Leitsatz (redaktionell)
Der Weg zwischen einer voll eingerichteten Sommerzweitwohnung nach der 800 km entfernten anderen Wohnung steht nicht schon deshalb unter Unfallversicherungsschutz, weil sich die andere Wohnung am Sitz des Betriebes des freiwillig gegen Unfall versicherten Unternehmers befindet.
Normenkette
RVO § 550 S. 2 Fassung: 1963-04-30
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 31. Juli 1969 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Als Witwe des tödlich verunglückten Dr. med. dent. S (S.) begehrt die Klägerin Hinterbliebenenentschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung (UV).
S. betrieb zusammen mit der Klägerin in H ein zahntechnisches Laboratorium mit etwa 100 Beschäftigten. Er war bei der Beklagten freiwillig gegen Arbeitsunfall versichert. Die Eheleute besaßen ein Haus in H und eins in L. Am 18. August 1966 suchten sie ihr Haus in L auf. Von dort aus besuchte S. vom 9. bis zum 11. September 1966 sowie am 14./15. Oktober 1966 in K vom Zahnärztlichen Fortbildungsinstitut veranstaltete kieferorthopädische Kurse. In L überarbeitete er eine von ihm verfaßte Broschüre "Kieferorthopädische Winke für den Allgemein-Zahnarzt", die eine Neuauflage erfahren sollte, und bereitete sich außerdem auf eine für das Frühjahr 1967 geplante Vortragsreise in die USA vor. Die Verbindung mit dem Betrieb wurde durch Schriftwechsel und Telefongespräche aufrechterhalten. Am 27. Oktober 1966 traten die Eheleute gegen 9.30 Uhr gemeinsam die Fahrt nach Hamburg an, wo sie die Wintermonate verbringen wollten. Auf der Autobahn F - K in der Nähe von A verunglückte S. tödlich, als er gegen 13 Uhr mit seinem Pkw auf einen Lastzug auffuhr.
Die Beklagte lehnte die Hinterbliebenenentschädigung durch Bescheid vom 27. Dezember 1966 ab, weil die Unglücksfahrt weder eine Dienstfahrt noch eine Fahrt auf dem Weg zur Arbeitsstätte, sondern die Rückkehr von einem Ferienaufenthalt gewesen sei.
Das Sozialgericht Hamburg hat durch Urteil vom 13. Oktober 1967 die Klage insbesondere aus folgenden Gründen abgewiesen: Es habe Versicherungsschutz weder nach § 548 der Reichsversicherungsordnung (RVO) noch nach § 550 RVO bestanden. Der Aufenthalt in L habe vorwiegend privaten Zwecken gedient. Auch die Rückfahrt nach H habe nicht in einem versicherungsrechtlich wesentlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit gestanden.
Die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) Hamburg durch Urteil vom 31. Juli 1969 zurückgewiesen. Zur Begründung hat das LSG insbesondere ausgeführt: Der Versicherungsschutz des S. habe nur die Tätigkeiten umfaßt, die er als Unternehmer seines zahntechnischen Laboratoriums verrichtet habe. Mit diesen Tätigkeiten habe der am Unfalltag zurückgelegte Weg nicht in Zusammenhang gestanden. Die Fahrt, die von dem einen Wohnsitz nach dem anderen habe führen sollen, sei vielmehr wesentlich durch die beabsichtigte Verlegung des Privatlebens nach Hamburg veranlaßt worden. Es sei deshalb ohne rechtliche Bedeutung, daß sich am Zielort zugleich der Betrieb befinde, selbst wenn feststünde, daß S. zunächst diesen zur Erledigung der dringendsten Geschäfte habe aufsuchen wollen. Nach § 550 RVO sei grundsätzlich nur der Weg von der nächstgelegenen Wohnung zur Arbeitsstätte geschützt. Wege zwischen zwei Wohnungen könnten nur als Betriebswege oder Geschäftsreisen versichert sein, was voraussetze, daß sie wesentlich im betrieblichen Interesse unternommen würden. Für die Reise nach L und zurück nach H seien jedoch im wesentlichen persönliche Gründe maßgebend gewesen. Der Umstand, daß S. in L ungestörter seine wissenschaftlichen Arbeiten habe erledigen können, reiche nicht aus, die Verlagerung der Tätigkeiten nach dort dem Gesamtzweck des Unternehmens zuzuordnen. Die beabsichtigte Teilnahme an den kieferorthopädischen Kursen in K habe zwar einen Grund geboten, H zu verlassen, nicht jedoch, die noch rund 200 km vom Tagungsort entfernt gelegene Zweitwohnung in L aufzusuchen. Hinzu komme, daß S. sich in L zehn Wochen aufgehalten habe, während die Kurse lediglich an insgesamt fünf Tagen stattgefunden hätten und der letzte am Reisetag bereits zwölf Tage zurückgelegen habe. Auch zur Verrichtung seiner wissenschaftlichen Arbeiten habe S. nicht nach L reisen müssen. Die Ortsveränderung habe vielmehr in erster Linie seinem persönlichen Wohlbefinden und der beabsichtigten Steigerung seiner Arbeitskraft gedient; sie sei deshalb unter diesem Gesichtspunkt als dem privaten - unversicherten - Bereich zuzuordnende Vorbereitungshandlung zu werten. Somit könne die Hin- und Rückfahrt nach L nicht der versicherten Unternehmertätigkeit zugerechnet werden, unabhängig davon, ob S. bei der Überarbeitung der nach Angaben der Klägerin für das Unternehmen werbewirksamen "Kieferorthopädischen Winke für den Allgemein-Zahnarzt" sowie der Vorbereitung auf die USA-Reise versichert gewesen wäre.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Klägerin hat dieses Rechtsmittel eingelegt und folgendermaßen begründet: Der gesamte Aufenthalt des S. in B habe durch die Art der von ihm dort verrichteten Tätigkeiten unternehmensbedingte Züge getragen. Von rechtlicher Bedeutung sei aber lediglich der letzte Zeitraum von der Beendigung des Kongresses in K am 15. Oktober 1966 bis zum Unfalltag am 27. Oktober 1966. In dieser Zeit habe S. die Ergebnisse des Kongresses ausgearbeitet und sei somit ausschließlich für sein Unternehmen tätig gewesen; dies habe er in L ungestörter und damit effektiver und schneller als in H erledigen können. Selbst wenn man den Aufenthalt in L als überwiegend privat betrachte, könne der Versicherungsschutz nicht versagt werden, weil sich der Unfall auf einem Streckenabschnitt ereignet habe, den S. auch befahren haben würde, wenn er von K aus am 15./16. Oktober 1966 unmittelbar nach H zurückgekehrt wäre. Darüber hinaus sei das Haus in L, das die Eheleute seit langer Zeit regelmäßig für wenigstens zwei Monate im Jahr bewohnt hätten, für die Zeit ihres dortigen Aufenthalts ihre ständige Familienwohnung gewesen. Die von dort aus angetretene Fahrt am 27. Oktober 1966 sei deshalb als Fahrt von der Familienwohnung zur Betriebsstätte im Sinne von § 550 Satz 2 RVO anzusehen. Schließlich sei der Entschädigungsanspruch schon deshalb begründet, weil die Beklagte vor Abschluß der freiwilligen Versicherung im Jahre 1951 die schriftliche Auskunft erteilt habe, daß auch sämtliche Fahrten im Dienste des Betriebes in den Versicherungsschutz eingeschlossen seien.
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin aus Anlaß des tödlichen Unfalles ihres Ehemannes Leistungen aus der gesetzlichen UV zu gewähren,
hilfsweise,
die Sache an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis und in der Begründung für zutreffend.
II
Die Revision ist nicht begründet.
Für die Beurteilung der Frage, ob S. auf der unfallbringenden Fahrt nach §§ 548, 550 RVO unter Versicherungsschutz stand, ist von den Besonderheiten dieses Falles auszugehen, die darin liegen, daß S. außer seiner am Betriebsort H gelegenen Wohnung in dem mehr als 800 km entfernten L eine zweite voll eingerichtete Wohnung besaß, in welcher sich die Eheleute S. bis zu der am 27. Oktober 1966 angetretenen Rückfahrt zehn Wochen lang gemeinsam aufgehalten hatten.
Zutreffend hat das LSG angenommen, daß der Versicherungsschutz nicht aus § 550 RVO hergeleitet werden kann, selbst wenn S. nach seiner Ankunft in H zunächst - was nicht feststeht - den Betrieb hätte aufsuchen wollen. Der äußere Umstand, daß die Fahrt am Ort der Tätigkeit beendet sein sollte, begründet - für sich betrachtet - nicht schon den erforderlichen inneren Zusammenhang des Weges mit der versicherten Tätigkeit. Nach der Lage des Falles hat die Fahrt, auf der S. verunglückt ist, ihr rechtliches Gepräge nicht dadurch erhalten, daß sich am Zielort der Betrieb befindet. Als rechtlich wesentlicher Anlaß, von welchem die Fahrt maßgebend bestimmt worden ist, kann bei natürlicher Betrachtung vielmehr nur die Rückverlegung des Privatlebens nach H angesehen werden, den Ort, an dem sich der Mittelpunkt der Lebensverhältnisse der Eheleute befand. Auf dem Weg von der zweiten zur ständigen Wohnung bestand kein Versicherungsschutz nach § 550 Satz 1 RVO (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 2. März 1971 - 2 RU 108/68 -). Entgegen der Meinung der Revision liegen die Voraussetzungen des § 550 Satz 2 RVO ebenfalls nicht vor. Auch wenn davon ausgegangen werden kann, daß die Eheleute für die Zeit ihres Aufenthalts in der L Wohnung den Mittelpunkt ihrer Lebensverhältnisse nach dort verlagert hatten, fehlt es doch für den "Weg von der Familienwohnung" an dem Erfordernis, daß der Versicherte an dem Ort der Tätigkeit lediglich eine Unterkunft besaß. Der Weg von der zweiten zu der am Betriebsort gelegenen Wohnung, in welcher die Eheleute ihr Leben überwiegend verbrachten, kann dem nach § 550 Satz 2 RVO versicherten Weg von der "ständigen Familienwohnung" zum Ort der Tätigkeit, an welchem der Versicherte lediglich eine "Unterkunft" hat, nicht gleicherachtet werden.
