Orientierungssatz
1. Die Revision muß sorgfältig und nach Umfang und Zweck zweifelsfrei begründet sein. Die Bezeichnung allein der verletzten Rechtsnorm genügt diesem Erfordernis nicht. Es ist darzulegen, daß und weshalb die Rechtsansicht des LSG nicht geteilt wird; dies kann nur mit rechtlichen Erwägungen geschehen.
2. Eine Revision kann nicht durch Bezugnahme auf vor der Zustellung des angefochtenen Urteils abgefaßte und eingereichte Schriftsätze formgerecht begründet werden (vgl BSG vom 23.7.1986 - 1 RA 1/86 = SozR 1500 § 164 Nr 28 mwN).
Normenkette
SGG § 164 Abs 2 S 3
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 19.08.1987; Aktenzeichen L 4 An 39/86) |
SG Lübeck (Entscheidung vom 20.06.1986; Aktenzeichen S 7 An 98/85) |
Tatbestand
Streitig ist die Berücksichtigung einer Ausfallzeit beim Altersruhegeld.
Der 1924 geborene Kläger schloß am 29. Dezember 1983 mit seinem Arbeitgeber einen Vertrag, demzufolge das Beschäftigungsverhältnis wegen Rationalisierungsmaßnahmen zum 30. Juni 1984 gegen Zahlung einer Abfindung endete und sich der Kläger verpflichtete, sich zum 1. Juli 1984 arbeitslos zu melden sowie sich bis zum Rentenbeginn der Arbeitsvermittlung zur Verfügung zu stellen, ohne jedoch Arbeitslosengeld (Alg) zu beantragen, weil er bis zum Bezug des Altersruhegeldes Ausgleichszahlungen erhalte.
Mit Bescheid vom 18. Oktober 1984 gewährte die Beklagte dem Kläger Altersruhegeld. Der Widerspruch des Klägers blieb, soweit er die Berücksichtigung der Zeit vom 1. Juli bis zum 31. Dezember 1984 als Ausfallzeit im Sinne des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) betraf, erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 17. Mai 1985).
Das Sozialgericht (SG) Lübeck hat durch Urteil vom 20. Juni 1986 den Bescheid vom 18. Oktober 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Mai 1985 geändert und die Beklagte zur Anrechnung der Zeit vom 1. Juli bis zum 31. Dezember 1984 als Ausfallzeit verpflichtet. Das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) hat dieses Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. In der angefochtenen Entscheidung vom 19. August 1987 ist im wesentlichen ausgeführt: Der Anspruch scheitere daran, daß der Kläger keinen Leistungsantrag beim Arbeitsamt gestellt habe. Zwar ergebe sich dieses Erfordernis nicht unmittelbar aus dem Gesetzestext; da jedoch die 1. Alternative des § 36 Abs 1 Satz 1 AVG verlange, daß der als Arbeitsuchender gemeldete Arbeitslose eine der dort genannten Leistungen bezogen habe, was nach § 100 Abs 1 und § 134 Abs 1 Nr 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) einen Antrag voraussetze, sei auch für die Erfüllung der 2. Alternative - nämlich daß die Leistungen wegen des Zusammentreffens mit anderen Bezügen oder Einkommen nicht gewährt worden seien - ein Leistungsantrag erforderlich. Denn "nicht gewähren" könne das Arbeitsamt seine Leistungen nur, wenn ein Antrag gestellt sei. Dieses Auslegungsergebnis entspreche auch dem Sinn und Zweck des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 3 AVG. Mit dem Leistungsantrag bekunde der Arbeitslose, daß er seinen Lebensunterhalt nicht ohne Arbeit bestreiten könne und auf Lohnersatzleistungen angewiesen sei. Der Kläger habe durch sein Verhalten in der Zeit von Juli bis Dezember 1984 nicht den wirklichen Willen zur Arbeitsaufnahme gezeigt. Seine Ansicht, der Leistungsantrag wäre ohnehin nur eine sinnlose Formalität gewesen, könnte nur zutreffen, wenn seine Ablehnung festgestanden hätte und dies tatsächlich das einzige Motiv gewesen wäre. Hier aber spreche die Abfindungszahlung gegen eine Absicht des Klägers, nach Juni 1984 sein Erwerbsleben fortzusetzen.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision verweist der Kläger im Schriftsatz vom 17. September 1987 "auf den Inhalt des Urteils des SG Lübeck" vom 20. Juni 1986, dessen Rechtsauffassung er teile; das LSG habe das SG-Urteil aufgehoben, dennoch die Revision zugelassen. Weiter heißt es in dem Schriftsatz: "Im vorliegenden Falle ist eine höchstrichterliche Entscheidung notwendig. Auf das bisher Vorgetragene von unserer wie von der Gegenseite weisen wir hin."
Der Kläger beantragt,
"den Bescheid vom 18. November 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Mai 1985 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, die Zeit vom 1. Juli 1984 bis zum 31. Dezember 1984 als Ausfallzeit anzuerkennen."
Die Beklagte beantragt,
die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, sie als unbegründet zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, die Revisionsbegründung lasse nicht erkennen, daß der Bevollmächtigte des Klägers den Prozeßstoff geprüft und sich mit den Gründen des angefochtenen Urteils auseinandergesetzt habe. Außerdem hat die Beklagte zur Begründung des Hilfsantrages ihren Rechtsstandpunkt nochmals ausführlich dargelegt.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unzulässig.
Nach § 164 Abs 2 Satz 3 SGG muß die - fristgerechte - Begründung der Revision einen bestimmten Antrag, die verletzte Rechtsnorm und, soweit ein Verfahrensmangel gerügt wird, die Tatsachen nennen, die den Mangel ergeben. Einen bestimmten Revisionsantrag enthält die fristgerechte Revisionsschrift des Klägers vom 17. September 1987. Der Antrag bedarf allerdings der Auslegung und Ergänzung. Soweit der Kläger die Änderung des Bescheides vom 18. November (gemeint ist Oktober) 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Mai 1985 und die Verurteilung der Beklagten beantragt, die Zeit vom 1. Juli 1984 bis zum 31. Dezember 1984 als Ausfallzeit anzuerkennen, ist ihm dies bereits durch das Urteil des SG vom 20. Juni 1986 zuerkannt worden. Deshalb ist davon auszugehen, daß der Kläger entschieden haben möchte, das Urteil des LSG vom 19. August 1987 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Indessen genügt die Revisionsbegründung nicht den übrigen Anforderungen des Satzes 3 aaO und der hierzu ergangenen Rechtsprechung.
Die Revisionsbegründung muß zunächst kenntlich machen, ob und welche der Nachprüfung des Bundessozialgerichts (BSG) nach § 162 SGG unterliegende Norm des Bundesrechts der Revisionskläger für verletzt hält, sodann für den Fall, daß dies nicht eine materiell-rechtliche, sondern eine Norm des Verfahrensrechts ist, "die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben". Dem Schriftsatz des Klägers vom 17. September 1987 ist schon nicht zu entnehmen, ob er einen sachlich-rechtlichen oder einen Verfahrensverstoß oder beides rügen will. Selbst wenn man unterstellt, es sei (nur) eine materiell-rechtliche Rüge gemeint, muß die Revision sorgfältig und nach Umfang und Zweck zweifelsfrei begründet sein. Die Bezeichnung allein der verletzten Rechtsnorm - hier des §36 Abs 1 Satz 1 Nr 3 AVG - genügt diesem Erfordernis nicht. Es ist darzulegen, daß und weshalb die Rechtsansicht des LSG nicht geteilt wird; dies kann nur mit rechtlichen Erwägungen geschehen (BSG SozR 1500 § 164 Nr 5 unter Hinweis auf und im Anschluß an BGH in LM Nr 22 zu § 554 ZPO; BGH in MDR 1974 S 1015; BSG aaO Nrn 12, 20; in letzter Zeit: Urteil des erkennenden Senats vom 26. Mai 1987 - 4a RJ 61/86; für das verwaltungsgerichtliche Revisionsverfahren vgl ua BVerwG Buchholz 310 § 139 VwGO Nr 61; für das bundesfinanzgerichtliche Revisionsverfahren BFH/NV 1986, 164, 165; 169, 170). Von dieser Rechtsprechung aller obersten Gerichtshöfe des Bundes abzuweichen, besteht kein Anlaß; sie ist auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl BVerfG, Beschluß vom 7. Juli 1980 - 2 BvL 310/80 = SozR 1500 § 164 Nr 17).
Zu alledem enthält der vom Kläger eingereichte Schriftsatz vom 17. September 1987 nichts als den für eine Revisionsbegründung untauglichen Hinweis, daß zum Erfordernis des Leistungsantrages gemäß § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 3 AVG noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung vorliege und daher notwendig sei. Allerdings hat der Kläger noch auf den Inhalt des sozialgerichtlichen Urteils vom 20. Juni 1980 Bezug genommen und erklärt, daß er die dort vertretene Rechtsauffassung teile; außerdem hat er auf das bisher von ihm und der Gegenseite Vorgetragene hingewiesen. Indessen kann eine Revision auch nicht durch Bezugnahme auf vor der Zustellung des angefochtenen Urteils abgefaßte und eingereichte Schriftsätze formgerecht begründet werden (BSG SozR 1500 § 164 Nr 28 mwN), auch wenn daneben die verletzte Rechtsnorm bezeichnet und auf Vorbringen der Vorinstanz verwiesen wird (BFHE 102, 217). Das Revisionsvorbringen des Klägers entspricht mithin auch in seiner Gesamtheit nicht den Formerfordernissen des §164 Abs 2 Satz 3 SGG.
Nach alledem mußte die Revision ohne Prüfung in der Sache als unzulässig verworfen werden (§ 169 Satz 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen