Entscheidungsstichwort (Thema)
Sachaufklärung. Beweiswürdigung. Invalidität
Orientierungssatz
1. Es ist in jedem einzelnen Fall zu prüfen, ob zur Zeit der Entziehung der Invalidenrente die Voraussetzungen des § 1254 RVO bei dem Versicherten nicht mehr gegeben sind; denn es gibt keinen allgemeinen Erfahrungssatz des Inhalts, daß Oberschenkelamputierte nach ordnungsmäßiger prothetischer Versorgung, Gewöhnung und Anpassung bei Fehlen sonstiger Leiden, falls kein besonderer Ausnahmefall vorliegt, die gesetzliche Lohnhälfte nicht verdienen können (vgl BSG 1955-12-15 4 RJ 36/54 = BSGE 2, 127).
2. Da das LSG bei der Beurteilung der Erwerbsfähigkeit des Klägers von diesem von ihm angenommenen, in Wirklichkeit aber nicht bestehenden allgemeinen Erfahrungssatz ausgegangen ist, hat es bei seinen Feststellungen die Grenzen des Rechts der freien Beweiswürdigung überschritten und gleichzeitig die ihm obliegende Pflicht zur Amtsermittlung verletzt (vgl BSG 1956-12-13 4 RJ 42/56 = SozR Nr 68 zu § 162 SGG).
Normenkette
SGG § 103 Fassung: 1953-09-03, § 128 Fassung: 1953-09-03; RVO § 1254 Fassung: 1949-06-17
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 26.04.1955) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Schleswig vom 26. April 1955 insoweit aufgehoben, als über den Anspruch des Klägers auf Invalidenrente für die Zeit vom 1. Januar 1953 an entschieden worden ist.
Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
I.
Der Kläger ist am 5. Februar 1912 geboren. Bevor er zur Wehrmacht kam, war er als Bäcker in der Lehre; später war er, wie er dem Versorgungsamt Kiel und dem Arbeitsamt angegeben hat, Bohrer und zuletzt Lagerverwaltergehilfe und Lagerverwalter. Im Jahre 1944 wurde ihm der linke Oberschenkel amputiert. Der Kläger erhält Kriegsbeschädigtenrente. Seit dem 1. August 1945 erhielt er Invalidenrente. Auf Grund des Befundberichts des Facharztes für Orthopädie Dr. K... entzog die Beklagte dem Kläger durch Bescheid vom 20. Juni 1952 die Invalidenrente mit dem Ablauf des Monats Juni 1952, weil er nach den Ermittlungen nicht mehr invalide sei. Der Arzt Dr. K... hatte berichtet, durch eine Änderung der Prothese sei es zu einer Besserung der Gehfähigkeit und des Prothesensitzes gekommen. Gegen den Bescheid der Landesversicherungsanstalt legte der Kläger Berufung an das Oberversicherungsamt Schleswig ein. Sein Leiden habe sich durch einen Beckenbruch (Schenkelhalsbruch) sogar erheblich verschlechtert, denn er könne seine Prothese nicht mehr tragen. Nach dem Gutachten der Chirurgischen Universitätsklinik in Kiel hatte der Kläger am inneren unteren Stumpfende Druckschmerz, die Prothese müsse geändert werden. In seinem Beruf als Lagerverwalter sei er aber in der Lage, mindestens die Hälfte dessen zu verdienen, was ein Gesunder verdienen könne. Der Schenkelhalsbruch links sei gut geheilt.
Das Oberversicherungsamt Schleswig hob durch Urteil vom 16. Januar 1953 den Bescheid der Beklagten auf und verurteilte sie, dem Kläger Invalidenrente vom 1. Juli 1952 an weiterzugewähren. Der in der Verhandlung gehörte Medizinalrat Dr. R... hatte als Gerichtsarzt bekundet, der Kläger habe beim Tragen der Prothese noch beträchtliche Schwierigkeiten als Folge des Schenkelhalsbruches. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gelte er als invalide. Die Spruchkammer hat die Ansicht vertreten, Oberschenkelamputierte seien in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung der Spruchkammern im allgemeinen nicht in der Lage, die Hälfte dessen durch Arbeit zu verdienen, was gesunde Versicherte zu erwerben pflegen.
Wenige Tage, nachdem der Kläger den Bescheid über die Entziehung der Rente bekommen hatte, meldete er sich beim Arbeitsamt und erklärte sich bereit, jede ihm zumutbare Arbeit zu leisten. Vorher war er beschäftigungslos. Seit dem 1. August 1953 war er darauf in einer Wäscherei bei wechselnder Entlohnung als Pförtner tätig. Die Stelle war ihm durch den Kriegsbeschädigtenfürsorgedienst vermittelt worden.
Die Beklagte hat beim Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein Berufung eingelegt, die nach Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auf das Landessozialgericht übergegangen ist. Sie hat geltend gemacht, der Kläger verdiene als Pförtner in einer Wäscherei mehr als die Hälfte dessen, was gesunde Personen zu verdienen pflegen. Der Kläger hat erwidert, trotz einer neuen Prothese könne er nicht gehen. Wohl verdiene er wöchentlich nach Abzug 32,70 DM, er sei jedoch vor 1945 Linoleumleger und Bohrer gewesen, als solcher würde er heute 90 DM wöchentlich verdienen. Die Tätigkeit eines Pförtners sei ihm als Facharbeiter nicht zumutbar. Nur unter dem Zwang seiner schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse arbeite er unter Vernachlässigung seines Gesundheitszustandes als Pförtner. Die Stelle habe er nur durch die Kriegsbeschädigtenfürsorgestelle nachgewiesen erhalten. Er könne nicht mehr den ganzen Tag auf dem Stuhl sitzen und das Becken immer in derselben Lage halten. Früher habe er 93 kg gewogen, jetzt wiege er 60 kg bei einer Größe von 180 cm. Der in der mündlichen Verhandlung gehörte Sachverständige Dr. med. ... hat den Oberschenkelstumpf des Klägers für gut prothesenfähig gehalten. Der Oberschenkelhalsbruch sei weitgehend konsolidiert, das Gelenk sei frei beweglich, es bestehe jedoch der Verdacht eines Bandscheibenschadens. Dem Kläger seien fortgesetzte Arbeitsverrichtungen zumutbar. Invalidität sei nicht anzunehmen. Das Landessozialgericht hat durch Urteil vom 26. April 1955 das Urteil des Oberversicherungsamts Schleswig vom 16. Januar 1953 insoweit aufgehoben, als die Beklagte zur Weitergewährung der Invalidenrente vom 1. Juli 1952 bis zum 3. Dezember 1952 verurteilt worden ist. Im übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Es hat die Revision zugelassen.
Das Urteil erörtert und begründet, der Kläger habe keinesfalls einen Invalidenrentenanspruch für die Zeit vom 1. Juli bis zum 31. Dezember 1952, weil er in dieser Zeit zwar mehr als die Hälfte, aber weniger als zwei Drittel in seiner Erwerbsfähigkeit beschränkt gewesen sei. Die Entziehung einer vor dem 1. Juni 1949 gewährten Invalidenrente sei nach dem 31. Mai 1949 möglich, wenn der Versicherte mindestens ein Drittel des vergleichbaren Lohnes verdienen könne. Durch den am 1. Juni 1949 in Kraft getretenen § 2 des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes (SVAG) sei die Grenze der Minderung der Erwerbsfähigkeit, über die hinaus Invalidität anzunehmen ist, von zwei Dritteln auf die Hälfte herabgesetzt worden. Nach § 21 Abs. 4 SVAG gelte jedoch diese neue Grenze nur für die nach dem 31. Mai 1949 eingetretenen Versicherungsfalle. Erst durch § 1 des zweiten Gesetzes zur Änderung des SVAG vom 4. August 1953 sei § 21 Abs. 4 SVAG mit Wirkung vom 1. Januar 1953 aufgehoben worden, so daß seitdem jeder Versicherte Anspruch auf Invalidenrente habe, der über die Hälfte in seiner Erwerbstätigkeit eingeschränkt sei.
Zur Feststellung dessen, was der Kläger verdienen kann und welche Tätigkeit zugemutet werden kann, ist das Landessozialgericht von folgenden Feststellungen und Erwägungen ausgegangen:
Nur der Verlust des Oberschenkels schränke die Arbeitsfähigkeit des Klägers ein, nicht aber sonstige Krankheiten und Leiden. Durch die Vervollkommnung der Herstellung des Oberschenkelkunstbeins sei der Nachweis der Anpassung als ausreichend anzusehen, um eine Minderung der Erwerbsfähigkeit eines Beinamputierten auf 60 v.H. einzuschätzen, so daß Invalidität bei Geltung der Zweidrittelgrenze nicht mehr bestehe. Bei Anwendung der Halbgrenze bestehe sie fort. Die Anpassung an das Kunstglied reiche für sich allein nicht aus, um die Invalidität abzulehnen; auch bei Erreichung des höchsten Anpassungsgrades bestehe noch ein "erheblicher Schritt zur Unterschreitung der Halbgrenze". Nur wenn der Versicherte durch längere, wirtschaftlich nutzbringende Arbeitsleistung bewiesen habe, daß er sich auf dem allgemeinen Arbeitsfeld behaupten könne, sei er fähig, die gesetzliche Lohnhälfte zu verdienen. Pförtnertätigkeit sei keine Tätigkeit, durch die er den Nachweis der Bewährung erbringen könne. Ganz abgesehen von dem Einwand des Klägers, er könne seinen Pförtnerberuf nicht mehr ausüben, weil er statische Sitzbeschwerden habe, biete eine solche Pförtnerstellung dem Schwerbeschädigten nur die Möglichkeit, einen geringen Rest von Arbeitskraft zu verwerten. Die Pförtnertätigkeit sei kein Beruf im Rahmen des allgemeinen Arbeitsfeldes. Die Besonderheit der Lage des Klägers bestehe schließlich nicht in der Oberschenkelamputation schlechthin, vielmehr werde der prothetische Ausgleich bei ihm durch einen Schenkelhalsbruch nicht unerheblich erschwert. Er könne die Prothese nicht mehr tragen. Eine über zwei Drittel hinausgehende Minderung der Erwerbsfähigkeit sei aber nach dem Gutachten der Orthopädischen Abteilung der Chirurgischen Universitätsklinik ausgeschlossen.
Das Urteil des Landessozialgerichts ist der Beklagten am 10. Juni 1955 zugestellt worden. Ihre Revision und die Revisionsbegründung sind am 28. Juni 1955 und 11. Juli 1955 eingegangen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Schleswig vom 26. April 1955 mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen insoweit aufzuheben, als über den Anspruch des Klägers auf Invalidenrente für die Zeit vom 1. Januar 1953 an entschieden ist, und den Rechtsstreit insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte rügt, § 103 SGG sei verletzt. Das Landessozialgericht habe unterlassen, den Sachverhalt ausreichend zu erforschen. Es habe nicht das bisherige Arbeitsleben des Klägers und dessen Werdegang ermittelt; es habe auch nicht näher festgestellt, welche Arbeiten dem Kläger noch zugemutet werden könnten und ob er damit die im § 1254 der Reichsversicherungsordnung (RVO) geforderte gesetzliche Lohnhälfte verdienen könne. Auf die Angaben des Klägers allein und eines Arztes hätte das Landessozialgericht die Entscheidung nicht stützen dürfen.
Den Begriff der Invalidität im Sinne des § 1254 RVO habe das Berufungsgericht unrichtig angewandt. Es gebe noch zahlreiche Tätigkeiten, die der Kläger noch ausüben könne. Seit dem 1. August 1953 verdiene der Kläger in einer Wäscherei als Kontrolleur wöchentlich 32,70 DM, damit beweise er, daß er die gesetzliche Lohnhälfte verdienen könne.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen, hilfsweise beantragt er, den Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Er meint, Arbeitsleben und Werdegang seien vom angefochtenen Urteil hinreichend festgestellt worden, die Ermittlungen über seine Verdienstmöglichkeiten und über Anpassung und Gewöhnung genügten. Nicht nur die Oberschenkelamputation, sondern auch der Beckenbruch behinderten ihn in seiner Leistungsfähigkeit so sehr, daß er seine Prothese nicht tragen könne und am 9. September 1955 in der Chirurgischen und Orthopädischen Universitätsklinik in Kiel durch Dr. ... habe nachamputiert werden müssen. Aber auch dadurch hätten sich die Prothesenschwierigkeiten nicht gebessert. Sein Verdienst als Portier bei einer Wäscherei liege unter der Hälfte des Facharbeiterlohnes. Eine Pförtnertätigkeit sei ihm nicht zuzumuten.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte und auch rechtzeitig begründete Revision ist statthaft, weil sie das Landessozialgericht zugelassen hat (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Sie ist auch begründet.