Das LSG hat mit Recht außerdem geprüft, ob die Fahrt als letzter Teil einer Betriebsreise nach §§ 545, 548 RVO unter Versicherungsschutz stand. Den Erwägungen, mit denen es dies verneint hat, ist im Ergebnis zuzustimmen Der Versicherungsschutz setzt unter dem Gesichtspunkt der Betriebsreise voraus, daß S. die Fahrt wesentlich im Interesse der versicherten Unternehmertätigkeit als Inhaber des zahntechnischen Laboratoriums unternommen hat. Für die Frage, ob dies der Fall gewesen ist, kommt es - wie auch das LSG angenommen hat - nicht entscheidend darauf an, ob die Tätigkeiten, welche S. in L und von dort aus verrichtete, seiner versicherten Tätigkeit zugerechnet werden können. Maßgebend ist in diesem Zusammenhang vielmehr, ob die Verlegung der Tätigkeit - wie auch des Privatlebens - von H nach L am 18. August 1966 durch Umstände bedingt war, die rechtlich wesentlich der versicherten Unternehmertätigkeit zuzuordnen sind. Solche Umstände hat das LSG mit Recht nicht als gegeben erachtet. Die Teilnahme an den kieferorthopädischen Kursen in K vom 9. bis zum 11. September 1966 und am 14./15. Oktober 1966 können schon aus zeitlichen Gründen nicht als betriebsbedingter Anlaß für die am 18. August 1966 unternommene Reise nach L und für die am 27. Oktober 1966 von dort aus angetretene Rückfahrt angesehen werden, selbst wenn sich S., wie im Revisionsverfahren vorgetragen worden ist, während der letzten zwölf Tage in L ausschließlich mit der Ausarbeitung der im zweiten Kursus neu gewonnenen Kenntnisse befaßt haben sollte. Daß sich S. in seiner L Wohnung mit der Überarbeitung einer von ihm verfaßten Broschüre "Kieferorthopädische Winke für den Allgemein-Zahnarzt" sowie mit der Vorbereitung einer für das Frühjahr 1967 geplanten Vortragsreise in die USA beschäftigte, begründet ebenfalls keinen Anlaß für den Ortswechsel, der dem versicherten Unternehmen wesentlich zugerechnet werden könnte. Allein der Umstand, daß S. in L ungestörter arbeiten konnte, rechtfertigt es nicht, die Verlegung der Tätigkeiten nach dem mehr als 800 km entfernten L dem Unternehmenszweck unterzuordnen (vgl. auch Urteil des erkennenden Senats vom 31. Juli 1964 - 2 RU 5/63 -).
Die Fahrt kann auch nicht unter der Voraussetzung, daß S. in L wesentlich betriebsbezogene Tätigkeiten verrichtete, als Rückkehr von dieser Tätigkeit gewertet werden, weil bei der Gesamtbetrachtung des vorliegenden Falles die unfallbringende Fahrt in innerem Zusammenhang mit der am 18. August 1966 unternommenen Hinreise nach L gesehen werden muß. Es handelte sich um die Rückfahrt von einer nicht wesentlich dem versicherten Unternehmen dienenden Reise.
Die Auffassung der Revision, die Entschädigungsansprüche seien schon deshalb begründet, weil die Beklagte im Jahre 1951 den Versicherungsschutz für sämtliche im Dienste des Betriebes unternommene Fahrten zugesagt habe, geht fehl. Die Revision verkennt, daß die Beklagte seinerzeit lediglich allgemein den sich aus Gesetz und Satzung ergebenden Umfang des Versicherungsschutzes erläutert hat.
Da der tödliche Unfall, der S. betroffen hat, nicht als Arbeitsunfall zu werten ist, sind die Hinterbliebenenansprüche von der Beklagten zu Recht abgelehnt worden. Die Revision war somit als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen