Entscheidungsstichwort (Thema)
Bergmannsrente aus der knappschaftlichen Rentenversicherung. Erfüllung der besonderen Wartezeit. Gleichstellung von Vermessungsfahrsteiger und Vermessungssteiger
Orientierungssatz
Vermessungsfahrsteiger und Vermessungssteiger können hinsichtlich der Erfüllung der besonderen Wartezeit gemäß RKG § 49 Abs 2 iVm HaVO § 5 Nr 5 zur Gewährung einer Bergmannsrente einander gleichgestellt werden, wenn sie sowohl unter als auch über Tage vergleichbare Tätigkeiten ausüben.
Normenkette
RKG § 45 Abs. 1 Nr. 2, § 49 Abs. 2; HaVO § 5 Nr. 5
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 14.12.1961) |
SG Dortmund (Entscheidung vom 09.11.1959) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 14. Dezember 1961 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten der Revisionsinstanz zu erstatten.
Gründe
I
Der ... 1906 geborene Kläger war vom 2. November 1920 bis zum 30. Juni 1924 als Zeichenanwärter (Lehrling) und vom 1. Juli 1924 bis zum 31. August 1928 als 2. Markscheidergehilfe beschäftigt. Vom 1. September 1926 bis zum 31. August 1928 besuchte er zugleich die Bergschule. Nach Ablegung der Abschlußprüfung für Vermessungssteiger war er vom 1. September 1928 bis zum 31. Dezember 1928 als 1. Markscheidergehilfe, vom 1. Januar 1929 bis zum 3. September 1937 als Vermessungssteiger, vom 4. September 1937 bis zum 30. Juli 1942 als 1. Vermessungssteiger, vom 1. August 1942 bis zum 12. Mai 1945 als Vermessungsfahrsteiger und dann wieder vom 5. Juli 1948 bis zum 31. Mai 1949 als 1. Vermessungssteiger beschäftigt. Seit dem 1. Juni 1949 ist er wiederum als Vermessungsfahrsteiger tätig. In der Zeit vom 1. September 1928 bis zum 12. Mai 1945 arbeitete er arbeitstäglich mehr als die halbe Schicht, in der Zeit vom 1. August 1948 bis zum 1. April 1952 im Durchschnitt wöchentlich 4 Schichten von je 6-7 Stunden unter Tage. Am 30. September 1957 beantragte der Kläger die Gewährung der Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 Reichsknappschaftsgesetz (RKG). Mit Bescheid vom 28. Oktober 1958 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Sie bewertete nur die vom Kläger in der Zeit vom 1. Januar 1929 bis zum 30. Juli 1942 (163 Monate) und vom 5. Juli 1948 bis zum 31. Mai 1949 (11 Monate) verrichtete Tätigkeit als hauergleiche Arbeit, so daß die nach § 49 Abs. 2 RKG erforderlichen 180 Monate hauergleiche Arbeiten nicht erreicht waren. Die Anrechnung der Tätigkeit als Markscheidergehilfe und die als Vermessungsfahrsteiger auf die besondere Wartezeit des § 49 Abs. 2 RKG lehnte die Beklagte ab.
Der gegen diesen Bescheid gerichtete Widerspruch wurde durch Bescheid vom 26. März 1959 zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Klage.
Mit Urteil vom 9. November 1959 hat das Sozialgericht (SG) die Beklagte verurteilt, dem Kläger die Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 RKG zu gewähren. Das SG läßt es dahingestellt, ob die Zeit der Tätigkeit als Vermessungsfahrsteiger angerechnet werden könne. Es sieht jedenfalls die Tätigkeit des Klägers als 2. Markscheidergehilfe in der Zeit vom 1. Juli 1924 bis zum 31. August 1928 als Tätigkeit eines "Vermessungssteigers" im Sinne des § 5 Nr. 5 Hauer-Verordnung (HaVO) an.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt. Sie macht geltend, die in der Zeit vom 1. Juli 1924 bis zum 31. August 1928 auf der Zeche Germania verrichtete Tätigkeit als 2. Markscheidergehilfe könne ebensowenig als der Hauerarbeit gleichgestellte Arbeit angesehen werden wie die von 1942 bis 1945 verrichtete Tätigkeit des Klägers als Vermessungsfahrsteiger.
Durch Urteil vom 14. Dezember 1961 hat das Landessozialgericht (LSG) die Berufung zurückgewiesen, es hat die Revision zugelassen. Es ist der Auffassung, daß das SG dem Kläger die Bergmannsrente im Ergebnis zu Recht zugesprochen hat. Der Kläger habe das 50. Lebensjahr vollendet und 300 Monate Versicherungszeit in der knappschaftlichen Rentenversicherung zurückgelegt. Er habe aber auch während dieser Zeit mindestens einhundertachtzig Kalendermonate Hauerarbeiten unter Tage oder diesen gleichgestellte Arbeiten verrichtet. Es könne dahinstehen, ob die Zeit, während welcher der Kläger 2. Markscheidergehilfe gewesen ist, nach § 5 HaVO angerechnet werden könne. Denn jedenfalls habe er auch mit der Zeit von 1942 bis 1945 180 Monate erfüllt. Auch in dieser Zeit habe er in Wirklichkeit "echte Vermessungssteigertätigkeit" verrichtet. Durch seine Beförderung zum Vermessungsfahrsteiger habe sich an seiner bisherigen Stellung nichts geändert. Er habe außer kleineren Nachtragsmessungen alle Untertagemessungen auf der Anlage Königsborn 2/5 ausgeführt. Ab Juli 1943 habe er außerdem noch zusätzlich die Vermessungen für die Ausrichtungsbetriebe der Schachtanlage Königsborn 3/4 ausgeführt. Der Kläger sei zwar zugleich auch Vertreter des Markscheiders und Bürovorstehers gewesen, jedoch sei diese Arbeit nicht ins Gewicht gefallen. Die gleichzeitige Wahrnehmung der Geschäfte des Markscheidervertreters und Bürovorstehers stehe einer Anerkennung dieser Tätigkeit im Sinne des § 5 Nr. 5 HaVO auch deshalb nicht entgegen, weil für die Bewertung der vermessungssteigerischen Tätigkeit ohnehin nur die Tätigkeit unter Tage von Bedeutung sei. Der Kläger sei auch, wie in § 5 Nr. 5 HaVO weiter gefordert werde, während dieser Zeit "überwiegend unter Tage beschäftigt" gewesen. Mit den von der Beklagten bereits anerkannten 174 Monaten sei die besondere Wartezeit von 180 Monaten erfüllt.
Gegen dieses - am 21. Februar 1962 zugestellte - Urteil hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 12. März 1962, eingegangen beim Bundessozialgericht (BSG) am 15. März 1962, Revision eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 16. April 1962, eingegangen beim BSG am 18. April 1962, begründet.
Sie rügt Verletzung des § 128 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und der §§ 45 Abs. 1 Nr. 2, 49 Abs. 2 RKG und 5 Nr. 5 HaVO. Sie ist der Auffassung, die Zeit von 1942 bis 1945 könne nach der HaVO nicht berücksichtigt werden. Nach § 5 Nr. 5 HaVO verrichte den Hauerarbeiten unter Tage gleichgestellte Arbeiten nur der Vermessungssteiger, der überwiegend unter Tage beschäftigt ist. Eine Gleichstellung des Vermessungsfahrsteigers mit dem Vermessungssteiger sei in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nicht möglich.
