Entscheidungsstichwort (Thema)

Privatversicherungsrente wegen Erwerbsminderung. Berufsschadensausgleich. Anrechnung einer Lebensversicherungsrente als Einnahmen aus Vermögen. Nachschaden

 

Leitsatz (redaktionell)

Zum Lebensunterhalt iS des § 9 Abs 2 Nr 3 DVO zu § 30 Abs 3 bis 6 BVG zählt in der Regel das gesamte Einkommen, jedenfalls dann, wenn es nicht höher ist als das pflichtversicherter Arbeitnehmer (vgl BSG vom 10.12.1970 5 RJ 357/69 = BSGE 32, 141, 142).

 

Orientierungssatz

1. Eine aus privatrechtlicher Versicherung gezahlte Rente wegen Erwerbsminderung an einen früher selbständig Tätigen gehört zu den Einnahmen aus früherer selbständiger Tätigkeit und ist deshalb grundsätzlich geeignet, den Anspruch auf Berufsschadensausgleich zu mindern.

2. Die Lebensversicherungsrente ist nach § 9 Abs 5 BVG§30Abs3u4u5DV (Fassung: 1977-01-18) jedoch nicht anzurechnen, wenn die Erwerbsminderung, die zur Zahlung dieser Rente und zur Zahlung der gesetzlichen Rente wegen Erwerbsunfähigkeit geführt hat, als sogenannter Nachschaden nach schädigungsbedingter Berufsunfähigkeit zu beurteilen ist.

 

Normenkette

BVG § 30 Abs. 4 S. 1 Fassung: 1976-06-14, Abs. 5 Fassung: 1975-12-18; BVG§30Abs3u4u5DV § 9 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1977-01-18, Abs. 2 Nr. 3 Fassung: 1977-01-18, Abs. 5 Fassung: 1977-01-18

 

Verfahrensgang

LSG Hamburg (Entscheidung vom 15.12.1982; Aktenzeichen IV KOBf 27/81)

SG Hamburg (Entscheidung vom 11.03.1981; Aktenzeichen 31 KO 77/80)

 

Tatbestand

Unter den Beteiligten ist streitig, ob eine aus privatrechtlicher Versicherung gezahlte Rente wegen Erwerbsminderung (Berufsunfähigkeitsrente) bei der Bewilligung eines Berufsschadensausgleiches zu berücksichtigen ist.

Der am 20. Mai 1928 geborene Kläger bezieht vor allem wegen einer Atemwegserkrankung Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Die schädigungsbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) wurde wegen Verschlimmerung 1978 auf 60 vH, 1981 für die Zeit von Oktober 1978 bis Juli 1979 auf 70 vH, 1980 auf 90 vH und sodann rückwirkend ab November 1979 nach § 30 Abs 2 BVG auf 100 vH festgesetzt (Bescheide vom 13. Juli 1978, 8. Januar 1980, 4. Februar 1980, Prozeßvergleich vom 11. März 1981). Der Kläger war bis Juli 1971 als Meister des Platzbetriebes einer Werft beschäftigt und betrieb anschließend ein Taxiunternehmen bis Oktober 1979. Seitdem ist er nicht mehr erwerbstätig.

Das beklagte Land gewährte ihm auf seinen Antrag vom August 1978 durch Bescheid vom 4. Februar 1980 einen Berufsschadensausgleich entsprechend einem Vergleichseinkommen der Besoldungsgruppe A 5 (im Vergleich vom 11. März 1981: Leistungsgruppe III für techn. Angestellte im Wirtschaftsbereich Schiffsbau) und berücksichtigte als Bruttoeinkommen eine Rente aus der Rentenversicherung der Angestellten; der Kläger bezog diese Rente wegen Berufsunfähigkeit ab August 1978 und erhält Rente wegen Erwerbsunfähigkeit seit November 1979. Mit Schreiben vom 5. März 1980 bewilligte ihm die Iduna-Lebensversicherung eine Zusatzrente wegen "Berufsunfähigkeit" ab September 1979; dies zeigte der Kläger sogleich dem Versorgungsamt an. Die Verwaltung stellte mit Bescheid vom 25. März 1980 den Berufsschadensausgleich ab September 1979 neu fest und rechnete dabei als zusätzliches Bruttoeinkommen aus früherer Tätigkeit die Zusatzrente aus der privaten Versicherung an.

Die gegen den Neufeststellungsbescheid vom 25. März 1980 gerichtete Klage wurde damit begründet, die Zusatzrente dürfe nicht angerechnet werden, weil sie nicht zu den Einnahmen aus Vermögen gemäß § 9 Abs 2 Nr 3 DV zu § 30 Abs 3 bis 5 BVG gehöre, denn der Versicherungsvertrag aus dem Jahre 1971 sei nicht geschlossen worden, um später den Lebensunterhalt zu sichern. Dieser sei vielmehr schon allein durch die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung gesichert gewesen.

Das Sozialgericht (SG) hat sich im Urteil vom 11. März 1981 dieser Rechtsansicht angeschlossen.

Mit der zugelassenen Berufung hatte das beklagte Land Erfolg. Im Urteil vom 15. Dezember 1982 hat das Landessozialgericht (LSG) im wesentlichen ausgeführt: Die Gewährung der Zusatzrente sei eine Änderung der Verhältnisse, die zur zulässigen Neufeststellung gemäß § 62 Abs 1 BVG führe. Die Zusatzrente sei auch in vollem Umfange anzurechnen, denn sie sei aus Vermögen erwachsen, das aus früherem Einkommen als Taxiunternehmer gebildet worden sei. Die Zusatzrente sei als Surrogat des bisherigen Unternehmergewinns anzusehen und deshalb ebenso wie das Bruttoeinkommen aus Unternehmertätigkeit zu behandeln. Die private Zusatzversicherung stelle sich als typische Vorsorgemaßnahme zur Sicherstellung des Lebensunterhaltes nach Ausscheiden aus dem Berufsleben dar. Soweit das SG darauf abgehoben habe, mit der in § 9 Abs 2 Nr 3 DV zu § 30 Abs 4 bis 5 BVG bezeichneten Vermögensbildung solle nur eine Vorsorgemaßnahme erfaßt werden, die den "ausreichenden" Lebensunterhalt sicherstelle, finde diese Auffassung im Gesetz keine Stütze. Der Lebensunterhalt umfasse alle Bedürfnisse des Beschädigten, die sich aus den persönlichen und familiären Verhältnissen ergeben; er sei nicht der Höhe nach auf den Durchschnitt aller Erwerbsunfähigkeitsrenten begrenzt.

Mit der durch das LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung des (§ 9 Abs 2 Nr 3 DV zu § 30 Abs 3 bis 5 BVG idF vom 18. Januar 1977 -BGBl I 162). Die Zusatzrentenversicherung sei für ihn keine typische Vorsorgemaßnahme gewesen. Er habe eine Kapitalversicherung mit einer bis zum 1. Juli 1993 vereinbarten Beitragszahlung auf eine Versicherungsleistung von DM 41.580,-- zuzüglich einer Unfallzusatzversicherung in gleicher Höhe sowie einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung abgeschlossen. Vertraglich sei außerdem vereinbart worden, daß die Folgen der Kriegsbeschädigung beim Eintritt des Leistungsfalles der Berufsunfähigkeit unberücksichtigt bleiben. Die vereinbarte Kapitalsumme, die dem Kläger im Erlebensfall im Alter von 75 Jahren zugestanden haben würde, lasse darauf schließen, daß in erster Linie an eine wirtschaftliche Absicherung der Ehefrau gedacht gewesen sei. Die Zusatzversicherung sei keine typische Vorsorgemaßnahme gewesen, denn sie sei mit der Kapital- und Unfallversicherung wegen der günstigen Beitragsbedingungen nur verbunden worden, wobei auch zu berücksichtigen sei, daß bei Eintritt des Versicherungsfalles der Berufsunfähigkeit Beitragsfreiheit in der Hauptversicherung für die Dauer der Rentenzahlung eingetreten sei. Die private Zusatzrente belaufe sich auf 1 % der Kapitalversicherungssumme als Monatsrente und könne schon deshalb nicht als Surrogat der aus selbständiger Tätigkeit erzielten Einkünfte angesehen werden. Eine vergleichende Wertung mit einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung müsse ausscheiden. Zwar sei die Beitragszahlung in bezug auf die Zusatzrente wie auch für die Kapitalversicherung, objektiv aus den Einnahmen einer früheren selbständigen Tätigkeit erfolgt, subjektiv sei die Beitragszahlung jedoch nicht für die spätere Sicherung des Lebensunterhaltes bestimmt gewesen, denn es sei völlig ungewiß gewesen, ob die Zusatzrente vorzeitig an die Stelle des Kapitalertrages treten würde. Das Zusammentreffen mit der gesetzlichen Rente wegen Verschlimmerung der Schädigungsfolgen mit der Zusatzrente aus schädigungsunabhängigen Gründen sei rein zufällig.

Der Kläger beantragt, unter Aufhebung des Urteils des Landessozialgerichts Hamburg vom 15. Dezember 1982 die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 11. März 1981 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist im Sinne der Zurückverweisung begründet. Das LSG hat zwar zutreffend entschieden, daß die private Erwerbsminderungsrente zu den Einnahmen aus früherer selbständiger Tätigkeit gehört und deshalb grundsätzlich geeignet ist, den Anspruch auf Berufsschadensausgleich zu mindern. Es kann aber nach den bisherigen Feststellungen nicht ausgeschlossen werden, daß die Erwerbsminderung, die zur Zahlung dieser Rente und zur Zahlung der gesetzlichen Rente wegen Erwerbsunfähigkeit geführt hat, als sog Nachschaden nach schädigungsbedingter Berufsunfähigkeit zu beurteilen ist und daß diese Renten deshalb nach § 9 Abs 5 DV zu § 30 Abs 3 bis 5 BVG nicht anzurechnen sind.

Nach § 30 Abs 4 Satz 1 BVG ist der durch den Berufsschadensausgleich zum Teil auszugleichende Einkommensverlust der Unterschiedsbetrag zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit zuzüglich der Ausgleichsrente und dem höheren Vergleichseinkommen. Was zum derzeitigen Bruttoeinkommen im einzelnen zählt, sagt § 9 DV zu § 30 Abs 4 bis 5 BVG. Nach § 9 Abs 1 Nr 2 dieser Vorschrift gelten als derzeitiges Bruttoeinkommen auch die Einnahmen aus einer früheren selbständigen Tätigkeit. Zu diesen Einnahmen gehören nach § 9 Abs 2 Nr 3 dieser Vorschrift "Einnahmen aus Vermögen, das der Beschädigte mit Einkünften aus einer früheren Erwerbstätigkeit geschaffen hat, um sich nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsleben den Lebensunterhalt zu sichern".

Es besteht kein Streit darüber, daß der Anspruch auf eine Leistung aus einer privaten Versicherung ein Vermögensgegenstand iS des § 9 Abs 2 Nr 3 ist und daß die wiederkehrenden Zahlungen aus dieser Versicherung Einnahmen aus diesem Vermögen sind. Kein Streit besteht auch darüber, daß der Kläger sich dieses Vermögen, das ihm nun Einnahmen bringt, aus seiner früheren Erwerbstätigkeit als Taxiunternehmer geschaffen hat. Gefragt werden kann nur, ob er sich diese Einnahmen zu dem in der DVO genannten Zweck geschaffen hat, nämlich "sich nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben den Lebensunterhalt zu sichern". Diese Frage ist aber zu bejahen. Zum Lebensunterhalt zählt, wenn er nicht näher umschrieben ist, in der Regel das gesamte Einkommen, jedenfalls dann, wenn es nicht höher ist als das pflichtversicherter Arbeitnehmer (vgl BSGE 32, 141, 142). Die Meinung des Klägers und des SG, es würden nur diejenigen Einnahmen erfaßt, die erforderlich sind, um den "ausreichenden" Lebensunterhalt zu sichern, trifft nicht zu. Abgesehen davon, daß bei einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung von monatlich 1.222,80 DM die streitigen Einnahmen von monatlich 784,91 DM durchaus erforderlich erscheinen, um den ausreichenden Lebensunterhalt zu sichern, spricht nichts dafür, daß die VO den Lebensunterhalt in einem einschränkenden Sinn verstanden wissen will. Es könnte im Gegenteil eher begründet werden, daß dem Beschädigten diejenigen Einnahmen unangerechnet verbleiben sollten, die für den ausreichenden Lebensunterhalt notwendig sind, und daß nur das angerechnet werden soll, was den ausreichenden Lebensunterhalt übersteigt. Denn es ist nicht ersichtlich, warum demjenigen, der geringe Einnahmen hat, mehr angerechnet werden sollte als demjenigen, der größere Einnahmen hat.

Die Anrechnung der Erwerbsminderungsrente scheitert auch nicht daran, daß der Kläger die Anrechnungsvoraussetzungen gerade durch seine Beitragsleistung und sparsame Lebensführung in der Zeit der Erwerbstätigkeit herbeigeführt hat. Denn es ist der Sinn des Berufsschadensausgleichs, dem Beschädigten nur das zu ersetzen, was er bei verantwortungsvollem Einsatz der ihm trotz seiner Kriegsbeschädigung verbleibenden Verdienstmöglichkeiten nicht selbst verdienen konnte.

Trotzdem muß die Sache an das LSG zurückverwiesen werden. Es ist nämlich nicht ausgeschlossen, daß die streitige private Erwerbsminderungsrente und möglicherweise auch die Erwerbsunfähigkeitsrente aufgrund eines Nachschadens gezahlt werden, für den Sonderregelungen gelten. Für den Eintritt eines Nachschadens könnte der Nachtrag zu den Versicherungsbedingungen sprechen, der lautet:

"Es ist vereinbart, daß die 30prozentige Kriegsbeschädigung

(Lungendurchschuß mit Rippenresektion, Verlust der

Milz nach Schußverletzung) eine Leistung aus der

Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung nicht bedingt und bei

der Festsetzung des Grades der Berufsunfähigkeit aus anderen

gesundheitlichen Gründen unberücksichtigt bleiben."

Die bei einem Nachschaden zu beachtende Sonderregelung ist § 9 Abs 5 DV zu § 30 Abs 3 bis 5 BVG. Nach dieser Vorschrift ist weiterhin der Betrag als Einkommen anzusetzen, der als Berufsunfähigkeitsrente zu zahlen wäre, wenn "wegen eines Nachschadens statt einer schädigungsbedingt gezahlten Berufsunfähigkeitsrente eine Erwerbsunfähigkeitsrente gezahlt" wird. Diese Vorschrift vervollkommnet die allgemeine Nachschadensregelung des § 30 Abs 5 BVG (Abs 6 seit dem 11. AnpG-KOV vom 20. 11. 1981 -BGBl I 1199). Hier wird festgelegt, daß eine schädigungsunabhängige Gesundheitsstörung, die das Einkommen tatsächlich auf Dauer mindert, nicht zur Erhöhung des Berufsschadensausgleichs führt; es wird vielmehr zu Lasten des Beschädigten fingiert, daß er weiterhin das bisherige Einkommen erzielt. Wird aber eine schädigungsunabhängige Gesundheitsstörung zu Lasten des Beschädigten nicht als einkommensmindernd berücksichtigt, so darf ihm - das ist der Sinn dieser Vorschrift - auch nicht zu seinen Lasten das angerechnet werden, was er etwa aufgrund der Gesundheitsstörung erhält. Da noch offen ist, ob die Voraussetzungen des § 9 Abs 5 DV zu § 30 Abs 3 bis 5 BVG vorliegen, braucht noch nicht dazu Stellung genommen zu werden, welche Leistungen im einzelnen unangerechnet bleiben dürfen und ob § 10 Abs 2 dieser VO eine obere Grenze darstellt (vgl dazu Liesenfeld, Der Versorgungsbeamte, 1978, § 52 ff).

Das LSG hat auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1656077

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