Entscheidungsstichwort (Thema)

Unbillige Härte. besondere Härte. Übergangsgeldberechnung

 

Leitsatz (amtlich)

Fordert ein Versicherter die Berechnung des Übergangsgeldes nach RVO § 1241a Abs 2 S 1 Nr 3, so kann er zur Begründung der "unbilligen Härte" regelmäßig nicht auf ein Arbeitsentgelt zurückgreifen, das länger als 3 Jahre zurückliegt.

 

Orientierungssatz

1. Eine besondere Härte wird im allgemeinen dann angenommen, wenn das Übergangsgeld infolge einer Behinderung des Versicherten erheblich abgesunken ist und in einem offensichtlichen Mißverhältnis zu dem Entgelt des Versicherten steht, das dieser seiner Ausbildung oder seiner Tätigkeit nach ohne die Behinderung hätte erzielen können. Ein solcher behinderungsbedingter Minderverdienst wird regelmäßig der Hauptanwendungsfall des § 1241a Abs 2 S 1 Nr 3 RVO sein; er kann aber den Tatbestand der unbilligen Härte nicht erschöpfen (so auch BSG vom 1978-04-27 11 RA 60/77 = BSGE 46, 172). Eine Lohnminderung im Bemessungszeitraum reicht - für sich allein betrachtet - nicht aus, um von der Berechnungsvorschrift des § 1241 RVO abzuweichen. Das Tatbestandsmerkmal "unbillig hart" deutet darauf hin, daß davon nicht bei jeder Minderung des Arbeitsverdienstes schlechthin ausgegangen werden kann.

2. Das Gesetz bindet die Berechnungsweise des Übergangsgeldes nach § 1241a Abs 2 S 1 Nr 3 RVO nicht an das Vorliegen einer Unbilligkeit oder versteht sie dem Versicherten bei Auftreten einer Härte zu, es verlangt vielmehr das Zusammentreffen der beiden Tatbestandsmerkmale "unbillig" und "hart". Ob und wann dieser Fall eintritt, kann in aller Regel nur unter Prüfung und Würdigung der Besonderheiten des Einzelfalles festgestellt werden.

 

Normenkette

RVO § 1241a Abs 2 S 1 Nr 3 Fassung: 1974-08-07

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 13.11.1979; Aktenzeichen L 13 J 173/77)

SG Dortmund (Entscheidung vom 16.06.1977; Aktenzeichen S 5 J 36/77)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Höhe des Übergangsgeldes.

Der im Jahre 1952 geborene Kläger arbeitete vom 1. September 1971 bis 8. Juni 1973 als Hauer in der Aus- und Vorrichtung, wobei er im März 1973 ein Bruttoarbeitsverdienst von 1.399,57 DM (netto 957,69 DM) erzielte. Diese Arbeit gab der Kläger nach seinen Angaben aus gesundheitlichen Gründen auf, um einer bevorstehenden Kündigung des Arbeitgebers zuvorzukommen. Ab 9. Juni 1973 arbeitete der Kläger als Kraftfahrer in einer Baustoffgroßhandlung. Dort verdiente er im November 1974 1.686,18 DM brutto. Am 30. September 1975 nahm er eine Arbeit als Kraftfahrer bei einer Wäscherei auf, hier belief sich sein monatlicher Bruttoverdienst im Februar 1976 auf 1.507,50 DM (netto 1.048,36 DM). Dieses Arbeitsverhältnis wurde am 19. April 1976 wegen Arbeitsmangels gekündigt.

Aufgrund eines Umschulungsantrages wurde der Kläger arbeitsamtsärztlich untersucht. Nach dem Gutachten vom 25. September 1974 kann der Kläger aus gesundheitlichen Gründen seine bisherige Berufstätigkeit nicht weiter ausüben. Durch Bescheid vom 1. Juli 1975 bewilligte die Beklagte dem Kläger eine Ausbildung zum technischen Zeichner und mit Bescheid vom 14. Januar 1976 eine Vorschulung zu diesem Beruf. Durch Bescheid vom 12. Mai 1976 gewährte die Beklagte dem Kläger ab 1. Juni 1976 Übergangsgeld in Höhe von 34,71 DM täglich aufgrund des letzten regelmäßigen Nettoentgelts. Dieser Betrag wurde durch die Bescheide vom 8. Februar 1977 und 7. Februar 1978 auf 38,53 DM bzw 42,34 DM erhöht.

Mit Schreiben vom 2. November 1976 beantragte der Kläger eine Überprüfung der Berechnung des Übergangsgeldes und trug hierzu vor, die Zugrundelegung seines letzten Lohnes als Kraftfahrer in einer Wäscherei führe zu einer unbilligen Härte. Er habe eine bergmännische Ausbildung durchgeführt und bis 1973 im Bergbau gearbeitet. Diese Tätigkeit habe er aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben. Sie sei der Berechnung des Übergangsgeldes zugrunde zu legen. Den Antrag lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 6. Januar 1977 ab mit der Begründung, ein unbillige Härte liege nicht vor, weil das bei Zugrundelegung des vom Kläger im Bergbau erzielbaren Nettoverdienstes errechnete Übergangsgeld (40,63 DM) nicht um ein Drittel höher als das tatsächlich gewährte Übergangsgeld liege. Die Beklagte stützte sich hierbei auf die Auskunft des früheren Arbeitgebers des Klägers vom 21. Dezember 1976, wonach ab August 1973 Lohnsteigerungen von 9,6 %, ab Mai 1974 von 12,1 % und ab Mai 1977 von 7 % eingetreten seien.

Der Widerspruch gegen diesen Bescheid blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 1. März 1977). Die Klage wurde durch Urteil des Sozialgerichts Dortmund (SG) vom 16. Juni 1977 abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung wies das Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (LSG) mit Urteil vom 13. November 1979 zurück: Eine unbillige Härte liege jedenfalls dann nicht vor, wenn das der Berechnung des Übergangsgeldes zugrunde gelegte Entgelt lediglich um weniger als 20 % geringer sei als der die wirtschaftliche und soziale Stellung des Rehabilitanden begründete Vergleichslohn. Der Verdienst führe beim Kläger aber lediglich zu einem um 18,52 % niedrigeren Übergangsgeld.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision trägt der Kläger vor, eine unbillige Härte müsse entsprechend den für das Arbeitslosengeld geltenden Regelungen schon dann angenommen werden, wenn das für die Berechnung des Übergangsgeldes maßgebende Einkommen um 10 % geringer sei als der der wirtschaftlichen und sozialen Stellung des Klägers entsprechende Vergleichslohn.

Der Kläger beantragt,

die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die

Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom

6. Januar 1977 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides

vom 1. März 1977 sowie unter Abänderung der Bescheide

vom 8. Februar 1977 und 7. Februar 1978

zu verurteilen, das Übergangsgeld nach

§ 1241a Abs 2 Nr 3 RVO zu berechnen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Berechnung des Übergangsgeldes nach § 1241a Abs 2 Nr 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) idF des Rehabilitations-Angleichungsgesetzes (RehaAnglG) vom 7. August 1974 (BGBl I S 1881). Die von der Beklagten nach § 1241 RVO vorgenommene Berechnung des Übergangsgeldes stellt keine unbillige Härte dar.

Im Schrifttum (Verbandskommentar zur RVO § 1241a RdNr 3; Eicher/Haase/Rauschenbach, Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten, 6. Aufl 1978, § 1241a Anm 4c; Zweng-Scheerer, Handbuch der Rentenversicherung, 2. Aufl, § 1241a Anm III) wird eine besondere Härte im allgemeinen dann angenommen, wenn das Übergangsgeld infolge einer Behinderung des Versicherten erheblich abgesunken ist und in einem offensichtlichen Mißverhältnis zu dem Entgelt des Versicherten steht, das dieser seiner Ausbildung oder seiner Tätigkeit nach ohne die Behinderung hätte erzielen können. Ein solcher behinderungsbedingter Minderverdienst wird regelmäßig der Hauptanwendungsfall des § 1241a Abs 2 Satz 1 Nr 3 RVO sein; er kann indessen den Tatbestand der unbilligen Härte nicht erschöpfen (so BSG vom 27. April 1978 - 11 RA 60/77 - BSGE 46, 172 = SozR 2200 § 1241a Nr 1). Eine Lohnminderung im Bemessungszeitraum reicht - für sich allein betrachtet - nicht aus, um von der Berechnungsvorschrift des § 1241 RVO abzuweichen.

Das Tatbestandsmerkmal "unbillig hart" deutet darauf hin, daß davon nicht bei jeder Minderung des Arbeitsverdienstes schlechthin ausgegangen werden kann.

Nach dem Leitgedanken des § 1 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil (SGB 1) haben Sozialleistungen, zu denen auch das Übergangsgeld zählt (§ 23 Abs 1 Nr 1a SGB 1), ua die Aufgabe, besondere Belastungen des Lebens abzuwenden oder auszugleichen. Nicht jede Einkommensminderung bewirkt für sich allein betrachtet schon eine besondere Belastung. Diese Voraussetzung wird im allgemeinen erst dann erfüllt sein, wenn die Lebensführung erheblich beeinträchtigt wird, evtl sogar auf eine andere Grundlage gestellt werden muß. Das Gesetz bindet die Berechnungsweise nach § 1241a Abs 2 Satz 1 Nr 3 RVO nicht an das Vorliegen einer Unbilligkeit oder gesteht sie dem Versicherten bei Auftreten einer Härte zu, es verlangt vielmehr das Zusammentreffen der beiden Tatbestandsmerkmale "unbillig" und "hart". Ob und wann dieser Fall eintritt, kann in aller Regel nur unter Prüfung und Würdigung der Besonderheiten des Einzelfalles festgestellt werden.

Das LSG hat das Vorliegen einer unbilligen Härte allein aufgrund eines Vergleichs verneint, den es zwischen dem vom Kläger im Bemessungszeitraum tatsächlich erzielten Verdienst und dem Verdienst gezogen hat, den der Kläger bei Verbleiben in der früher ausgeübten Tätigkeit als Hauer erzielt haben würde. Nach den vom Kläger nicht gerügten und demgemäß für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des LSG beträgt der Unterschied zwischen dem von der Beklagten gezahlten Übergangsgeld und einem aus dem aktualisierten Hauerlohn errechneten Übergangsgeld weniger als 20 %. Wenn das LSG allein aus der Betrachtung dieser finanziellen Differenz heraus das Vorliegen einer unbilligen Härte verneint hat, so erscheint diese Schlußfolgerung bedenkenfrei, wenn auch Prozentwerte im allgemeinen keine starre Grenze bilden.

Es muß schon zweifelhaft sein, ob im vorliegenden Falle überhaupt das Entgelt als Hauer zum Vergleich herangezogen werden kann, denn es steht keinesfalls fest, daß der Kläger von der Tätigkeit als Hauer zu der als Baustoffahrer aus gesundheitlichen Gründen gewechselt hat. Allenfalls bei diesem Grund könnte das als Hauer erzielte Entgelt beachtlich sein. Vielmehr hat der Kläger nach dem Wechsel ein erheblich höheres Arbeitseinkommen erzielt als vorher. Wenn im Zuge des vom Kläger beantragten Rehabilitationsverfahrens medizinisch festgestellt worden ist, daß er die beiden Berufstätigkeiten nicht mehr ausüben könne, so liegt die Bedeutung dieser Feststellung in der Beantwortung der für den Versicherungsträger erheblichen Frage, ob dem Kläger berufsfördernde Maßnahmen zur Erlangung eines neuen Berufes - als technischer Zeichner - zu gewähren seien. Keineswegs war damit aber die Frage beantwortet, ob der Kläger vom Hauer zum Baustoffahrer aus gesundheitlichen Gründen gewechselt hatte. Die Heranziehung des Hauerlohnes als Vergleichswert begegnet indes noch weiteren Bedenken. Diesen Lohn hatte der Kläger im März 1973 im letzten abgerechneten Lohnzahlungszeitraum erzielt. Seine berufsfördernde Maßnahme und damit auch die Zahlung des Übergangsgeldes begann aber am 1. Juni 1976. Nach der Auffassung des Senats kann jedoch ein Arbeitsentgelt, das über drei Jahre zurückliegt regelmäßig nicht - es sei denn in besonders begründeten Ausnahmefällen - zum Vergleich herangezogen werden. Das ergibt sich einmal schon aus der Regelung des § 1241a Abs 1 RVO, die die Berechnung des Übergangsgeldes grundsätzlich auf Arbeitsentgelt beschränkt, das nicht länger als drei Jahre zurückliegt. In Ergänzung dieser Regelung schreibt § 1241a Abs 2 Satz 1 Nr 1 vor, daß in den Fällen, in denen das Arbeitsentgelt länger als drei Jahre zurückliegt, nicht von diesem Verdienst, sondern von anderen Werten auszugehen ist.

In diesem Zusammenhang ist weiter zu beachten, daß das Übergangsgeld - ebenso wie das Krankengeld, nach dessen Berechnungsschema es im Grundsatz ermittelt wird (§ 1241 Abs 1 RVO) - Lohnersatzfunktion hat. Es soll dazu dienen, dem Versicherten den Verdienstausfall zu ersetzen, den er infolge der Durchführung der berufsfördernden Maßnahme erleidet und es ihm damit ermöglichen, sich ohne wirtschaftliche Sorgen dem neuen Beruf zuzuwenden. An diesem Ziel der wirtschaftlichen Sicherstellung muß sich auch der Begriff der unbilligen Härte orientieren, wobei allerdings nicht nur auf die bisherige wirtschaftliche Lage des Versicherten abzustellen ist, sondern auch die wirtschaftliche Lage vergleichbarer Versicherter mit in Betracht gezogen werden muß, denn die Regelung des § 1241a Abs 2 RVO soll ein angemessenes, ausreichend hohes Übergangsgeld sicherstellen (vgl BT-Drucks 7/1237 S 59 und 71). Unter Anwendung dieser Grundsätze ist in der bisherigen Rechtsprechung die Anwendung des § 1241a Abs 2 Satz 1 Nr 3 RVO bzw der Parallelvorschrift des § 18a Abs 2 Satz 1 Nr 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) bejaht worden, wenn bei der Regelberechnung (§ 1241 Abs 1 RVO) das Übergangsgeld auf der Basis einer Halbtagsbeschäftigung hätte berechnet werden müssen (BSG Urteil vom 27. April 1978 - 11 RA 60/77 = BSGE 46, 172). Die Anwendung des mit § 1241a Abs 2 Satz 1 Nr 3 vergleichbaren § 568 Abs 3 Satz 1 Nr 3 RVO ist bejaht worden, wenn für die Regellohnberechnung auf eine Lehrlingsvergütung hätte zurückgegriffen werden müssen (BSG Urteil vom 15. Dezember 1977 - 8 RU 54/77 = SozR 2200 Nr 1 zu § 568), jedoch hat das Gericht bereits in dieser Entscheidung betont, daß von der abweichenden Berechnungsmethode "nur mit Zurückhaltung Gebrauch gemacht" werden dürfe.

Beim Kläger indessen sind keine Umstände erkennbar, aus denen sich eine besondere wirtschaftliche oder soziale Belastung des Versicherten durch den Minderverdienst ergäbe.

Hiernach konnte das LSG eine unbillige Härte deswegen verneinen, weil das für die Berechnung des Übergangsgeldes maßgebende Arbeitsentgelt nur um weniger als 20 % geringer war als das Entgelt, das der Kläger bei Fortsetzung seiner Berufstätigkeit im Bergbau aufgrund allgemeiner Lohnerhöhungen voraussichtlich erzielt hätte. Konkrete Umstände, die auf eine wesentliche Beeinträchtigung des Lebensstandards des Klägers nach Aufgabe seiner Berufstätigkeit im Bergbau hindeuten, sind weder vorgetragen noch aus den Feststellungen des LSG zu entnehmen. Der Kläger beruft sich lediglich darauf, daß er bei Fortsetzung seiner alten Berufstätigkeit im Bergbau ein höheres Arbeitseinkommen erzielen würde. Unter diesen Umständen müßten die Auswirkungen auf die Lebensführung zum Zwecke der Feststellung des Vorliegens einer unbilligen Härte wegen Fehlens konkreter Umstände im Wege der Schätzung ermittelt werden. Diese hat das LSG vorgenommen und im Vergleich zu anderen Sozialleistungsbereichen (§ 30 Abs 2 des Bundesversorgungsgesetzes -BVG- Knappschaftliche Rentenversicherung) begründet. Weiterhin hat das LSG die Höhe des Arbeitsverdienstes in seine Überlegungen einbezogen, um einer starren, an Prozentzahlen orientierten Betrachtungsweise entgegen zu wirken. Auch dadurch konnte es der konkreten Situation des Klägers gerecht werden. Die Schätzungen des LSG ergeben insgesamt keinen hinreichenden Grund für die Annahme, daß die Berechnung des Übergangsgeldes durch die Beklagte unbillig hart im Sinne des § 1241a Abs 2 Nr 3 RVO ist.

Nach allem erweist sich die Revision als unbegründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1657767

Breith. 1981, 690

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