Leitsatz (amtlich)
Zu den versicherungspflichtigen Rentnern iS von § 385 Abs 3 S 2 RVO idF vom 27. Juli 1969 gehören nicht die Rentenantragsteller, über deren Rentenberechtigung noch nicht bindend entschieden ist.
Leitsatz (redaktionell)
Anwendung einer unrichtigen Ausgleichszahl nach § 365 Abs 3 S 2 RVO aF durch eine Krankenkasse:
Auf die von den Vorinstanzen erörterten Fragen, ob die am Stichtag mitgeteilten Zahlen zur Ermittlung der Ausgleichszahl unabänderlich sind, oder ob die einzelne Krankenkasse befugt ist, von anderen Zahlen auszugehen und die Ausgleichszahl hieraus selbst zu ermitteln, kommt es für die Entscheidung des Senats nicht mehr an.
Normenkette
RVO § 381 Abs. 3 Fassung: 1969-07-27, § 385 Abs. 2 Fassung: 1969-07-27, Abs. 3 S. 2 Fassung: 1969-07-27
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin fordert von der Beklagten 23.526,90 DM von ihr geleisteter Beiträge zur Krankenversicherung der Rentner (KVdR) mit der Begründung zurück, die Beklagte habe die ihr vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung (BMA) mitgeteilte Ausgleichszahl nach § 385 Abs 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der im Jahre 1971 geltenden Fassung -aF- von sich aus geändert und dadurch den zurückgeforderten Betrag zuviel erhalten.
Im April 1971 hatte die Beklagte (gem § 8 der KVdR- Beitragsvorschrift vom 30. Juli 1968 - BAnz Nr 146) dem BMA über den Landesverband und den Bundesverband die Zahl der Mitglieder ohne Rentner und die Zahl der versicherungspflichtigen Rentner zur Berechnung der Ausgleichszahl iS von § 385 Abs 3 Satz 2 RVO aF gemeldet. Dabei meldete sie 1.699 Rentenbewerber nicht als "versicherungspflichtige Rentner". Am 4. Juni 1971 meldete sie dem Bundesverband der Ortskrankenkassen (BdO) die insoweit berichtigten Mitgliederzahlen. Dieser leitete sie am 11. Juni 1971 an den BMA weiter. Mit Schreiben vom 21. Juni 1971 gab der BMA die Ausgleichszahlen für das 2. Halbjahr 1971 bekannt. Dabei legte er die ursprünglichen Angaben der Beklagten, deren Ausgleichszahl er mit 0,66 angab, zugrunde. Nachdem der BMA eine Berichtigung der Ausgleichszahl abgelehnt hatte, berechnete die Beklagte diese Zahl nach den korrigierten Mitgliederzahlen selbst und legte der Berechnung der Beiträge zur KVdR die Ausgleichszahl 0,64 zugrunde. Die Landesversicherungsanstalt (LVA) Hannover und die Klägerin zahlten die dieser Ausgleichszahl entsprechenden höheren Beiträge zur KVdR. Nachdem die Klägerin von der Beklagten vergeblich die Rückzahlung des Differenzbetrages von 23.526,90 DM gefordert hatte, klagte sie diesen Anspruch ein, weil die Beklagte nicht berechtigt gewesen sei, die vom BMA festgelegte Ausgleichszahl zu verändern; es müsse im Interesse der Rechtssicherheit bei den Ausgleichszahlen verbleiben, die sich aus den zu den festgelegten Stichtagen mitgeteilten Mitgliederzahlen ergäben. Dieser Auffassung schloß sich insbesondere die vom BMA vertretene Bundesrepublik Deutschland an.
Das Sozialgericht (SG) Berlin hat der Klage stattgegeben (Urteil vom 28. April 1978). Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Berlin mit Urteil vom 12. Dezember 1979 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat der materiellen Richtigkeit der nach § 385 Abs 3 RVO aF zu berechnenden Ausgleichszahl im Vergleich zu den aus den Stichtagsmeldungen folgenden Ergebnissen den Vorrang eingeräumt; § 393a Abs 2 RVO aF habe den BMA nicht dazu ermächtigt, über den Erlaß allgemeiner Verwaltungsvorschriften des in § 393a Abs 2 RVO aF bestimmten Inhalts hinaus den einzelnen Kassen verbindliche Ausgleichszahlen mitzuteilen.
Mit der zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung der §§ 8 und 9 Abs 2 der KVdR- Beitragsvorschrift und der §§ 381 Abs 2 sowie 385 Abs 2 und 3 RVO aF. Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des LSG Berlin vom 12. Dezember 1979 die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Berlin vom 28. April 1978 zurückzuweisen.
Die Beklagte und die Beigeladene haben keine Anträge gestellt.
Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Das Urteil des LSG ist aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das im Ergebnis zutreffende Urteil des SG zurückzuweisen.
Rechtsgrundlage des von der Klägerin erhobenen Rückzahlungsanspruchs ist der vom BSG in ständiger Rechtsprechung anerkannte öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch. Er dient dem Ausgleich einer rechtsgrundlosen Vermögensverschiebung zwischen zwei Trägern öffentlicher Verwaltung (BSGE 16, 151, 156; 35, 43, 44; 39, 137, 138). Rechtsgrundlos war hier die Vermögensverschiebung durch Zahlung des streitigen Betrages von 23.526,90 DM aufgrund der von der Beklagten von 9,66 in 0,64 geänderten Ausgleichszahl. Diese war deshalb unzutreffend, weil sie entgegen § 385 Abs 3 Satz 2 RVO aF nicht nur die versicherungspflichtigen Rentner, sondern darüber hinaus als solche auch die Rentenbewerber gewertet hat, wie die Klägerin zu Recht beanstandet.
Der 12. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat in dem von der Revision angeführten Urteil vom 1. Juli 1977 - 12/3 RK 89/75 - (Breithaupt 1978 S 202) ausgeführt, in den §§ 381 Abs 2 und 385 Abs 2 RVO aF werde den Trägern der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten eine Beitragslast zur KVdR aufgebürdet. Im Interesse einer möglichst gleichmäßigen Verteilung der Lasten zwischen den Trägern der Krankenversicherung und den Trägern der Rentenversicherung regelt § 385 Abs 3 RVO aF die Bemessung der Beiträge zur KVdR dahin, daß die von § 385 Abs 2 RVO aF vorgesehene Kürzung des durchschnittlichen Grundlohnes aus der Vervielfältigung des Satzes von 20 vom Hundert des für die Kasse geltenden durchschnittlichen Grundlohns mit einer Ausgleichszahl ermittelt wird. Ihre Ermittlung schreibt § 385 Abs 3 Satz 2 RVO aF wie folgt vor: "Das Verhältnis der Zahl der bei allen Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung versicherungspflichtigen Rentner (§ 165 Abs 1 Nr 3) zu der Zahl der bei der Kasse versicherungspflichtigen Rentner ist zu vervielfältigen mit dem Verhältnis der Zahl der bei der Kasse Versicherten ohne versicherungspflichtige Rentner zu der Zahl der Versicherten aller Träger der gesetzlichen Krankenversicherung ohne versicherungspflichtige Rentner". Versicherte nach § 165 Abs 1 Nr 3 RVO sind "Personen, welche die Voraussetzungen für den Bezug einer Rente aus der Rentenversicherung der Arbeiter oder der Rentenversicherung der Angestellten erfüllen und diese Rente beantragt haben". § 385 Abs 3 Satz 2 RVO aF bezieht sich ausdrücklich auf die versicherungspflichtigen Rentner und verweist nur zur Erläuterung im Klammerzusatz auf § 165 Abs 1 Nr 3 RVO.
Selbst wenn es nach dem Wortlaut zweifelhaft sein sollte, ob die Vorschrift auf die Zahl der versicherungspflichtigen Rentner, also auf diejenigen Personen abstellen will, deren Rentenberechtigung bereits festgestellt ist, oder ob damit auch diejenigen Personen gemeint sind, die die Voraussetzungen für den Bezug einer Rente aus der Rentenversicherung der Arbeiter oder der Angestellten erfüllen und diese Rente beantragt haben, wobei die erstere Voraussetzung im Zeitpunkt der Ermittlung der Ausgleichszahl noch nicht sicher feststeht, ist doch aus dem Zweck der Regelung zu schließen, daß entsprechend dem vom Gesetzgeber verwendeten Wortlaut nur die versicherungspflichtigen Rentner und nicht auch die Rentenbewerber erfaßt werden sollen, selbst wenn ihr Rentenantrag schließlich zur Rentengewährung führt.
Wie das BSG in dem bereits oben erwähnten Urteil ausgeführt hat, wird durch die §§ 165 Abs 1 Nr 3 und 315a RVO erreicht, daß mit der Rentenantragstellung der Rentenbewerber den Schutz der gesetzlichen Krankenversicherung erlangt. Bevor feststeht, welche der beiden Vorschriften anzuwenden ist, die Pflichtversicherung nach § 165 Abs 1 Nr 3 RVO oder die Formalversicherung nach § 315a RVO, sind die Rechtsfolgen zunächst gleich. Ein Rentenantragsteller, der nicht im Wege der Familienkrankenpflege vor und in der Zeit des Rentenantrags durch die Beiträge eines Familienangehörigen mit geschützt und deshalb in dieser Zeit auch beitragsfrei ist (vgl §§ 205, 381 Abs 3 Satz 2, 2. Halbs RVO) hat nämlich selbst die Beiträge zur Krankenversicherung zu zahlen (§ 381 Abs 3 Satz 2 RVO). Unterschiedliche Folgen treten erst mit der Bestandskraft des Bescheides des Trägers der Rentenversicherung ein. Bewilligt er die Rente, steht fest, daß auf den Rentenbewerber nunmehr die Voraussetzungen des § 165 Abs 1 Nr 3 RVO zutreffen. Für ihn hat der Rentenversicherungsträger ab Rentenbeginn nach § 381 Abs 2 RVO Beiträge an den Träger der Krankenversicherung zu zahlen, der seinerseits verpflichtet ist, die vom Antragsteller zur Krankenversicherung geleisteten Beiträge nach § 381 Abs 3 Satz 3 RVO an diesen zurückzuzahlen. Wird die begehrte Rente bindend abgelehnt, fehlt es also an der Versicherteneigenschaft nach § 165 Abs 1 Nr 3 RVO, so endet damit die seit dem Rentenantrag nach § 315a RVO bestehende Formalversicherung. Der Formal-Versicherte hat nach § 381 Abs 3 Satz 1 und 2 RVO die Beiträge allein zu tragen; einen Rückzahlungsanspruch nach § 381 Abs 3 Satz 3 RVO hat er nicht.
Daraus folgt, daß die Träger der Rentenversicherung nach dem vom Gesetz vorgesehenen System der Beitragsaufbringung nicht mit den Beiträgen für diejenigen Rentenbewerber belastet werden, deren Rentenantrag letztlich erfolglos bleibt. Wollte man daher, wie es die Beklagte getan hat, alle Rentenbewerber zum Kreis der versicherungspflichtigen Rentner iS von § 385 Abs 3 Satz 2 RVO aF rechnen, so würden in das Lastenverteilungssystem zum Nachteil der Träger der Rentenversicherung in der Ausgleichszahl auch die erfolglosen Rentenbewerber berücksichtigt, für deren Beiträge zur KVdR nicht die Rentenversicherungsträger, sondern die Rentenbewerber selbst aufzukommen haben. Dies schließt es nach der Überzeugung des Senats aus, dem Begriff der versicherungspflichtigen Rentner in § 385 Abs 3 Satz 2 RVO aF die von der Beklagten vertretene "korrigierte" Auslegung zu geben.
Einzuräumen ist allerdings, daß diejenigen Rentenbewerber, denen schließlich mit Rückwirkung auf den Beginn des Antragsmonats (§ 1290 Abs 2 RVO) die Rente zuerkannt wird, wodurch sie mit Rückwirkung zu versicherungspflichtigen Rentnern werden, bei der Ermittlung der Ausgleichszahlen nicht berücksichtigt werden, wenn allein die Rentner, dh die Personen gezählt werden, deren Versicherungspflicht kraft Rentenbezuges bereits feststeht. Dies ist aber hinzunehmen und auch in der Auswirkung auf die Verteilung der Beitragslast nicht materiell unrichtig. Die Beitragsbemessung in der KVdR hat pauschalen Charakter. Nach § 8 Abs 2 der KVdR- Beitragsvorschrift sind der Berechnung der Ausgleichszahl für das erste Kalenderhalbjahr die Zahlen nach dem Stand vom 1. Oktober des Vorjahres und für das zweite Kalenderhalbjahr die Zahlen nach dem Stand vom 1. April desselben Jahres zugrunde zu legen. Die Ausgleichszahl und die sich daraus in Verbindung mit dem durchschnittlichen Grundlohn und dem Kürzungsbetrag ergebenden Beiträge beruhen somit jeweils auf Verhältnissen, die der Vergangenheit angehören und jedenfalls nicht den Verhältnissen im Zeitpunkt der Beitragszahlung entsprechen. Die Differenzen innerhalb eines halben Jahres sind jedoch in diesem Rahmen hingenommen worden; nur für die in § 8 Abs 3 der KVdR- Beitragsvorschrift vorgesehenen besonderen Fälle ist die Berücksichtigung anderer Verhältnisse vorgesehen. Entspricht demnach die Ausgleichszahl und damit auch der von den Rentenversicherungsträgern zu entrichtende Beitrag zur KVdR nicht mit letzter Genauigkeit den im Zeitpunkt der Beitragsentrichtung gegebenen Verhältnissen, liegt es nahe, den Kreis der Personen, von denen noch nicht feststeht, ob sie versicherungspflichtige Rentner sind, ohne Rücksicht darauf außer Betracht zu lassen, ob ihnen rückwirkend die Rente zugesprochen wird oder nicht. Dies gilt um so mehr, als die Träger der Krankenversicherung von diesen Rentenversicherten selbst bereits ihre Beiträge unmittelbar erhalten haben und durch § 381 Abs 3 Satz 3 RVO Sorge dafür getragen worden ist, daß die Rentenversicherungsträger den Rentenbewerbern ihre Beiträge zur KVdR für die Zeit vom Beginn der Rente bis zur Zustellung der die Rente gewährenden Bescheide zurückzahlen. Damit tragen sie letztlich auch in Bezug auf diesen Personenkreis die ihnen obliegenden Beiträge zur KVdR in den erst zu einem späteren Zeitpunkt mit Rückwirkung erkennbar werdenden Fällen der Versicherungspflicht der Rentner. Hat demnach die Beklagte zu Unrecht unter Berücksichtigung von 1.699 Rentenbewerbern von der Klägerin 23.526,90 DM gefordert und erhalten, so ist bei ihr insoweit eine rechtsgrundlose Bereicherung entstanden, die sie auszugleichen hat. Auf die von den Vorinstanzen erörterten Fragen, ob die am Stichtag mitgeteilten Zahlen zur Ermittlung der Ausgleichszahl unabänderlich sind oder ob die einzelne Krankenkasse befugt ist, danach unter Berücksichtigung ihr unterlaufener Irrtümer von anderen Zahlen auszugehen und die Ausgleichszahl hieraus selbst zu ermitteln, kommt es somit für die Entscheidung des Senats nicht mehr an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 4 SGG.
Fundstellen