Entscheidungsstichwort (Thema)

Kriegsopferversorgung. Hinterbliebenenversorgung. Witwenausgleichsrente. sonstiges Einkommen iS des § 33 Abs 2. Anrechenbarkeit von regelmäßigen betrieblichen Zuwendungen an die Witwe eines früheren Arbeitnehmers

 

Orientierungssatz

Wie der erkennende Senat bereits entschieden hat, sind nach der für die Zeit vom 1.10.1950 bis 31.12.1954 maßgebenden Fassung der §§ 41 Abs 4, 33 Abs 2 BVG regelmäßige betriebliche Zuwendungen an die Witwe eines früheren Arbeitnehmers, die zwar ohne Rechtsanspruch freiwillig und widerruflich, aber ohne Prüfung der Bedürftigkeit gewährt werden, bei Feststellung der Witwenausgleichsrente als "sonstiges Einkommen" anzusehen (vgl BSG vom 10.11.1955 - 8 RV 237/54 = BSGE 2, 10). In Fortsetzung dieser Rechtsprechung hat der 9. Senat des Bundessozialgerichts entschieden, dass solche Zuwendungen bei Bemessung der Ausgleichsrente dann nicht als "sonstiges Einkommen" anzusehen sind, wenn sie nur nach festgestellter Bedürftigkeit gewährt werden (vgl BSG vom 4.9.1956 - 9 RV 26/54 = BSGE 3, 246). An dieser Rechtsprechung wird festgehalten.

 

Normenkette

BVG § 33 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1950-12-20, Abs. 1, § 41 Abs. 4, § 47 Abs. 3

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 27.10.1955)

SG Dortmund (Urteil vom 28.05.1954)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen in Essen vom 27. Oktober 1955 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Die Klägerin ist die Witwe des am 14. März 1945 bei einem feindlichen Luftangriff auf Hattingen ums Leben gekommenen ehemaligen Betriebsleiters Walter M. Sie bezog vom Versorgungsamt (VersorgA.) Lübeck zunächst Vorschüsse auf ihre zu erwartenden Versorgungsbezüge, später erhielt sie von der Landesversicherungsanstalt (LVA.) Westfalen nach den Vorschriften der Sozialversicherungsdirektive (SVD) Nr. 27 eine Witwenrente. Mit Umanerkennungsbescheid des VersorgA. Dortmund vom 24. November 1951 wurde der Tod des Walter M. als Schädigungsfolge im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) anerkannt und der Witwe nach diesem Gesetz vom 1. Oktober 1950 an Witwenversorgung gewährt. Sie erhielt jedoch lediglich die Witwengrundrente; Witwenausgleichsrente wurde im Hinblick auf ihr sonstiges Einkommen, bestehend aus einer Witwenrente aus der Angestelltenversicherung und einer laufenden Unterstützung von der Firma F. K. G.-fabrik in Essen, wegen Überschreitung der gesetzlichen Einkommensgrenze (§ 41 Abs. 4 BVG) nicht bewilligt.

Der Einspruch gegen diese Regelung, mit dem die Klägerin die volle Anrechnung der von der Firma F. K. gewährten Unterstützung als "sonstiges Einkommen" als fehlerhaft geltend machte, hatte keinen Erfolg und wurde mit Entscheidung des Beschwerdeausschusses des VersorgA. Dortmund vom 18. Juli 1952 als unbegründet zurückgewiesen.

Das Sozialgericht (SG.) Dortmund, auf das die beim Oberversicherungsamt (OVA.) Dortmund eingelegte Berufung der Klägerin nach dem Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als Klage übergegangen war (§ 215 Abs. 2 und Abs. 4 SGG), hat die Klage abgewiesen, weil es sich bei der in Frage stehenden Unterstützung um ein regelmäßiges, bei Feststellung der Ausgleichsrente in vollem Umfange anrechenbares Einkommen handele.

Die gegen das Urteil des SG. eingelegte Berufung hat das Landessozialgericht (LSG.) Nordrhein-Westfalen in Essen mit Urteil vom 27. Oktober 1955 zurückgewiesen: Nach der - für den vorliegenden Fall maßgebenden - Fassung des § 33 Abs. 2 Satz 1 BVG vor dem 1. Januar 1955 (Inkrafttreten des Dritten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des BVG vom 19. Januar 1955) handele es sich bei der Zuwendung der Firma F. K. an die Klägerin um eine Leistung, die als "sonstiges Einkommen" im Sinne des § 33 Abs. 2 Satz 1 BVG a. F. angesehen und deshalb bei Berechnung der Ausgleichsrente berücksichtigt werden müsse. Daran ändere nichts, daß es sich um eine freiwillige, jederzeit widerrufliche Leistung handele. Diese Auffassung werde im übrigen durch die Neufassung des § 33 Abs. 2 BVG im Dritten Gesetz zur Änderung und Ergänzung des BVG vom 19. Januar 1955 bestätigt. Das LSG. hat die Revision zugelassen.

Gegen dieses am 9. Dezember 1955 zugestellte Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der Klägerin. Sie rügt die Verletzung der §§ 41 Abs. 4 Satz 2, 33 Abs. 2 Satz 1 BVG a. F. und der §§ 41 Abs. 5 Satz 1, 33 Abs. 2 Satz 1 und 2 BVG n. F. Sie führt aus: Für die Zeit bis zum 31. Dezember 1954 dürfe bei Berechnung ihrer Ausgleichsrente die Zuwendung der Firma F. K. nicht als "sonstiges Einkommen" angesehen werden, da sie als Unterstützung des früheren Arbeitgebers ihres verstorbenen Ehemannes in das Gebiet der privaten Fürsorge falle. Darüber hinaus setze eine Unterstützung, besonders wenn sie wie vorliegend freiwillig, ohne Rechtsanspruch und jederzeit widerruflich gewährt werde, in jedem Falle eine bestehende Bedürftigkeit voraus. Deshalb müsse unbedenklich davon ausgegangen werden, daß auch die ihr von der Firma F. K. gezahlte Unterstützung erst nach Prüfung der Bedürftigkeit gewährt werde. Die Notwendigkeit einer solchen Prüfung ergebe sich schon zwangsläufig aus der Beschränktheit der vorhandenen Mittel des Zuwendenden. Für die Zeit vom 1. Januar 1955 an sei der Begriff des "sonstigen Einkommens" durch Neufassung der maßgeblichen gesetzlichen Vorschriften (§§ 41 Abs. 5 Satz 1, 33 Abs. 2 Satz 1 und 2 BVG n. F.) dahingehend eingeschränkt worden, daß freiwillige Leistungen, die mit Rücksicht auf ein früheres Dienst- und Arbeitsverhältnis oder eine frühere selbständige Berufstätigkeit oder als zusätzliche Versorgungsleistung einer berufsständischen Organisation laufend gewährt werden, nur in beschränktem Umfange anrechnungspflichtig seien.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts in Essen vom 27. Oktober 1955 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Auf die Schriftsätze der Klägerin vom 22. Dezember 1955 und 8. März 1956 sowie auf den des Beklagten vom 18. April 1956 wird Bezug genommen.

Die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Revision der Klägerin gegen das angefochtene Urteil ist durch Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG).

Die Revision ist auch begründet.

Das Berufungsgericht hat bei Zurückweisung der Berufung gegen das Urteil des SG. vom 28. Mai 1954, wie aus dem Tenor und den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils ersichtlich, über die Frage der Anrechenbarkeit der der Klägerin von der Firma F. K. in Essen laufend gewährten Unterstützung als "sonstiges Einkommen" lediglich nach den für die Zeit vom 1. Oktober 1950 bis 31. Dezember 1954 geltenden Vorschriften des BVG und damit auch nur für diesen Zeitraum entschieden. Es hat die vom 1. Januar 1955 an geltende gesetzliche Neuregelung zwar als Bestätigung seiner im Urteil dargelegten Rechtsauffassung angeführt, ohne aber auch über den Witwenrentenausgleichsanspruch der Klägerin für die Zeit vom 1. Januar 1955 an zu entscheiden. Bei Prüfung der Anrechenbarkeit der in Frage stehenden Unterstützung des früheren Arbeitgebers des verstorbenen Ehemannes der Klägerin an diese hatte der Senat deshalb zwischen der Zeit vom 1. Oktober 1950 (Inkrafttreten des BVG) bis 31. Dezember 1954 und der Zeit vom 1. Januar 1955 an (Inkrafttreten des Dritten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des BVG vom 19. Januar 1955 - BGBl. I S. 25) zu unterscheiden.

Nach dem BVG ist die Höhe der Ausgleichsrente einer Witwe ebenso wie die Ausgleichsrente eines Beschädigten oder einer Waise von der Höhe des "sonstigen Einkommens" abhängig (§§ 41 Abs. 4, 33 Abs. 1, 47 Abs. 3 BVG). Dabei gilt für Beschädigte, Witwen und Waisen übereinstimmend derselbe Einkommensbegriff: Als "sonstiges Einkommen" gelten alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert ohne Rücksicht auf ihre Quelle (§ 33 Abs. 2 BVG).

Wie der erkennende Senat zu der zwischen den Beteiligten im Streit stehenden Frage für die Zeit vor dem 1. Januar 1955 bereits entschieden hat, sind nach der für die Zeit vom 1. Oktober 1950 bis 31. Dezember 1954 maßgebenden Fassung der §§ 41 Abs. 4, 33 Abs. 2 BVG regelmäßige betriebliche Zuwendungen an die Witwe eines früheren Arbeitnehmers, die zwar ohne Rechtsanspruch freiwillig und widerruflich, aber ohne Prüfung der Bedürftigkeit gewährt werden, bei Feststellung der Witwenausgleichsrente als "sonstiges Einkommen" anzusehen (BSG. 2 S. 10). In Fortsetzung dieser Rechtsprechung hat der 9. Senat des Bundessozialgerichts entschieden, daß solche Zuwendungen bei Bemessung der Ausgleichsrente dann nicht als "sonstiges Einkommen" anzusehen sind, wenn sie nur nach festgestellter Bedürftigkeit gewährt werden (BSG. 3 S. 246). An dieser Rechtsprechung wird festgehalten. Entscheidend ist danach in erster Linie, daß die Zahlungen der Firma F. K in Essen an die Klägerin wegen der früheren Betriebszugehörigkeit des verstorbenen Ehemannes geleistet werden. Das ist der Fall: Sowohl nach den Feststellungen des LSG. als auch nach den von ihm bei der Urteilsfindung verwerteten, in den Akten befindlichen Beweisunterlagen erfolgen die Zahlungen an die Klägerin im Hinblick auf die frühere Tätigkeit des verstorbenen Ehemannes als Betriebsleiter bei der Firma F. K. Diese hat dem VersorgA. auf Anfrage am 24. September 1951 mitgeteilt, daß die Klägerin aus der Geschäftskasse seit dem Tode ihres Ehemannes eine freiwillige laufende Unterstützung von "z. Zt. monatlich 59,- DM" erhalte, daß aber ein Rechtsanspruch auf diese Unterstützung nicht zugestanden werde. Die S, M- und K GmbH, in E als zahlende Stelle für die Firma F. K. haben dem OVA. Dortmund unter dem 9. Oktober 1953 Auskunft dahingehend erteilt, daß eine festumrissene Satzung für die Gewährung laufender Unterstützungen der an die Klägerin gewährten Art nicht vorliege; es handele sich um eine freiwillige Leistung, die auch anderen Werksangehörigen gezahlt werden könne, die aber jederzeit widerruflich sei, da ein Rechtsanspruch nicht bestehe.

Danach steht fest, daß es sich bei den laufenden Zahlungen der Firma F. K. in Essen an die Klägerin um regelmäßige Zuwendungen des früheren Arbeitgebers des verstorbenen Ehemannes handelt, die ohne Rechtsanspruch freiwillig und widerruflich geleistet werden. Aus den Beweisunterlagen läßt sich aber, ebensowenig wie aus den Feststellungen des Berufungsgerichts, die vorliegend für oder gegen eine Anrechenbarkeit als "sonstiges Einkommen" entscheidende Frage nicht beantworten, ob die Zuwendungen von der Bedürftigkeit der Klägerin abhängig gemacht sind. Insbesondere ist nicht ersichtlich, ob sie nur nach Vornahme einer Bedürftigkeitsprüfung, d. h. nach festgestellter Bedürftigkeit, gewährt werden. Das LSG. hat darüber keine Feststellungen getroffen, weil es nach dem angefochtenen Urteil der Auffassung war, daß solche Feststellungen entbehrlich seien. Letzteres aber trifft wie dargelegt nicht zu. Die Feststellungen des Berufungsgerichts reichen somit nicht aus, um die zu Ungunsten der Klägerin für die Zeit vom 1. Oktober 1950 bis 31. Dezember 1954 getroffene Entscheidung zu rechtfertigen.

Mit Wirkung vom 1. Januar 1955 an ist das Dritte Gesetz zur Änderung und Ergänzung des BVG vom 19. Januar 1955 (a. a. O.) in Kraft getreten. Dabei hat der Gesetzgeber auch die Frage der Anrechnung freiwilliger betrieblicher Leistungen neu geregelt. Nach § 33 Abs. 2 Satz 2 BVG gelten nunmehr als sonstiges Einkommen auch freiwillige Leistungen, die mit Rücksicht auf ein früheres Dienst- oder Arbeitsverhältnis oder als zusätzliche Versorgungsleistung einer berufsständischen Organisation laufend gewährt werden, mit dem 20,- DM monatlich übersteigenden Betrag. Für Witwen ist dieser Betrag mit monatlich 15,- DM (§ 41 Abs. 5 Satz 1 BVG), für Waisen mit monatlich 10,- DM (§ 47 Abs. 4 Satz 1 BVG) festgesetzt worden. Vom 1. Januar 1955 an sind danach von der der Klägerin von der Firma F. K. monatlich gewährten Zuwendung 15,- DM anrechnungsfrei. Nun hat es aber das LSG. unterlassen, zu prüfen und darüber zu entscheiden, wie sich die mit Wirkung vom 1. Januar 1955 eingetretene gesetzliche Änderung auf den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf Witwenausgleichsrente und insbesondere auf ihre etwaige Höhe auswirkt.

Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben. Da der Sachverhalt jedoch nicht ausreichend geklärt ist, konnte der Senat nicht selbst entscheiden; die Sache war zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG). Dieses wird, soweit es sich um den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf Witwenausgleichsrente für die Zeit vom 1. Oktober 1950 bis 31. Dezember 1954 handelt, zunächst noch prüfen müssen, ob die Firma F. K. die Zuwendung an die Klägerin nach Vornahme einer Bedürftigkeitsprüfung gewährt hat und gewährt. Soweit es sich um den Anspruch auf Witwenausgleichsrente für die Zeit vom 1. Januar 1955 an handelt, werden noch Feststellungen darüber erforderlich sein, ob und inwieweit vor diesem Zeitpunkt und in der auf ihn folgenden Zeit die laufenden Bezüge der Klägerin, insbesondere die Angestelltenversicherungsrente und die betriebliche Zuwendung, eine Änderung erfahren haben.

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2423128

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