Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindergeld. Gemeindewaldarbeiter. monatliche Arbeitszeit weniger als 160 Tarifstunden

 

Leitsatz (amtlich)

Waldarbeiter einer Gemeinde des Landes Rheinland-Pfalz, auf die § 45 des Manteltarifvertrages für Waldarbeiter des Staates und der Gemeinden vom 1.10.1964 TVW 65 anzuwenden ist, erfüllen die Voraussetzungen der Ausnahmevorschrift des § 7 Abs 4 Nr 1 BKGG - Gewährung von Kindergeld auch an Arbeitnehmer einer Gemeinde -, wenn sie 160 Tarifstunden im Monat nicht erreichen.

 

Orientierungssatz

Ob ein Arbeitnehmer "nicht vollbeschäftigt" iS von BKGG § 7 Abs 4 Nr 1 ist, ist nach derjenigen tariflichen Regelung zu beurteilen, die für den persönlichen, sachlichen und fachlichen Bereich der jeweils in Frage kommenden Gruppe von Arbeitnehmern getroffen worden ist.

 

Normenkette

BKGG § 2 Abs. 1 Fassung: 1964-04-14, § 7 Abs. 4 Nr. 1 Fassung: 1964-04-14, Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1964-04-14

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 24. Mai 1967 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob bei einem Waldarbeiter einer Gemeinde des Landes Rheinland-Pfalz Vollbeschäftigung im Sinne des § 7 Abs. 4 Nr. 1 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) schon dann vorliegt, wenn er die im Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) und in den zu § 41 des Mantel-Tarifvertrags für Arbeiter des Bundes (MTB II) und des Mantel-Tarifvertrags für Arbeiter der Länder (MTL II) abgeschlossenen Tarifverträgen für die Gewährung des vollen Kinderzuschlags festgesetzte Beschäftigungsgrenze erreicht.

Der Kläger ist aufgrund eines am 12. April 1965 geschlossenen Arbeitsvertrages als Waldarbeiter bei der Gemeinde N - Forstamt P - beschäftigt. In dem Arbeitsvertrag heißt es: "Mit Rücksicht auf den landwirtschaftlichen Betrieb des Arbeitnehmers ist für die Zeit seiner Beschäftigung als Waldarbeiter eine monatliche Arbeitszeit von weniger als 160 Stunden vereinbart."

Im Juli 1965 beantragte der Kläger, Vater von mehreren Kindern unter 18 Jahren, beim Arbeitsamt Trier, ihm Kindergeld zu gewähren. Mit Bescheid vom 12. August 1965 lehnte die Kindergeldkasse des Arbeitsamts den Antrag des Klägers mit der Begründung ab, er sei als Waldarbeiter der Gemeinde Neuendorf mit einer Beschäftigungszeit von mehr als 143 Stunden monatlich als Vollbeschäftigter anzusehen; es fehle daher an den Voraussetzungen des § 7 Abs. 4 Nr. 1 BKGG, unter denen die den Anspruch auf Kindergeld ausschließende Vorschrift des § 7 Abs. 1 Nr. 3 BKGG nicht gelte. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 28. September 1965).

Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben. Das Sozialgericht (SG) Trier hat mit Urteil vom 24. Juni 1966 die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, an den Kläger für die Zeit vom 1. April 1965 bis 31. Mai 1966 mit Ausnahme des Monats März 1966 Kindergeld zu zahlen sowie dem Kläger über seine Ansprüche auf Kindergeld für die Zeit vom 1. Juni 1966 an einen neuen Bescheid zu erteilen, wobei die Beklagte aus dem Gesichtspunkt der Arbeitszeit als Forstarbeiter Kindergeld nur dann verweigern dürfe, wenn der Kläger wenigstens 160 Arbeitsstunden monatlich abgeleistet habe. Die hiergegen eingelegte Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz mit Urteil vom 24. Mai 1967 zurückgewiesen. Es hat ausgeführt: Zwar werde nach dem BAT, dem MTB II und dem MTL II der volle Kinderzuschlag bereits bei einer regelmäßigen wöchentlichen Beschäftigungszeit von durchschnittlich 33 Stunden - monatlich 143 Stunden - gezahlt; diese tarifvertraglichen Bestimmungen seien jedoch für die Beurteilung, ob der Kläger vollbeschäftigt sei, nicht maßgebend. Bei Arbeitern der Forstwirtschaft liege Vollbeschäftigung erst vor, wenn sie monatlich 160 Arbeitsstunden beschäftigt seien, wie sich auch aus dem für Waldarbeiter des Bundes geltenden Tarifvertrag vom 27. Juli 1960 ergebe. Dem Kläger könne deshalb Kindergeld nur versagt werden, soweit seine Arbeitszeit monatlich 160 Arbeitsstunden erreiche oder überschreite.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Beklagte hat Revision eingelegt. Sie beantragt,

das angefochtene Urteil und das Urteil des SG vom 24. Juni 1966 aufzuheben sowie die Klage abzuweisen.

Sie rügt, das LSG habe § 7 BKGG verletzt. Nach Abs. 4 Nr. 1 dieser Vorschrift seien auch bei Waldarbeitern die nach den allgemeinen - tarifvertraglichen - Regelungen des Bundes und der Länder maßgeblichen Kriterien für die Gewährung von Kindergeld zugrunde zu legen. Deshalb sei auch für sie die zeitliche Grenze von 143 Stunden im Monat maßgebend.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für richtig.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

II

Die nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthafte Revision ist zulässig, aber nicht begründet.

Nach § 7 Abs. 1 Nr. 3 BKGG wird Kindergeld nicht gewährt, wenn eine Person, bei der das Kind nach § 2 Abs. 1 BKGG berücksichtigt wird, Arbeitnehmer - u. a. - einer Gemeinde ist. Jene Ausschlußvorschrift des § 7 Abs. 1 Nr. 3 BKGG gilt jedoch nicht für Kalendermonate, in denen der Arbeitnehmer der Gemeinde nicht vollbeschäftigt ist und infolgedessen nicht die Voraussetzungen erfüllt, unter denen Arbeitnehmer des Bundes und der Länder nach den tarifvertraglichen Bestimmungen den vollen Kinderzuschlag erhalten (§ 7 Abs. 4 Nr. 1 BKGG). Die Frage, ob der Kläger diese Voraussetzungen der Ausnahmevorschrift des § 7 Abs. 4 Nr. 1 BKGG erfüllt, läßt sich aus dem Wortlaut des Gesetzes allein nicht beantworten. Darin ist nämlich weder der Begriff der Vollbeschäftigung näher erläutert noch angegeben, welche - die Gewährung von Kinderzuschlag regelnden - tarifvertraglichen Bestimmungen gemeint sind. Immerhin wird an die allen einschlägigen Tarifverträgen geläufige Beziehung zwischen dem Ausmaß der Beschäftigung - vollbeschäftigt oder nicht - und der Höhe des Kinderzuschlags (vgl. z. B. § 31 BAT und § 41 MTB II in Verbindung mit dem hierzu geschlossenen Tarifvertrag betr. Kinderzuschläge vom 3. Juni 1964) angeknüpft. Die Bestimmungen der Tarifverträge sind daher nicht nur für die Höhe der Kinderzuschläge, sondern auch dafür von Bedeutung, was unter dem Begriff der Vollbeschäftigung zu verstehen ist. Es kommt deshalb vor allem darauf an, welche "tarifvertraglichen Bestimmungen" in § 7 Abs. 4 Nr. 1 BKGG angesprochen sind.

Die Beklagte vertritt die Auffassung, in der hier umstrittenen Vorschrift des § 7 Abs. 4 Nr. 1 BKGG seien mit "tarifvertraglichen Bestimmungen" die allgemeinen tarifvertraglichen Regelungen des Bundes und der Länder (§ 31 BAT, § 41 MTB II und § 41 MTL II) gemeint; damit habe eine für alle Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes gleiche Beschäftigungsgrenze normiert werden sollen, so daß der Verwaltung die Beurteilung erleichtert werde, ob die Leistung für ein Kind im Rahmen der allgemeinen Kindergeldregelung oder durch den Arbeitgeber zu gewähren sei. Deshalb genüge es für die Gewährung des Kindergeldes nicht, daß dem Arbeitnehmer nach anderen tarifvertraglichen Vorschriften ein gekürzter Kinderzuschlag gezahlt werde. Weil nach den vorstehend angeführten tarifvertraglichen Bestimmungen die überwiegende Zahl der Arbeitnehmer des Bundes und der Länder - bis zum 31. Dezember 1968 - die Vollbeschäftigung und damit auch das Anrecht auf den Kinderzuschlag bei einer Arbeitszeit von 33 Stunden wöchentlich bzw. 143 Stunden monatlich erreichten - die Grenze liegt jetzt bei 32 Stunden und 15 Minuten wöchentlich -, meint die Beklagte auch den Kläger bei einer monatlichen Arbeitsleistung von 143 Stunden als vollbeschäftigt und deshalb vom Kindergeld ausgeschlossen ansehen zu müssen. Dabei übersieht sie, daß durch § 3 Abs. 1 Buchst. a sowohl des MTB II als auch des MTL II die Arbeiter in forstwirtschaftlichen Verwaltungen, die unter die Tarifverträge für die Forstarbeiter der Länder fallen, von den für die übrigen Arbeiter des Bundes und der Länder getroffenen Regelungen ausgenommen sind. Damit sollte erreicht worden, daß den bei Waldarbeitern gegebenen fachlichen Besonderheiten Rechnung getragen werden kann. Aus diesem Grund läßt sich § 7 Abs. 4 Nr. 1 BKGG nicht dahin auslegen, daß - wie die Revision meint - Vollbeschäftigung dann erreicht ist, wenn die überwiegende Zahl der Arbeitnehmer des Bundes und der Länder nach den für sie geltenden tariflichen Regelungen den vollen Kinderzuschlag erhält. Dies würde nämlich zu dem nicht vertretbaren Ergebnis führen, daß die unter eine vom MTB II und MTL II abweichende Regelung fallenden Waldarbeiter, wenn sie zwischen 143 und 159 Tarifstunden erreichen, weder den vollen Kinderzuschlag noch das Kindergeld erhalten.

Das LSG hat es deshalb bei der Anwendung des § 7 Abs. 4 Nr. 1 BKGG mit Recht darauf abgestellt, daß dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift nur eine Auslegung gerecht wird, welche die Frage, ob das Tatbestandsmerkmal "nicht vollbeschäftigt" erfüllt ist, nach derjenigen tariflichen Regelung beurteilt, die für den persönlichen, sachlichen und fachlichen Bereich der jeweils in Frage kommenden Gruppe von Arbeitnehmern getroffen worden ist, also hier der Waldarbeiter der Gemeinden von Rheinland-Pfalz. Maßgebend für die Bestimmung des Tatbestandsmerkmals "nicht vollbeschäftigt" im Sinne des § 7 Abs. 4 Nr. 1 BKGG ist danach § 45 des Manteltarifvertrages für die Waldarbeiter des Staates und der Gemeinden in Rheinland-Pfalz vom 1. Oktober 1964 (TVW 65). Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 TVW 65 erhalten diese Arbeiter den vollen Kinderzuschlag erst, wenn sie im Lohnzahlungszeitraum (Kalendermonat) 160 oder mehr Tarifstunden erreicht haben. Erst dann liegt bei ihnen Vollbeschäftigung vor. Hieraus folgt, daß bei dem Kläger in den Monaten, in denen er 160 Tarifstunden nicht erreicht hat oder nicht erreicht, der Tatbestand des § 7 Abs. 4 Nr. 1 BKGG gegeben ist; er war nicht vollbeschäftigt und hat infolgedessen nicht die Voraussetzungen erfüllt, unter denen Arbeitnehmer des Bundes und der Ländern nach den tarifvertraglichen Bestimmungen den vollen Kinderzuschlag erhalten. Denn nach § 45 Abs. 3 TVW 65 wird den Waldarbeitern des Landes Rheinland-Pfalz - ebenso wie den Waldarbeitern der anderen Länder nach den entsprechenden Tarifverträgen und auch denjenigen des Bundes nach dem Tarifvertrag vom 27. Juli 1960 - der volle Kinderzuschlag erst gewährt, wenn sie monatlich 160 Tarifstunden erreicht haben.

Nach alledem hat das LSG zu Recht entschieden, daß dem Kläger Kindergeld nur versagt werden kann, soweit seine Arbeitszeit monatlich 160 Tarifstunden erreicht oder überschreitet.

Die Revision der Beklagten ist somit zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 149

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