Orientierungssatz
Bergmannsrente aus der knappschaftlichen Rentenversicherung - Verweisungstätigkeit nach RKG § 45 Abs 2:
Bei der Prüfung der Voraussetzungen für die Gewährung einer Bergmannsrente nach RKG § 45 gilt hinsichtlich der Frage der Verweisungstätigkeit für einen Hauer, daß dieser auf Tätigkeiten der Lohngruppen Ia und I über Tage der Lohnordnungen für den rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau nicht verwiesen werden kann, da Tätigkeiten dieser Art der Hauertätigkeit nicht im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig sind (vgl BSG 1966-10-27 5 RKn 47/65 = SozR Nr 25 zu RKG § 45).
Normenkette
RKG § 45 Abs. 2 Fassung: 1957-05-21
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 25.03.1965) |
SG Duisburg (Entscheidung vom 03.04.1962) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 25. März 1965, soweit es den Anspruch des Klägers auf Bergmannsrente über den 31. Mai 1966 hinaus betrifft, sowie im Kostenpunkt aufgehoben. Der Rechtsstreit wird insoweit an das Landessozialgericht zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Gründe
Der im Jahre 1928 geborene Kläger hat mit längeren Unterbrechungen im Bergbau von 1946 bis 1960 als Gedingearbeiter, und zwar die letzten Monate als Hauer gearbeitet. Nach mehrmonatiger Arbeitsunfähigkeit wurde er seit August 1960 über Tage (übT) als Wäsche- und Magazinarbeiter und seit Oktober 1962 als Platzvorarbeiter beschäftigt. Sein im Juli 1960 gestellter Antrag auf Bergmannsrente wurde von der Beklagten abgelehnt. Widerspruch und Klage beim Sozialgericht (SG) waren erfolglos.
Das Landessozialgericht (LSG) hat unter Abänderung des sozialgerichtlichen Urteils die Beklagte verurteilt, Bergmannsrente seit Antragstellung zu gewähren. Es hat den Kläger für vermindert bergmännisch berufsfähig angesehen. Auszugehen sei vom Beruf des Hauers, den er zumindest seit 1955 angestrebt und nach Ablegung der Hauerprüfung auch noch einige Zeit ausgeübt habe. Seit der durch Krankheit erzwungenen Aufgabe der Hauertätigkeit könne er aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr unter Tage arbeiten. Über Tage könne er zwar noch Arbeiten verrichten, die nicht mit stärkerer Verschmutzung und Schweißentwicklung verbunden sind, doch könne er auf solche Tätigkeiten aus anderen als gesundheitlichen Gründen nicht verwiesen werden. Für die meisten der Hauertätigkeit noch im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertigen Tätigkeiten der Lohngruppen Ia und I übT (mit Zuschlag) fehlten ihm - wie das LSG im einzelnen darlegt - die erforderlichen Kenntnisse, Fertigkeiten oder sonstigen Voraussetzungen; die dann noch verbleibenden Kokereitätigkeiten seien im Vergleich zur Hauertätigkeit keine Arbeiten "von Personen mit ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten" im Sinne von § 45 Abs. 2 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG).
Die Tätigkeiten der Lohngruppe I übT (ohne Zuschlag) seien der Hauertätigkeit nicht im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig. Zwar habe sich bei einer kürzlich erfolgten Lohnerhöhung die Differenz zwischen dem tariflichen Hauerlohn und den Löhnen der Gruppe I übT erneut verringert, doch sei noch nicht abzusehen, ob diese Änderung von Dauer sein werde. Aber auch, wenn man das auf Grund der Lohnordnung vom 1. Januar 1965 annehmen wolle, müsse es bei der bisherigen Beurteilung verbleiben. Denn mit Rücksicht auf das Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über Bergmannsprämien vom 19.12.1963 müsse nunmehr - zumindest seit dem 1. Januar 1965 - auch die dem Hauer gewährte Bergmannsprämie in Höhe von 2,50 DM je Schicht bei Prüfung der wirtschaftlichen Gleichwertigkeit mit berücksichtigt werden; hiernach seien die Arbeiten der Lohngruppe I übT (ohne Zuschlag) nach wie vor der Hauertätigkeit nicht im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig.
Das LSG hat die Revision zugelassen. Mit der Revision rügt die Beklagte unrichtige Anwendung des § 45 Abs. 2 RKG. Sie hat zunächst mit dem Rechtsmittel das Urteil angefochten, soweit darin Rente über den 30. Juni 1964 hinaus zugesprochen wird, dann aber unter entsprechender teilweiser Revisionsrücknahme die Anfechtung auf die über den 31. Mai 1966 hinausgehende Zeit beschränkt. Seit dieser Zeit sei die vom Kläger tatsächlich verrichtete Tätigkeit als Platzvorarbeiter (nunmehr Lohngruppe I b übT) der Hauertätigkeit im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig; auch handele es sich im Sinne von § 45 Abs. 2 RKG um eine Tätigkeit von Personen mit ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten.
Unter Berücksichtigung der Teilrücknahme der Revision beantragt die Beklagte:
das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben, als dem Kläger Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit über den 31. Mai 1966 hinaus zugesprochen wird, und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Duisburg vom 3. April 1962 insoweit zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er macht geltend, er sei bereits seit dem 1. Oktober 1965 nicht mehr als Platzvorarbeiter tätig und erhalte nur noch einen Lohn von 23,49 DM. Es bedürfe zumindest neuer Feststellungen über seine Tauglichkeit zu den neuerdings höher eingestuften Tätigkeiten.
Beide Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
II
Im Streit ist nur noch der Anspruch des Klägers auf Bergmannsrente für die Zeit vom 1. Juni 1966 an. Wegen dieses Anspruchs ist die Revision der Beklagten begründet.
Das LSG ist zutreffend von der Hauertätigkeit als der vom Kläger "bisher verrichteten knappschaftlichen Arbeit" ausgegangen. Dem steht nach der Rechtsprechung des Senats nicht entgegen, daß der Kläger nach Ablegung der Hauerprüfung nur noch verhältnismäßig kurze Zeit als Hauer tätig sein konnte (vgl. Urteile vom 15.9.1964 und 1.6.1965 - SozR Nr. 15 und 20 zu § 45 RKG). Als früherer Hauer war der Kläger aber nach den zur Zeit der letzten mündlichen Verhandlung vor dem LSG im rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau maßgeblichen Verhältnissen vermindert bergmännisch berufsfähig. Das LSG hat eingehend und zutreffend dargelegt, daß er auf Tätigkeiten der Lohngruppen I a und I übT (mit Zuschlag) nicht verwiesen werden konnte; es hat sich dabei in Übereinstimmung mit den Entscheidungen des Senats vom 15.9.1964 (5 RKn 47/64 = BSG 21, 282 u. 5 RKn 25/62) gehalten. Die Frage der wirtschaftlichen Gleichwertigkeit der Tätigkeiten der Lohngruppe I übT (ohne Zuschlag) hat der Senat inzwischen dahin entschieden, daß diese Tätigkeiten der Hauertätigkeit auch nach den seit dem 1.7.1964 maßgeblichen Lohnordnungen für den rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau nicht im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig sind (Urteil vom 27.10.1966 - 5 RKn 47/65 - SozR Nr. 25 zu § 45 RKG). Der Senat hat dabei allerdings - im Gegensatz zum LSG - an seiner bisherigen Rechtsprechung festgehalten, wonach die Bergmannsprämie auch seit der Gesetzesänderung vom 19.12.1963 bei Prüfung der wirtschaftlichen Gleichwertigkeit gemäß § 45 Abs. 2 RKG nicht zu berücksichtigen ist (BSG 24, 296 = SozR Nr. 21 zu § 45 RKG).
Nach Erlaß des angefochtenen Urteils ist aber zum 1. Juni 1966 eine neue Lohnordnung in Kraft getreten, nach der u. a. der Platzvorarbeiter von der Lohngruppe I in die höher bewertete neue Lohngruppe I b aufgerückt ist. Da es sich hierbei um eine Änderung von Rechtsnormen handelt (vgl. SozR Nr. 9 zu § 35 aF RKG), ist sie auch im Revisionsverfahren noch zu berücksichtigen. Diese Neueinstufung enthält eine echte wirtschaftliche Neubewertung der betroffenen Tätigkeiten, die bewirkt, daß diese bei einer Lohndifferenz von nur noch etwa 17,5 v. H. der Hauertätigkeit im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig sind. Für die Entscheidung der Frage, ob der Kläger zur Zeit dieser Änderung der Lohnordnung auf eine der nunmehr wirtschaftlich höher bewerteten Tätigkeiten verwiesen werden konnte, fehlt es jedoch noch an den erforderlichen tatsächlichen Feststellungen. Das gilt zunächst - wegen des Zeitablaufs - von den gesundheitlichen Voraussetzungen, zumal der Kläger vorgebracht hat, er sei bereits seit Oktober 1965 nicht mehr als Platzvorarbeiter, sondern in einer niedriger (offenbar nach Lohngruppe IV) entlohnten Tätigkeit beschäftigt. Ebenso ist zu prüfen, ob er die für die einzelnen höher bewerteten Tätigkeiten erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten besitzt. Ferner bedarf es noch der Prüfung, ob es sich dabei jeweils um Tätigkeiten handelt, die - im Vergleich zur Hauertätigkeit - im wesentlichen gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten erfordern. Hierbei ist allerdings nach der Rechtsprechung des Senats davon auszugehen, daß in der Regel mit der wesentlichen wirtschaftlichen Gleichwertigkeit der zu vergleichenden Arbeiten auch die wesentliche Gleichwertigkeit der Kenntnisse und Fähigkeiten von Personen verbunden ist, welche diese Tätigkeiten auszuüben pflegen; nur in denjenigen Fällen, in denen nicht die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten, sondern andere Umstände für eine gehobene tarifliche Einstufung der Verweisungstätigkeit maßgebend waren, ist eine Einschränkung der Verweisungsmöglichkeiten gegeben (s. BSG 25, 113, 115). Schließlich könnte die Verweisung auf eine einzelne Tätigkeit der neuen Lohngruppe noch daran scheitern, daß sie zu selten vorkommt (vgl. BSG 5, 84).
Da der Senat die für die Beurteilung der vorstehend aufgeworfenen Fragen erforderlichen tatsächlichen Feststellungen nicht selbst treffen kann, war der Rechtsstreit unter Aufhebung des Berufungsurteils, soweit es noch angefochten ist, an das LSG zurückzuverweisen.
Im Einverständnis der Beteiligten konnte der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 i. V. m. §§ 153, 165 SGG).
Fundstellen