Entscheidungsstichwort (Thema)
Förderung der Aufnahme einer Beschäftigung. Mobilitätshilfe. Fahrkostenbeihilfe. Begriff der Notwendigkeit
Leitsatz (amtlich)
Eine Förderung durch Mobilitätshilfen ist nicht notwendig iS des § 53 Abs 1 SGB 3, wenn der Antragsteller die Beschäftigung unabhängig von der Förderungsmöglichkeit aufgenommen hat.
Normenkette
SGB 3 § 53 Abs. 1 Fassung: 2003-12-23, Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b Fassung: 2003-12-23; SGB 3 § 54 Abs. 4 Fassung: 2003-12-23
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Förderung der Aufnahme einer Beschäftigung durch Gewährung einer Fahrkostenbeihilfe.
Der bis dahin arbeitslose Kläger nahm am 19. April 2004 beim Bezirksamt H eine bis zum 23. Juni 2004 befristete Beschäftigung als Wahlhelfer im Rahmen der Europawahl auf. Am 21. April 2004 beantragte er bei der Beklagten die Gewährung von Fahrkostenbeilhilfe für tägliche Hin- und Rückfahrten von seinem Wohnort bis zum 84 km entfernten Arbeitsplatz. Die Beklagte lehnte den Antrag mit der Begründung ab, der Kläger habe den Antrag verspätet gestellt (Bescheid vom 12. Mai 2004). Mit seinem Widerspruch machte der Kläger ua geltend, er habe den Antrag unverzüglich gestellt, nachdem er die Information über die Möglichkeit einer Förderung erhalten habe. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 24. Juni 2004).
Das Sozialgericht (SG) hat die Bescheide der Beklagten aufgehoben und diese verpflichtet, den Antrag des Klägers auf Fahrkostenbeihilfe neu zu bescheiden (Urteil vom 20. März 2006). Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 23. März 2007). In den Entscheidungsgründen hat das LSG ua ausgeführt: Der ablehnende Bescheid der Beklagten sei rechtmäßig. Die begehrte Fahrkostenbeihilfe setze voraus, dass die Förderung zur Aufnahme der Beschäftigung notwendig sei. Neben der subjektiven Notwendigkeit iS von persönlicher Bedürftigkeit müsse auch die objektive Notwendigkeit der Förderung vorliegen. Der Notwendigkeitsbegriff bringe zum Ausdruck, dass Beitragsmittel der Bundesagentur für Arbeit (BA) nur zu erbringen seien, wenn das angestrebte Ziel, nämlich die Arbeitsaufnahme, sonst nicht zu verwirklichen sei. Es sei daher eine Prognoseentscheidung zu treffen, die zu dem Resultat führen müsse, dass ohne die Gewährung der Mobilitätshilfen das Beschäftigungsverhältnis voraussichtlich nicht zu Stande gekommen wäre. Davon ausgehend gebe es vorliegend keine Anhaltspunkte für ein Nichtzustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses ohne die Gewährung der Fahrkostenbeihilfe. Im Gegenteil müsse davon ausgegangen werden, dass der Kläger die Tätigkeit unabhängig von der Möglichkeit der Fahrkostenbeihilfe aufgenommen habe. Nach seinem eigenen Vorbringen im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem SG habe er von der Erstattungsmöglichkeit vor der Antragstellung am 21. April 2004 nichts gewusst und die Arbeit unbeeinflusst von der Förderungsmöglichkeit aufgenommen. Mangels Vorliegens der Tatbestandsvoraussetzung der Notwendigkeit habe eine Ermessensentscheidung der Beklagten nicht ergehen können und es komme auch nicht auf die Frage der Zulassung einer verspäteten Antragstellung zur Vermeidung einer unbilligen Härte an.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 53 Abs 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III). Im konkreten Fall werde deutlich, dass Mobilitätshilfen nicht nur dann beschäftigungspolitisch und arbeitsmarktwirksam eine Rolle spielten, wenn sie bereits vor Aufnahme einer Beschäftigung bekannt und beantragt seien. Durch die Schnelllebigkeit des Arbeitsmarktes und die vom Gesetzgeber erwartete Mobilität des Arbeitsuchenden komme es zum kurzfristigen Eingehen von Beschäftigungsverhältnissen, deren Belastungen durch damit verbundene Aufwendungen nicht oder nicht abschließend vor Beginn der Arbeitsaufnahme feststünden. Er - der Kläger - habe zur Beseitigung weiterer Arbeitslosigkeit die auswärtige Arbeitsstelle angenommen und die dabei für tägliche Fahrten anfallenden Kosten in Kauf genommen, um in die Beschäftigung zu gelangen. Der Begriff der Notwendigkeit in § 53 Abs 1 SGB III könne nicht dazu führen, dass die Förderung der Arbeitsaufnahme auf lediglich einen bestimmten Zeitpunkt vor der Arbeitsaufnahme beschränkt werde, in welchem prognostisch zu ermitteln sei, ob mit der Mobilitätshilfe die Arbeitsaufnahme ermöglicht werde. Eine solche Betrachtungsweise verkenne Sinn und Zweck der Mobilitätshilfen, die durchaus auch in Fällen bereits erfolgter Arbeitsaufnahme notwendig werden könnten. Zu fragen sei also, ob eine Mobilitätshilfe zur Aufnahme und zur Aufrechterhaltung der Beschäftigung notwendig sei. Insoweit sei nicht nur der Fall zu sehen, dass ein Arbeitsuchender vor Arbeitsaufnahme die Notwendigkeit der Inanspruchnahme der Hilfe feststelle; das Gleiche müsse vielmehr auch gelten, wenn sich während der Beschäftigung die Notwendigkeit der Mobilitätshilfe ergebe. Auch wenn man aber der Auffassung des LSG zur Prognoseentscheidung folge, müsse eine solche Entscheidung auch möglich bleiben, wenn eine Antragstellung nicht erfolgt sei und über § 324 SGB III die Möglichkeit der rückwirkenden Antragstellung eröffnet werde. Für diese Auffassung spreche, dass eine Mobilitätshilfe auch ein Mittel sei, zukünftige Arbeitslosigkeit zu vermeiden oder zu verkürzen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG vom 23. März 2007 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG vom 20. März 2006 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Ergänzend trägt sie vor, dass auch der Antrag nicht vor Eintritt des leistungsbegründenden Ereignisses gestellt worden sei. Die verspätete Antragstellung sei auch nicht auf eine Verletzung von Hinweis- oder Beratungspflichten der Beklagten zurückzuführen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Das LSG hat zu Recht entschieden, dass der Kläger keinen Anspruch auf Fahrkostenbeihilfe hat.
Von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrensmängel stehen einer Sachentscheidung nicht entgegen. Insbesondere ist nach den vom LSG getroffenen Feststellungen zur Dauer der Beschäftigung und zur Höhe der in Betracht kommenden Wegstreckenentschädigung die Zulässigkeit der Berufung der Beklagten gegeben (§ 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG).
Rechtsgrundlage für die vom Kläger begehrte Fahrkostenbeihilfe ist § 53 SGB III in der seit 1. Januar 2004 geltenden Fassung des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003, BGBl I 2848, in Verbindung mit weiteren Vorschriften. Nach § 53 Abs 1 SGB III können ua Arbeitslose, die eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufnehmen, durch Mobilitätshilfen gefördert werden, soweit dies zur Aufnahme der Beschäftigung notwendig ist. Die Mobilitätshilfen umfassen bei auswärtiger Arbeitsaufnahme ua die Übernahme der Kosten für tägliche Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstelle (Fahrkostenbeihilfe, § 53 Abs 2 Nr 3 Buchst b SGB III). Übernommen werden können insoweit für die ersten sechs Monate der Beschäftigung die berücksichtigungsfähigen Fahrkosten (§ 54 Abs 4 SGB III, § 46 Abs 2 SGB III). Die Gewährung der Fahrkostenbeilhilfe ist in das Ermessen der Beklagten gestellt.
Den vom LSG getroffenen tatsächlichen Feststellungen, gegen die zulässige und begründete Revisionsgründe nicht vorgebracht sind und an die der Senat somit gebunden ist (§ 163 SGG), ist mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen, dass der Kläger die streitgegenständliche Beschäftigung unabhängig von der Möglichkeit der Gewährung einer Fahrkostenbeihilfe aufgenommen hat. Dies ergibt sich bereits aus dem eigenen Vorbringen des Klägers, der sowohl im Widerspruchsverfahren als auch vor dem SG geltend gemacht hat, er habe zur Zeit der Aufnahme der Beschäftigung von der Möglichkeit einer Fahrkostenbeihilfe nichts gewusst. Hiervon ausgehend ist die Rechtsauffassung des LSG, es fehle für die begehrte Förderung bereits am Tatbestandsmerkmal der Notwendigkeit und eine Ermessensentscheidung der Beklagten komme folglich nicht in Betracht, nicht zu beanstanden.
Wann eine Förderung durch Mobilitätshilfen zur Aufnahme einer Beschäftigung notwendig ist, hat der Gesetzgeber im SGB III nicht ausdrücklich geregelt. Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich nur, dass die Voraussetzungen des § 53 Abs 1 SGB III dem Recht des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG), insbesondere § 53 Abs 1 Nr 2 bis 5 AFG iVm der Anordnung des Verwaltungsrats der BA zur Förderung der Arbeitsaufnahme, entsprechen sollen (BT-Drucks 13/4941 S 163). Insoweit kann für die nähere Bestimmung des Begriffs der Notwendigkeit zurückgegriffen werden auf die Regelung in § 4 Abs 5 der früheren Anordnung des Verwaltungsrats der BA zur Förderung der Arbeitsaufnahme (AFdA) vom 19. Mai 1989 (ANBA 1989, 997, zuletzt geändert durch die 4. Änderungsanordnung vom 25. November 1994, ANBA 1995, 1; Abdruck auch bei Hennig/Kühl/Heuer/Henke, AFG, Anhang III 72, Stand 1995). § 4 Abs 5 AFdA bestimmte im Rahmen der Regelungen über die allgemeinen Leistungsvoraussetzungen insbesondere, dass Leistungen nur gewährt werden durften, wenn und soweit dies zur Erreichung ihres Zwecks notwendig war.
Maßgebend für das Verständnis des Begriffs der Notwendigkeit iS des § 53 Abs 1 SGB III ist somit zunächst der Zweck der Förderung durch Mobilitätshilfen. Dieser besteht vorwiegend darin, finanzielle Hindernisse zugunsten förderungsberechtigter Personen zu beseitigen, die im konkreten Fall dem Eintritt oder Wiedereintritt in das Berufsleben im Wege stehen (Hennig/Eicher in Eicher/Schlegel, SGB III, § 53 RdNr 2, Stand 2007; Petzold in Hauck/Noftz, SGB III, § 53 RdNr 1, Stand 2005; Winkler in Gagel, SGB III, § 53 RdNr 2, Stand 2005). Anders als in Regelungen wie § 77 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB III zur Förderung der beruflichen Weiterbildung oder § 217 SGB III zum Eingliederungszuschuss stellt der Gesetzgeber in § 53 Abs 1 SGB III nicht auf die Eingliederung (vgl dazu etwa BSG SozR 4-4300 § 324 Nr 2 RdNr 22), sondern nur auf die "Aufnahme der Beschäftigung" durch einen Arbeitslosen oder einen von Arbeitslosigkeit bedrohten Arbeitsuchenden ab. Mit Mobilitätshilfen soll also vor allem erreicht werden, dass die unmittelbare Arbeitsaufnahme nicht an fehlenden Mitteln scheitert (vgl zu der § 53 AFG entsprechenden früheren Vorschrift des § 130 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung ≪AVAVG≫ Draeger/Buchwitz/Schönefelder, AVAVG, 1961, § 130 RdNr 4). Insofern dient § 53 Abs 1 SGB III dem Zweck, dem genannten Personenkreis einen finanziellen Anreiz zur unmittelbaren Beschäftigungsaufnahme zu bieten. Auf die Aufrechterhaltung der hier ohnedies nur befristeten Beschäftigung oder eine dauerhafte Eingliederung kann es dagegen nicht ankommen, wie bei der Fahrkostenbeihilfe zudem die Beschränkung der Förderungsdauer gemäß § 54 Abs 4 SGB III auf die ersten sechs Monate deutlich macht. Dem Revisionsvorbringen, die Prüfung der Notwendigkeit müsse sich auch auf den Gesichtspunkt der Aufrechterhaltung einer Beschäftigung erstrecken, ist deshalb nicht zu folgen.
Schon seinem Wortlaut nach enthält der Begriff der Notwendigkeit im Übrigen ein Element der Unverzichtbarkeit iS einer "engen Kausalität" (Hennig in Eicher/Schlegel aaO RdNr 47). Die Bewilligung der Leistung muss also die einzige Möglichkeit der Förderung der Beschäftigungsaufnahme darstellen (vgl zu Fort- bzw Weiterbildungsmaßnahmen BSGE 48, 176, 180 = SozR 4100 § 44 Nr 21; SozR 4100 § 44 Nr 33; SozR 4-4300 § 77 Nr 1; allgemein zum Prinzip der Sparsamkeit bei Leistungen der aktiven Arbeitsförderung vgl BSG SozR 4-4300 § 53 Nr 1 RdNr 11). Eine Mobilitätshilfe ist folglich nicht notwendig iS des § 53 Abs 1 SGB III, wenn die Beschäftigungsaufnahme auch ohne diese Leistung erfolgen würde bzw erfolgt wäre (Hennig aaO; ebenso Schleswig-Holsteinisches LSG, Urteil vom 20. März 2007, L 3 AL 75/06, bestätigt durch BSG, Urteil vom 27. Januar 2009, B 7/7a AL 26/07 R). Da der Kläger nach den bindenden Feststellungen des LSG seine Beschäftigung völlig unabhängig von der Fahrkostenbeilhilfe aufgenommen hat, ist eine Notwendigkeit iS des § 53 Abs 1 SGB III zu verneinen.
Unter den gegebenen Umständen ist nicht näher auf die vom LSG im Rahmen der Entscheidung über die Zulassung der Revision aufgeworfene Frage einzugehen, ob der Notwendigkeitsbegriff iS des § 53 Abs 1 SGB III eine "Prognoseentscheidung" dahingehend voraussetzt, dass das auswärtige Beschäftigungsverhältnis ohne die Mobilitätshilfe "voraussichtlich nicht zu Stande gekommen wäre". Eine Prognose iS der Betrachtung einer zukünftigen Entwicklung mag angebracht sein, wenn ein Arbeitsloser oder Arbeitsuchender vor der beabsichtigten Beschäftigungsaufnahme die Leistung beantragt; dann wird im Einzelfall zu prüfen sein, ob eine Förderung durch Fahrkostenbeihilfe in Betracht kommt. Das Vorliegen eines Arbeitsvertrages oder eines Einstellungsschreibens des Arbeitgebers (vgl Durchführungsanweisungen der Beklagten, Stand 01/2004, 53.30, zum Nachweis bei der Antragstellung) schließt eine Leistungsgewährung nicht zwingend aus (für den Regelfall aA Hennig in Eicher/Schlegel, SGB III, § 53 RdNr 47). Im vorliegenden Fall steht aber bereits fest, dass die Beschäftigung unabhängig von der Frage der Bewilligung einer Mobilitätshilfe aufgenommen worden ist.
Da der Kläger die Anspruchsvoraussetzungen für eine Fahrkostenbeihilfe nicht erfüllt, kann dahinstehen, ob dem geltend gemachten Anspruch auch eine verspätete Antragstellung entgegensteht (§ 324 Abs 1 SGB III).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 2172884 |
FA 2009, 319 |
LGP 2009, 129 |
NZA-RR 2010, 51 |
NZS 2010, 161 |
SGb 2009, 535 |