Die Rechtmäßigkeit des Entziehungsbescheides vom 20. Juni 1952 ist nach dem vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherung der Arbeiter (ArVNG) vom 23. Februar 1957 (BGBl. I S. 45) geltenden Recht (§§ 1293, 1254 RVO a.F.) zu beurteilen. Aus Art. 2 § 24 ArVNG kann nicht geschlossen werden, daß hierbei das jetzt geltende Recht anzuwenden sei; denn diese Vorschrift will nur sicherstellen, daß die neuen Entziehungsbestimmungen auch auf Renten anzuwenden sind, die auf einem Versicherungsfall alten Rechts beruhen; sie besagt aber nicht, daß die Rechtswirksamkeit einer vor Inkrafttreten des ArVNG ausgesprochenen Rentenentziehung nach den grundsätzlich erst seit Inkrafttreten des neuen Rechts geltenden Vorschriften zu prüfen ist (ebenso Jantz-Zweng: Das neue Recht der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten Art. 2 § 24 ArVNG). Die Beklagte hat dem Kläger die Rente vor dem Inkrafttreten des neuen Rechts (1. Januar 1957) entzogen, weil er nicht mehr invalide sei. Die Rechtmäßigkeit dieser Entziehung ist auch nach dem Inkrafttreten des ArVNG nach dem Invaliditätsbegriff des § 1254 RVO a.F. zu beurteilen. Die Übergangsbestimmung des Art. 2 § 6 ArVNG steht dem nicht entgegen, weil es sich bei dem Rechtsstreit um ein schwebendes Verfahren im Sinne des Art. 2 § 44 Satz 1 SGG handelt; hiernach ist Art. 2 § 6 ArVNG nicht anwendbar (vgl. BSG. Urteil vom 24.10.1957 - und vom 17.12.1957 - SozR. RVO § 1246 Nr. 1 und RVO § 1293 a.F. Bl. Da 2 u. 5 Nr. 4 und 5). Da der Kläger nicht nur die Aufhebung des Entziehungsbescheides, sondern auch die Weiterzahlung der Rente beantragt, ist davon auszugehen, daß er für den Fall der Rechtmäßigkeit der Entziehung der Rente ihre Wiedergewährung von einem späteren Zeitpunkt an beansprucht. Im schwebenden Verfahren ist daher zu prüfen, ob nach Erlaß des Entziehungsbescheides bis zum Schluß der letzten mündlichen Verhandlung die Voraussetzungen des Rentenanspruchs wieder eingetreten sind. Dabei ist die Erwerbsfähigkeit vom 1. Januar 1957 an nach § 1246 Abs. 2 RVO n.F. zu beurteilen und von dem Berufsunfähigkeitsbegriff dieser Bestimmung auszugehen.
Ob dem Kläger ein Anspruch auf Invalidenrente für die Zeit vom 1. Juli bis zum 31. Dezember 1952 zusteht, braucht nicht nachgeprüft zu werden; denn der insoweit allein beschwerte Kläger hat gegen das Urteil des Landessozialgerichts keine Revision eingelegt.
Das Landessozialgericht ist von dem Grundsatz ausgegangen, ein Oberschenkelamputierter sei trotz ordnungsmäßiger prothetischer Versorgung und auch bei Erreichung des höchsten Anpassungsgrades noch nicht in der Lage, die gesetzliche Lohnhälfte zu verdienen; Invalidität könne nur dann verneint werden, wenn er durch längere, wirtschaftlich nutzbringende Arbeit bewiesen habe, daß er sich auf dem allgemeinen Arbeitsfeld behaupten könne. Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden. Es ist vielmehr in jeden einzelnen Fall besonders zu prüfen, ob zur Zeit der Entziehung der Invalidenrente die Voraussetzungen des § 1254 RVO bei dem Versicherten nicht mehr gegeben sind; denn es gibt keinen allgemeinen Erfahrungssatz des Inhalts, daß Oberschenkelamputierte nach ordnungsmäßiger prothetischer Versorgung, Gewöhnung und Anpassung bei Fehlen sonstiger Leiden, falls kein besonderer Ausnahmefall vorliegt, die gesetzliche Lohnhälfte nicht verdienen können (vgl. BSG. 2 S. 127). Wohl ist es zulässig, für bestimmte typische Sachverhalte auch für den Begriff der Invalidität Erfahrungssätze aufzustellen. Eine auf bestimmte Hundertsätze abgestellte Bewertung der Minderung der Erwerbsfähigkeit ist aber der Invalidenversicherung fremd und daher unzulässig. Die Verrichtung einer bestimmten Tätigkeit ist bei Amputierten nur ein Hinweis auf den Grad der Erwerbsfähigkeit, das Fehlen einer solchen Tätigkeit ist aber kein sicheres Merkmal für die Annahme der Invalidität. Erhält der Versehrte einen bestimmten Lohn, so kann daraus nicht allgemein geschlossen werden, daß er auf dem freien Arbeitsmarkt tatsächlich imstande ist, diesen Lohn zu verdienen, denn die Beschäftigung Versehrter kann auf fürsorgerischen Gründen beruhen.
Das Landessozialgericht hat zwar noch festgestellt, der Kläger habe statische Sitzbeschwerden, die Besonderheit der Lage des Klägers bestehe nicht allein in der Oberschenkelamputation, der prothetische Ausgleich werde bei dem Kläger durch einen Schenkelhalsbruch nicht unerheblich erschwert. Auch diese Feststellungen reichen nicht aus, um das Gericht der weiteren Prüfung der Merkmale der Invalidität zu entheben.
Da das Landessozialgericht bei der Beurteilung der Erwerbsfähigkeit des Klägers von einem von ihm angenommenen, in Wirklichkeit aber nicht bestehenden allgemeinen Erfahrungssatz ausgegangen ist, hat es bei seinen Feststellungen die Grenzen des Rechts der freien Beweiswürdigung überschritten und gleichzeitig die ihm obliegende Pflicht zur Amtsermittlung verletzt (vgl. BSG. in SozR. SGG § 162 Da 17 Nr. 68). Seine Entscheidung ist daher fehlerhaft; sie ist aufzuheben und der Rechtsstreit mangels hinreichender tatsächlicher Feststellungen zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen (§ 170 Satz 2 SGG).
Das Landessozialgericht wird nach neuer Prüfung des Zustandes des Stumpfes zu ermitteln haben, ob der Kläger eine Prothese beschwerdefrei tragen und ob er ihm zumutbare versicherungspflichtige Arbeiten verrichten kann. Es wird im Benehmen mit der Arbeitsbehörde zu ermitteln sein, welche Arbeitsplätze etwa für ihn in Frage kommen. Hierbei wird auch die frühere Tätigkeit des Klägers als Lagergehilfe (in welchem Wirtschaftszweig?) zu berücksichtigen sein. Der Kläger wird sich auch auf Tätigkeiten verweisen lassen müssen, die er nach kurzer Anlernzeit ohne eigentliche Umschulung verrichten kann. Es wird auch zu beachten sein, daß bei der Beurteilung der für Schwerbeschädigte noch in Betracht kommenden Tätigkeiten die durch das Schwerbeschädigtengesetz begründete bevorzugte Stellung des Schwerbeschädigten grundsätzlich nicht zu berücksichtigen ist (BSG. 1 S. 82 [89]). Es kommt daher bei der Prüfung der Erwerbsfähigkeit des Klägers darauf an, ob er auch ohne die Hilfe und den Schutz des Schwerbeschädigtengesetzes imstande wäre, eine ihm zuzumutende Tätigkeit zu verrichten und damit die sogenannte gesetzliche Lohnhälfte zu verdienen. Dies gilt sowohl bei Anwendung des § 1254 RVO bisheriger Fassung als auch der entsprechenden Vorschrift des § 1246 RVO n.F., die für die Beurteilung der Erwerbsfähigkeit vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des ArVNG an anzuwenden ist (vgl. Urteile des erkennenden Senats vom 17.12.1957 - 3 RJ 271/55 und 3 RJ 160/55).
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen