Entscheidungsstichwort (Thema)

Unfall auf dem Weg von der Volkshochschule zur Kaserne

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Verkehrsunfall, den ein wehrpflichtiger Soldat bei der Rückkehr von der Teilnahme an einem allgemeinbildenden Kursus einer Volkshochschule zur Kaserne erleidet, ist versorgungsrechtlich nicht geschützt.

 

Leitsatz (redaktionell)

Eine auf diesem Weg erlittene gesundheitliche Schädigung ist nicht auf einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall zurückzuführen; der Unfall ist auch nicht durch die von Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden und er hat sich auch nicht auf einem nach BVG § 4 (jetzt SVG § 81 Abs 3) versorgungsrechtlich geschützten Weg ereignet.

Die Teilnahme an den Kursen der Volkshochschule hängt mit dem Wehrdienst nicht zusammen. Daran ändert auch nichts, daß die Bundeswehr ein allgemeines Interesse an geistig geschulten Soldaten hat. Die regelmäßige Gewährung von Nachturlaub hat den Besuch der Volkshochschule nicht zu einer dienstlichen Angelegenheit gemacht.

Der Volkshochschulbesuch ist auf die Initiative des Klägers zurückgegangen und hat seinen Privatinteresse, insbesondere seinem späteren beruflichen Fortkommen gedient.

Auch für andere Staatsbürger besteht bei dem Besuch von Volkshochschulen und ähnlichen Bildungseinrichtungen kein gesetzlicher Unfallschutz.

 

Normenkette

BVG § 4 Abs. 1 Buchst. b Fassung: 1964-02-21, Buchst. c Fassung: 1964-02-21; SVG § 81 Abs. 3 Fassung: 1967-02-20, § 80 Abs. 1 Fassung: 1967-02-20, § 81 Abs. 1 Fassung: 1967-02-20

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 22. September 1971 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Der im Jahre 1939 geborene Kläger leistete vom 1. Oktober 1960 bis 31. März 1962 Wehrdienst bei einem Fernmelderegiment in Goslar; er war zuletzt als Gefreiter in der Kraftfahrzeugwerkstatt eingesetzt. Am Dienstag und Donnerstag jeder Woche von 18.45 bis 21.45 Uhr besuchte der Kurse für Mathematik und Physik an der Volkshochschule (VHS) G. Für diese Tage war ihm allgemein Nachturlaub bewilligt worden. Am 8. Februar 1962 gegen 22.05 Uhr stieß er auf dem Rückweg von der VHS zur Kaserne mit dem von ihm gefahrenen Motorroller an einer Straßenkreuzung gegen einen Personenkraftwagen, stürzte auf das Straßenpflaster und erlitt einen schweren Hirnschaden.

Wegen der Folgen dieses Unfalls bezieht der Kläger Rente wegen Erwerbsunfähigkeit von der Landesversicherungsanstalt (LVA) der Freien und Hansestadt H. Die Beklagte lehnte den am 19. April 1967 gestellten Antrag auf Versorgung durch Bescheid vom 9. Mai 1967 ab. Widerspruch und Klage waren erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 14. Mai 1968; Urteil des Sozialgerichts - SG - Hamburg vom 1. April 1969).

Das Landessozialgericht (LSG) Hamburg hat durch Urteil vom 22. September 1971 die Berufung des Klägers zurückgewiesen und in den Entscheidungsgründen ausgeführt, der Kläger habe sich am Abend des 8. Februar 1962 nicht auf einem versorgungsrechtlich geschützten Weg befunden. Er habe weder eine Dienstreise noch einen Dienstgang im Sinne des § 4 Abs. 1 Buchst. b des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) unternommen, weil eine entsprechende Anordnung eines Vorgesetzten nicht erfolgt sei; dessen wohlwollendes Einverständnis reiche dafür nicht aus. Auch die regelmäßige Gewährung von Nachturlaub mache den Besuch der VHS nicht zu einer dienstlichen Angelegenheit. Eine militärische Verpflichtung des Klägers zum Besuch der VHS sei dadurch nicht begründet worden. Wenn seine Vorgesetzten gelegentlich geäußert hätten, daß sie die Kurse für nützlich und förderungswürdig hielten, so hätten sie dabei mehr die mit dem Besuch der VHS für den Kläger und sein berufliches Fortkommen verbundenen Vorteile und weniger den Nutzen für die Bundeswehr im Auge gehabt. Die Urlaubserteilung zeige gerade, daß eine dienstliche Anordnung nicht erfolgt sei. Wege, die nicht durch dienstliche Anordnungen veranlaßt seien, ständen nur dann unter Versorgungsschutz, wenn sie an der Dienststelle begännen oder zu ihr hinführten und wenn sie außerdem mit dem Dienst in Zusammenhang ständen. Das sei hier nicht der Fall. Die Leistungspflicht der Beklagten werde auch nicht dadurch begründet, daß der Kläger zur Nachtruhe in die Kaserne habe zurückkehren wollen. Die VHS sei keine Einrichtung oder Veranstaltung der Bundeswehr. Wenn auch die Bundeswehr ein Interesse an geistig geschulten Soldaten habe, so werde hierdurch allein ein Zusammenhang mit dem Dienst nicht begründet. Die dem Kläger in den Kursen der VHS vermittelten Kenntnisse hätten keine Bedeutung für seine militärischen Aufgaben in der Kraftfahrzeugwerkstatt und bei der Luftraumbeobachtung gehabt. Der Kläger habe die VHS auch nicht besucht, um damit der Bundeswehr einen Dienst zu erweisen. Eine Verlängerung seiner Dienstzeit in der Unteroffizierslaufbahn habe er zwar erwogen, aber schließlich doch abgelehnt. Bei dem Kläger hätten private Zwecke weitaus im Vordergrund gestanden, weil er am 7. April 1962, also unmittelbar nach seinem Abschied aus der Bundeswehr, die Aufnahmeprüfung zur Ingenieurschule habe ablegen wollen. Die Kurse seien auch nicht als arbeits- und berufsfördernde Maßnahmen im Sinne des § 81 Abs. 2 Nr. 2 des Soldatenversorgungsgesetzes (SVG) anzusehen.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Der Kläger hat gegen dieses Urteil am 20. Dezember 1971 Revision eingelegt und diese am 7. Januar 1972 begründet.

Er beantragt,

das angefochtene Urteil sowie das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 1. April 1969 und den Bescheid der Beklagten vom 9. Mai 1967 sowie den Widerspruchsbescheid vom 14. Mai 1968 aufzuheben und die Beklagte dem Grunde nach zu verurteilen, dem Kläger ab 1. April 1967 Rente wegen einer Wehrdienstbeschädigung zu gewähren.

Zur Begründung führt er aus, eine Dienstverrichtung oder ein Dienstweg im engeren Sinne möge nicht vorgelegen haben; der von ihm erlittene Unfall sei aber auf die der Ableistung des Bundeswehrdienstes eigentümlichen Verhältnisse zurückzuführen. Durch den Wehrdienst und den Aufenthalt in der Kaserne sei er in seiner Freizeitgestaltung und Bewegungsfreiheit erheblich eingeschränkt gewesen; aus seinem bürgerlichen Lebenskreis sei er zwangsweise herausgenommen und an den Standort gebunden worden. Die VHS habe er nur wegen der Ableistung seines Bundeswehrdienstes besucht, um geistig und naturwissenschaftlich nicht zu "veröden" und seine mathematisch-naturwissenschaftlichen Kenntnisse zu erhalten und zu erweitern. Ohne die Pflicht, Wehrdienst zu leisten, hätte er seine begonnene Ausbildung regulär weiterführen können. Die von ihm besuchten Kurse für Mathematik und Physik seien zwar für seinen bürgerlichen Beruf dienlich gewesen; ohne diese Kurse hätte er aber die Aufnahmeprüfung für die Ingenieurschule infolge der geistigen Vernachlässigung bei der Bundeswehr nicht bestanden. Im übrigen habe auch die Bundeswehr ein grundsätzliches Interesse an der Weiterbildung der Soldaten. Ihm sei deshalb regelmäßig Sonderurlaub als Nachturlaub gewährt worden. Dies sei eine gezielte Förderungsmaßnahme gewesen, denn für rein private Vorhaben - wie Tanzen, Gaststätten- oder Kinobesuch - wäre ihm kein solcher Urlaub erteilt worden. Der Besuch der VHS hebe sich deshalb entscheidend von privaten Unternehmungen ab; er sei auch sinnvoller als der Besuch einer Kantine. Deshalb sei es gerechtfertigt, derartige Bildungsveranstaltungen und die Wege zu ihnen versorgungsrechtlich zu schützen. Beide Bezugspunkte seines Weges, nämlich Kaserne und VHS, seien dienstbezogen gewesen. Ein Dienstunfall müsse deshalb bejaht werden, weil er für den Besuch der VHS Sonderurlaub erhalten, der Unfall sich auf dem Rückweg zur Kaserne ereignet und der Besuch der VHS dem generellen Anliegen der Bundeswehr auf geistige Förderung der wehrpflichtigen Soldaten und darüber hinaus im vorliegenden Fall auch ihrem speziellen Interesse entsprochen habe.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie meint, die Berufsförderung für Wehrpflichtige sei nicht gleichbedeutend mit einer versorgungsrechtlich geschützten Dienstausübung. Die Gewährung von Sonderurlaub sei durchaus angezeigt gewesen. Dies sei aber nicht gleichbedeutend mit der Anerkennung einer Bildungsveranstaltung als Dienstausübung; sonst wäre eine Abkommandierung und keine Erteilung von antragsbedürftigem Sonderurlaub erfolgt. Der Rückweg zur Kaserne könne nicht als geschützt angesehen werden. Andernfalls wäre der Wehrpflichtige in Verfolgung privater Interessen besser gestellt als der nichtwehrpflichtige Teilnehmer der gleichen Bildungsveranstaltung.

II

Die durch Zulassung (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) statthafte Revision ist vom Kläger form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 SGG). Sie ist daher zulässig; sachlich ist sie jedoch nicht begründet. Das LSG hat zutreffend entschieden, daß dem Kläger keine Versorgung nach dem SVG iVm dem BVG zusteht.

Der Kläger war als wehrpflichtiger Soldat zur Ableistung seines Grundwehrdienstes eingezogen (vgl. §§ 1 ff des Wehrpflichtgesetzes vom 21. Juli 1956 - BGBl I S. 651 - mit den späteren Änderungen). Auf ihn sind daher, soweit es sich um die Entschädigung seines Unfalls handelt, die Vorschriften des Dritten Teiles ("Beschädigtenversorgung") des SVG anzuwenden. Der Zweite Teil dieses Gesetzes, insbesondere § 27 über die Gewährung eines Unfallruhegehaltes, gilt ausdrücklich nur für die Dienstzeitversorgung der Berufssoldaten, nicht aber für die Beschädigtenversorgung (vgl. Urteile des erkennenden Senats in BSG 28, 190; SozR SVG Nr. 2 zu § 81). Da der Kläger seinen Antrag im April 1967 gestellt hat, ist sein Anspruch auf Versorgung nach dem SVG idF vom 20. Februar 1967 (BGBl I S. 201; vgl. Art. III und V § 3 des Dritten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts vom 28. Dezember 1966, BGBl I S. 750 - 3. NOG -) und den seither eingetretenen Änderungen zu beurteilen. Nach § 80 Satz 1 SVG erhält ein Soldat, der eine Wehrdienstbeschädigung erlitten hat, nach Beendigung des Dienstverhältnisses wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, soweit in diesem Gesetz (SVG) nichts Abweichendes bestimmt ist. Nach § 81 Abs. 1 SVG ist Wehrdienstbeschädigung eine gesundheitliche Schädigung, die durch eine Wehrdienstverrichtung, durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist.

Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, daß der Kläger nicht durch eine Wehrdienstverrichtung oder durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfalls zu Schaden gekommen ist. Um eine militärische Dienstverrichtung oder die Ausübung militärischen Dienstes handelt es sich dann, wenn der Soldat militärische Obliegenheiten erfüllt, die ihm durch soldatische Pflicht und militärische Grundsätze, durch allgemeine Dienstvorschriften oder durch besonderen Befehl im Einzelfall auferlegt sind (vgl. BSG 8, 267; 10, 251, 254). Die regelmäßige Gewährung von Nachturlaub machte den Besuch der VHS Goslar nicht zu einer Dienstverrichtung. Eine dienstliche Anordnung hat insoweit nicht vorgelegen; eine militärische Verpflichtung wurde dadurch nicht begründet. Durch die Urlaubsgewährung wurde der Kläger lediglich von seiner Dienstpflicht, um 22 Uhr wieder in der Kaserne zu sein, befreit. Weitere Rechtswirkungen sind mit der Urlaubsgewährung nicht verbunden. Der Kläger hat den Verkehrsunfall auch nicht "während der Ausübung des Wehrdienstes" erlitten. Der Kläger vermag keine Rechte daraus herzuleiten, daß er den Unfall zu einer Zeit erlitten hat, in der er zur Ableistung seines Wehrdienstes eingezogen und zur Dienstleistung in Goslar verpflichtet war. Das Bundessozialgericht (BSG) hat bereits wiederholt entschieden, daß nicht jeder Unfall, der "während der Dienstzeit" eingetreten ist, versorgungsrechtlich geschützt ist. Zwar ist nach der Rechtsprechung ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfall un dem militärischen Dienst nicht erforderlich, es genügt vielmehr ein zeitlicher Zusammenhang. Der Unfall muß sich jedoch während der tatsächlichen "Ausübung" des militärischen Dienstes ereignet haben (vgl. BSG 8, 264; SozR BVG Nr. 32, 49 und 50 zu § 1; Urteil des erkennenden Senats vom 22. Juni 1972 - 10 RV 234/71 -). Das bedeutet, daß der Verletzte den militärischen Dienst in der Zeit, als sich der Unfall ereignete, nicht durch eine dienstfremde, rein persönliche Tätigkeit unterbrochen haben darf, so daß er militärischen Dienst zu diesem Zeitpunkt gar nicht ausüben konnte und auch nicht ausgeübt hat (vgl. BSG aaO; BSG 13, 16; 33, 141).

Der Unfall des Klägers wird auch nicht dadurch zu einer dienstlichen Angelegenheit, daß Endpunkt für den Rückweg des Klägers von der VHS der Kasernenbereich war. Welche Wege versorgungsrechtlich geschützt sind, richtet sich zunächst nach § 4 BVG. Diese Vorschrift ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG auch bei der Beschädigtenversorgung nach dem SVG anzuwenden, insofern sie das Zurücklegen bestimmter Wege zum militärischen Dienst, d. h. als auch zum Wehrdienst nach den §§ 80 ff SVG rechnet (vgl. BSG 28, 190; Urteil BSG vom 25. März 1971 - 9 RV 596/69 -). Nach § 4 Abs. 1 BVG gehören zum militärischen oder militärähnlichen Dienst auch Dienstreisen, Dienstgänge und die dienstliche Tätigkeit am Bestimmungsort (Buchst. b), das Zurücklegen des mit dem Dienst zusammenhängenden Weges nach und von der Dienststelle (Buchst. c) sowie die Teilnahme an dienstlichen Veranstaltungen (Buchst. d). Wie das LSG unangegriffen und daher für den Senat bindend (§ 163 SGG) festgestellt hat, ist dem Kläger die Teilnahme an den Kursen der VHS nicht zur Pflicht gemacht worden. Eine allgemeine Dienstvorschrift oder ein besonderer Befehl im Einzelfall lagen nicht vor. Die bloße "Billigung" durch die militärischen Vorgesetzten reicht für die Annahme eines Dienstweges oder einer Dienstreise (Buchst. b) nicht aus.

Über die Vorschrift des § 4 Abs. 1 Buchst. b BVG hinaus spricht Buchst. c ganz allgemein von einem "mit dem Dienst zusammenhängenden Weg" nach und von der Dienststelle. Diese Vorschrift erfaßt somit neben den vorerwähnten Fällen auch alle anderen Wege nach und von der Dienststelle, die nicht selbst militärischen Dienst im Sinne des § 1 Abs. 1 BVG oder einen Dienstgang, eine Dienstreise oder eine sonstige dienstliche Tätigkeit darstellen, aber doch mit dem Dienst zusammenhängen (vgl. BSG in SozR BVG Nr. 8 zu § 4). Das BSG hat in dieser Entscheidung ausgesprochen, daß ein Soldat, der zu einem Dienst außerhalb der Kaserne abgeordnet wird, bei der pflichtgemäßen Rückkehr von diesem Ort in die Kaserne nach § 4 Abs. 1 Buchst. c BVG versorgungsrechtlich geschützt ist, weil in einem solchen Fall auch der Rückweg in einem inneren ursächlichen Zusammenhang mit dem Dienst steht. Kommt es aber nach der Rechtsprechung darauf an, welche - mit dem Dienst zusammenhängenden - Gründe für das Zurücklegen des (Rück-) Weges maßgebend gewesen sind, dann steht nicht jeder Weg allein aus dem Grunde, weil er zur Kaserne zurückführt und weil dort zu einem späteren Zeitpunkt die dienstliche Tätigkeit wieder aufgenommen werden muß, unterschiedslos unter Versorgungsschutz. Vielmehr sind solche Wege nicht geschützt, die dem persönlichen Lebensbereich zuzurechnen sind und lediglich unternommen werden, um einer privaten Tätigkeit nachzugehen, die nach ihrer Art und Dauer in keinem wesentlichen Zusammenhang mit dem militärischen Dienst steht (vgl. BSG, aaO; BSG in SozR BVG Nr. 5 zu § 4). Dazu rechnen im Regelfall auch der Stadturlaub (Sonntags- und Nachturlaub) und die dabei ausgeübten Tätigkeiten (vgl. BSG in SozR BVG Nr. 19, 22 und 23 zu § 1; BSG in BVBl 1959 S. 101). Das Wesen des Urlaubs liegt gerade darin, daß der Soldat vom militärischen Dienst befreit ist. Diese Befreiung setzt mit dem Beginn des Urlaubs ein, so daß auch der Weg von der Kaserne zum frei gewählten Urlaubsziel keine Ausübung militärischen Dienstes darstellt; sie endet erst mit der "vollzogenen" Rückkehr zur Kaserne, wenn der Soldat sein Verhalten nicht mehr selbst bestimmen kann, sondern nach militärischen Anordnungen und Befehlen ausrichten muß (vgl. BSG 7, 75; BSG in SozR BVG Nr. 44 zu § 1). Die Freizeit des Soldaten und die dabei zurückgelegten Wege werden also von § 4 Abs. 1 Buchst. c BVG nicht erfaßt. Der letzte Satz dieser Vorschrift, wonach Satz 1 Buchst. c "auch für den Weg von und nach der Familienwohnung gilt", bestätigt das hier gewonnene Ergebnis. Dieser Vorschrift, die erst durch das 2. NOG (vom 21. Februar 1964, BGBl I S. 85) in das Gesetz eingefügt worden ist, hätte es - jedenfalls für den Rückweg - nicht bedurft, wenn jeder Weg, der zur Kaserne zurückführt, Versorgungsschutz genießen würde. Der Kläger, der jeweils Urlaub bis zum Wecken hatte, hat auch nichts darüber vorgetragen, daß er am Unfalltag aus besonderen dienstlichen Gründen oder zur Verrichtung einer bestimmten dienstlichen Tätigkeit gezwungen war, vorzeitig in die Kaserne zurückzukehren oder daß er gar vorzeitig zur Kaserne zurückbefohlen wurde.

Der Kläger hat auch nicht an einer "dienstlichen Veranstaltung" i. S. des Buchst. d dieser Vorschrift teilgenommen. Zwar rechnen dazu nach den Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum SVG (idF vom 19. Mai 1972 - BVBl 1972 S. 94 Nr. 54) auch die zur militärischen Fortbildung angeordneten Veranstaltungen nach § 4 Abs. 4 des Wehrpflichtgesetzes (vgl. auch §§ 3 ff SVG); der Besuch von allgemeinbildenden Kursen an einer VHS fällt jedoch nicht darunter. Das LSG hat ausdrücklich festgestellt, daß die Kurse an der VHS keine Veranstaltung oder gar Einrichtung der Bundeswehr waren. Die Verbindung zwischen beiden Institutionen war nur eine ganz lose in dem Sinne, daß die Teilnahme an den Kursen und Veranstaltungen der VHS auch den Soldaten der Bundeswehr offenstand, ebenso wie der gesamten übrigen Bevölkerung. Nach den Feststellungen des LSG ist auch nicht zu erkennen, daß zwischen der Bundeswehr und den Veranstaltungen der VHS eine so enge Verbindung bestand, daß eine Teilnahmeverpflichtung, wenn auch nur für einzelne Soldaten, anzunehmen wäre. Die Teilnahme des Klägers beruhte vielmehr auf seinem eigenen Entschluß, wobei nicht der "Nutzen der Bundeswehr", sondern das Interesse des Klägers an seinem beruflichen Fortkommen im Vordergrund stand (s. Bl. 6 und 8 des Urteils). Wird weiter berücksichtigt, daß der vermittelte Wissensstoff keine Bedeutung für die militärischen Aufgaben des Klägers - in einer Kfz-Werkstatt - hatte, daß er eine längerfristige Verpflichtung zur Bundeswehr gerade abgelehnt hatte und daß er bereits am 7. April 1962, also unmittelbar nach seinem Ausscheiden aus der Bundeswehr, seine Aufnahmeprüfung für die Ingenieurschule in Hamburg ablegen wollte, dann können die Kurse der VHS nicht als "dienstliche Veranstaltungen" angesehen werden.

Die Beurteilung wird keine andere, wenn für die Zeit ab 1. Oktober 1971 das SVG idF der Bekanntmachung vom 1. September 1971 (BGBl I S. 1481) angewendet wird (vgl. BSG 15, 239; 16, 257; 19, 261). Die Neufassung unterscheidet sich von der früheren Fassung, soweit es die hier interessierenden Vorschriften betrifft, lediglich dadurch, daß § 4 Abs. 1 BVG nunmehr in das SVG - als § 81 Abs. 3 - aufgenommen worden ist. Dabei handelt es sich jedoch lediglich um eine redaktionelle Änderung zur vereinfachten Anwendung des SVG, nicht um eine materielle Rechtsänderung.

Der Unfall des Klägers ist auch nicht "durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse" herbeigeführt worden. Dem Wehrdienst eigentümlich sind Verhältnisse, die den Eigenarten des Dienstes entsprechen, im allgemeinen eng mit ihm verbunden sind und die sonst nicht oder nicht in dem Maße wie beim militärischen Dienst wirksam und erfahrungsgemäß den besonderen Umständen dieses Dienstes zuzurechnen sind (vgl. BSG 10, 251, 255; 18, 199, 201; Urteil des erkennenden Senats vom 30. November 1971 in SozR SVG 1964 Nr. 2 zu § 81 mit weiteren Hinweisen). Zwar gehört es zu den dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnissen, daß der Soldat für die Dauer des Wehrdienstes von dem räumlichen Schwerpunkt seiner bürgerlichen Lebensinteressen ferngehalten und in seiner Freizeitgestaltung und Bewegungsfreiheit eingeschränkt wird (vgl. BVerwG in NJW 1964, 2031). Diesen "Eigentümlichkeiten" wird aber durch die Gestattung von Familienheimfahrten und die weitgehende Gewährung von Nacht- und Sonntagsurlaub Rechnung getragen. Soweit der Kläger vorträgt, daß der Wehrdienst zu einer geistigen "Verödung" bzw. "Verarmung" führe, der er durch den Besuch der VHS habe entgegenwirken wollen, kann dadurch jedenfalls noch kein Zusammenhang zwischen dem Verkehrsunfall des Klägers und dem Wehrdienst hergestellt werden. Abgesehen davon, daß Dienst- und Freizeit bei der Bundeswehr miteinander abwechseln, müßte die von dem Kläger vertretene Auffassung dazu führen, daß praktisch jeder Freizeitaufenthalt außerhalb des Kasernenbereichs unter Versorgungsschutz steht, weil der behaupteten geistigen Verengung und dem "Eingesperrtsein" ausgewichen werden soll. Ein so weitgehender Versorgungsschutz ist aber mit dem Wortlaut (§§ 80 ff SVG) und auch mit dem Sinn und Zweck des SVG unvereinbar. Zwar trifft es zu, daß die Bundeswehr ein Interesse an geistig geschulten Soldaten hat und daß deshalb der Besuch von Bildungseinrichtungen aller Art von den Vorgesetzten durchaus gefördert wird. Ein Zusammenhang mit dem militärischen Dienst und seinen Eigenarten läßt sich aber allenfalls dann herleiten, wenn der Soldat von seinen Vorgesetzten zum regelmäßigen Besuch dieser Bildungseinrichtungen angehalten wird und wenn der vermittelte Wissensstoff eine Bedeutung für die der Bundeswehr obliegenden Aufgaben hat. Das aber traf nach den Feststellungen des LSG auf die von dem Kläger besuchten Kurse der VHS nicht zu; der Volkshochschulbesuch des Klägers ging auf seine eigene Initiative zurück und diente seinem Privatinteresse, insbesondere seinem späteren beruflichen Fortkommen nach der bevorstehenden Beendigung seiner Wehrpflicht.

Zu einer erweiternden Auslegung des Gesetzes sieht sich der Senat schon deshalb nicht in der Lage, weil auch ein Zivilist unter den gleichen Umständen bei dem Besuch der VHS nicht unter Unfallversicherungsschutz gestanden hätte. Nach § 539 Abs. 1 Nr. 14 der Reichsversicherungsordnung (RVO), der durch § 1 Nr. 1 des Gesetzes über die Unfallversicherung für Schüler und Studenten sowie Kinder in Kindergärten (vom 18. März 1971, BGBl I S. 237) neu gefaßt und erst am 1. April 1971 in Kraft getreten ist, ist zwar für die im Gesetz genannten Personenkreise der Besuch von Kindergärten, allgemeinbildenden Schulen, Hochschulen und für die unter Buchst. c genannten Personen auch der Besuch von berufsbildenden Schulen usw. geschützt. Einen allgemeinen Unfallschutz für alle Staatsbürger bei dem Besuch von Volkshochschulen oder ähnlicher bildungsfördernder Einrichtungen gibt es jedoch nicht.

Der Senat befindet sich mit seiner Auffassung auch in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und der übrigen KO-Senate des BSG. Das Bundesverwaltungsgericht hat in der vom Kläger zitierten Entscheidung (vom 9. April 1964, in NJW 1964, 2031) das Vorliegen einer Wehrdienstbeschädigung abgelehnt und dabei ausgesprochen, daß ein Verkehrsunfall auf einer privaten Urlaubsfahrt nicht den Eigentümlichkeiten des Wehrdienstes zuzurechnen sei, weil sich der Soldat damit den Zufälligkeiten aussetzt, die mit jeder Reise verbunden sind, und nicht anders gestellt werden könne als im normalen bürgerlichen Leben. Wenn das BSG in dem Urteil vom 29. Januar 1970 (SozR BVG Nr. 80 zu § 1) eine Verletzung, die ein junger Soldat bei einem Streit in der Bundeswehrkantine erlitten hatte, auf die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse zurückgeführt hat, so hat es sich dabei von der Erwägung leiten lassen, daß das ständige und zwangsweise Zusammenleben von überwiegend jungen Leuten in größerer Zahl eine Gefahrenerhöhung schafft, die für den Wehrdienst eigentümlich und typisch ist. Diese Voraussetzung aber lag bei dem Kläger, der sich nach der Urlaubsgewährung aus der Kaserne und den dort bestehenden Verhältnissen entfernt und alsdann - wie jede andere Zivilperson - den Zufälligkeiten und Gefahren des allgemeinen Straßenverkehrs ausgesetzt hatte, gerade nicht vor.

Eine Anspruchsgrundlage für den Versorgungsanspruch des Klägers ist daher weder nach dem SVG noch nach dem BVG gegeben. Die Revision ist folglich unbegründet und mußte zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1669483

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