Entscheidungsstichwort (Thema)
Erkrankung "bei" einer versicherten Tätigkeit. Zwang zur Aufgabe der beruflichen Beschäftigung bei Erkrankung nach Nr 41 der Anl 1 zur BKVO 7
Leitsatz (amtlich)
Ein Bronchialasthma ist nur dann als Berufskrankheit nach der BKVO 7 Anl 1 Nr 41 zu entschädigen, wenn es zur Aufgabe der beruflichen Beschäftigung oder jeder Erwerbsarbeit gezwungen hat. Der Zwang zur Aufgabe aus anderen Gründen (Herzinfarkt oder Vollendung des 65. Lebensjahres) reicht für die Anerkennung als Berufskrankheit nicht aus (Fortführung von BSG 1978-01-26 2 RU 27/77 = SozR 2200 § 551 Nr 10).
Orientierungssatz
1. Die Wortwahl "bei" in § 548 Abs 1 S 1 RVO ist unscharf, sachlich zutreffender müßte es "infolge einer versicherten Beschäftigung oder Tätigkeit" heißen (vgl BSG 1979-06-28 8a RU 34/78 = BSGE 48). Entsprechendes hat für § 551 Abs 1 S 2 RVO und § 1 der BKVO 7 zu gelten.
2. Voraussetzung für die Entschädigung einer Erkrankung nach Nr 41 der Anl 1 zur BKVO 7 ist, daß der Versicherte wegen seiner Erkrankung aus dem Zwang zur Aufgabe der beruflichen Beschäftigung seine Folgerungen gezogen und die berufliche Beschäftigung auch tatsächlich aufgegeben hat (Festhaltung BSG 1981-03-20 8/8a RU 104/79 = SozR 5670 Anl 1 Nr 5101 Nr 4).
Normenkette
RVO § 548 Abs 1 S 1 Fassung: 1963-04-30, § 551 Abs 1 S 2 Fassung: 1963-04-30; BKVO 7 § 1 Fassung: 1968-06-20; BKVO 7 Anl 1 Nr 41 Fassung: 1968-06-20
Verfahrensgang
LSG Hamburg (Entscheidung vom 30.10.1979; Aktenzeichen I UBf 17/76) |
SG Hamburg (Entscheidung vom 23.03.1976; Aktenzeichen 23 U 490/73) |
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger eine Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen einer Berufskrankheit nach § 41 der Anlage 1 zur 7. Berufskrankheitenverordnung (7. BKVO) gegenüber der beklagten Berufsgenossenschaft (BG) zusteht.
Der im März 1906 geborene Kläger war seit 1931 als Chemiefacharbeiter, zuletzt als Meister und Kesselwärter einer kleinen Abteilung eines Chemiewerkes beschäftigt. Erstmals 1962 und später führte er wegen einer leichten Emphysembronchitis mehrere von der Beklagten bewilligte Heilverfahren durch. Im April 1970 beantragte der Kläger, ihn wegen einer chronischen Bronchitis als Berufskrankheit zu entschädigen. Im August 1970 erlitt der Kläger einen Herzinfarkt. Er bezieht seit April 1971 nach Vollendung des 65. Lebensjahres Altersruhegeld. Ein berufsbedingtes Bronchialasthma bewerteten Ärzte mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 25 vH seit 1964.
Die Beklagte lehnte den Entschädigungsantrag ab, weil eine Berufskrankheit (Nr 41 der Anlage 1 zur 6. und 7. BKVO), die zur Aufgabe der beruflichen Beschäftigung oder jeder Erwerbsarbeit gezwungen habe, fehle (Bescheid vom 27. September 1971).
Das Sozialgericht (SG) Hamburg hat die Klage aufgrund eines medizinischen Sachverständigengutachtens nach Aktenlage vom Januar 1975 abgewiesen (Urteil vom 23. März 1976), weil ungeachtet der medizinischen Beurteilung des Bronchialasthmas als Berufskrankheit nicht diese, sondern die Kündigung des Arbeitgebers wegen des Alters des Klägers zur Berufsaufgabe gezwungen habe. Das Landessozialgericht (LSG) Hamburg hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 30. Oktober 1979). Es hat aufgrund der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) eine Berufskrankheit des Klägers nach Nr 41 der Anlage 1 zur 7. BKVO wegen des fehlenden zusätzlichen Tatbestandsmerkmals, "das zur Aufgabe der beruflichen Beschäftigung oder jeder Erwerbsarbeit gezwungen hat", verneint. Die wegen des Herzinfarkts tatsächlich vollzogene Berufsaufgabe stehe nach ärztlicher Auffassung wahrscheinlich in keinem ursächlichen Zusammenhang mit der berufsbedingten Erkrankung. Zwar könne das schädigende Trichloraethylen als Kohlenwasserstoff der Nr 9 der Anlage 1 zur 7. BKVO zugeordnet werden. In erster Linie sei es aber als chemisch-irritativer Stoff in die Nr 41 der Anlage 1 einzuordnen. Die übrigen Schadstoffe, denen der Kläger bei seiner beruflichen Tätigkeit ausgesetzt gewesen sei, gehörten nicht zu den in den Nrn 1 bis 21 und 29 bis 36 der Anlage 1 aufgeführten chemischen Stoffgruppen.
Mit der zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 551 Abs 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) iVm Nr 41 der 7. BKVO.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Hamburg vom
30. Oktober 1979 und des Sozialgerichts Hamburg
vom 23. März 1976 und den Bescheid der Beklagten
vom 27. September 1971 aufzuheben und die Beklagte
unter Anerkennung eines Bronchialasthmas als
Berufskrankheit zur Zahlung einer Verletztenrente
nach einer MdE von 25 vH ab 4. August 1970 zu verurteilen.
Die Beklagte beantragt
die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Sie ist zurückzuweisen.
Streitig ist im Revisionsverfahren nur noch, ob der Kläger wegen einer Berufskrankheit nach § 551 Abs 1 RVO iVm Nr 41 der Anlage 1 zur 7. BKVO zu entschädigen ist. Eine Entschädigung aus § 551 Abs 1 iVm Nr 9 der Anlage 1 zur 7. BKVO oder nach § 551 Abs 2 RVO, die das LSG ebenfalls abgelehnt hat, wird nicht mehr weiterverfolgt, so daß darüber nicht zu befinden ist.
Nach § 551 Abs 1 RVO gilt als Arbeitsunfall eine Berufskrankheit. Berufskrankheiten sind die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 genannten Tätigkeiten erleidet (Satz 2 aaO). Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (Satz 3, 1. Halbsatz aaO). Zweck dieser Ermächtigung ist es, diejenigen Krankheiten zu erfassen, die wesentlich durch die versicherte Tätigkeit mitverursacht sind (BSG SozR 2200 § 551 Nr 10).
Der Verordnungsgeber hat diese Ermächtigungsgrundlage beachtet. Zwar sprechen § 551 Abs 1 Satz 2 RVO und § 1 der 7. BKVO - ebenso wie § 548 Abs 1 Satz 1 RVO für Unfälle - ihrem Wortlaut nach davon, daß der Versicherte die Krankheit "bei" einer "Tätigkeit" (gemeint: Beschäftigung oder Tätigkeit; vgl § 7 Abs 1 SGB 4) erleidet. Der Wortlaut des § 551 Abs 1 Satz 3, 2. Halbsatz RVO ("..., wenn sie durch die Arbeit in bestimmten Unternehmen verursacht worden sind") nennt demgegenüber ausdrücklich die Verursachung.
Aus dieser unterschiedlichen Wortwahl ist nicht zu schließen, daß das - übereinstimmend in den Nrn 41, 43 und 46 der Anlage 1 zur 7. BKVO vorkommende - Tatbestandsmerkmal des Zwangs zur Aufgabe der beruflichen Beschäftigung ("..., die zur Aufgabe der beruflichen Beschäftigung oder jeder Erwerbsarbeit gezwungen haben") als zusätzliche Voraussetzung nicht ebenfalls auf die Krankheit zurückgehen muß. Ein solcher Schluß widerspräche nicht nur der amtlichen Begründung zur 6. und zur 7. BKVO - insoweit übernommen - (BT-Drucks 115/61, S 7/8 zu den Nrn 41, 43: "infolge der Erkrankung gezwungen haben"), sondern der im Unfallversicherungsrecht geltenden haftungsbegründenden Kausalität überhaupt (vgl BSGE 30, 121, 123 = SozR Nr 83 zu § 128 SGG; BSGE 30, 278, 280 f = SozR Nr 84 zu § 128 SGG; SozR 2200 § 551 Nr 1, S 4).
Zudem hat der erkennende Senat zu der unscharfen Wortwahl "bei" in § 548 Abs 1 Satz 1 RVO klargestellt, daß es sachlich zutreffender "infolge einer versicherten Beschäftigung oder Tätigkeit" heißen müßte (BSGE 48, 224, 225 f = SozR 2200 § 548 Nr 45). Entsprechendes hat für § 551 Abs 1 Satz 2 RVO und § 1 der 7. BKVO zu gelten.
In ständiger Rechtsprechung hat das BSG daher gerade unter Berücksichtigung der Kausalität entschieden, daß durch das Tatbestandsmerkmal des Zwangs zur "Aufgabe der beruflichen Beschäftigung oder jeder Erwerbsarbeit" nicht nur eine zusätzliche Voraussetzung für die Berufskrankheit und deren Schweregrad beschrieben ist, sondern auch, daß diese Voraussetzung auf der Erkrankung beruht. Es ist erforderlich, daß der Versicherte wegen seiner Erkrankung aus dem Zwang zur Aufgabe der beruflichen Beschäftigung seine Folgerungen gezogen und die berufliche Beschäftigung auch tatsächlich aufgegeben hat (BSGE 41, 211 = SozR 5677 Anlage 1 Nr 41 Nr 1 mwN; SozR 2200 § 551 Nr 10). Auch der erkennende Senat hat ständig so entschieden (vgl Urteile vom 1980-06-26 - 8a RU 54/79 -, vom 1980-08-29 - 8a RU 72/79 - SozR 2200 § 589 Nr 4, vom 1980-11-27 - 8a RU 84/79 - SozR 2200 § 548 Nr 53 und vom 1981-03-20 - 8/8a RU 104/79 -). Nach neuer Prüfung bleibt der erkennende Senat bei dieser Rechtsprechung.
Soweit sich die Revision auf die Urteile des 2. Senats des BSG vom 29. April 1980 - 2 RU 15/80 - (SozSich 1980, 370) und vom 11. Februar 1981 - 2 RU 25/79 - beruft, kann sie auch damit nicht erfolgreich sein. Im ersten Urteil war der Entzug einer Dauerrente nach einer beruflichen Rehabilitation streitig; im späteren Urteil war die MdE nach Aufgabe des Arbeitsplatzes wegen (infolge) einer berufsbedingten Erkrankung zu bewerten. Aus den anders gelagerten Sachverhalten der Urteile des 2. Senats ist für die Revision nichts herzuleiten. Jedenfalls ist diesen Urteilen nicht zu entnehmen, daß der 2. Senat die ständige Rechtsprechung der UV-Senate aufgeben oder ändern wollte. Zwar hat das LSG offengelassen, ob der Kläger seine berufliche Tätigkeit infolge des Herzinfarktes oder wegen Erreichens der Altersgrenze aufgegeben hat. Indes ist seinen Feststellungen hinreichend klar zu entnehmen, daß das Bronchialasthma für die Aufgabe der beruflichen Tätigkeit des Klägers nicht ursächlich gewesen ist. Nicht zuletzt hat das LSG festgestellt, der Herzinfarkt sei als mittelbare Folge der berufsbedingten Erkrankung nicht wahrscheinlich. Ebenso wie im Urteil des 5. Senats (BSGE 40, 146, 148 f = SozR 5677 § 3 Nr 1) kann dahinstehen, ob es sich bei dem Problem der hypothetischen Kausalität, wegen dessen Klärung das LSG die Revision zugelassen hat, um eine echte Ursachenfrage oder nur um die Schadensbemessung handelt. Denn auch hier ist, wie das LSG zutreffend erkannt hat, jedenfalls das Bronchialasthma für die Aufgabe der Beschäftigung nicht ursächlich gewesen.
Auch der Umstand, daß dem Kläger die Notwendigkeit zur Aufgabe seiner Beschäftigung im Zeitpunkt der Antragstellung nicht bekanntgewesen sein mag, ändert nichts daran, daß er seine Beschäftigung tatsächlich nicht aufgegeben hat. Entscheidend ist nämlich nicht der Beginn der Krankheit oder der Antrag auf Entschädigung der Berufskrankheit, sondern neben dem Zwang zur Aufgabe dessen Vollzug, der eine Verschlimmerung mit höherer Entschädigungspflicht verhindern soll (BSGE 10, 286, 290). Medizinisch notwendig gewesen wäre die Aufgabe jedenfalls frühestens im Februar 1971, auch wenn der Kläger bereits seit 1962 an der beruflich bedingten Erkrankung gelitten haben sollte. Tatsächlich aufgegeben hat der Kläger aber seine Beschäftigung erst mit vollendetem 65. Lebensjahr, nachdem die Herzerkrankung unabhängig von der beruflichen Krankheit nur die vorläufige Prognose einer Arbeitsunfähigkeit von sechs Monaten erlaubte und sogar der Beklagte erst im April 1971 die Notwendigkeit der Aufgabe erkennen konnte.
Diese der Beklagten nicht zuzurechnenden Umstände mögen den Kläger bestimmt haben, seine Beschäftigung nicht aufzugeben. Sie begründen aber keine Entschädigungspflicht der Beklagten, weil die Aufgabe der Beschäftigung objektiv nicht verwirklicht worden, also der Versicherungsfall nicht eingetreten ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen
BSGE, 35 |
Breith. 1982, 25 |