Leitsatz (redaktionell)

1. Bei der Prüfung der Hilflosigkeit iS des BVG § 35 können der wirtschaftliche Wert der Hilfeleistung durch die Ehefrau und die Wahrung der Stellung des Beschädigten in der Gesellschaft nicht berücksichtigt werden.

2. Zur Frage der Hilflosigkeit iS des BVG § 35.

 

Normenkette

BVG § 35 Fassung: 1960-06-27

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen in Essen vom 11. Juli 1962 aufgehoben; die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 27. November 1958 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Der Kläger, von Beruf Stadtkämmerer in Westerholt, bezieht nach den Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) wegen der als Schädigungsfolgen anerkannten Gesundheitsstörungen "widernatürlicher After mit Darmvorfall, Narben auf beiden Gesäßhälften, Mastdarmfistel in der Gesäßfurche, Splitter in der Kreuzbeingegend, Dickdarmverwachsungen, Narben im Bereich des Bauches, Narben an der linken Hand" Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 80 v.H. sowie einen Pauschbetrag für Mehrverschleiß an Kleidung und Wäsche von monatlich jetzt 20 DM. Sein schon während der Geltungsdauer der Sozialversicherungsdirektive Nr. 27 (SVD 27) gestellter Antrag auf Gewährung eines Pflegegeldes hatte keinen Erfolg gehabt, seine gegen den ablehnenden Bescheid eingelegte Berufung nahm er damals zurück. Der von der Versorgungsbehörde erlassene Umanerkennungsbescheid nach dem BVG vom 5. Juli 1951 enthält keine Entscheidung über die Gewährung oder Verweigerung einer Pflegezulage.

Am 6. Oktober 1956 beantragte der Kläger die Gewährung von Pflegezulage und machte geltend, er müsse bei der Behandlung und Pflege seiner als Schädigungsfolgen anerkannten Gesundheitsstörungen zur Erhaltung eines menschenwürdigen Zustandes und zur überhaupt noch möglichen Ausübung seines Berufes die Hilfe seiner Ehefrau ständig in Anspruch nehmen. Nach Anhörung der Ärzte der Chirurgischen Abteilung des Evangelischen Krankenhauses in Gelsenkirchen (Prof. Dr. E und Dr. K Gutachten vom 12. Januar 1957) und des Versorgungsärztlichen Dienstes, die ein Pflegebedürfnis bejahten, beabsichtigte zunächst das Versorgungsamt (VersorgA), da die Voraussetzungen des § 62 BVG nicht erfüllt seien, einen neuen Bescheid nach § 40 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (VerwVG) zu erteilen und mit ihm eine Pflegezulage von 75 DM monatlich zu gewähren. Es lehnte dann jedoch die Gewährung mit Bescheid vom 13. Juli 1957 ab, nachdem das Landesversorgungsamt seine Zustimmung zur Erteilung eines neuen Bescheides nach § 40 VerwVG - mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 35 BVG - versagt hatte. Der Widerspruch des Klägers hatte keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 15. Oktober 1957).

Das Sozialgericht (SG) Münster hat nach Durchführung von Beweisaufnahmen die Klage mit Urteil vom 27. November 1958 abgewiesen. Es hat zwar in dem inzwischen eingetretenen Darmvorfall eine Änderung der Verhältnisse gesehen, die Voraussetzungen des § 35 BVG zur Gewährung einer Pflegezulage jedoch verneint.

Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen in Essen mit Urteil vom 11. Juli 1962 das Urteil des SG abgeändert und den Beklagten für verpflichtet erklärt, dem Kläger vom 1. Oktober 1956 an die einfache Pflegezulage zu gewähren. Es hat dazu ausgeführt: Die Frage der Hilflosigkeit könne nicht ausschließlich vom medizinischen Standpunkt aus beurteilt werden, die Entscheidung darüber obliege vielmehr dem Gericht, das neben den medizinischen Befunden auch alle anderen für den Einzelfall bedeutsamen Umstände mit zu berücksichtigen habe. Im Gegensatz zu der Auffassung des Prof. Dr. B könne der Kläger die Pflege und Versorgung der Fisteln in der Gesäßfurche und der angrenzenden Hautbezirke nicht allein durchführen. Dabei handele es sich um Maßnahmen der körperlichen Pflege, die zur Erhaltung der körperlichen und beruflichen Existenz und zur Wahrung der Stellung in der Gesellschaft erforderlich seien. Die Lage der Fisteln lasse es, wie auch von den ärztlichen Sachverständigen Prof. Dr. E und Dr. Z bestätigt worden sei, als ausgeschlossen erscheinen, daß der Kläger allein den Eiter entfernen, die Umgebung der Fisteln säubern, die entzündeten Stellen mit Salben bestreichen und sie verbinden könne. Die zur Versorgung der Fisteln erforderliche Hilfe der Ehefrau müsse im allgemeinen zweimal täglich, in der kälteren Zeit wohl nur einmal täglich, geleistet werden. Hinzu komme, daß - auch nur kurze - Spaziergänge und ähnliche Einwirkungen empfindliche Hautentzündungen hervorzurufen geeignet seien, und daß dann jeweils noch ein weiterer Verbandwechsel erforderlich sei. Unter bestimmten Witterungseinflüssen komme Schließlich noch eine weitere notwendige Hilfeleistung beim An- und Ausziehen der Strümpfe und Schuhe hinzu, weil sich der Kläger dann wegen der Wunden nicht bücken könne. Dies alles reiche im vorliegenden Fall aus, um die Voraussetzungen des § 35 BVG zur Gewährung einer Pflegezulage als gegeben anzusehen, wenn auch der Kläger entgegen seinem Vorbringen das Bad selbst vorbereiten und durchführen sowie den Kunstafter reinigen könne. Zwar handele es sich bei der notwendigen Versorgung der Fisteln des Klägers nur um einzelne Verrichtungen des täglichen Lebens, bei denen er fremder Hilfe (durch seine Ehefrau) bedürfe; für die Bewertung des Umfangs der fremden Hilfe komme es jedoch nicht allein auf die Zahl der bei dem Leidenszustand des Beschädigten von diesem selbst nicht ausführbaren Maßnahmen an; vielmehr sei der wirtschaftliche Wert der Hilfeleistung von maßgeblicher Bedeutung. Das ergebe sich schon aus den gesetzlich vorgesehenen Stufen (hinsichtlich der Höhe) der Pflegezulage. Im Falle des Klägers erschöpfe sich die fremde Hilfe durch die Ehefrau nicht in der Vornahme belangloser Verbände der üblichen Art. Die Versorgung von mindestens drei ständig eiternden Fisteln in der Gesäßfurche sei bei der Eigenart der Schädigungsfolgen und im Hinblick auf die starke Eiterabsonderung und den unangenehmen Geruch eine besonders ekelerregende Tätigkeit, die durch die Entfernung und Vernichtung alter durchgeeiterter Verbände noch erschwert werde. Hinzu komme im gewissen Umfang auch noch das Waschen der verschmutzten Wäsche, das von den Reinigungsanstalten abgelehnt werde. Wenn auch die hierfür entstehenden rein finanziellen Aufwendungen durch die Mehrverschleißzulage abgegolten werden könnten, so ließe sich eine Entschädigung für die beim Kläger wegen der besonderen Eigenart der Schädigungsfolgen erforderliche, zumindest wertmäßig sehr umfangreiche Hilfe weder durch die Erhöhung der MdE noch durch die Gewährung eines erhöhten Pauschbetrages für Kleiderverschleiß, sondern ausschließlich durch die Gewährung der Pflegezulage erreichen. Das LSG hat die Revision zugelassen.

Gegen dieses ihm am 3. September 1962 zugestellte Urteil hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 24. September 1962, eingegangen beim Bundessozialgericht (BSG) am 25. September 1962, Revision eingelegt. Mit einem weiteren Schriftsatz vom 22. Oktober 1962, eingegangen am 25. Oktober 1962, hat er die Revision begründet. Er rügt die Verletzung des § 35 BVG und trägt vor, eine Pflegezulage stehe dem Kläger nicht zu. Denn die Gewährung der Pflegezulage könne nicht dazu dienen, vielseitige Nachteile wie eine Behinderung im täglichen Leben oder im gesellschaftlichen Verkehr auszugleichen. Zu den gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens sei der Kläger - auch nach den Feststellungen des LSG - nicht außerstande; die Pflege und Versorgung der Fisteln und das - nur gelegentlich eine fremde Hilfe erfordernde - An- und Ausziehen der Strümpfe und Schuhe seien nur einzelne Verrichtungen. Im übrigen gehe es auch nicht an, es wie das Berufungsgericht überwiegend auf den wirtschaftlichen Wert einer Hilfeleistung abzustellen. Hilfsweise rügt der Beklagte noch mit näherer Begründung die Verletzung des § 128 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Er beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Münster vom 27. November 1958 zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Beklagte hat die durch Zulassung statthafte Revision (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) form- und fristgerecht eingelegt und begründet; das Rechtsmittel ist deshalb zulässig. Die Revision ist auch begründet.

Nach § 35 Abs. 1 BVG idF vor Inkrafttreten des 1. Neuordnungsgesetzes vom 27. Juni 1960 bestand ein Anspruch auf Pflegezulage, solange der Beschädigte infolge der Schädigung so hilflos war, daß er nicht ohne fremde Wartung und Pflege bestehen konnte. Hilflos in diesem Sinne ist nach der Rechtsprechung des BSG (BSG 8, 97, 99) derjenige Beschädigte, der für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden - nicht nur für einzelne - Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens ganz oder in erheblichem Umfange fremder Hilfe dauernd bedarf; dabei ist nicht erforderlich, daß die Hilfe tatsächlich fortwährend geleistet wird; es genügt, daß die Hilfskraft ständig in Bereitschaft sein muß; ebenso ist es unbeachtlich, ob der Beschädigte verheiratet ist oder nicht (BSG aaO). Die Neufassung des § 35 BVG durch das 1. Neuordnungsgesetz (§ 35 BVG nF) hat an der Rechtslage und den sachlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Pflegezulage nichts geändert (vgl. Urteil des 10. Senats des BSG vom 29. Mai 1962 - 10 RV 1235/58). § 35 BVG nF hat lediglich die Grundsätze, die von der Rechtsprechung für die Auslegung des Begriffs der Hilflosigkeit schon entwickelt waren, in den Gesetzestext übernommen; der Begriff der Hilflosigkeit ist nunmehr im Gesetz selbst erläutert. Beim Kläger liegen, wie der Beklagte zutreffend vorträgt, die Begriffsmerkmale der Hilflosigkeit und damit die Voraussetzungen für die Gewährung einer Pflegezulage entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht vor.

Das LSG hat zutreffend ausgeführt, daß es sich bei der Frage, ob im Einzelfall ein Zustand der Hilflosigkeit besteht, um keine rein medizinische, sondern um eine Tatfrage handelt, die im Einzelfall unabhängig von der medizinischen Auffassung unter Berücksichtigung aller bedeutsamen Umstände geprüft werden muß (vgl. BSG 8, 97, 99). Die Beurteilung der Frage der Hilflosigkeit durch medizinische Sachverständige kann deshalb für das Gericht allenfalls einen Anhalt, nicht mehr sein.

Das Berufungsgericht hat festgestellt, daß der Kläger allein und ohne fremde Hilfe (seiner Ehefrau) nicht imstande ist, die Pflege und Versorgung der Fisteln in der Gesäßfurche und der angrenzenden Hautbezirke durchzuführen; dabei seien der Eiter zu entfernen und die Umgebung der Fisteln zu säubern, die entzündeten Stellen seien mit Salbe zu bestreichen und zu verbinden. Diese zur Pflege und zur Versorgung der Fisteln erforderliche Hilfe der Ehefrau müsse im allgemeinen zweimal täglich (nach dem Morgen- und Abendbad), in der kälteren Jahreszeit wohl nur einmal täglich, geleistet werden oder zur Verfügung stehen; "hin und wieder", besonders im Sommer nach kurzen Spaziergängen und ähnlichen Einwirkungen, müsse der Kläger auch außerhalb der feststehenden Zeiten während der Dienstzeit zu einer zusätzlichen Wundversorgung und einem zusätzlichen Verbandwechsel nach Hause gehen. Darüber hinaus benötige er bei Witterungseinflüssen (besonders bei Gewitterneigung) wegen starken Aufliegens der Wunden zusätzliche weitere Hilfe beim An- und Ausziehen der Strümpfe und Schuhe. Alle anderen gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens, insbesondere auch die Vorbereitung und Durchführung des täglich notwendigen Bades, die Reinigung des Kunstafters und seiner Umgebung, die Leerung der Pelotte und den erforderlichen Wäschewechsel sowie die notwendigen Darmspülungen könne der Kläger selbst durchführen, und zwar auch bei gelegentlich vorkommenden spontanen Entleerungen bei Durchfällen.

Im Hinblick auf diese Feststellungen sind im Gegensatz zur Auffassung des LSG die Voraussetzungen des § 35 BVG zur Gewährung einer Pflegezulage nicht gegeben. Diese Auffassung steht im Widerspruch sowohl zur Rechtsprechung des BSG (hilflos ist nur derjenige Beschädigte, der für "die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden - nicht nur für einzelne - Verrichtungen" im Ablauf des täglichen Lebens ganz oder in erheblichem Umfang fremder Hilfe dauernd bedarf) als auch zum Wortlaut des § 35 BVG nF, in dem die dauernde fremde Hilfe für die genannten Verrichtungen "in erheblichem Umfang" gefordert wird. Denn bei der Pflege und Versorgung der Fisteln handelt es sich ebenso um Hilfeleistungen für einzelne, wenn auch gewöhnlich und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen wie bei der nur gelegentlich notwendigen Hilfe beim An- und Ausziehen der Strümpfe und Schuhe. Mögen diese Hilfeleistungen auch lästig sein und eine nicht unerhebliche Zeit der die Hilfe leistenden Ehefrau in Anspruch nehmen, so sind sie im Verhältnis zu allen anderen gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens, die der Kläger allein und ohne fremde Hilfe durchführen kann, nicht so zahlreich, daß von einer dauernden fremden Hilfe in erheblichem Umfang die Rede sein könnte. Neben der Vorbereitung und Durchführung des täglichen Bades, der Reinigung des Kunstafters und seiner Umgebung, der Leerung der Pelotte und dem Wechseln der Wäsche kann der Kläger allein und ohne fremde Hilfe aufstehen und zu Bett gehen, sich an- und ausziehen, essen und trinken, sich waschen und rasieren, die tägliche Notdurft verrichten, seinen Beruf ausüben und, sei es regelmäßig zum Dienst oder gelegentlich zur Erholung, außer Haus gehen. Im übrigen sind die notwendigen täglichen Hilfeleistungen der Ehefrau auch nicht etwa plötzlich und unerwartet erforderlich, sondern - regelmäßig - zu von vornherein ziemlich festgelegten Zeiten, gegebenenfalls werden sie auch zeitlich verschiebbar sein, so daß insoweit die Ehefrau als fremde Hilfskraft auch nicht ständig zur Hilfeleistung bereit sein muß.

All dies hat offenbar auch das Berufungsgericht nicht verkannt, wenn es zunächst ausgeführt hat, der Begriff der "zahlreichen Verrichtungen" im Ablauf des täglichen Lebens, die der Beschädigte nicht selbst wahrnehmen kann, dürfe nicht eng ausgelegt werden. Es hat aber zu Unrecht angenommen, daß es bei Bewertung des Umfanges der fremden Hilfe nicht entscheidend auf die Zahl der notwendigen Hilfeleistungen ankomme, sondern daß auch deren wirtschaftlicher Wert von maßgeblicher Bedeutung sei. Nach dem unmißverständlichen Wortlaut des § 35 BVG aF und nF kommt es bei der Entscheidung über die Frage, ob Hilflosigkeit vorliegt, allein auf den durch die Schädigung bedingten Leidenszustand des Beschädigten und die hierdurch erforderliche Wartung und Pflege an; wirtschaftliche Gesichtspunkte, der wirtschaftliche Wert der erforderlichen Hilfeleistungen, müssen daher unberücksichtigt bleiben (BSG 8, 97, 99; 20, 205). Daran ändert auch nichts, daß bei Hilflosigkeit mit dauerndem Krankenlager oder außergewöhnlicher Pflege, je nach Lage des Falles und unter Berücksichtigung auch der für die Pflege erforderlichen Aufwendungen, eine erhöhte Pflegezulage (Stufen II bis V) zu gewähren ist (§ 35 Abs. 1 Satz 2 BVG nF). Denn diese vom Gesetz zugelassene "Berücksichtigung der für die Pflege erforderlichen Aufwendungen" ist nicht schon möglich, wenn über die Frage der Hilflosigkeit überhaupt entschieden werden soll, sondern erst dann, wenn eine tatsächlich bestehende Hilflosigkeit im Sinne des Gesetzes zu dauerndem Krankenlager oder außergewöhnlichem Pflegebedürfnis geführt hat. Deshalb muß im vorliegenden Fall auch die Art der Hilfeleistungen der Ehefrau des Klägers, "bei der Eigenart und Lokalisation der Schädigungsfolgen, die mit der Eiterabsonderung einen unangenehmen Geruch ausströmen, eine ekelerregende Tätigkeit", unberücksichtigt bleiben, soweit das LSG hieran den wirtschaftlichen Wert der Hilfeleistungen messen will.

Unzutreffend ist darüber hinaus die Auffassung des LSG, die Hilflosigkeit des Klägers müsse auch deshalb bejaht werden, weil es sich bei den Hilfeleistungen der Ehefrau um Maßnahmen der persönlichen Pflege handele, die zur Erhaltung der beruflichen Existenz und zur Wahrung der Stellung des Klägers in der Gesellschaft notwendig seien. Denn es kann nicht zweifelhaft sein, daß dieser Gesichtspunkt mit dem allein maßgebenden "Leidenszustand" nichts zu tun hat. Im übrigen hat das BSG auch zu dieser Frage bereits entschieden, daß bei Prüfung der Hilflosigkeit die Stellung des Beschädigten in seiner Lebensführung - im weiteren Sinne - unbeachtlich ist (BSG aaO).

Das Berufungsgericht durfte auch nicht, wie der Beklagte zutreffend vorträgt, "in gewissem Umfang" das Waschen der durch die Verwundungsfolgen verschmutzten Wäsche durch die Ehefrau zugunsten des Klägers berücksichtigen; denn abgesehen davon, daß die hierdurch entstehenden finanziellen Aufwendungen weitgehend durch die Zahlung der Mehrverschleißzulage abgegolten werden, handelt es sich beim Waschen von Wäsche, auch wenn dies wegen der Art der Verschmutzung von den Reinigungsanstalten abgelehnt wird, um keine Hilfeleistung im Sinne des § 35 BVG.

Schließlich vermochte der erkennende Senat auch nicht der Auffassung des LSG zu folgen, daß es in solchen besonderen Fällen Aufgabe des Staates sei, die vielseitigen Nachteile, wenigstens aber den finanziellen Schaden, so niedrig wie möglich zu halten, um den Beschädigten von dem bedrückenden Gefühl einer unverständlichen Beeinträchtigung gegenüber Nichtbeschädigten zu befreien und "seine helfende Ehefrau im Rahmen des Möglichen zu entschädigen", zumal sich diese Entschädigung für die wertmäßig umfangreiche Hilfe weder durch die Erhöhung der ohnehin schon mit 80 v.H. bemessenen MdE noch durch die Gewährung eines höheren Pauschsatzes für Kleider- und Wäscheverschleiß erreichen lasse. Denn die Pflegezulage dient nach dem Willen des Gesetzes nicht allgemein dazu, besonders schwere Folgen einer Schädigung (die auch im Hinblick auf diese Schwere eine Hilflosigkeit nicht bedingen) oder gar finanzielle und gesellschaftliche Nachteile auszugleichen; sie ist nur dann zu gewähren, wenn der Beschädigte infolge der Schädigungsfolgen tatsächlich hilflos ist. Das ist aber nach allem beim Kläger nicht der Fall. Den Besonderheiten seines Falles und der Schwere und Art seiner Schädigungsfolgen ist nach Maßgabe des Gesetzes im Rahmen des Möglichen durch Gewährung einer Rente nach einer MdE um 80 v.H. und der Mehrverschleißzulage hinreichend Rechnung getragen. Eine Pflegezulage steht dem Kläger nicht zu.

Bei dieser Sach- und Rechtslage brauchte der Senat nicht mehr auf die - im übrigen nur hilfsweise vorgetragene - Rüge des Beklagten einzugehen, das LSG habe § 128 Abs. 1 SGG verletzt. Die getroffenen Feststellungen waren für den erkennenden Senat ausreichend, um den Rechtsstreit selbst zu entscheiden.

Da das Berufungsgericht dem Kläger unter Verletzung des § 35 BVG die einfache Pflegezulage zu Unrecht zugesprochen hat, mußte sein Urteil aufgehoben werden; gleichzeitig war die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Münster vom 27. November 1958 als unbegründet zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf der Vorschrift des § 193 Abs. 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2304630

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