Nach der Aussage des Zeugen Dipl.-Ing. K habe sich das Aufgabengebiet des Klägers nach seiner Beförderung zum Vermessungsfahrsteiger dadurch vergrößert, daß er ab Juli 1943 auch die Vermessungen auf der Zeche Königsborn 3/4 neben denen auf der Zeche Königsborn 2/5 durchgeführt habe und Bürovorsteher und Vertreter des Markscheiders gewesen sei. Zwar bekunde der Zeuge auch, daß sich mit der Ernennung des Klägers zum Vermessungsfahrsteiger in seinem Aufgabenbereich und in seiner Stellung praktisch nichts geändert habe. Diese Äußerung steht jedoch im Widerspruch zu der Tatsache, daß dem Kläger mit seiner Beförderung zum Vermessungsfahrsteiger ein größerer Aufgaben- und Verantwortungsbereich übertragen worden sei. Da somit die Beweisaufnahme nicht eindeutig ergeben habe, daß der Kläger in der fraglichen Zeit die Tätigkeit eines Vermessungssteigers verrichtet habe, beruhe die vom Berufungsgericht getroffene Feststellung auf einer fehlerhaften Beweiswürdigung.
Hinsichtlich der Zeit vom 1. Juli 1924 bis zum 31. August 1928, in der der Kläger als 2. Markscheidergehilfe tätig gewesen sei, habe sich der sachverständige Richter dahin geäußert, daß der Kläger noch zu jung gewesen sei, um die verantwortliche Tätigkeit eines Vermessungssteigers in vollem Umfange durchzuführen, so daß er auch während dieser Zeit keine echte Vermessungssteigertätigkeit ausgeübt habe.
Sie beantragt,
das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 14. Dezember 1961 und das Urteil des SG Dortmund vom 9. November 1959 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 14. Dezember 1961 aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und die Rügen der Beklagten nicht für durchgreifend.
Beide Parteien haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
II
Die zulässige Revision ist nicht begründet.
Zu Recht hat das Berufungsgericht die Berufung der Beklagten gegen das der Klage stattgebende Urteil des SG zurückgewiesen. Denn dem Kläger steht der Anspruch auf Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 RKG zu. Neben der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen hat er auch, wie das Berufungsgericht zutreffend entschieden hat, mindestens 180 Monate hauergleiche Arbeiten im Sinne des § 5 Nr. 5 HaVO verrichtet. Wenn der Kläger im Jahre 1942 auch zum Vermessungsfahrsteiger befördert worden ist, so hat er doch bis zum Jahre 1945 praktisch die Stellung eines Vermessungssteigers beibehalten, obwohl er die Berufsbezeichnung eines Vermessungsfahrsteigers geführt und dessen Gehalt bezogen hat. Wenn aber ein Versicherter die Stellung eines in der HaVO Aufgeführten uneingeschränkt und ausschließlich geführt hat, kann es nicht darauf ankommen, ob er auch dessen Berufsbezeichnung geführt und das entsprechende Gehalt bezogen hat (SozR HaVO Nr. 4 zu § 5, Urteil vom heutigen Tage i. S. Ruhrknappschaft ./. D - 5 RKn 22/62 -).
Zwar war der Kläger während dieser Zeit zusätzlich noch Vertreter des Markscheiders und dessen Bürovorsteher, hat also auch Tätigkeiten ausgeübt, die normalerweise zu denen des Vermessungsfahrsteigers gehören. Diese Tätigkeiten sind aber, wie das Berufungsgericht festgestellt hat, ihrem Umfang nach nicht ins Gewicht gefallen. Sie stehen einer Anerkennung dieser Zeit nach § 5 Nr. 5 HaVO daher nicht entgegen. Der erkennende Senat hat bereits entschieden (S ./. Niederrhein. Knappsch. vom 25. August 1965 - 5 RKn 89/63), daß ein in der HaVO aufgeführter Versicherter auch dann begünstigt ist, wenn er die genannte Tätigkeit nicht ausschließlich, aber doch zumindest im wesentlichen ausschließlich ausübt; eine bloß unwesentliche Beschäftigung mit anderen Tätigkeiten schadet danach nichts. Dieser Grundsatz muß aber auch dann gelten, wenn es sich, wie im vorliegenden Fall, um die Frage handelt, ob ein Versicherter, der nicht die Berufsbezeichnung und das Entgelt eines in der HaVO Aufgeführten hat, wie ein solcher behandelt werden soll. Eine nur unwesentliche Abweichung von dem Berufsbild eines in der HaVO genannten Versicherten ist daher unschädlich (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom heutigen Tage i. S. Ruhrknappschaft ./. D - 5 RKn 22/62 -).
Nun hat das Berufungsgericht festgestellt, daß der Kläger nach wie vor "echte Vermessungssteigertätigkeit" verrichtet hat, es hat aber bei der Begründung seiner weiteren Feststellung, daß die Tätigkeiten des Markscheiderstellvertreters und Bürovorstehers nicht ins Gewicht fielen, ausgeführt, daß "ohnehin nur die Tätigkeit unter Tage von Bedeutung sei". Diese Auffassung ist zwar nicht zutreffend, wie der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom heutigen Tage in Sachen Ruhrknappschaft ./. D - 5 RKn 22/62 - entschieden hat, aber dennoch konnte das angefochtene Urteil aufrechterhalten bleiben. Denn das Berufungsgericht hat durch diese Ausführung seine Feststellung, der Kläger habe echte Vermessungssteigertätigkeit verrichtet, nicht einschränken wollen. Diese steht nämlich unabhängig neben der anderen Feststellung über das Gewicht der Tätigkeit als Markscheiderstellvertreter und Bürovorsteher. Wenn das Berufungsgericht auch die nicht zutreffende Ansicht vertritt, nur die Untertagetätigkeit sei insoweit von Bedeutung, so hat es doch die hier maßgebende Feststellung, daß der Kläger in der Zeit von 1942 bis 1945 "echte Vermessungssteigertätigkeit" ausgeübt hat, davon unabhängig ohne Einschränkung auf Untertagetätigkeit getroffen. Bestätigt wird dies einmal durch den Umstand, daß sich das Berufungsgericht vor allem auf die Auskunft der Arbeitgeberin des Klägers vom 28. November 1961 stützt, in der uneingeschränkt bescheinigt wird, daß der Kläger von 1942 bis 1945 die Arbeiten eines Vermessungssteigers ausgeübt hat. Es ergibt sich ferner darin, daß das LSG sich auf die Aussage des Zeugen K stützt, der bei seiner Vernehmung bekundet hat, durch die Beförderung zum Vermessungsfahrsteiger habe sich an der Stellung und dem Aufgabenbereich des Klägers praktisch nichts geändert. Zwar hatte dieser Zeuge in einer früher eingereichten Bescheinigung vom 14. November 1958 auf den Untertagebetrieb abgestellt. Dies aber, wie aus der späteren Vernehmung zu schließen ist, offenbar nur deshalb, weil er bei Ausstellung dieser Bescheinigung insoweit nur die Untertagetätigkeit für bedeutsam hielt.
Die Rügen der Beklagten gegen diese Feststellungen des Berufungsgerichts greifen nicht durch. Selbst wenn man annimmt, daß das LSG bei der Würdigung der Beweisergebnisse möglicherweise auch zu einer anderen Feststellung hätte kommen können, so ist nicht erkennbar, daß die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstößt oder daß das Berufungsgericht es unterlassen hätte, das Gesamtergebnis des Verfahrens zu berücksichtigen. Sicherlich spricht eine allgemeine Erfahrung dafür, daß ein Versicherter, der befördert wird, danach auch die Tätigkeit ausübt, die seiner neuen Berufsbezeichnung entspricht. Wenn aber das Berufungsgericht im vorliegenden Fall offenbar wegen des kriegsbedingten Personalmangels eine Ausnahme von dieser Regel angenommen hat, so verstößt dies nicht gegen allgemeine Erfahrungssätze. Eine Verletzung des § 128 Abs. 1 SGG liegt daher nicht vor.
Da die Revision unbegründet ist, mußte sie zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen