Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufenthalt in der DDR
Leitsatz (redaktionell)
Es verstößt nicht gegen GG Art 3 Abs 3, daß der Klägerin wegen ihres Aufenthalts in der DDR ein Rentenanspruch versagt wird, der einer in der Bundesrepublik Deutschland wohnenden deutschen Witwe bei gleichem Sachverhalt zugestanden hätte. .
Normenkette
RVO § 1291 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; GG Art. 3 Abs. 3 Fassung: 1949-05-23
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 22. Februar 1962 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin für die Zeit vom 1. Dezember 1958 bis 30. November 1961 eine - sog. wiederaufgelebte - Witwenrente (§ 1291 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung - RVO -) zusteht.
Die im Jahre 1924 geborene Klägerin war in erster Ehe mit dem Bäcker W K verheiratet. Die Ehe war im Kreise E (SBZ) geschlossen worden; dort war der Ehemann versicherungspflichtig beschäftigt. Der Versicherte ist im zweiten Weltkrieg am 31. Januar 1944 gefallen. Der Ehe entstammt die am 29. August 1943 geborene Tochter B.
Am 5. September 1955 heiratete die Klägerin in E zum zweiten Male. Bis dahin hatte sie - dies entsprach dem Rechtszustand nach der in der SBZ geltenden Verordnung über die Sozialpflichtversicherung vom 28. Januar 1947 - keine Witwenrente bezogen, weil sie weder 60 Jahre alt noch arbeitsunfähig war. Die zweite Ehe wurde am 7. November 1958 durch Urteil des Landgerichts Mannheim aus dem alleinigen Verschulden des Ehemannes geschieden; zuvor war die Klägerin, ohne als Flüchtling anerkannt zu sein, im November 1956 in das Bundesgebiet verzogen. Seit dem 21. November 1961 ist sie zum dritten Male verheiratet.
Anfang 1959 beantragte die Klägerin Witwenrente aus der Rentenversicherung ihres ersten Ehemannes. Den Antrag lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 25. September 1959 ab, weil z. Z. der zweiten Eheschließung kein Anspruch auf Witwenrente bestanden habe und deshalb ein solcher nicht nach § 1291 Abs. 2 RVO habe wiederaufleben können.
Auf die Klage hin hat das Sozialgericht (SG) Frankfurt am Main am 9. Januar 1961 die Beklagte verurteilt, vom 1. Dezember 1958 an Hinterbliebenenrente an die Klägerin zu zahlen. Es hat ausgeführt: Dem Klageanspruch stehe nicht entgegen, daß die Klägerin vor ihrer zweiten Eheschließung keine Witwenrente bezogen habe. Sie habe damals auf Grund des Dritten Gesetzes zur Änderung des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes vom 3. Oktober 1955 (3. ÄndG zum SVAG) als Mutter eines am 1. September 1949 waisenrentenberechtigten Kindes einen Anspruch auf Rente gehabt. Es wäre nicht rechtens, der Klägerin die Hinterbliebenenrente allein deswegen zu verweigern, weil sie wegen ihres damaligen Wohngebietes in der SBZ gehindert gewesen sei, ihren Anspruch geltend zu machen.
Mit der Berufung hat die Beklagte folgende Auffassung vertreten: Die Klägerin habe zur Zeit ihrer zweiten Eheschließung schon deshalb keinen Anspruch auf Witwenrente gehabt, weil sie keinen Antrag gestellt habe, ein solcher aber materiell-rechtliche Voraussetzung für den Rentenanspruch sei. Außerdem hätten für sie nur die Gesetze der SBZ gegolten; als Bewohnerin der SBZ habe sie aus dem 3. ÄndG zum SVAG - dieses habe sich nur auf ständig im Bundesgebiet wohnende Personen erstreckt - keine Rechte herleiten können.
Das Hessische Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 22. Februar 1962 die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen. Das Urteil ist im wesentlichen wie folgt begründet: Zur Zeit des Todes ihres ersten Ehemannes habe die Klägerin die Voraussetzungen für den Bezug einer Witwenrente (§ 1256 RVO aF) nicht erfüllt, auch nicht beim Inkrafttreten des SVAG vom 17. Juni 1949, denn dessen Vergünstigungen hätten sich nur auf Versicherungsfälle nach dem 31. Mai 1949 bezogen. Erst durch das 3. ÄndG zum SVAG in der Fassung des Gesetzes vom 21. Januar 1956 (BGBl I 16) sei eine Rentengrundlage für bisher benachteiligte Witwen geschaffen worden. Nach diesen beiden mit Wirkung vom 1. August 1955 in Kraft getretenen Gesetzen hätte der Klägerin als Mutter eines waisenrentenberechtigten Kindes für die Zeit vom 1. August bis Ende September 1955 (Monat der Wiederverheiratung) ein Witwenrentenanspruch zugestanden, wenn es zur Entstehung des Anspruchs eines Antrages nicht bedurft und der Wohnsitz der Klägerin in der SBZ die Entstehung des Anspruchs nicht gehindert hätte. Der Antrag sei - sowohl nach der Rentenversicherungs-Neuregelung von 1957 als auch nach dem hier maßgeblichen früheren Recht - keine materiell-rechtliche Voraussetzung für die Entstehung des Anspruchs auf Witwenrente. Das 3. ÄndG zum SVAG wäre unter Umständen für die Klägerin anwendbar, wenn die versicherungspflichtige Tätigkeit ihres gefallenen Ehemannes im Bereich des jetzigen Bundesgebiets stattgefunden hätte (vgl. hierzu BSG 8, 195, 197), der Versicherte sei aber ausschließlich im Bereich der Landesversicherungsanstalt (LVA) Sachsen-Anhalt, also in der jetzt sowjetisch besetzten Zone, beschäftigt gewesen. - Der Klageanspruch scheitere an dem nach der Spaltung Deutschlands in der Sozialversicherung anzuwendenden Wohnsitzgrundsatz. Da die Klägerin bis zu ihrer Wiederverheiratung im September 1955 in der SBZ gewohnt habe, habe sie keinen Anspruch auf Witwenrente gegen die Beklagte gehabt, auch nicht nach dem Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz (FAG) vom 7. August 1953.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Klägerin hat Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung des § 1291 Abs. 2 RVO mit folgenden Ausführungen: Das LSG hätte unterscheiden müssen zwischen der Entstehung eines Anspruchs auf Witwenrente und der Möglichkeit, ihn geltend zu machen. Der Klägerin sei nach dem 3. ÄndG zum SVAG ein Anspruch erwachsen. Wäre sie vor ihrer Wiederverheiratung ins Bundesgebiet verzogen, so hätte ihr dort Witwenrente gewährt werden müssen. In der SBZ habe sie dagegen ihren Anspruch nicht durchsetzen können, weil der Antrag von einem sowjetzonalen Versicherungsträger nach dortigem Recht negativ beschieden worden wäre. Die Existenz des früheren - latenten - Witwenrentenanspruchs werde auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß seinerzeit im Bundesgebiet kein für die Erfüllung des Anspruchs zuständiger Versicherungsträger vorhanden gewesen sei. Die Auffassung des LSG, daß Deutsche in der SBZ während ihres dortigen Aufenthalts keinen Rentenanspruch gegen einen Versicherungsträger des Bundesgebiets hätten, verstoße gegen Art. 3 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG).
Die Klägerin beantragt,
unter Änderung des angefochtenen Urteils die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Frankfurt am Main vom 9. Januar 1961 zurückzuweisen,
hilfsweise,
den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie vertritt die Auffassung, daß im Jahre 1955 zwar nicht das Fehlen eines Antrages (vgl. BSG 16, 202), aber der Aufenthalt der Klägerin in der SBZ der Entstehung des Anspruchs auf Witwenrente entgegengestanden habe. Da der Versicherte Beiträge ausschließlich zur früheren LVA Sachsen-Anhalt, also einem Versicherungsträger im Sinne des § 1 Abs. 7 FAG, geleistet habe, sei die Frage, ob die Klägerin bei ihrer Wiederverheiratung Anspruch auf Witwenrente gehabt habe, nach dem FAG zu beurteilen. Die Klägerin habe zwar zu dem Personenkreis des § 1 Abs. 2 FAG gehört, aber nicht die Anspruchsvoraussetzung des ständigen Aufenthalts in der Bundesrepublik oder im Lande Berlin erfüllt.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§§ 165, 153, 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Die Revision ist zulässig, aber unbegründet.
Ein Anspruch der Klägerin auf Witwenrente aus der Rentenversicherung ihres ersten Ehemannes könnte nur dann wiederaufgelebt sein (§ 1291 Abs. 2 RVO, Art. 2 § 26 Abs. 1 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - ArVNG -), wenn ein solcher vor Eingehung der zweiten Ehe bestanden hätte (vgl. BSG 14, 238). Damals - im September 1955 - hatte die Klägerin aber keinen Anspruch auf Witwenrente.
Nach der RVO war sie nicht rentenberechtigt, weil sie wegen ihres Wohnsitzes in der SBZ dem dortigen Sozialversicherungssystem unterworfen war; sie konnte während dieser Zeit, wie das Bundessozialgericht (BSG) wiederholt entschieden hat, nach dem - auf dem Wohnsitzgrundsatz beruhenden - Recht der Bundesrepublik keinen Anspruch auf Rente gegen einen Versicherungsträger dieses Bereichs haben. Sie war - entgegen ihrer Auffassung - nicht nur zeitweise gehindert, einen solchen Anspruch gegen einen Versicherungsträger in der Bundesrepublik geltend zu machen, vielmehr war ein Anspruch bis zu ihrer Wiederheirat am 5. September 1955 überhaupt nicht entstanden (vgl. BSG 3, 286; 5, 60; 19, 97; 5 RKn 110/63 vom 17. November 1964). Es kommt somit nicht darauf an, ob die Klägerin, wenn sie im Jahre 1955 in der Bundesrepublik gewohnt hätte, auf Grund des 3. ÄndG zum SVAG für die Monate August und September 1955 rentenberechtigt gewesen wäre. Ebenso kann dahinstehen, ob - das LSG hat diese Frage in Übereinstimmung mit dem BSG (BSG 16, 202) verneint - das "Wiederaufleben" eines Witwenrentenanspruchs voraussetzt, daß wenigstens ein Antrag auf Gewährung der Rente gestellt worden war. Es verstößt - entgegen der Meinung der Revision - nicht gegen Art. 3 Abs. 3 GG, daß der Klägerin wegen ihres damaligen Aufenthalts in der SBZ ein Rentenanspruch versagt wird, der einer in der Bundesrepublik wohnenden deutschen Witwe bei gleichem Sachverhalt zugestanden hätte. Die unterschiedliche Behandlung ist sachgerecht; sie trägt der Tatsache Rechnung, daß für die Bewohner des zweigeteilten Deutschlands auf dem Gebiet der Sozialversicherung zwei verschiedene, aber in gleicher Weise auf dem Wohnsitzgrundsatz beruhende Rechtssysteme gelten.
Im Jahre 1955 hatte die Klägerin auch nach dem Fremdrentenrecht der Bundesrepublik keinen Anspruch auf Witwenrente, dies schon deswegen nicht, weil sie sich damals nicht im Bundesgebiet oder im Lande Berlin ständig aufhielt (§ 1 Abs. 1 FAG).
Das Fremdrentenrecht der Bundesrepublik vermag der Klägerin aber auch nach ihrem Zuzug in den Geltungsbereich der in Betracht kommenden Gesetze nicht zu einer "wiederaufgelebten" Witwenrente zu verhelfen. Wie das BSG in seiner Entscheidung BSG 19, 97, 98 näher ausgeführt hat, enthält weder das FAG noch das Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetz vom 25. Februar 1960 einen allgemeinen Grundsatz, daß die von den genannten Gesetzen erfaßten Personen sozialversicherungsrechtlich so zu behandeln wären, als ob sie immer im Gebiet der Bundesrepublik gelebt hätten. Die Klägerin kann daher nicht - auch nicht im Wege der ergänzenden Rechtsfindung - den in der Bundesrepublik wohnenden Witwen, die zur Zeit ihrer Wiederheirat bereits einen Anspruch auf Witwenrente hatten, gleichgestellt werden. Ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz ist auch hierin nicht zu sehen (BSG 19, 97, 99).
Die Revision muß somit als unbegründet zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung ergeht in Anwendung des § 193 Abs. 1 und 4 SGG.
Fundstellen