Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung von Verträgen
Leitsatz (amtlich)
Hängt nach GAL § 2 Abs 3 S 2 die Abgabe eines landwirtschaftlichen Unternehmens von einer schriftlich abzuschließenden zivilrechtlichen Vereinbarung ab, dann beurteilen sich Zustandekommen, Wirksamkeit und Inhalt der Vereinbarung nach den für diese Verträge maßgebenden Bestimmungen und Auslegungsgrundsätzen des bürgerlichen Rechts.
Orientierungssatz
1. Auch bei "schriftlich" abzuschließenden Verträgen ist es nicht ausgeschlossen, den Inhalt des Vertrages im Auslegungswege unter zusätzlicher Heranziehung von außerhalb der Vertragsschrift gegebenen Umständen zu ermitteln.
2. Ein abgebender Unternehmer, der sich auf Umstände außerhalb des Vertragstextes beruft, trägt dafür die materielle Beweislast (Feststellungslast).
Normenkette
GAL § 2 Abs 3 S 2 Fassung: 1965-09-14; BGB § 133 Fassung: 1896-08-18, § 157 Fassung: 1896-08-18
Verfahrensgang
Tatbestand
Streitig ist der Beginn eines Altersgeldes für Landwirte.
Der 1906 geborene frühere Kläger (Ehemann der jetzigen Klägerin) betrieb ein landwirtschaftliches Unternehmen von rd 36 ha Fläche. Im Juli 1976 beantragte er bei der Beklagten die Gewährung von Altersgeld. Hierzu legte er den mit der Betriebsgemeinschaft D am 1. Juli 1976 auf neun Jahre geschlossenen Pachtvertrag vor, dessen § 1 Abs 1 nach dem teilweise vorgedruckten, teilweise ergänzten Text des Vertragsmusters (Einheitsvertrag für Pachtgrundstücke) wie folgt lautet:
"Verpachtet werden folgende Grundstücke:
Ackerland 11 ha 00 a 00 qm Eigenland
Ackerland 4 ha 45 a = 1/2 Eigentumsanteil
Weinberge 7 ha 80 a 00qm Eigenland
Obstland 11 ha 60 a 00 qm Eigenland
insgesamt 34 ha 85 a 00 qm
Die einzelnen Grundstücke sind im Betriebsvermögensverzeichnis "Grund und Boden" aufgeführt".
Im März 1977 vereinbarte er zusätzlich, daß die irrtümlich im Pachtvertrag nicht aufgeführten Grundstücke mit zusammen 0,9253 ha Fläche rückwirkend ab 1. Juli 1976 in die Verpachtung einbezogen seien; die Laufzeit sei dieselbe wie beim Hauptpachtvertrag. Am 1. Juli 1977 schloß er schließlich mit der Betriebsgemeinschaft D noch eine Ergänzungsvereinbarung, in der für die 0,9253 ha die Pachtdauer bis zum 30. Juni 1986 festgelegt wurde. Erst hierauf gewährte die Beklagte ihm das Altersgeld ab Juli 1977 (Bescheid vom 8. Dezember 1977). Der frühere Kläger begehrte die Leistung jedoch schon ab dem 1. Juli 1976.
Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben. Seiner Ansicht nach ist das gesamte Unternehmen am 1. Juli 1976 abgegeben worden; so sei der wirkliche Wille der Vertragschließenden nach den Grundsätzen des bürgerlichen Rechts zur Auslegung von Verträgen auch im Rahmen des § 2 Abs 3 des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte (GAL) zu verstehen. Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die - vom SG zugelassene - Berufung der Beklagten das Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen, weil nach seiner Auffassung die rechtswirksame Abgabe erst am 1. Juli 1977 stattgefunden hat. Ein Jahr zuvor habe der Kläger nur rd 35 ha verpachtet und damit zuviel Land zurückbehalten. Die rückwirkende Einbeziehung der 0,9253 ha sei nicht zulässig. Maßgebend sei allein der Inhalt des ersten schriftlichen Vertrages; für eine Erforschung des mutmaßlichen Willens der Parteien bei Abschluß dieses Pachtvertrages nach bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen sei kein Raum, da der Anspruch auf Altersgeld dem öffentlichen Recht angehöre und sich deshalb allein nach den im GAL geforderten Voraussetzungen richte.
Mit der vom Bundessozialgericht (BSG) zugelassenen Revision beantragt die Witwe des am 31. Juli 1979 verstorbenen früheren Klägers als dessen Rechtsnachfolgerin (sinngemäß),
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung
der Beklagten zurückzuweisen.
Sie rügt eine Verletzung von § 2 Abs 3 Satz 2 GAL. Die Vorschrift knüpfe die Gewährung von Altersgeld an das Vorliegen eines Pachtvertrages nach den §§ 581 ff des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), so daß bei Auslegungszweifeln auf § 133 BGB zurückzugreifen sei. Mit Hilfe dieser Vorschrift sei der wirkliche Wille der Vertragschließenden dahin auszulegen, daß schon zum 1. Juli 1976 die Verpachtung des gesamten landwirtschaftlichen Grundbesitzes gewollt gewesen sei. Die geforderte Schriftform sei gewahrt; eine besondere Schriftform des öffentlichen Rechts gebe es nicht. Daß der Anspruch auf Altersgeld dem öffentlichen Recht angehöre, schließe die Anwendung von Grundsätzen des bürgerlichen Rechts nicht aus.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision, die die Witwe des früheren Klägers als dessen Rechtsnachfolgerin (§ 56 Abs 1 Nr 1 Sozialgesetzbuch -SGB- 1) befugtermaßen weiterführt, ist mit der Maßgabe begründet, daß das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen ist (§ 170 Abs 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-); der vom LSG festgestellte Sachverhalt läßt eine abschließende Entscheidung des Revisionsgerichts nicht zu.
Der Anspruch auf Gewährung des Altersgeldes von Juli 1976 bis Juni 1977 ist im vorliegenden Fall allein davon abhängig, ob das landwirtschaftliche Unternehmen schon zum 1. Juli 1976 ohne einen der Abgabe entgegenstehenden Rückbehalt (§ 2 Abs 7 GAL) gem § 2 Abs 1 Buchst c GAL abgegeben worden ist. Das hat das LSG nicht ohne weiteres deshalb verneinen dürfen, weil in dem ersten schriftlichen Pachtvertrag die streitigen 0,9253 ha nicht mit aufgeführt waren.
Nach § 2 Abs 3 Satz 1 GAL (idF vom 14. September 1965) - GAL 1965 -) ist Abgabe iS des Abs 1 Buchst c die Übergabe eines landwirtschaftlichen Unternehmens oder ein sonstiger Verlust der Unternehmereigenschaft. Wenn mit der Abgabe - wie hier - nicht der Übergang des Eigentums verbunden ist, dann ist gemäß dem anschließenden Satz 2 die Abgabevoraussetzung nur erfüllt, wenn die Abgabe für einen Zeitraum von mindestens neun Jahren nach Vollendung des 65. Lebensjahres des Unternehmers unbeschadet weitergehender gesetzlicher Formvorschriften schriftlich vereinbart wird. Das Gesetz sieht danach ausdrücklich die Abgabe mittels einer Vereinbarung vor, die in der Praxis sogar die Regel ist. Da eine solche Vereinbarung zwischen dem Abgebenden und dem Übernehmenden getroffen wird, stellt sie einen zivilrechtlichen Vertrag dar, wobei es sich meist um einen schuldrechtlichen Pachtvertrag handelt. Demnach macht das GAL im Falle der Vereinbarung die Leistung des öffentlich-rechtlichen Altersgeldes von dem Abschluß eines zivilrechtlichen Vertrages abhängig. Trifft das aber zu, dann ist es nur folgerichtig - soweit das GAL keine Einschränkungen macht -, Zustandekommen, Wirksamkeit und Inhalt der Vereinbarung (des Vertrages) nach den Regeln des bürgerlichen Rechts zu beurteilen. Zu diesen gehören die für Verträge maßgebenden Auslegungsgrundsätze, die teils im BGB (§§ 133, 157) niedergelegt und teils von der Rechtsprechung entwickelt worden sind. Hiernach ist es aber auch bei "schriftlich" abzuschließenden Verträgen nicht ausgeschlossen, den Inhalt des Vertrages im Auslegungswege unter zusätzlicher Heranziehung von außerhalb der Vertragsschrift gegebenen Umständen zu ermitteln (RGZ 61, 264; 133, 279, 281; BGH LM Nr 22 zu § 133 (C); BGH WM 1967, 701; BGH MDR 1964, 835; BGH NJW 1969, 132; Soergel, BGB, 11. Aufl, 1978, Rz 27 zu § 133, Rz 10 zu § 125 BGB).
Das GAL bietet keinen Anhalt dafür, daß eine Mitberücksichtigung nicht schriftlich fixierter Umstände bei den unter § 2 Abs 3 Satz 2 fallenden Vereinbarungen unzulässig wäre. Dem Gesetzgeber des GAL war es zwar nicht verwehrt, eine derartige Abweichung vom bürgerlichen Recht bei der Festlegung von Anspruchsvoraussetzungen des Altersgeldes zu bestimmen, wie er zB für die Beachtlichkeit der Vereinbarung nach dem GAL die im bürgerlichen Recht nicht geforderte Vereinbarung der neunjährigen Abgabedauer verlangt hat. Seine Forderung, daß die Abgabe "schriftlich" zu vereinbaren sei, kann jedoch nicht als eine gewollte Abweichung von den Auslegungsgrundsätzen des bürgerlichen Rechts verstanden werden.
Zu Unrecht meint das LSG demgegenüber, der Gesetzgeber habe im Neuregelungsgesetz vom 3. Juli 1961 (BGBl I 845) die Schriftlichkeit in "Abkehr" von der vorherigen Regelung vorgeschrieben, so daß für eine Erforschung eines mutmaßlichen Parteiwillens kein Raum sei. Das GAL in der Erstfassung von 1957 hat noch nicht von Abgabe, sondern von Übergabe oder Entäußerung gesprochen und in § 2 Abs 2 bestimmt, daß eine Verpachtung nur bei einer Pachtdauer von sechs bzw neun Jahren als Entäußerung gilt. Dabei wurde zwar in diesen Vorschriften selbst keine Schriftlichkeit der Entäußerung - des Pachtvertrages - verlangt; Pachtverträge mit der genannten Vertragsdauer setzten aber schon damals nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts (§§ 581 Abs 2, 566 BGB) den schriftlichen Abschluß voraus, da sie anderenfalls nur auf unbestimmte Zeit abgeschlossen galten. Weshalb das Wort "schriftlich" 1961 dann in den Text des GAL aufgenommen wurde, ist amtlich nicht begründet worden (vgl BT-Drucks III/1110 und 2695, jeweils zu § 2); die Aufnahme ist aber wohl damit zu erklären, daß künftig für jede Art der Vereinbarung Schriftlichkeit auch dann gelten sollte, wenn es nach bürgerlichem Recht ihrer nicht bedurfte. Für eine "Abkehr" vom bisherigen Recht beim Verständnis des Begriffs "schriftlich" findet sich somit in der Entstehungsgeschichte kein Anhalt; vielmehr war eher eine Erweiterung der bisher für die Pachtverträge schon geltenden Regelung gewollt, jedenfalls aber nicht ein Ausschluß oder eine Beschränkung der Vertragsauslegung nach bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen bei den nun insgesamt schriftlich zu schließenden Verträgen.
Gegen ein vom bürgerlichen Recht losgelöstes eigenes Begriffsverständnis der Schriftlichkeit im GAL spricht ferner die sich in § 2 Abs 3 Satz 2 GAL findende Wörterverbindung "unbeschadet weitergehender gesetzlicher Formvorschriften schriftlich"; denn mit den weitergehenden Formvorschriften können nur außerhalb des GAL bestehende Formvorschriften gemeint sein, wie etwa die für bestimmte zivilrechtliche Vereinbarungen vorgeschriebenen Beglaubigungen und Beurkundungen (zB bei der Einräumung des Nießbrauchs, vgl BT-Drucks III/1110 aaO).
Was schließlich die von der Beklagten ins Feld geführten Belange der Rechtsklarheit, Rechtssicherheit und des Schutzes der Vertragspartner betrifft, so erzwingen diese bei den Vereinbarungen nach § 2 Abs 3 gatz 2 GAL ebenfalls keine Beschränkung der Auslegung auf den Vertragstext. Denn diese Gesichtspunkte sind schon für das Erfordernis der Schriftlichkeit im bürgerlichen Recht bestimmend gewesen, ohne daß sie dort einer über den Vertragstext hinausgreifenden Auslegung entgegenstanden. Diese Auslegung mag zwar für die Verwaltungspraxis der Alterskassen Schwierigkeiten mit sich bringen. Die Alterskassen werden aber damit nicht vor Probleme gestellt, die sie nicht bewältigen könnten. Denn wenn sich ein abgebender Unternehmer auf Umstände außerhalb des Vertragstextes berufen darf und beruft, dann trägt er dafür die materielle Beweislast (Feststellungslast). Im übrigen darf das Land nicht in seiner Bewirtschaftung verblieben sein; da sich das nachkontrollieren läßt, sind die Alterskassen so weitgehend vor nachträglichen Manipulationen geschützt.
Von seiner Rechtsauffassung aus kann der Senat aufgrund des vom LSG festgestellten Sachverhalts hier nicht abschließend entscheiden, ob der frühere Kläger zum 1. Juli 1976 das Unternehmen im gesamten Umfang verpachtet hat. Diese Folgerung kann entgegen der Revisionsbegründung nicht schon aus der Vertragsurkunde gezogen werden. Dafür reichen die dortige Bezugnahme auf das Betriebsvermögensverzeichnis und ein fehlender Vorbehalt für die streitige Fläche nicht aus. Sie können allenfalls Zweifel erwecken, wohin der wirkliche Wille der Vertragsparteien ging. Die Klägerin hat aber außerdem auf den Inhalt des Altersgeldantrages, auf die späteren Vereinbarungen und auf die "tatsächlich uneingeschränkte Übernahme" hingewiesen. Darüber hinaus könnten noch sonstige Umstände (zugunsten oder zuungunsten der Klägerin) von Bedeutung sein. Da das LSG von seiner Sicht Feststellungen in dieser Richtung für entbehrlich hielt, der Senat als Revisionsgericht sie jedoch nicht treffen kann, muß der Rechtsstreit nach alledem zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisions- und des vorangegangenen Beschwerdeverfahrens bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen