Leitsatz (amtlich)
Von zwei abgeschlossenen Hochschulausbildungen kann in der Regel nur die zuerst begonnene und abgeschlossene Ausbildung bis zur Höchstdauer von 5 Jahren als Ausfallzeit nach AVG § 36 Abs 1 S 1 Nr 4 Buchst b (= RVO § 1259 Abs 1 S 1 Nr 4 Buchst b) berücksichtigt werden.
Normenkette
AnVNG Art. 2 § 49a Abs. 2 Fassung: 1972-10-16; ArVNG Art. 2 § 51a Abs. 2 Fassung: 1972-10-16; AVG § 36 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 Buchst. b Fassung: 1957-02-23; RVO § 1259 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 Buchst. b Fassung: 1957-02-23
Verfahrensgang
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten darüber, in welchem Umfange im Rahmen der Beitragsnachentrichtung des Klägers gem Art 2 § 49 a Abs 2 des Angestellten-Versicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) die Zeiten seiner abgeschlossenen Ausbildungen zum Tierarzt und zum Humanarzt als Ausfallzeiten iS des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) zu berücksichtigen sind.
Der 1939 geborene Kläger ist auf seinen Antrag seit dem 1. Januar 1974 als Selbständiger in der Angestelltenversicherung nach § 2 Abs 1 Nr 11 AVG pflichtversichert. Er hat in der Zeit zwischen Mai 1958 und November 1963 ein Studium der Veterinärmedizin erfolgreich abgeschlossen. Anschließend war er von Dezember 1963 bis Juli 1966 mit Unterbrechungen insgesamt 17 Monate versicherungspflichtig beschäftigt. Vom Wintersemester 1964/65 - Semesterbeginn: 1. Oktober 1964 - bis Juni 1969 studierte er Humanmedizin; auch dieses Studium schloß er mit der erforderlichen Prüfung ab. Im Anschluß daran war er von September 1969 bis August 1970 erneut versicherungspflichtig beschäftigt. Für die Zeit von Juni 1971 bis März 1974, während der er beamteter wissenschaftlicher Assistent war, ist er nachversichert worden.
Seinem Antrag, nach Art 2 § 49 a Abs 2 AnVNG die Nachentrichtung von Beiträgen ab 1. Januar 1956 zuzulassen, entsprach die Beklagte mit dem Bescheid vom 21. Mai 1975 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. August 1975 für die nicht mit Beiträgen belegten Zeiten bis zurück zum Monat Mai 1963. Die Berücksichtigung der für das Studium der Humanmedizin erforderlich gewesenen Zeit als Ausfallzeit lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, bei zwei abgeschlossenen Hochschulausbildungen sei nur das zeitlich erste Studium bis zur Höchstdauer von fünf Jahren eine anrechenbare Ausfallzeit. Die Klage blieb ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts - SG - vom 28. September 1976). Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 26. August 1977 die Berufung mit der Begründung zurückgewiesen, sowohl aus der Fassung als auch aus der Zielsetzung des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AVG folge, daß bei zwei abgeschlossenen Hochschulausbildungen nur die ersten fünf Jahre des zuerst begonnenen Studiums als Ausfallzeit zu berücksichtigen seien.
Mit seiner - vom LSG zugelassenen - Revision wendet sich der Kläger gegen diese Abgrenzung. Schon der Wortlaut des Gesetzes sei so zu verstehen, daß auch eine zweite abgeschlossene Hochschulausbildung als Ausfallzeit zu berücksichtigen sei, weil das Wort "ein" als unbestimmter Artikel aufgefaßt werden müsse. Auch der Sinn und Zweck des Gesetzes lege die Berücksichtigung des abgeschlossenen Zweitstudiums als Ausfallzeit nahe, weil zahlreiche Berufe ein solches Zweitstudium erforderten. Zumindest stehe dem Versicherten ein Wahlrecht zu, welcher der beiden abgeschlossenen Studiengänge als Ausfallzeit anzurechnen sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG und das Urteil des SG aufzuheben und unter Änderung des Bescheides der Beklagten vom 21. Mai 1975 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. August 1975 die Beklagte zu verpflichten, bei der Nachentrichtung von Beiträgen im Rahmen des Art 2 § 49 a Abs 2 AnVNG die beiden Hochschulausbildungen des Klägers,
hilfsweise das Studium der Humanmedizin,
als nicht mit Beiträgen zu belegende Ausfallzeit zugrunde zu legen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) einverstanden erklärt.
II.
Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Das LSG hat zu Recht entschieden, daß im Rahmen der Beitragsnachentrichtung des Klägers nach Art 2 § 49 a Abs 2 AnVNG von den Zeiten der beiden abgeschlossenen Hochschulausbildungen des Klägers insgesamt nur fünf Jahre als Ausfallzeit zu berücksichtigen und diese vom Beginn des ersten Studiums an zu berechnen sind.
Nach § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b AVG sind Ausfallzeiten ua die Zeit einer abgeschlossenen Hochschulausbildung bis zur Höchstdauer von fünf Jahren. Ob darunter nur Zeiten einer abgeschlossenen Hochschulausbildung fallen oder ob mehrere Hochschulausbildungen - jeweils mit bis zu fünf Jahren Dauer - als Ausfallzeiten zu berücksichtigen sind, kann - entgegen der von den Beteiligten und dem LSG vertretenen Ansicht - nicht dem Wortlaut des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b AVG allein entnommen werden. Der Gesetzgeber knüpft in allen Fällen des § 36 Abs 1 Satz 1 AVG an "eine" bestimmte Tätigkeit oder "einen" bestimmten Vorgang an, von denen die meisten wiederholt eintreten können, so daß der Begriff "eine" in § 36 Abs 1 Satz 1 AVG sowohl als Zahlwort als auch als unbestimmter Artikel gebraucht worden ist. Deshalb muß der Wortlaut des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b AVG anhand der Zielsetzung des § 36 AVG abgegrenzt werden (so schon Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 27. August 1970 - 11 RA 109/68 -, SozEntsch BSG VI § 36 AVG Nr 33).
Zweck der Vorschrift des § 36 Abs 1 Nr 4 AVG ist es, denjenigen Versicherten, die sich über ein bestimmtes Lebensalter hinaus einer für den späteren Beruf notwendigen weiteren Ausbildung unterzogen haben und deshalb während dieser Ausbildungszeiten keine Beiträge leisten konnten, bei der späteren Rentenfeststellung einen angemessenen Ausgleich zu verschaffen (BR-Drucks 196/56, S 74, zu § 1263 RVO; BSG SozR Nr 23 zu § 1259 RVO). Dabei hatte der Gesetzgeber aber die übermäßige Belastung der Versichertengemeinschaft zu vermeiden (BSGE 30, 34). Er hat deshalb die als Ausfallzeiten berücksichtigungsfähigen Ausbildungszeiten - mit Ausnahme der versicherungsfreien oder nicht versicherungspflichtigen Lehrzeit - sowohl der Art nach auf die in § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4, erster Halbsatz, Buchst a und b AVG genannten Ausbildungsarten begrenzt (vgl dazu BSG SozR Nr 46 zu § 1259 RVO), als auch darüber hinaus die Berücksichtigung dieser Ausbildungsarten zum Teil von weiteren einengenden Voraussetzungen abhängig gemacht: Es kann überhaupt nur eine erfolgreich abgeschlossene Fach- oder Hochschulausbildung berücksichtigt werden (BSG SozR Nr 61 zu § 1259 RVO; SozR 2200 § 1259 Nr 4 S 12; Nr 14 S 52). Auch die erfolgreich abgeschlossene Fach- oder Hochschulausbildung soll aber nur für die Zeit der üblichen Ausbildungszeit als Ausfallzeit berücksichtigt werden (BSG, SozEntsch VI § 36 AVG Nr 33). Deshalb ist die Berücksichtigung der Hochschulausbildung als Ausfallzeit auf die Höchstdauer von fünf Jahren begrenzt (BSGE 30, 34).
Schon aus dieser Zielsetzung des Gesetzes erhellt, daß der Gesetzgeber, wie er auch in der Begründung des Gesetzes (BR-Drucks 196/56, S 74, zu § 1263 RVO) zum Ausdruck gebracht hat, nur eine einzige erfolgreich abgeschlossene Hochschulausbildung als Ausbildungszeit berücksichtigt wissen wollte. Ob, wie der Kläger meint, etwas anderes zu gelten hat, wenn ein bestimmter Beruf nur ausgeübt werden kann, sofern zwei getrennte Hochschulausbildungen mit eigenständigen Abschlüssen durchlaufen worden sind, kann hier dahingestellt bleiben. Wie das LSG unwidersprochen und daher für den Senat bindend (§ 163 SGG) festgestellt hat, liegen diese Voraussetzungen im Falle des Klägers nicht vor.
Das LSG hat auch zutreffend entschieden, daß nur die ersten fünf Jahre der ersten Hochschulausbildung des Klägers als Ausfallzeit berücksichtigt werden können. Das BSG (Urteil vom 1. Februar 1972 - 11 RA 19/71 -, SozR Nr 43 zu § 1259 RVO) hat bereits in anderem Zusammenhang dargelegt, daß nur die ersten fünf Jahre der Hochschulausbildung nach deren Beginn Ausfallzeiten nach § 36 Abs 1 Nr 4 AVG sein können. Dieser rechtlichen Beurteilung tritt der erkennende Senat bei, weil nur sie der Systematik und der zuvor dargelegten Zielsetzung des Gesetzes zur Anrechnung von Studienzeiten als Ausfallzeiten gerecht wird. Dementsprechend haben die Vorinstanzen und die Beklagte die Rechtslage zutreffend beurteilt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen