Vertragszweck
Leitsatz (amtlich)
Zum Anspruch auf Erziehungsgeld bei einer Beschäftigung zur ärztlichen Weiterbildung im Bereich medizinischer Genetik (Anschluß an BSG vom 3.11.1993 – 14b REg 3/93 = BSGE … = SozR …).
Normenkette
BErzGG § 2 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 2; GG Art. 3 Abs. 2, Art. 12 Abs. 1; ÄKammerG SH § 32; ÄWeitBiO SH §§ 5, 8
Verfahrensgang
SG Kiel (Urteil vom 01.10.1992; Aktenzeichen S 6 Eg 44/91) |
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 1. Oktober 1992 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die der Klägerin im Revisionsverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten.
Tatbestand
I
Streitig ist, ob die Klägerin Anspruch auf Bundeserziehungsgeld (ErzG) hat weil sie ihre Beschäftigung zur Berufsausbildung ausübt.
Mit Bescheid vom 1. Oktober 1990 gewährte ihr das beklagte Land ErzG für ihren am 9. September 1990 geborenen Sohn vom Tage der Geburt bis zum 8. März 1992 iH von 600,00 DM monatlich. Die Klägerin arbeitete zu dieser Zeit als Ärztin im Praktikum in einer Universitätsklinik. Nachdem die Klägerin angezeigt hatte, daß sie ihre Zeit als Ärztin im Praktikum beendet habe und seit dem 5. Februar 1991 in der Abteilung Humangenetik der Universität als wissenschaftliche Angestellte mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 19,25 Stunden arbeite, entzog das beklagte Land mit Bescheid vom 21. Februar 1991 das ErzG mit Wirkung vom 9. Februar 1991 und forderte die Überzahlung zurück. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 6. November 1991). Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) die angefochtenen Bescheide aufgehoben (Urteil vom 1. Oktober 1992). Nach seiner Auffassung steht der Klägerin weiterhin ErzG zu, weil sie die Beschäftigung zur Berufsausbildung ausgeübt habe. Unter den Begriff der Berufsausbildung iS des § 2 Abs. 1 Nr. 3 des Bundeserziehungsgeldgesetzes (BErzGG) falle nicht nur die erste, zu einem beruflichen Abschluß führende Ausbildung, sondern auch die berufliche Weiterbildung, in der sich die Klägerin befunden habe. Im Bereich der ärztlichen Berufsausbildung werde allgemein erst die Facharztqualifikation, die die Klägerin angestrebt habe, als Abschluß der Ausbildung angesehen und nicht bereits die Approbation. Es entspreche auch der familienpolitischen Zielsetzung des Gesetzgebers, den Begriff der Ausbildung weit auszulegen, um den Schutz des ungeborenen Lebens bei Müttern mit einem noch nicht abgeschlossenen beruflichen Werdegang zu gewährleisten.
Dagegen richtet sich die vom SG zugelassene Sprungrevision des Beklagten. Er rügt, daß das SG den Begriff der Berufsausbildung zu weit ausgelegt habe. Nach seiner Auffassung ist unter Berufsausbildung jede Maßnahme zu verstehen, die dazu befähigt, nach ihrem Abschluß verantwortlich den gewählten Beruf auszuüben. Das sei bei Ärzten mit der Erlangung der Approbation der Fall. Die Weiterbildung zur Erlangung der Facharztqualifikation sei in diesem Sinne keine Ausbildung mehr. Da eine berufliche Qualifizierung während der Berufsausübung in vielen Bereichen üblich sei, sei das vom Gesetzgeber angestrebte Ziel, die persönliche Zuwendung zum Kind durch Verzicht auf eine volle Berufsausübung zu fördern, nur bei einer engen Auslegung der Ausnahmevorschrift zu erreichen. Auch die gesetzliche Änderung zum 1. Januar 1992, die den Begriff „Berufsausbildung” durch „Berufsbildung” ersetzt habe, sei keine Ausweitung des Ausnahmetatbestandes.
Der Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägern beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Beklagten ist unbegründet. Das SG hat zu Recht entschieden, daß durch die Tätigkeit der Klägerin als wissenschaftliche Angestellte keine Änderung der Verhältnisse eingetreten ist, die den Beklagten zur Aufhebung des ErzG-Bescheids nach § 48 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – (SGB X) berechtigte. Der Klägerin stand nach wie vor ein Anspruch auf ErzG zu, weil sie sich in der Berufsausbildung befunden und damit keine volle Erwerbstätigkeit ausgeübt hat.
1. Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BErzGG hat Anspruch auf ErzG nur, wer keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt. Als nicht volle Erwerbstätigkeit sah das BErzGG in seiner ursprünglichen Fassung (vom 6. Dezember 1985, BGBl I S 2154) nur Teilzeitbeschäftigungen an. Der damit als Anspruchsvoraussetzung geforderte Verzicht auf eine vollschichtige Beschäftigung sollte auch für Auszubildende, Anlernlinge, Umschüler. Volontäre, Praktikanten sowie für Personen in einem dem Ausbildungsverhältnis vergleichbaren Beschäftigungsverhältnis gelten (BT-Drucks 10/3792, S 15). Schüler und Studenten waren von dieser Einschränkung nicht betroffen, da sie nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stehen. Auf Veranlassung des Bundesrates (BR-Drucks 261/89, Ziff 6, zu Art. 1 Nr. 2) wurde § 2 Abs. 1 BErzGG, der festlegt, in welchen Fällen bei Teilzeitbeschäftigung keine „volle” Erwerbstätigkeit anzunehmen ist, durch das Änderungsgesetz zum BErzGG vom 30. Juni 1989 (BErzGG-ÄndG, BGBl I S 1297) um die Regelung in Nr. 3 ergänzt. Danach galt als nicht volle Erwerbstätigkeit auch die Ausübung einer Beschäftigung zur Berufsausbildung. Begründet wurde dies damit, daß die zur Berufsausbildung Beschäftigten nicht in einen Konflikt geraten dürften zwischen dem Anspruch auf ErzG und der Aufnahme und dem Abschluß einer Berufsausbildung, die gerade auch im Interesse des Kindes liege. Die zeitliche Gebundenheit der Auszubildenden sei prinzipiell derjenigen bei Schülern und Studenten gleichzusetzen; daher sei ihre rechtliche Gleichstellung geboten (BT-Drucks 11/4708, S 3). Darüber hinaus sah man die Neuregelung als weitere flankierende Maßnahme zum Schutz des ungeborenen Lebens an (BT-Drucks 11/4776, S 2 f). Bei der Gleichstellung von Lohnersatzleistungen mit einer den Bezug von ErzG ausschließenden vollen Erwerbstätigkeit (in § 2 Abs. 2 Nr. 2 BErzGG) wurde zugleich festgelegt, daß diese Regelung für die zu ihrer „Berufsbildung” Beschäftigten nicht gilt. Mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes (2. BErzGG-ÄndG) vom 6. Dezember 1991 (BGBl I S 2142) wurde in § 2 Abs. 1 Nr. 3 BErzGG das Wort „Berufsausbildung” durch „Berufsbildung” ersetzt, so daß nunmehr in § 2 Abs. 1 und 2 übereinstimmend das Wort „Berufsbildung” steht.
§ 2 Abs. 1 Nr. 3 BErzGG idF des 2. BErzGG-ÄndG ist hier zwar noch nicht anzuwenden, Gemäß § 39 BErzGG idF des 2, BErzGG-ÄndG sind die Vorschriften des BErzGG in der bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Fassung auf Berechtigte, die Anspruch auf ErzG oder Erziehungsurlaub für ein vor dem 1. Januar 1992 geborenes Kind haben, weiter anzuwenden. Die spätere Gesetzesänderung ist gleichwohl bei der Gesetzesauslegung zu berücksichtigen.
Die Wertung der Tätigkeit der Klägerin in der Abteilung für Humangenetik als Beschäftigung zur Berufsausbildung iS des § 2 BErzGG kann entgegen der Auffassung des Beklagten weder im Hinblick auf die vorangegangene ärztliche Approbation noch wegen der Art. der Vergütung verneint werden. Mit der Approbation hatte die Klägerin ihre ärztliche Ausbildung zwar insoweit abgeschlossen, als sie die Befugnis erlangt hatte, den Beruf als Arzt auszuüben (§ 2 Abs. 1 Bundesärzteordnung). Der mit dem Land Schleswig-Holstein, vertreten durch die Universität Kiel, abgeschlossene Arbeitsvertrag diente nach den bindenden Feststellungen (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫) des SG der Erledigung von Aufgaben im Rahmen eines von einem Förderverein finanzierten Forschungsvorhabens, aber auch der Weiterbildung auf dem Gebiet der Humangenetik zum Zwecke des späteren Erwerbs der Zusatzbezeichnung „Medizinische Genetik” neben der Facharztquatifikation als Frauenärztin. Er war mit einer Vergütung nach der Tarifgruppe BAT lla verbunden. Der ausdrücklich verfolgte Zweck der ärztlichen Weiterbildung reicht aus, um eine Beschäftigung zur Berufsausbildung iS des BErzGG zu bejahen.
2. Berufsausbildung iS des § 2 BErzGG ist nicht nur die Ausbildung bis zum ersten beruflichen Abschluß, sondern auch eine darauf aufbauende weitere Ausbildung zum beruflichen Aufstieg. Die in der hier noch nicht anwendbaren Neuregelung verwandte Formulierung „zur Berufsbildung Beschäftigte” umfaßt schon nach dem Wortsinn auch Fortbildung und Umschulung. Sie ist durch Vorschriften in anderen Gesetzen geprägt. Sie wurde erstmals durch das Beschäftigungsförderungsgesetz (vom 26. April 1985, BGBl I S 710) eingeführt und findet sich in § 1 Abs. 2 Nr. 2 des Gesetzes über arbeitsrechtliche Vorschriften zur Beschäftigungsförderung (= Art. 1 des Beschäftigungsförderungsgesetzes), in § 23 Abs. 1 Satz 2 Kündigungsschutzgesetz, in § 2 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Fristen für die Kündigung von Angestellten, in § 2 Abs. 3 Satz 2 Arbeitsplatzschutzgesetz und in § 20 Abs. 1 BErzGG. Sie erfaßt nach diesen Gesetzen alle Bildungsverhältnisse, die zu einer beruflichen Qualifikation führen und beschränkt sich nicht auf das Berufsausbildungsverhältnis iS von § 3 Berufsbildungsgesetz (BBiG). Daß die Formulierung „zur Berufsbildung Beschäftigte” Fortbildung und Umschulung nicht ausschließt, scheint unbestritten (vgl. Richtlinien zur Durchführung des BErzGG, Bundesministerium für Familie und Senioren, Stand 1. Juli 1992, unveröffentlicht, zu § 2 Nr. 1.5 auf S 31; Zmarzlik/Zipperer/Viethen/BErzGG 1992, 6. Aufl, § 2 RdNr. 3; Zmarzlik/Zipperer/Viethen, Mutterschutzgesetz, 6. Aufl, 1991, § 20 BErzGG RdNr. 2; Zmarzlik/Zipperer/Viethen, BErzGG 1992, § 20 RdNr. 1; Stevens-Bartol, BErzGG, 2. Aufl. § 20 Anm. 2).
Streitig ist nur, ob auch der zuvor in § 2 BErzGG verwandte Begriff der Berufsausbildung, über dessen Auslegung hier zu entscheiden ist, ebenfalls Fortbildung – bzw hier: Weiterbildung – und Umschulung umfaßt. Nach den Gesetzesmaterialien, nach dem Sprachgebrauch des Gesetzgebers, nach Sinn und Zweck der Regelung und aus verfassungsrechtlichen Gründen ist anzunehmen, daß in der früheren Fassung „Berufsausbildung” iS von „Berufsbildung” verwandt wurde.
a) Im Rahmen des 2. BErzGG-ÄndG hatte die Bundesregierung zunächst als „redaktionelle Änderung” vorgeschlagen, in § 2 Abs. 2 Nr. 2 BErzGG das Wort „Berufsbildung” durch das Wort „Berufsausbildung” zu ersetzen (BT-Drucks 12/1125, S 3). Der Ausschuß für Familie und Senioren des Bundesrates (BR-Drucks 481/1/91) empfahl im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens die Streichung dieser Änderung, weil die Begrenzung auf die Berufsausbildung alle Maßnahmen zur Berufsfortbildung und Umschulung nach dem Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) ausschließe. Der Begriff „Berufsausbildung” sei auf Ausbildungsberufe nach dem BBiG beschränkt. Von den Maßnahmen nach dem AFG seien aber in besonderem Maße Frauen betroffen (BR-Drucks 481/1/91). Auf Empfehlung des Bundestagsausschusses für Familie und Senioren (BT-Drucks 12/1495, S 5) ist danach im 2. BErzGG-ÄndG in § 2 Abs. 1 Nr. 3 BErzGG das Wort „Berufsausbildung” durch das Wort „Berufsbildung” ersetzt worden. Auch diese Änderung wurde als „redaktionelle Anpassung” angesehen, und zwar an die Formulierung in § 2 Abs. 2 Nr. 2 BErzGG (BT-Drucks 12/1495, S 15). Die Bezeichnung als „redaktionelle Anpassung” zeigt, daß der Gesetzgeber mit der Änderung des Begriffs „Berufsausbildung” in „Berufsbildung” in § 2 Abs. 1 Nr. 3 BErzGG keine Ausweitung des Anwendungsbereichs dieser Norm beabsichtigte.
b) „Berufsausbildung” ist ein gängiger Begriff der Gesetzessprache. Mit seiner Definition hat sich das Bundessozialgericht (BSG) wiederholt befaßt. Aus der Rechtsprechung ergibt sich, daß der Begriff für jede Vorschrift selbständig ausgelegt worden ist; dabei sind die Erkenntnisse über die Auslegung des Begriffs in anderen Vorschriften berücksichtigt worden (Zur Unfallversicherung und den Grundsätzen für die Gewährung von Waisenrente bei Schul- oder Berufsausbildung in der Rentenversicherung: BSG vom 25. Januar 1983 – 2 RU 54/81 – BAGUV RdSchr 21/83, 1; BSG SozR 3-2200 § 573 Nr. 2; BSGE 19, 252, 255 = SozR Nr. 6 zu § 565 RVO aF; vgl. auch BSGE 26, 195 = SozR Nr. 27 zu § 1267 RVO; SozR Nr. 28 zu § 1267 RVO und BSGE 23, 231). Die Gesetzessprache verwendet den Begriff der Berufsausbildung in Sozialleistungsgesetzen hinsichtlich der kindbezogenen Leistungen, insbesondere im Renten- und Unfallversicherungsrecht, seit langem in einem weiten, Fortbildung und Umschulung nicht ausschließenden Sinne. Allerdings hat der Gesetzgeber im Recht der Berufsbildung und im Recht der Arbeitsförderung eine Dreiteilung der beruflichen Bitdung vorgenommen in Ausbildung (im engeren Sinne), Fortbildung und Umschulung (vgl. §§ 1 und 3 BBiG. §§ 19 Abs. 1 Nr. 3 Buchst a, 29 Abs. 1 Nr. 2 Buchst c SGB I, §§ 40 bis 49 AFG, § 40 Abs. 1 Nrn 4 und 5 Bundessozialhilfegesetz). In diesem Zusammenhang wird die Berufsausbildung (in dem zuvor üblichen weiteren Sinne) nunmehr berufliche Bildung genannt. Desungeachtet wird der Begriff der Berufsausbildung in anderen Sozialleistungsgesetzen vom Gesetzgeber auch weiterhin im ursprünglichen Sinne verstanden, der Fortbildung und Umschulung nicht ausschließt, insbesondere in der Rentenversicherung (vgl. nunmehr § 48 Abs. 4 Nr. 2 SGB – Sechstes Buch – ≪SGB VI≫), in der Unfallversicherung (BSG SozR 3-2200 § 573 Nr. 2) und im Kindergeldrecht (vgl. die Definition in BSGE 65, 250 = SozR 5870 § 2 Nr. 66).
Maßgebend für die Lösung von Problemen, die mit der Anwendung des Rechtsbegriffs der Berufsausbildung verbunden sind, ist somit der jeweilige Sachzusammenhang. Dies hat das BSG in bezug auf den Begriff „Berufsausbildung” vor allem im Hinblick auf dessen unterschiedliche Bedeutung im Rentenversicherungs- und im Arbeitsförderungsrecht bereits mit Urteil vom 19. März 1974 – 7 RAr 9/73 – BSGE 37, 163, 164 f = SozR 4100 § 41 Nr. 1) deutlich gemacht. Die Bedeutung des Begriffs „Berufsausbildung” bzw „Berufsbildung” ist daher in erster Linie danach zu beurteilen, welchen Sinn die Verwendung dieses Begriffs in der konkreten Regelung hat und welches Ziel der Gesetzgeber damit verfolgt.
Die aufgezeigte Entwicklung des BErzGG macht deutlich, daß sich der Gesetzgeber bei der Einbeziehung von Teilnehmern beruflicher Bildungsmaßnahmen in den anspruchsberechtigten Personenkreis in einem Zielkonflikt befand: Die Leistungen dieses Gesetzes sollen nach seiner ursprünglichen Konzeption vor allem eine stärkere Hinwendung eines Elternteils in der ersten Lebensphase des Kindes ermöglichen oder zumindest erleichtern, indem sie die finanziellen Voraussetzungen für die Ausübung eines Wahlrechts schaffen, ob sich ein Elternteil unter Verzicht oder erheblicher Reduzierung eigener Erwerbstätigkeit und eigenen Erwerbseinkommens überwiegend der Erziehung des Kindes widmet, oder die Erwerbstätigkeit fortsetzt und die Erziehung des Kindes auf andere Weise sicherstellt (vgl. BT-Drucks 10/4212, S 3; BSGE 71, 128, 133 = SozR 3-7833 § 1 Nr. 9). Zur Erzielung der beabsichtigten Steuerungswirkung wurde der Anspruch auf ErzG folgerichtig davon abhängig gemacht, daß der Berechtigte durch die Ausübung einer Erwerbstätigkeit zeitlich nicht in einem Maße gebunden war, das eine eigene Betreuung und Erziehung des Kindes nicht mehr zuließ (§ 2 BErzGG). Die Einbeziehung der beruflichen Ausbildung, die in der Regel eine ganztätige Anwesenheit am Ausbildungsplatz erforderlich macht, entsprach nicht der ursprünglichen Vorstellung des Gesetzgebers über den notwendigen zeitlichen Umfang der Betreuung des Kindes. Die Gleichstellung der Auszubildenden mit Schülern und Studenten wurde allein damit begründet, daß die Betroffenen auch im Interesse des Kindes motiviert werden sollten, eine berufliche Ausbildung abzuschließen. Die Ausnahme von der ansonsten weiterhin für erforderlich gehaltenen zeitlichen Grenze der Belastung durch Erwerbstätigkeit wurde für gerechtfertigt gehalten, weil „eine abgeschlossene Berufsausbildung” für den künftigen Werdegang des jungen Menschen von entscheidender Bedeutung sei (BT-Drucks 11/4776, S 3). Der Gesetzgeber wollte damit erkennbar der Erfahrungstatsache Rechnung tragen, daß die Fortsetzung einer angefangenen Berufsausbildung für die davon in aller Regel betroffenen jungen Menschen von besonderer Bedeutung ist und eine Unterbrechung, wenn nicht gar der Abbruch der Ausbildung eine wesentlich schwerere Benachteiligung des beruflichen Werdegangs bedeutet als die Beeinträchtigung, die ein in gesicherter beruflicher Stellung befindlicher Mensch in aller Regel mit einem vorübergehenden Ausscheiden aus dem Beruf zugunsten der Kindererziehung hinnehmen muß. Entsprechend größer ist der Konflikt, wenn zwischen der Fortsetzung der Ausbildung – unter Verzicht auf ErzG – und deren Aufgabe zu entscheiden ist. Mit der Befreiung der in Ausbildung befindlichen Personen von dem Erfordernis, für die Betreuung und Erziehung des Kindes ein ausreichendes Maß an Zeit zu haben, hat der Gesetzgeber zur Milderung des Konflikts auf die verhaltenssteuernde Wirkung des ErzG verzichtet und zugleich deutlich gemacht, daß er der Erreichung des Ausbildungsziels einen hohen Stellenwert einräumt.
Die Gefährdung der Bildungsmaßnahme durch Unterbrechungen betrifft Ausbildung und Fortbildung jedoch in gleicher Weise. Ein Grund, eine Berufsausbildung nur deshalb nicht zu begünstigen, weil zuvor eine Ausbildung oder ein Ausbildungsabschnitt abgeschlossen wurde, besteht nicht. Das gilt selbst dann, wenn mit der abgeschlossenen Ausbildung schon ein relativ hohes Bildungsniveau, wie etwa ein Hochschulabschluß, erreicht worden ist. Der Gesetzgeber hat zu erkennen gegeben, daß er jede negative Beeinflussung des Bildungsganges des jungen Menschen durch die Gewährung bzw Nichtgewährung von ErzG vermeiden und damit auch dem Grundrecht der freien Berufswahl in Art. 12 Grundgesetz (GG) Rechnung tragen will.
Zu einer einschränkenden Auslegung zwingt auch nicht die in § 2 Abs. 2 Nr. 2 BErzGG getroffene Regelung. Nach dieser Vorschrift schließt ua der Bezug der Lohnersatzleistung Unterhaltsgeld (Uhg) die ErzG-Berechtigung aus, wenn sie nach einer Beschäftigung mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von mehr als 19 Stunden bemessen ist; diese Regelung gilt nach dem mit dem BErzGG-ÄndG (vom 30. Juni 1989) angefügten Halbsatz nicht „für die zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten”.
Bezieht man den Halbsatz 2 auf Personen, die sich in einer Fortbildungs- oder Umschulungsmaßnahme befinden, so ergibt sich ein offensichtlicher Normwiderspruch: Für den Bezug von Uhg ist die Teilnahme an einer Maßnahme der beruflichen Fortbildung oder Umschulung Anspruchsvoraussetzung (§§ 44, 47 AFG). Der Bezug dieser Leistung schlösse – bei einer Bemessung nach mehr als 19 Wochenarbeitsstunden – den Anspruch auf ErzG aus (Halbsatz 1); Halbsatz 2 höbe dies wieder auf. Bezieht man Halbsatz 2 auf die vor Beginn der Bildungsmaßnahme schon zur Berufsbildung beschäftigt gewesenen Personen, behielte die Regelung als Ausnahme von der zeitlichen Beschränkung der Bemessungsgrundlage in Halbsatz 1 einen Sinn: dann wäre eine Fortbildungs- oder Umschulungsmaßnahme erziehungsgeldunschädlich, wenn dem bezogenen Uhg eine Teilzeitbeschäftigung oder ein Ausbildungsverhältnis als Bemessungsgrundlage diente; im übrigen wären Teilnehmer von Fortbildungsmaßnahmen mit Uhg-Bezug vom ErzG ausgeschlossen. Daraus ließe sich weiter folgern, daß der Gesetzgeber bei Fortbildungsmaßnahmen nicht generell, sondern nur bei fehlenden oder geringen Unterhaltsersatzleistungen ErzG zubilligen wollte. Der Schluß, daß erst recht bei Fortbildung unter voller Zahlung der Bezüge ErzG nicht in Betracht kommen kann, liegt dann nahe.
Indessen ist der Auslegung, die es bei dem aufgezeigten Widerspruch beläßt, hier der Vorzug zu geben. Die Entwicklung der Vorschrift spricht dafür, daß der Gesetzgeber bei der Einfügung des letzten Halbsatzes von Abs. 2 Nr. 2 über das Fortbestehen des Anwendungsbereichs der Regelung für das Uhg keine Entscheidung getroffen hat. Bei der Änderung der Vorschrift im Zuge des BErzGG-ÄndG vom 30. Juni 1989 blieb der in § 2 Abs. 2 Nr. 2 BErzGG seit dem Inkrafttreten des Gesetzes enthaltene Katalog der Lohnersatzleistungen unverändert. Die Privilegierung der zur Berufs(aus)bildung Beschäftigten wurde der bis dahin geltenden Fassung der Vorschrift lediglich angefügt. Dies spricht dafür, daß die in § 2 Abs. 2 Nr. 2 BErzGG aufgeführten Lohnersatzleistungen bei der Ergänzung der Vorschrift nicht sämtlich auf ihre Vereinbarkeit mit der im letzten Halbsatz angefügten Regelung überprüft worden sind. Über den ErzG-Anspruch beim Bezug von Uhg ist hier aber nicht zu entscheiden.
Für eine Einbeziehung von beruflichen Fortbildungsmaßnahmen in den Anwendungsbereich des § 2 Abs. 1 Nr. 3 BErzGG sprechen weitere verfassungsrechtliche Aspekte. Der aufgezeigte Konflikt bei der Fortsetzung einer Bildungsmaßnahme nach der Geburt eines Kindes betrifft fast ausschließlich Frauen. Dies wird aus der Tatsache deutlich, daß Erziehungsurlaub nur in weniger als einem Prozent aller Fälle von den Vätern in Anspruch genommen wird (vgl. BT-Plenarprotokoll 12/50, S 4100 und 4107). Eine Ausgrenzung berufsqualifizierender Fortbildungsmaßnahmen aus dem Anwendungsbereich des § 2 Abs. 1 Nr. 3 BErzGG beträfe somit trotz der geschlechtsneutralen Fassung dieser Vorschrift faktisch nur Frauen. Dies erscheint vor allem deshalb bedenklich, weil berufliche Qualifikationen zumeist in derselben Lebensphase notwendig werden, in die auch die Geburt von Kindern fällt, und eine Unterbrechung oder Verschiebung der Bildungsmaßnahmen häufig nicht ohne weiteres möglich ist. Eine enge Auslegung des § 2 Abs. 1 Nr. 3 BErzGG läßt sich von daher mit der aus Art. 3 Abs. 2 GG erwachsenden Verpflichtung des Staates zur Schaffung von Chancengleichheit bei der beruflichen Qualifikation von Männern und Frauen nicht vereinbaren (BVerfGE 6, 55, 82; 15, 337, 345; 57, 335, 342 ff). Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in ständiger Rechtsprechung deutlich gemacht, daß auch überkommene Rollenverteilungen, wie sie etwa bei der Erziehung und Betreuung von Kleinkindern bestehen, nicht durch staatliche Maßnahmen verfestigt werden dürfen, wenn dies zu einer höheren Belastung oder sonstigen Nachteilen für Frauen führt (BVerfGE 15, 337, 345; 52, 369, 376 ff; 57, 336, 344).
3. Auch die Zahlung einer Vergütung, wie sie für Angestellte im öffentlichen Dienst mit abgeschlossener Hochschulausbildung vorgesehen ist, steht der Wertung als Berufsausbildung nicht entgegen.
a) Eine über eine bloße Ausbildungsvergütung hinausgehende Bezahlung ist zwar allgemein geeignet, Zweifel daran aufkommen zu lassen, ob das Beschäftigungsverhältnis tatsächlich von der Ausbildung geprägt wird. Das gilt verstärkt für die Zahlung einer Vergütung, die für eine Berufsausübung nach Abschluß einer Berufsausbildung vorgesehen ist. § 2 Abs. 1 Nr. 3 BErzGG setzt in bezug auf das Beschäftigungsverhältnis voraus, daß es „zur” Berufsbildung ausgeübt wird. Die berufliche Bildung muß danach wesentlicher Inhalt des Beschäftigungsverhältnisses sein, also das Maß des Erwerbs von Kenntnissen und Fähigkeiten deutlich übersteigen, das mit jeder Art. von Berufsausübung mehr oder weniger verbunden ist.
Das Beschäftigungsverhältnis der Klägerin wurde von einer durch Rechtsnormen festgelegten Ausbildung geprägt, die nach ihrem Inhalt weit über das Sammeln von Berufserfahrung hinausgeht. Der Arbeitsvertrag nennt zwar an erster Stelle die Verpflichtung der Klägerin zu einer Arbeitsleistung im Rahmen eines Forschungsvorhabens, die als vollwertige ärztliche Leistung entsprechend den tarifvertraglichen Vorschriften zu vergüten war. Das Arbeitsverhältnis diente jedoch nach einer als § 5 in den Arbeitsvertrag aufgenommenen „Nebenabrede” auch der Weiterbildung auf dem Gebiet der Humangenetik zum Zwecke des späteren Erwerbs der Zusatzbezeichnung „Medizinische Genetik”. Der an zweiter Stelle erwähnte Ausbildungszweck war nicht nur von untergeordneter Bedeutung, sondern für die Beschäftigung prägend. Das ergibt die vertragliche Regelung im Zusammenhang mit dem maßgebenden Ausbildungsrecht. Insoweit war der Senat nicht gehindert, einschlägige landesrechtliche Vorschriften heranzuziehen und auszulegen, mit denen sich das Tatsachengericht nicht befaßt hat (BSGE 7, 122, 125; 53, 242, 245 = SozR 2200 § 1248 Nr. 36; BSGE 62, 131, 133 = SozR 4100 § 141 b Nr. 40). Das schleswig-holsteinische Gesetz über die Ärztekammer Schleswig-Holstein – Ärztekammer-Gesetz – (ÄKG) vom 20. März 1978 (GVOBl S 84) unterscheidet im Abschnitt IV „Weiterbildung” zwischen der Weiterbildung in den Gebieten und Teilgebieten (mit dem Recht zum Führen einer der angeführten Facharztbezeichnungen) und der Weiterbildung in Bereichen (mit dem Recht, eine Zusatzbezeichnung neben einer Facharztbezeichnung zu führen). Nach § 32 ÄKG wird die Weiterbildung in den Gebieten und Teilgebieten unter verantwortlicher Leitung ermächtigter Ärzte (weiterbildende Ärzte) in bestimmten Weiterbildungsstätten durchgeführt. Nach der aufgrund des ÄKG von der Ärztekammer als Satzung erlassenen Weiterbildungsordnung vom 13. März 1985 (Amtsblatt Schleswig-Holstein vom 21. Oktober 1985) erfolgt auch die Weiterbildung in Bereichen durch ermächtigte Ärzte, soweit in der Anlage zur Weiterbildungsordnung (WO) nicht nur eine Tätigkeit vorgesehen ist (§ 5 Abs. 1 Satz 2 WO). Nach dieser Anlage ist Voraussetzung für das Führen der Zusatzbezeichnung „Medizinische Genetik” neben einer vierjährigen klinischen Tätigkeit oder der Anerkennung für ein Gebiet eine „zweijährige Weiterbildung” in dem Bereich der klinischen Genetik und genetischen Beratung Anlage zur WO II Nr. 7 Abs. 2). Ob die damit in der Satzung angeordnete Beschränkung der Weiterbildung auch für Bereiche auf besonders ermächtigte Ärzte in dem ÄKG eine ausreichende Ermächtigung findet (vgl. VG Koblenz vom 15. Februar 1993 – 3 K 540/91 KO, Der Arzt und sein Recht ≪ArztUR≫ Heft 9 1993, Seite 6), kann dahinstehen. Der Arbeitsvertrag ist dahin auszulegen, daß die vereinbarte Ausbildung der WO unabhängig davon genügen soll, ob diese eine ausreichende Rechtsgrundlage hat. Der Wertung der nach der WO für eine Zusatzbezeichnung erforderlichen Weiterbildung als Ausbildung steht nicht entgegen, daß im Falle der Weiterbildung in Bereichen anders als bei der Weiterbildung in Gebieten oder Teilgebieten nach § 32 Abs. 4 ÄKG auf eine Prüfung verzichtet werden kann. Nach § 8 Abs. 3 WO erfolgt die Anerkennung zum Führen der Zusatzbezeichnung sogar „grundsätzlich” ohne Prüfung. Diese Regelung verleiht dem Nachweis der erfolgten Weiterbildung ein besonderes Gewicht. Deren Ausbildungscharakter wird dadurch nicht in Frage gestellt, sondern unterstrichen. Die tatsächliche Beschäftigung der Klägerin in der Hochschulklinik entsprach dem Arbeitsvertrag und der WO, was der Senat dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des SG entnehmen kann.
Die Beschäftigung der Klägerin erschöpfte sich damit nicht in der Gewinnung von Berufserfahrung, die mit jeder ärztlichen Berufstätigkeit einhergeht, sondern war durch die planmäßige Vermittlung zusätzlicher Spezialkenntnisse geprägt. Sie war damit zur Berufsausbildung ausgeübt,
b) Der Begriff der Berufsausbildung in § 2 BErzGG gibt keine Handhabe, die Zahlung der Bezüge unabhängig vom Ausbildungscharakter als schädlich anzusehen, wie dies zum Begriff der Berufsausbildung im Renten- und Unfallversicherungsrecht entschieden wurde. Nach dieser Rechtsprechung ist Waisenrente nicht zu gewähren, wenn die Waise als Inspektoranwärter mehr als 1000/00 DM monatlich verdient (SozR 2200 § 1267 Nr. 27; entsprechend zu Beschäftigungsaufträgen mit 90 vH der vollen Vergütung: BSGE 39, 211, 212 = SozR 2200 § 1267 Nr. 11); desgleichen nicht, wenn während einer Berufsausbildung das bisherige Beschäftigungsverhältnis mit voller Arbeitsleistung und gegen volles Arbeitsentgelt fortgesetzt wird (BSG SozR 3-2200 § 1262 Nr. 2; SozR 2200 § 1267 Nr. 22) oder wenn die Berufsausbildung zum Inhalt des bestehenden vollbezahlten Arbeitsverhältnisses wird (BSG SozR 5870 § 2 Nr. 2). Auch die Weiterbildung zum Facharzt wurde nicht als Berufsausbildung iS des Unfallversicherungsrechts angesehen (BSG, Urteil vom 30. Oktober 1991, 2 RU 61/90, HV-Info 1992, 428). Bei Regelungen, die an den Unterhaltsanspruch des Auszubildenden anknüpfen, wie dies bei Kinderzuschuß, Waisenrente und Kindergeld der Fall ist, kommt der Höhe der Ausbildungsvergütung eine besondere Bedeutung zu. Für die Frage, ob die mit der Verschiebung eines Ausbildungsabschlusses typischerweise verbundenen Schwierigkeiten vorliegen, kommt der Vergütung keine unmittelbare Bedeutung zu. Dementsprechend macht § 2 Abs. 1 Nr. 3 BErzGG die Unschädlichkeit der Ausübung einer Beschäftigung zur Berufsbildung nicht von der Höhe der Vergütung oder vom Bezug einer speziellen Ausbildungsvergütung abhängig. Die Höhe des eigenen Einkommens des ErzG-Berechtigten wirkt sich nur über die Einkommensanrechnung nach §§ 5 Abs. 2, 6 BErzGG auf den Zahlungsanspruch aus.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen