Entscheidungsstichwort (Thema)
Selbsttötung eines Oberzahlmeisters in Paris
Leitsatz (redaktionell)
Der Ehemann der Klägerin hat sich nicht bei klarem Verstand, sondern in einem die freie Willensbestimmung beeinträchtigenden oder ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit getötet. Dieser Zustand ist mit Wahrscheinlichkeit durch Einwirkungen des militärischen Dienstes verursacht worden.
Normenkette
BVG § 1 Abs. 4 Fassung: 1950-12-20
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen in Essen vom 17. Januar 1962 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Die Klägerin ist die Witwe des Kaufmanns Wilhelm B. Dieser war während des zweiten Weltkrieges Oberzahlmeister beim Heeres-Kraftfahrpark (HKP) Paris und Leiter des verwaltungstechnischen Geschäftsbetriebes dieser Dienststelle. Am 18. Dezember 1943 kehrte er von einem Spaziergang in den Bois de Boulogne nicht zu seiner Einheit zurück, seine Leiche wurde am 3. Februar 1944 in Epinay aus der Seine geborgen.
Auf Grund einer Obduktion stellte der Stabsarzt Prof. Dr. J in einem als vorläufig bezeichneten Gutachten vom 4. Februar 1944 fest, daß der Tod durch eine Schußverletzung des Schädels und des Gehirns, und zwar durch einen "absoluten Nahschuß" in die rechte Schläfe, eingetreten sei; ob zum Ableben noch Ertrinkungsvorgänge mitgespielt hätten, könne nicht sicher entschieden werden, sei aber auf Grund der erhobenen Befunde in Luft- und Speiseröhre nicht unwahrscheinlich. Das Geschoßkaliber habe wahrscheinlich 7,65 mm betragen; die Sektion habe keine Anhaltspunkte für eine Tötung durch einen Dritten ergeben, der Befund spreche für eine Selbsttötung. Nach den Fäulnisveränderungen an der Leiche habe diese mehrere Wochen lang im Wasser gelegen.
Die Untersuchungen durch Truppe, Sicherheitspolizei und Kriegsgericht ergaben keine Hinweise für eine Tötung durch fremde Hand, etwa durch Terroristen. In dem Bericht über die Bergung des Toten aus der Seine ist vermerkt, dieser habe sein Koppel umgeschnallt gehabt, die geöffnete Pistolentasche sei leer gewesen, die Pistole sei aber nicht gefunden worden; Ausweispapiere und persönliche Gegenstände seien vorhanden gewesen. Ein Bericht des Kommandeurs der Sicherheitspolizei Paris vom 6. März 1944 nahm einen Selbstmord an. Die Selbsttötung sei offenbar auf einen - tatsächlich vorhanden gewesenen - zerrütteten Nervenzustand zurückzuführen. B habe schon im August 1943 einen leichten Nervenzusammenbruch gehabt, sei jedoch nach einem zweimonatigen Urlaub in der Heimat wiederhergestellt zu seiner Truppe zurückgekehrt. Seit Anfang Dezember 1943 habe sich nach Zeugenberichten wieder eine stärkere, ständig zunehmende nervöse Erschöpfung bemerkbar gemacht. In einem Abschlußbericht des Gerichts des Oberquartiermeisters West vom 11. März 1944 schließlich ist ausgeführt, daß nach den Umständen des Falles eine Selbsttötung wahrscheinlich sei; ein Anhalt für eine Tötung durch fremde Hand sei nicht zu finden. B habe zur Melancholie geneigt und in letzter Zeit über dienstliche Überforderungen geklagt, denen er nicht gewachsen sei. Da er im übrigen schon im August 1943 einen mit Lähmungserscheinungen verbundenen Nervenzusammenbruch erlitten habe, müsse angenommen werden, daß er sich unter dem Einfluß einer auf ihm lastenden Gemütsdepression das Leben genommen habe. Die von Zeugen in letzter Zeit beobachtete Gemütsbelastung habe sich wahrscheinlich bis zum Lebensüberdruß gesteigert und sei dann Anlaß für die Selbsttötung gewesen.
Aus einem Krankenblatt des Reservelazaretts Hagen (vom 30. August bis 22. September 1943) ergibt sich, daß der Verstorbene während seines bereits erwähnten Erholungsurlaubs (August 1943) wegen Zahncysten und einer auf diese Cysten zurückzuführenden Gesichtsnervenlähmung in stationärer (zahnoperativer) Behandlung gewesen ist; er selbst hatte dabei über Schmerzen im linken Oberkiefer und über allgemeine Abgespanntheit geklagt.
Ein Antrag der Klägerin vom Mai 1944 auf Versorgung nach dem Wehrmachtfürsorge- und -versorgungsgesetz (WFVG) konnte wegen des Zusammenbruchs im Jahre 1945 von der Versorgungsbehörde nicht mehr abschließend bearbeitet werden.
Am 20. Juni 1951 stellte die Klägerin Antrag auf Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) und machte geltend, ihr Ehemann sei von französischen Partisanen erschossen worden.
Mit Bescheid vom 12. Januar 1952 lehnte das Versorgungsamt Dortmund auf Grund einer vom Arbeitsminister des Landes Nordrhein-Westfalen eingeholten Entscheidung den Antrag der Klägerin ab; ihr Einspruch wurde mit Entscheidung vom 24. November 1952 zurückgewiesen. Die von der Klägerin hiergegen eingelegte Berufung zum Oberversicherungsamt (OVA) Dortmund ist nach dem Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als Klage auf das Sozialgericht (SG) Dortmund übergegangen. Dieses hat nach Beweiserhebungen (Zeugenvernehmungen) die Klage abgewiesen, weil nach den Umständen nicht anzunehmen sei, daß der Ehemann der Klägerin durch Partisanen getötet worden sei; alles spreche für eine Selbsttötung. Daß diese in einem Zustand erfolgt sei, in dem die freie Willensbestimmung ausgeschlossen gewesen sei, lasse sich nicht feststellen.
Die Klägerin hat gegen das Urteil des SG Berufung eingelegt und diese dahin begründet, daß ihr Ehemann keinen Selbstmord begangen habe, sondern von französischen Partisanen erschossen worden sei. Nach der ganzen Persönlichkeit des Verstorbenen sei ein Selbstmord ausgeschlossen. Daran ändere nichts, daß er durch einen Nahschuß ums Leben gekommen sei. Wenn er sich aber trotzdem und entgegen ihrer Auffassung das Leben genommen habe, so müsse er sich in einem durch die Umstände des Wehrdienstes verursachten Zustand der Unzurechnungsfähigkeit befunden haben. Sie beruft sich im übrigen auf ein vorgelegtes Gutachten des Psychologen Dr. F in Hagen vom 27. August 1954. Das Berufungsgericht hat umfangreiche Beweiserhebungen durchgeführt und dabei auch ärztliche Sachverständige als Gutachter gehört. Prof. Dr. J, Universitätsprofessor für gerichtliche Medizin in Göttingen, hat in seinem Gutachten vom 8. November 1958 ausgeführt, das von ihm im Anschluß an die Obduktion des Verstorbenen am 4. Februar 1944 erstattete Gutachten sei damals - wie in Fällen der Selbsttötung üblich - zwar als vorläufig bezeichnet worden, um den Behörden die Möglichkeit einer kirchlichen bzw. militärischen Beerdigung zu geben. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit habe B aber Selbstmord begangen; die Möglichkeit eines Mordes sei so gering, daß sie in Prozentsätzen kaum ausgedrückt werden könne. Eine Selbsttötung geschehe meist in einem geistig-seelischen Ausnahmezustand; dafür, daß ein solcher geistig-seelischer Ausnahmezustand beim Ehemann der Klägerin auf eine Wehrdienstbeschädigung zurückzuführen gewesen sei, bestehe weder nach der Sektion noch nach den Akten ein Anhalt. Der Direktor der Landesheil- und Krankenanstalt Gütersloh, Prof. Dr. Sch, ist in seinem Gutachten vom 30. November 1959 zu dem Ergebnis gekommen, daß - eine Selbsttötung unterstellt - diese in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustande krankhafter Störung der Geistestätigkeit begangen worden sei; dafür, daß dieser Zustand Folge der dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse gewesen sei, bestehe kein hinreichender Grund.
Mit Urteil vom 17. Januar 1962 hat das Landessozialgericht (LSG) auf die Berufung der Klägerin das Urteil des SG abgeändert und den Beklagten verurteilt, der Klägerin vom 1. Juni 1951 an Witwenrente zu gewähren: Es sei unwahrscheinlich, daß der Ehemann der Klägerin ermordet worden sei. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sei nach allen Umständen und Anzeichen vielmehr davon auszugehen, daß er sich selbst getötet habe. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme habe er sich das Leben in einem Zustand genommen, in dem die freie Willensbestimmung beeinträchtigt bzw. ausgeschlossen gewesen sei. Es sei erwiesen, daß B sich damals in einem mehr oder weniger erklärlichen tieferen Verstimmungszustand befunden habe. In diesem Zustand sei dann der Verstorbene wehrdienstbedingten Verhältnissen ausgesetzt gewesen, denen er nicht mehr gewachsen gewesen sei; Vorgänge, die sich aus den wehrdiensteigentümlichen Verhältnissen ergeben hätten, seien für den in diesem Zustand gefaßten Entschluß ursächlich gewesen, sich das Leben zu nehmen. Dabei habe es sich zwar um Belastungen und Konflikte gehandelt, die nicht das Maß dessen überschritten hätten, was auch viele andere Menschen bestehen müßten und auch ohne Schaden bestanden hätten. Bei der Frage, ob ein Selbstmord, der im Zustand einer wesentlichen Beeinträchtigung der freien Willensbestimmung begangen worden sei, Schädigungsfolge i. S. des Versorgungsrechts sei, müsse jedoch - in Anlehnung an die höchstrichterliche Rechtsprechung (BSG 11, 50, 55) - vom Einzelfall ausgegangen und damit auch eine etwa vorhandene konstitutionsbedingte Schwäche oder eine psychische Fehlhaltung in Rechnung gestellt werden. Deshalb sei nicht zu fragen, wie die im Einzelfalle gegebenen wehrdiensteigentümlichen Verhältnisse auf den Durchschnittsmenschen, sondern wie sie gerade auf den Einzelmenschen eingewirkt hätten. Der in seiner Gesundheit und Nervenkraft bereits weitgehend geschädigte Ehemann der Klägerin sei durch die vorliegenden militärischen Verhältnisse so stark betroffen worden, daß er in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand zur Waffe gegriffen und sich getötet habe. Sein Tod sei deshalb die Folge einer Schädigung, so daß der Klägerin Witwenrente zustehe.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Gegen dieses ihm am 15. Februar 1962 zugestellte Urteil des Berufungsgerichts hat der Beklagte mit einem am 14. März 1962 beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangenen Schriftsatz Revision eingelegt und diese mit dem am 12. April 1962 eingegangenen Schriftsatz begründet. Dabei hat er Einwendungen gegen die Feststellung einer Selbsttötung nicht erhoben; seine Revision richtet sich dagegen, daß das Berufungsgericht den Kausalzusammenhang zwischen dem Selbstmord und dem Wehrdienst bejaht hat. Hierbei habe es nämlich die Grenzen seines Rechts auf freie richterliche Beweiswürdigung überschritten. Die gutachtliche Äußerung des Prof. Dr. J sei in den Urteilsgründen überhaupt nicht und das Gutachten des Prof. Dr. Sch nur insoweit erwähnt worden, als das Berufungsgericht daraus die Feststellung entnommen habe, daß die freie Willensbestimmung zufolge tiefer Verstimmungszustände beeinträchtigt gewesen sei. Alle übrigen sehr wesentlichen, ja sogar entscheidenden Ausführungen des Gutachters seien einfach übergangen worden. Dabei sei nach den Ausführungen Prof. Dr. Sch - trotz dessen entgegenstehender Beurteilung dieser Frage - schon unwahrscheinlich, ob B bei der Selbsttötung in einem Zustand der Beeinträchtigung der freien Willensbestimmung gehandelt habe. Vor allen Dingen aber habe das Berufungsgericht nicht einfach darüber hinweggehen dürfen, daß Prof. Dr. Sch die Beeinträchtigung der freien Willensbestimmung nicht auf wehrdienstliche Einflüsse zurückgeführt und damit einen Ursachenzusammenhang zwischen Wehrdienst und Selbsttötung verneint habe. Neben diesem Verstoß gegen § 128 Abs. 1 SGG habe das LSG § 103 SGG verletzt, weil es Prof. Dr. J nicht zur eingehenden Begründung für seine medizinische Auffassung gehört habe. Außerdem sei auch § 1 BVG verletzt, da das LSG bei seiner Entscheidung Tatsachen in den Vordergrund gestellt habe, die nicht als wehrdiensteigentümlich angesehen werden könnten; es habe sich hierbei nicht um - von den Verhältnissen des bürgerlichen Lebens abweichende - Sonderverhältnisse des militärischen Dienstes gehandelt.
Der Beklagte beantragt,
1) das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu anderweiter Verhandlung und Entscheidung an das LSG Nordrhein-Westfalen zurückzuverweisen,
hilfsweise ,
2) das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 17. Januar 1962 abzuändern und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Dortmund vom 25. Mai 1954 zurückzuweisen.
Die Klägerin hat nach Zustellung der Revision und der Revisionsbegründung des Beklagten mit Schriftsatz vom 17. Mai 1962, eingegangen am 19. Mai 1962, zunächst ebenfalls Revision (Anschlußrevision) gegen das Urteil des LSG eingelegt und beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu anderweiter Verhandlung und Entscheidung an das LSG Nordrhein-Westfalen zurückzuverweisen.
Dabei hat sie sich gegen die Feststellung des Berufungsgerichts gewandt, ihr Ehemann habe sich selbst getötet. Sie begehre, obwohl sie im Berufungsverfahren wirtschaftlich obgesiegt habe, die Feststellung, daß ihr Ehemann ein Opfer der Widerstandskämpfer und Partisanen geworden und von diesen getötet worden sei.
Mit einem weiteren am 30. Juni 1962 eingegangenen Schriftsatz hat die Klägerin ihre Revision (Anschlußrevision) zurückgenommen. Sie beantragt nunmehr,
1) die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen,
hilfsweise ,
2) die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen in Essen vom 17. Januar 1962 zurückzuweisen.
Auf die Schriftsätze des Beklagten vom 12. März, 10. April und 25. Mai 1962 sowie auf die der Klägerin vom 17. Mai und 28. Juni 1962 wird verwiesen.
Der Beklagte hat die durch Zulassung statthafte Revision (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) form- und fristgerecht eingelegt und begründet; das Rechtsmittel ist deshalb zulässig. Die Revision ist jedoch nicht begründet.
Nach §§ 1 Abs. 5, 38 BVG hat eine Witwe Anspruch auf Versorgung, wenn ihr Ehemann an den Folgen einer Schädigung (§ 1 Absätze 1 und 2 BVG) gestorben ist. Zur Prüfung der Frage, ob diese gesetzlichen Voraussetzungen im Falle der Klägerin gegeben sind, hat das LSG zunächst erwogen, ob der Ehemann der Klägerin, wie diese behauptet, durch Widerstandskämpfer, Partisanen, erschossen worden ist oder ob es sich um eine Selbsttötung gehandelt hat. Dabei hat es auf Grund der ihm vorliegenden Beweisunterlagen und der von ihm durchgeführten Beweiserhebungen in freier richterlicher Überzeugungsbildung festgestellt, daß der Tod durch Feindeinwirkung ausgeschlossen werden muß und der Ehemann der Klägerin sich selbst getötet hat. Diese Feststellung hat der Beklagte mit seiner Revision nicht angegriffen; sie ist deshalb für das Revisionsgericht bindend (§ 163 SGG). Daran ändert nichts, daß die Klägerin sich gegen sie wendet und wie schon vorher im ersten und zweiten Rechtszuge auch im Revisionsverfahren behauptet, ihr Ehemann sei das Opfer französischer Widerstandskämpfer bzw. Partisanen geworden, die ihn erschossen hätten. Denn die Klägerin hätte wegen dieser Feststellungen selbst rechtswirksam Revision einlegen müssen. Da sie das nicht getan hat, sind ihre Angriffe - nur als Stellungnahme zur Revision des Beklagten - unbeachtlich. Wie das Berufungsgericht muß deshalb auch das Revisionsgericht davon ausgehen, daß der Ehemann der Klägerin durch eigene Hand gestorben ist.
In Fällen der Selbsttötung steht Witwenrente dann zu, wenn der Ehemann der antragsberechtigten Witwe sich in einem die freie Willensbestimmung wesentlich beeinträchtigenden oder ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit das Leben genommen hat, und wenn dieser Zustand mit Wahrscheinlichkeit durch Einwirkungen seines militärischen Dienstes verursacht worden ist (BSG 1, 150 ff).
Hierzu hat das LSG zunächst festgestellt, daß sich der Ehemann der Klägerin im Zeitpunkt der Ausführung der Tat in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden, mindestens aber wesentlich beeinträchtigenden Zustand befunden hat. Die Angriffe des Beklagten gegen diese Feststellung gehen fehl. Denn das Berufungsgericht konnte sich nicht nur auf überzeugende Bekundungen von Zeugen stützen, sondern konnte auch aus den Gutachten des Prof. Dr. J und des Prof. Dr. Sch ohne weiteres entnehmen, daß der Verstorbene sich in einem die freie Willensbestimmung wesentlich beeinträchtigenden oder ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit getötet hat. Dabei ist unbeachtlich, daß das LSG das Gutachten des Prof. Dr. J, das es im übrigen im Tatbestand seines Urteils ausdrücklich angeführt hat, in seinen Urteilsgründen nicht erwähnt und sich lediglich mit dem - umfangreicheren - Gutachten des Prof. Dr. Sch auseinandergesetzt hat. Denn für eine hinreichende Würdigung der Sach- und Rechtslage im Urteil bedarf es nicht notwendig eines ausdrücklichen Eingehens auf jedes Vorbringen der Beteiligten oder auch auf jedes einzelne Beweismittel und einer ausdrücklichen Auseinandersetzung damit, sofern sich aus dem Urteil ergibt, daß das Gericht alle für seine Entscheidung maßgebenden Umstände sachentsprechend gewürdigt hat (vgl. BSG im SozR SGG § 128 Nr. 1). Das ist aber hier der Fall. Prof. Dr. J hat ausgeführt, eine Selbsttötung "geschehe in den meisten Fällen in einem geistig-seelischen Ausnahmezustand", wobei auch die engsten familiären, religiösen oder sonstigen Bindungen keine Rolle spielen; der sogenannte "Bilanzselbstmord" sei äußerst selten. Prof. Dr. J sieht demnach grundsätzlich, nämlich dann, wenn wie im Falle des Ehemannes der Klägerin, besondere Umstände nicht erkennbar sind, jede Selbsttötung als im Zustand der Beeinträchtigung oder Ausschließung der freien Willensbestimmung erfolgt an; daran ändert nichts, daß er an anderer stelle ausgeführt hat, Anhaltspunkte dafür, daß der Verstorbene sich infolge einer Beeinträchtigung der freien Willensbestimmung das Leben genommen habe, hätten sich "bei der Sektion" nicht erheben lassen. Prof. Dr. Sch hat sich in seinem Gutachten zu dieser Frage wesentlich klarer ausgesprochen: Der Ehemann der Klägerin sei krank gewesen; man müsse annehmen, daß die Selbsttötung im Zuge eines mehr oder weniger - unerklärlich und unableitbar - tieferen Verstimmungszustandes erfolgt sei. Das Selbstwerterleben sei unterhöhlt, die Leistungsfähigkeit gemindert, die körperlichen und seelischen Kräfte seien reduziert gewesen. Es müsse daher angenommen werden, daß die Tat in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit begangen worden sei. Diese medizinisch-wissenschaftliche Auffassung des Gutachters deckt sich im übrigen mit den oben wiedergegebenen Feststellungen im Bericht des Kommandeurs der Sicherheitspolizei Paris vom 6. März 1944, der für den Selbstmord einen "zerrütteten Nervenzustand" verantwortlich gemacht hat. Ebenso hat das Gericht des Oberquartiermeisters West in seinem - ebenfalls angeführten - Abschlußbericht vom 11. März 1944 die Selbsttötung auf den Einfluß einer Gemütsdepression zurückgeführt. Schließlich haben auch die Zeugen P, B und Dr. E eine starke Nervosität des Verstorbenen betont. In seinem Brief an die Klägerin vom 26. Dezember 1943 hatte der Zeuge B mitgeteilt, daß der Verstorbene vor seinem Tode zunehmend nervös geworden sei und einen überanstrengten Eindruck gemacht habe; sein Zustand habe ihn bei der Wahrnehmung der Dienstgeschäfte augenfällig gehemmt und habe ihn über die einzelnen Aktionen oft stundenlang nachdenken und sinnen lassen; ganz besonders auffällig sei sein Zustand am Vormittag des Tages seines Verschwindens gewesen. Er habe auf Fragen kaum Antwort gegeben und den Eindruck gemacht, als sei er mit seinen Gedanken weit weg. Der Zeuge B hat bekundet, Nervosität und Zerfahrenheit seien beim Verstorbenen unverkennbar gewesen, seine Dienstgeschäfte hätten ihn förmlich gequält, so daß er jeder, auch der kleinsten Entscheidung mit einer gewissen Verzagtheit gegenübergestanden und wie abwesend darüber nachgesonnen habe; die Nervosität sei immer stärker aufgetreten und habe sich in Zerfahrenheit, mitunter auch in Sprunghaftigkeit, geäußert. Der Zeuge Dr. E endlich hat ausgesagt, daß er sich schon beim letzten Heimaturlaub des Verstorbenen wegen dessen Depression ernstlich Sorgen gemacht habe: B sei nach seiner Meinung damals am Ende seiner nervlichen und geistigen Kräfte gewesen. Das sei einmal besonders zum Ausdruck gekommen, als er plötzlich gesagt habe, er könne den Betrieb - Materialverknappung, Leutemangel, Widerstandsakte, Sabotage, Korruption und unsoldatisches Schieberwesen - einfach nicht mehr aushalten und werde noch verrückt; selbst körperlich sei er nicht mehr der robuste Mann wie früher gewesen. Aus allen diesen Beweisunterlagen konnte das Berufungsgericht ohne weiteres den Schluß ziehen, daß der Ehemann der Klägerin sich nicht bei klarem Verstand, sondern in einem die freie Willensbestimmung beeinträchtigenden oder ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit getötet hat. Seine dahingehende Feststellung ist deshalb verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden, so daß insoweit für die Rüge der Verletzung des § 128 Abs. 1 SGG kein Raum bleibt.
Wie bereits dargelegt, steht im Falle einer Selbsttötung, auch wenn sie in einem die freie Willensbestimmung wesentlich beeinträchtigenden oder ausschließenden Zustand Krankhafter Störung der Geistestätigkeit erfolgt ist, Hinterbliebenenversorgung nur dann zu, wenn dieser Zustand mit Wahrscheinlichkeit durch Einwirkungen des militärischen Dienstes verursacht worden ist. Davon ist auch das Berufungsgericht zutreffend ausgegangen. Ebenso zutreffend hat es sich dabei der Rechtsprechung des BSG angeschlossen, daß die Frage, ob eine Bedingung im Sinne der Kausalitätsnorm des Rechts der Kriegsopferversorgung neben anderen Bedingungen die wesentliche Bedingung gewesen ist, nicht danach beurteilt werden kann, ob die Bedingung erfahrungsgemäß, im allgemeinen unter gleichen Umständen bei anderen Personen den gleichen Erfolg herbeigeführt hätte, sondern nur nach den besonderen Umständen und der besonderen Einzelpersönlichkeit. Es kommt danach nicht darauf an, ob die versorgungsrechtlich erheblichen Ereignisse sich im Rahmen durchschnittlicher gewöhnlicher Anforderungen gehalten haben, sondern auf die besondere individuelle Belastung und Belastbarkeit des Betroffenen (BSG 11, 50 ff). Für die Frage, wie weit eine Selbsttötung im Zustand einer wesentlichen Beeinträchtigung der freien Willensbestimmung erfolgt ist, bedeutet dies, daß vom Einzelfall und damit auch von der etwaigen konstitutionsbedingten Schwäche, aber auch von einer etwaigen psychischen Labilität auszugehen und zu fragen ist, wie die wehrdiensteigentümlichen Verhältnisse gerade auf diesen Menschen gewirkt haben. Wenn sich dann dabei ergibt, daß dieser auch bei der ihm zumutbaren Anspannung seines Willens nicht mit den wehrdienstbedingten Umständen hat fertig werden können, und wenn andere Umstände als der Wehrdienst, die als Ursache für den Entschluß zur Selbsttötung in Betracht kommen, auszuschließen sind, so sind die wehrdiensteigentümlichen Verhältnisse als wesentliche Bedingung im Sinne der versorgungsrechtlichen Kausalitätsnorm anzusehen (BSG aaO; vgl. auch Urteil des erkennenden Senats vom 21. Juli 1964 - 8/11 RV 496/62 -).
In Anwendung dieser Rechtsauffassung, deren Richtigkeit auch vom Beklagten nicht in Frage gestellt wird, hat das LSG im vorliegenden Fall aus den ihm bekannten Umständen und besonders auch gestützt auf das Gutachten des Prof. Dr. Sch festgestellt, daß der Ehemann der Klägerin in der Zeit vor seinem Tode sicherlich Belastungen und inneren Konflikten ausgesetzt gewesen ist, die nicht das Maß dessen überschritten haben, was viele andere Menschen in der gleichen Situation haben bestehen müssen und unbeschadet auch bestanden haben. Das LSG hat dann weiter ausgeführt, der Verstorbene, der in seiner Gesundheit und Nervenkraft schon weitgehend geschädigt gewesen sei, sei aber - anders als der Durchschnittsmensch - durch die militärisch bedingten Verhältnisse nach der Struktur seiner eigenen Persönlichkeit so stark belastet und dadurch so stark betroffen worden, daß seine freie Willensbestimmung wesentlich beeinträchtigt gewesen sei; in diesem Zustand habe er dann zur Waffe gegriffen und sich selbst getötet. Hierbei ist das LSG, wie der Beklagte zutreffend vorträgt, allerdings von der Auffassung des Gutachters Prof. Dr. Sch abgewichen. Denn dieser ist zu dem Ergebnis gekommen, "die Krankheit" des Ehemannes der Klägerin, die für die Selbsttötung ursächlich gewesen sei, "trotz der auffälligen zeitlichen Zusammenhänge mit den einzelnen Belastungen und Konfliktsituationen" nicht ursächlich auf Wehrdiensteinflüsse zurückführen zu können. Trotzdem hat das LSG dadurch, daß es insoweit von der Auffassung des Gutachters abgewichen ist, nicht die gesetzlichen Grenzen des freien Ermessens bei der richterlichen Überzeugungsbildung überschritten. Denn aus dem Gutachten des Prof. Dr. Sch geht erkennbar hervor, daß diesem die Rechtsprechung des BSG zu dieser Frage noch nicht bekannt war und er mit der Mehrzahl der Neurologen der Auffassung war, nach den Erkenntnissen der Psychiatrie und Psychopathologie könne von einer wehrdienstbedingten Beeinträchtigung der freien Willensbestimmung - mit Selbstmord in diesem Zustand - nur dann die Rede sein, wenn es sich um durch den Wehrdienst herbeigeführte äußere Belastungen und innere Konflikte gehandelt habe, die das Maß der generellen Belastbarkeit überschritten hätten. Das ergibt sich zwanglos aus den Seiten 11 und 12 seines Gutachtens, wo er zwei Beweggründe für den Selbstmord angeführt hat: Entweder müsse die Ursache für die Suizidhandlung in einer dem Verstorbenen eigenen Reaktionsbereitschaft gesehen werden, die mehr oder weniger ausschließlich in der Struktur seiner Persönlichkeit gelegen habe, oder es hätten bei dem Ehemann der Klägerin tiefere depressive Verstimmungszustände vorgelegen, die bereits zur Unterhöhlung seines Selbstwerterlebens, zur Minderung seiner Leistungsfähigkeit und zur Reduzierung seiner körperlichen und geistigen Kräfte geführt hätten. In diesem Zustand sei er von den Belastungen und Konfliktsituationen so empfindlich getroffen worden, daß er geglaubt habe, keinen anderen Weg mehr zu sehen. Wenn sich das Berufungsgericht bei dieser Beurteilung der Persönlichkeit des Verstorbenen der Rechtsprechung des BSG anschließen wollte, wenn es also bei der Frage, wie die wehrdienstbedingten Verhältnisse gerade auf den Ehemann der Klägerin gewirkt haben, vom Einzelfall und damit auch von einer etwaigen konstitutionsbedingten Schwäche oder auch von einer psychischen Labilität des Verstorbenen ausgehen wollte, so konnte und durfte es das Gutachten des Prof. Dr. Sch. so verwerten, wie es dies getan hat. Das muß um so mehr gelten, als andere Umstände als der Wehrdienst, die als Ursache für den Entschluß zur Selbsttötung in Betracht kommen könnten, auszuschließen sind; denn nach den in den Akten enthaltenen Unterlagen war der Ehemann der Klägerin - auch nach Auffassung des Prof. Dr. Sch - ein streng rechtlich denkender, korrekter und dienstbeflissener Mann, ethisch und religiös gut fundiert und ohne irgendwelche Konflikte in seinem familiären oder beruflichen Raum. Das LSG hat somit berechtigt und zutreffend geprüft, welche Teile des Gutachtens des Prof. Dr. Sch von einer irrigen, der Rechtsprechung des BSG entgegenstehenden Rechtsauffassung getragen werden und welche nicht. Dabei ist es nicht - wie der Gutachter - von einem objektiven Maßstab ausgegangen, sondern es hat die Persönlichkeit des Ehemannes der Klägerin berücksichtigt und festgestellt, daß mehrere wehrdienstbedingte Umstände den Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit (mit wesentlicher Beeinträchtigung der freien Willensbestimmung) herbeigeführt haben: Die von dem Zeugen Dr. E geschilderten Zustände in der Pariser Etappe mit Korruptions- und Schieberunwesen, mit denen er sich als rechtlich denkender Mann nicht zurechtfinden konnte; die dienstliche Überanstrengung, die im Vergleich zu den im zivilen Leben an ihn gestellten Anforderungen ungleich größer war; schließlich die - vom LSG als "politischer Vorfall" bezeichnete - aus dienstlichen Gründen erforderlich gewesene Meldung des Zeugen B. wegen Besitzes eines damals politisch verbotenen Buches mit allen ihren Konsequenzen bis zu einer Verhandlung gegen B vor dem Kriegsgericht und mit den für den Verstorbenen daraus entstandenen inneren Konflikten, die ihn am Tage der Kriegsgerichtsverhandlung und seines Verschwindens besonders empfindlich bedrückten. Zu diesen Umständen kam die Tatsache, daß sich seine Nervosität in den letzten Wochen vor der Selbsttötung ohnehin erheblich gesteigert hatte.
Bei dieser Sach- und Rechtslage können die vom Beklagten erhobenen Verfahrensrügen nicht durchgreifen. Soweit diese die Auseinandersetzung des LSG mit dem Gutachten des Prof. Dr. Sch betreffen, ist bereits dargelegt worden, daß das Berufungsgericht prüfen durfte, welche Teile des Gutachtens von einer irrigen Rechtsauffassung getragen werden und welche nicht. Soweit sie sich mit einem vom Berufungsgericht angeführten "zweimonatigen Urlaub" des Verstorbenen im Spätsommer 1943 befassen, sind sie unbeachtlich; denn abgesehen davon, daß das LSG die nervöse Übererregbarkeit und Verstimmung des Verstorbenen in den letzten Wochen vor seinem Ableben in den Vordergrund seiner Entscheidung gestellt hat, hat es den "zweimonatigen Urlaub" im Spätsommer 1943 nur insoweit in seine Erörterungen einbezogen, als es auf die Berichte nach Auffindung der Leiche hingewiesen hat, nach denen "im Spätsommer 1943 ein zweimonatiger Urlaub zur Wiederherstellung der durch nervöse Erschöpfung angegriffenen Gesundheit genommen werden mußte". Im übrigen wird mit allen Gegenvorstellungen des Beklagten gegen das angefochtene Urteil die Pflicht des Tatrichters zur Feststellung derjenigen Umstände verkannt, die die Einordnung etwaiger psychischer Reaktionen in den kausalen Ablauf rechtfertigen.
Schließlich hat das LSG auch, wie sich aus allem ergibt, die Kausalitätsnorm der Kriegsopferversorgung zutreffend angewandt, denn es hat sämtliche für den eingetretenen Erfolg erkennbaren Bedingungen in den Kreis seiner Erwägungen einbezogen und hat aus ihnen die wehrdiensteigentümlichen als wesentlich und damit als Ursachen im Rechtssinne angesehen. Seine Entscheidung läßt auch insoweit einen Rechtsverstoß nicht erkennen.
Das Urteil des LSG ist somit zutreffend. Die Revision des Beklagten war deshalb - wie geschehen - als unbegründet zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Fundstellen