Leitsatz (amtlich)

Verbringt der Soldat den Urlaub am Standort, so kann Versorgung für die Unfälle auf dem Weg von und zur Unterkunft auch dann nicht beansprucht werden, wenn der Urlaub dem Zusammentreffen mit Familienangehörigen dient.

 

Normenkette

BVG § 1 Abs. 1 Fassung: 1950-12-20

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 28. März 1957 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Der Kläger war während des Zweiten Weltkrieges Soldat in D. Während seines Stadturlaubs vom 14. auf 15. Juni 1942 besuchte ihn seine in W wohnhafte Ehefrau in D. Sie trafen sich dort im Hotel K. Am 15. Juni 1942 morgens stürzte der Kläger auf dem Wege zur Kaserne aus der fahrenden Straßenbahn. Als Folgen des Unfalls wurden Schädelbasisbruch mit Hirnschädigung angegeben. Den Versorgungsantrag vom 26. Juni 1946 lehnte das Versorgungsamt (VersorgA.) ab. Der Beschwerdeausschuß erkannte aus anderen Gründen Nasennebenhöhlenerkrankung links als Versorgungsleiden ohne Rentengewährung an und wies im übrigen den Einspruch des Klägers zurück, weil der Unfall sich nicht während der Ausübung militärischen Dienstes ereignet habe. Die als Klage auf das Sozialgericht (SG.) übergegangene Berufung des Klägers wurde mit Urteil vom 12. Januar 1955 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG.) wies die Berufung des Klägers mit Urteil vom 28. März 1957 zurück: Der Unfall auf dem Wege zur Kaserne am Ende des Stadturlaubs sei weder anläßlich militärischen Dienstes (Ziffer 4 der Sozialversicherungsdirektive - SVD - Nr. 27) noch während der Ausübung militärischen Dienstes (§ 1 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes - BVG -) eingetreten. Der Stadturlaub habe weder der Wiederherstellung der Gesundheit noch der Erholung gedient. Während des Urlaubs stehe der Soldat nicht im Dienst und habe auch keine Dienstbereitschaft.

Mit der zugelassenen Revision beantragte der Kläger, das angefochtene Urteil aufzuheben und dem Klageantrag stattzugeben, hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG. zurückzuverweisen.

Die Revision macht geltend: Die Rückkehr zur Kaserne stehe unter dienstlichem Zwang und sei daher eine Handlung des Militärdienstes, mindestens stehe sie mit diesem in innerem Zusammenhang. Der Kläger habe bei seinem Rückweg zur Kaserne daher Militärdienst ausgeübt. Bei jedem Urlaub spreche die Vermutung dafür, daß er der Erholung diene. Das LSG. habe den Stadturlaub zu Unrecht nicht zum Wehrdienst gerechnet.

Der Beklagte beantragte, die Revision zurückzuweisen.

Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt; sie ist durch Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) und daher zulässig. Sachlich ist sie nicht begründet.

Der Versorgungsanspruch des Klägers erstreckt sich zum Teil auf die Zeit vor dem 1. Oktober 1950; er ist daher für diese Zeit nach der SVD Nr. 27, vom 1. Oktober 1950 an nach dem BVG zu beurteilen. Nach Ziffer 4 der SVD Nr. 27 erhalten Personen Versorgungsleistungen, die anläßlich des Militärdienstes Gesundheitsstörungen erlitten haben. Nach § 1 Abs.1 BVG wird Versorgung für Schädigungsfolgen gewährt, die durch einen Unfall während der Ausübung des Militärdienstes oder durch die dem militärischen Dienst eigentümlichen Verhältnisse entstanden sind. Der Begriff "anläßlich militärischen Dienstes" in Ziffer 4 SVD Nr. 27 (ebenso in Art. 1 (§ 1) Abs. 1 Bayer. und Württ.-Bad. KBLG) ist den Tatbestandsmerkmalen "während der Ausübung militärischen Dienstes oder durch die diesem Dienst eigentümlichen Verhältnisse" in § 1 Abs. 1 BVG gleichzusetzen (BSG. 7 S. 19 (23). Das LSG. ist daher zutreffend davon ausgegangen, daß der Anspruch des Klägers nach der SVD Nr. 27 ebenso wie nach dem BVG zu beurteilen ist. Der Versorgungsanspruch hängt demnach davon ab, ob die Schädigungsfolgen auf einen Unfall während der Ausübung militärischen Dienstes oder auf die dem militärischen Dienst eigentümlichen Verhältnisse zurückzuführen sind. Dem LSG. ist auch insoweit zu folgen, als es aus der bloßen Zugehörigkeit zur Wehrmacht noch schließt, daß das Tatbestandsmerkmal "militärischer Dienst" erfüllt sei. Gleiches gilt für das Tragen der Wehrmachtsuniform und die Ausübung der militärischen Grußpflicht. Denn diese auch während des Urlaubs zu erfüllenden militärischen Pflichten schließen Dienstbefreiung im übrigen nicht aus.

Der Stadturlaub und die Verrichtungen während des Urlaubs rechnen grundsätzlich nicht zur Ausübung militärischen Dienstes. Das Wesen des Urlaubs ist gerade Befreiung vom (Militär-)Dienst, die mit dem Beginn des Urlaubs einsetzt, so daß auch die Fahrt von der Kaserne zum Urlaubsziel und zur Kaserne zurück keine Ausübung militärischen Dienstes darstellt (ebenso BSG. 7 S. 75). Der Urlaub am Standort und außerhalb desselben setzt immer Befreiung vom Dienst voraus, wodurch die Ausübung militärischen Dienstes (in der Regel - von möglichen Ausnahmen abgesehen, vgl. hierzu BSG. 7 S. 75 (76) -) ausgeschlossen wird; denn die Ausgestaltung der durch den Urlaub gegebenen Freizeit ist dem Willen und dem Ermessen des Soldaten überlassen (BSG. 7 S. 19 (23). Der Soldat übt erst dann wieder Dienst aus, wenn er sein Verhalten nicht mehr selbst bestimmen darf, sondern nach militärischen Befehlen richten muß. Unter dem Gesichtspunkt der Ausübung militärischen Dienstes (§ 1 Abs. 1 BVG) hat daher das LSG. mit Recht und in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG.) einen Versorgungsanspruch verneint (BSG. 7 S. 19 und 75).

Der Unfall des Klägers ist auch nicht auf die dem Militärdienst eigentümlichen Verhältnisse zurückzuführen (§ 1 Abs. 1 BVG). Zwar kann eine Urlaubsfahrt "durch die dem militärischen Dienst eigentümlichen Verhältnisse" bedingt sein, insbesondere beim Besuch der außerhalb des Standortes oder der Ortsunterkunft wohnenden Familie, da dem militärischen Dienst eigentümlich ist, daß der Dienst meist an einem anderen Ort als am Aufenthaltsort der Familie zu leisten ist (BSG. 7 S. 75). Insoweit ist der Urlaubsweg nach einem Ort außerhalb des Standortes und der Rückweg versorgungsrechtlich geschützt; auf diese Fälle ist auch Nr. 5 der Verwaltungsvorschriften zu § 1 BVG zu beschränken. Diese Verwaltungsvorschrift entbehrt insoweit der gesetzlichen Grundlage, als sie einerseits den Soldaten ausdehnend auf dem Urlaubsweg nach jedem Ort außerhalb des Truppenstandortes versorgungsrechtlich schützen will und als sie andererseits sich zu eng auf Vorgänge des Zweiten Weltkrieges beschränkt (BSG. 7 S. 75 (77)). Der Senat sieht sich nicht veranlaßt, von dieser Rechtsprechung abzuweichen. Im vorliegenden Fall hatte der Kläger nur Stadturlaub. Er hat den Standort während dieses Urlaubs nicht verlassen, seine Frau hat ihn am Standort besucht. Für den Kläger hat es sich nicht um eine Reise nach einem auswärtigen Urlaubsziel gehandelt, die durch die dem militärischen Dienst eigentümlichen Verhältnisse bedingt gewesen wäre. Vielmehr war die sonst diensteigentümliche Trennung von der Familie nach Standort und Wohnort vorübergehend beseitigt. Allein die Trennung von der Familie durch den Dienst in der Garnison schafft militärdiensteigentümliche Verhältnisse im Sinne des § 1 Abs. 1 BVG, die bewirken, daß der Soldat auf der Fahrt von seinem Standort zum auswärtigen Familienwohnort und zurück unter Versorgungsschutz steht. Nr. 5 Satz 2 der Verwaltungsvorschriften zu § 1 BVG, welche die dem Militärdienst eigentümlichen Verhältnisse auf den Weg nach einem außerhalb des Standorts (der Ortsunterkunft) gelegenen Urlaubsziel und zurück beschränkt, stimmt nur unter der Voraussetzung mit dem Gesetz überein, daß Urlaubsziel der auswärtige Familienwohnort ist. (Ein Versorgungsschutz auch für Fahrten zum und vom Urlaub innerhalb des Standortes und unabhängig von der Familienwohnung kann dagegen aus § 1 Abs. 1 BVG nicht abgeleitet werden. Gegen das außerhalb einer Dienstausübung und unabhängig von militärdienstlichen Verhältnissen bestehende Risiko, einen Unfall zu erleiden, ist der Soldat durch Ziffer 4 der SVD Nr. 27 und § 1 Abs. 1 BVG versorgungsrechtlich nicht geschützt.

Gegen diese Rechtsfolge wendet die Revision zu Unrecht ein, daß die Rückkehr zur Kaserne auf dienstlichem Zwang beruhe, dem der Kläger unterworfen gewesen sei. Solange der Soldat sich im Urlaub befindet, ist er vom militärischen Dienst entbunden. Die Revision verkennt auch, daß der Weg für eigenwirtschaftliche Zwecke aus der Kaserne und zurück als Einheit betrachtet werden muß. War der Weg in die Stadt versorgungsrechtlich nicht geschützt, so war es auch der Rückweg zur Kaserne nicht (BSG. 7 S. 243 (247)).

Da sonach das LSG. einen Versorgungsanspruch mit Recht verneint und bei seiner Entscheidung das Gesetz nicht verletzt hat, war die Revision des Klägers als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 674157

BSGE, 78

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