Leitsatz (amtlich)
1. Auch auf dem Gebiet der Kriegsopferversorgung dürfen rechtswidrige begünstigende Verwaltungsakte mit Dauerwirkung, soweit nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist oder die Besonderheiten des Rechts der KOV eine andere Regelung verlangen, nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts in der Regel jedenfalls mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen werden (Fortführung BSG 1958-07-17 11/9 RV 968/55 = BSGE 8, 11-15;Anschluß BVerwG 1960-12-07 V C 228/59 = DVBl 1961, 380-382).
2. Für eine Widerklage, mit der eine Versorgungsbehörde die "Berichtigung" eines von ihr erlassenen Bescheides begehrt, besteht auch dann kein Rechtschutzbedürfnis, wenn die Versorgungsbehörde selbst bereits einen "Berichtigungsbescheid" erlassen hat und gegen diesen Bescheid Klage erhoben worden ist (Fortführung BSG 1957-11-07 11/9 RV 1012/55 = BSGE 6, 97-99).
Leitsatz (redaktionell)
Die Widerklage der Versorgungsverwaltung ist auch dann nicht zulässig, wenn dies als der "schnellere Weg" erscheinen mag.
Normenkette
BVG § 42 Fassung: 1950-12-20, § 52 Fassung: 1950-12-20; KOVVfG § 41 Fassung: 1955-05-02; SGG § 54 Fassung: 1953-09-03, § 77 Fassung: 1953-09-03, § 100 Fassung: 1953-09-03; SVAnO 11
Tenor
Auf die Revision der Klägerin und der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Hamburg vom 12. Februar 1958 und des Sozialgerichts Hamburg vom 14. Dezember 1955 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Widerklage wird als unzulässig verworfen.
Die Beklagte hat der Klägerin ein Drittel der außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Die Ehe der Klägerin mit H... P... wurde vom Landgericht Hamburg am 9. Januar 1942 wegen Alleinverschuldens des Ehemannes geschieden. H... P... ist seit Juli 1944 als Soldat verschollen. Durch Bescheid vom 1. Dezember 1951 bewilligte das Versorgungsamt (VersorgA) H... der Klägerin wegen Verschollenheit des früheren Ehemannes für die Zeit vom 1. Oktober 1950 an Rente nach dem Bundesversorgungsgesetz - BVG - (§§ 42, 52 BVG in der Fassung bis zum Inkrafttreten des Ersten Neuordnungsgesetzes vom 27. Juni 1960 - aF). Im April 1954 teilte das Landgericht Hamburg dem VersorgA auf Anfrage mit, die Klägerin habe im Ehescheidungsverfahren im Termin vor dem Landgericht am 9. Januar 1942 auf Unterhalt gegenüber H... P...verzichtet. Gestützt auf Ziff. 26 der Sozialversicherungsanordnung (SVA) Nr. 11 erließ das VersorgA darauf am 18. Mai 1954 einen "Berichtigungsbescheid"; es führte darin aus, die Voraussetzungen für die Gewährung der Rente an die Klägerin seien wegen des Unterhaltsverzichts nicht gegeben, die Rente werde deshalb vom 1. Juli 1954 an entzogen. Der Widerspruch der Klägerin wurde zurückgewiesen. Die Klägerin begehrte mit der Klage Aufhebung des Bescheids vom 18. Mai 1954; die Beklagte beantragte Klagabweisung, hilfsweise erhob sie in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht (SG) Hamburg am 14. Dezember 1955 Widerklage mit dem Antrag, festzustellen, daß zwischen den Beteiligten seit 1. April 1955 kein Versorgungsrechtsverhältnis mehr bestehe. Das SG hob durch Urteil vom 14. Dezember 1955 den Bescheid vom 18. Mai 1954 und den Widerspruchsbescheid auf und verurteilte die Beklagte, der Klägerin bis zum 31. Januar 1956 die Rente weiterzugewähren; auf die Widerklage stellte es fest, daß zwischen den Beteiligten ein Versorgungsrechtsverhältnis seit 1. Februar 1956 nicht mehr bestehe. Es führte dazu aus, der Klägerin sei die Rente durch den Bescheid vom 1. Dezember 1951 zu Unrecht bewilligt worden, da sie im Ehescheidungsverfahren auf Unterhalt gegenüber dem früheren Ehemann verzichtet habe; die Beklagte habe jedoch für den "Berichtigungsbescheid" vom 18. Mai 1954 keine Rechtsgrundlage gehabt, Ziff. 26 der SVA Nr. 11 habe bei Erlaß dieses Bescheids nicht mehr gegolten und § 41 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (VerwVG) habe noch nicht gegolten, weil dieses Gesetz erst am 1. April 1955 in Kraft getreten sei. Die Widerklage der Beklagten sei unzulässig, soweit es sich um die Zeit bis zum Inkrafttreten des VerwVG (1. April 1955) handele, die Beklagte begehre insoweit nichts anderes als die Abweisung der Klage. Vom 1. April 1955 an habe die Beklagte dagegen mit der Widerklage einen Anspruch geltend gemacht, der über den Antrag auf Klagabweisung hinausgehe; sie könne jedoch mit der Widerklage nur den Erfolg haben, den sie durch den Erlaß eines "Berichtigungsbescheids" im Zeitpunkt der Erhebung der Widerklage gehabt hätte, die Widerklage sei daher nur insoweit begründet, als die Feststellung des Nichtbestehens des Versorgungsrechtsverhältnisses von dem Ablauf des Monats an begehrt werde, der auf den Monat folge, in dem die Widerklage erhoben sei; es sei sonach festzustellen, daß ein Versorgungsrechtsverhältnis seit 1. Februar 1956 nicht mehr bestehe. Beide Beteiligte legten Berufung ein, die Klägerin beschränkte die Berufung "auf die Zulässigkeit der Widerklage". Durch Urteil vom 12. Februar 1958 wies das Landessozialgericht (LSG) Hamburg beide Berufungen zurück: Das SG habe zu Recht angenommen, daß die Beklagte für den Bescheid vom 18. Mai 1954 keine Rechtsgrundlage gehabt habe. Die Widerklage der Beklagten sei wegen der rechtlichen Unklarheit über den zeitlichen Geltungsbereich der Ziff. 26 der SVA Nr. 11 zulässig, solange diese Frage noch nicht geklärt sei, brauche die Beklagte, die den Bescheid vom 18. Mai 1954 für rechtmäßig halte, nicht vorsorglich einen "neuen Berichtigungsbescheid" nach § 41 VerwVG zu erlassen, sie habe den Streit über die sachlichen Voraussetzungen für die Rücknahme des Bescheids vom 1. Dezember 1951 in Form der hilfsweise erhobenen Feststellungswiderklage in das Verfahren einführen dürfen. Die Widerklage könne aber keine anderen Wirkungen haben als ein Berichtigungsbescheid nach § 41 VerwVG, ein solcher Berichtigungsbescheid habe keine rückwirkende Kraft, das SG habe daher zu Recht festgestellt, daß die Verpflichtung der Beklagten zur Leistung auf Grund des Bescheids vom 1. Dezember 1951 erst mit Wirkung vom 1. Februar 1956 an weggefallen sei. Die Revision ließ das LSG zu. Das Urteil wurde den Beteiligten am 3. März 1958 zugestellt. Beide Beteiligte legten Revision ein, die Beklagte am 18. März 1958, die Klägerin am 20. März 1958.
Die Beklagte beantragte,
unter Aufhebung der Urteile des LSG Hamburg vom 12. Februar 1958 und des SG Hamburg vom 21. Dezember 1955 die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragte,
Das Urteil des LSG Hamburg vom 12. Februar 1958 aufzuheben und unter teilweiser Abänderung des Urteils des SG Hamburg vom 14. Dezember 1955 die Widerklage des Landesversorgungsamtes H... als unzulässig abzuweisen, sowie
die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Hinterbliebenenversorgung über den 31. Januar 1956 hinaus weiter zu gewähren; ferner
der Beklagten die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Nachdem die Revisionsbegründungsfrist auf Antrag der Beklagten bis 3. Juni 1958 verlängert worden war, begründete die Beklagte die Revision am 17. Mai 1958. Sie führte aus, Ziff. 26 der SVA Nr. 11 habe nach § 84 Abs. 3 BVG auch noch über den 31. Dezember 1952 hinaus gegolten, ferner habe § 41 VerwVG nach § 52 VerwVG auch laufende Fälle erfaßt; auch die Widerklage sei jedenfalls im vorliegenden Falle zulässig gewesen, sie habe auch "rückwirkende Kraft"; in der Verwaltungsrechtslehre, auf die das angefochtene Urteil Bezug nehme, sei nur die Frage behandelt, ob auf Grund der "Rückwirkung" eines Bescheids gewährte Leistungen zurückgefordert werden dürfen, hiervon sei der vorliegende Fall nicht berührt, weil es hier darum gehe, ob der Klägerin für eine zurückliegende Zeit Leistungen nachträglich zu gewähren seien, obwohl feststehe, daß der Bescheid, mit dem sie diese Leistungen bewilligt habe, rechtswidrig sei.
Die Klägerin begründete ihre Revision in der Revisionsschrift im wesentlichen damit, daß die Widerklage aus Rechtsgründen nicht zulässig gewesen sei.
Die Beklagte beantragte,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragte,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
II
Die Revisionen sind zulässig (§ 162 Abs. 1 Nr. 1, § 164 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Sie sind auch begründet.
Der Bescheid vom 1. Dezember 1951, durch den der Klägerin Rente nach den §§ 42, 52 BVG in der Fassung bis zum Inkrafttreten des Ersten Neuordnungsgesetzes vom 27. Juni 1960 (aF) bewilligt worden ist, ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Die Beklagte hat diesen Bescheid mit dem Bescheid vom 18. Mai 1954 als rechtswidrig teilweise zurückgenommen. Das LSG ist ebenso wie das SG zu Recht davon ausgegangen, daß der Bescheid vom 18. Mai 1954 weder auf Ziff. 26 der SVA Nr. 11 noch auf § 41 VerwVG hat gestützt werden können; die Geltungsdauer der Ziff. 26 der SVA Nr. 11 ist nach Ziff. 26 Abs. 2 bis 31. Dezember 1952 befristet gewesen, sie ist auch nicht durch § 84 Abs. 3 BVG über diesen Zeitpunkt hinaus verlängert worden; § 41 VerwVG ist erst am 1. April 1955 in Kraft getreten, der Bescheid vom 18. Mai 1954, durch den der Bescheid vom 1. Dezember 1951 zurückgenommen worden ist, ist ein Verwaltungsakt ohne Dauerwirkung, er ist nach dem Recht im Zeitpunkt seines Erlasses zu beurteilen, also nicht nach § 41 VerwVG (vgl. BSG 8, 11 ff; 10, 72 ff mit weiteren Hinweisen). Das LSG hat aber ebenso wie das SG zu Unrecht nicht geprüft, ob der Bescheid vom 18. Mai 1954 nicht deshalb rechtmäßig ist, weil der Bescheid vom 1. Dezember 1951 nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts für die Zukunft hat zurückgenommen werden dürfen. Das allgemeine Verwaltungsrecht gilt für alle Verwaltungsakte der Behörden der Kriegsopferversorgung, soweit nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist oder die Besonderheiten des Rechts der Kriegsopferversorgung eine andere Regelung verlangen (BSG aaO). Nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts können begünstigende Verwaltungsakte mit Dauerwirkung, die rechtswidrig sind, in der Regel jedenfalls für die Zukunft zurückgenommen werden, und zwar auch dann, wenn sie bindend geworden sind, sofern nicht im Einzelfalle das Interesse des Begünstigten an dem Schutz seines Vertrauens auf den Bestand des Verwaltungsakts das öffentliche Interesse an der Beseitigung des Verwaltungsakts überwiegt (vgl. Urteil des BVerwG vom 7. Dezember 1960, DVBl 1961, 380 ff unter 4 und 5). Im vorliegenden Falle ist das LSG auch zu Recht davon ausgegangen, daß der Bescheid vom 1. Dezember 1951 teilweise rechtswidrig ist. Die Klägerin hat, da sie im Ehescheidungsverfahren rechtswirksam auf Unterhalt gegenüber ihrem früheren Ehemann verzichtet hat, gegenüber dem geschiedenen Ehemann in dem Zeitpunkt, in dem dieser verschollen ist, keinen Unterhaltsanspruch gehabt, sie hat deshalb keinen Anspruch auf Verschollenheitsrente (§§ 42, 52 BVG aF). Die Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 1. Dezember 1951 ist im vorliegenden Falle allerdings nicht durch Umstände verursacht, die in den Verantwortungsbereich der Klägerin fallen, die Klägerin hat in dem Antrag auf Versorgung angegeben, daß ihre Ehe mit Heinrich Peters vom Landgericht Hamburg im Jahre 1942 rechtskräftig geschieden worden ist; dies ergibt sich auch aus einer von der Klägerin dem VersorgA 1951 vorgelegten "Bescheinigung der Eheschließung" vom 24. April 1951. Es ist deshalb Sache der Beklagten gewesen, bei der Entscheidung über den Antrag der Klägerin zu prüfen, ob auch die weitere Voraussetzung für den Anspruch der Klägerin erfüllt ist, nämlich die Unterhaltspflicht des geschiedenen Ehemannes. Die Beklagte hat hierüber erst im April 1954 Ermittlungen angestellt und eine Auskunft des Landgerichts Hamburg eingeholt, vor diesem Zeitpunkt hat sie die Klägerin in keiner Weise darauf hingewiesen, daß und inwieweit die Unterhaltspflicht des geschiedenen Ehemannes für ihren Anspruch auf Rente erheblich sei; die Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 1. Dezember 1951 fällt damit allein in den Verantwortungsbereich der Beklagten. Nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts hat deshalb die Beklagte in dem Bescheid vom 18. Mai 1954 den Bescheid vom 1. Dezember 1951 nicht mit Wirkung für die Vergangenheit (ex tunc) zurücknehmen dürfen; das hat die Beklagte aber auch nicht getan, sie hat auch nicht die Rente, die sie der Klägerin bis 30. Juni 1954 gezahlt hat, zurückgefordert. Der Bescheid vom 18. Mai 1954 ist rechtmäßig, weil die Beklagte darin den Bescheid vom 1. Dezember 1951 nur für die Zukunft zurückgenommen hat. Das Interesse der Allgemeinheit daran, daß Leistungen, für die eine materielle Rechtsgrundlage von Anfang an nicht bestanden hat, für die Zukunft in Wegfall kommen, ist in der Regel auch dann höher zu bewerten als das Vertrauen des Begünstigten auf den Bestand des Bescheids, wenn die Rechtswidrigkeit des Bescheids nicht in den Verantwortungsbereich des Begünstigten fällt; es kommt dabei allerdings auch auf die Zeit an, die seit dem Erlaß des begünstigenden Verwaltungsakts verstrichen ist, und auf die Zeit, für die voraussichtlich auf Grund des Bewilligungsbescheids, falls er nicht zurückgenommen wird, Leistungen noch zu gewähren sind (vgl. BVerwG aaO). Im vorliegenden Falle hat der Bescheid über die Bewilligung der Verschollenheitsrente an die Klägerin bis zu dem Erlaß des Bescheids über die Rücknahme zwar etwa 2 ½ Jahre lang bestanden, die Klägerin, die bei Erlaß des Bescheids vom 18. Mai 1954 46 Jahre alt gewesen ist, hat aber im Falle des Fortbestands des Bescheids vom 1. Dezember 1951 voraussichtlich noch viele Jahre Leistungen erwarten können. Unter diesen Umständen überwiegt das Interesse der Allgemeinheit an der gleichmäßigen Gewährleistung des dem Gesetz entsprechenden Rechtszustandes gegenüber dem Interesse der Klägerin an dem Bestand des Bescheids vom 1. Dezember 1951 über den 30. Juni 1954 hinaus, zumal die wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin mit dem Wegfall der Rente am 1. Juli 1954 nicht anders geworden sind, als sie es infolge des Verzichts auf Unterhaltsleistungen des Heinrich Peters im Ehescheidungsverfahren ohnehin waren. Das LSG hat daher zu Unrecht die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG, das den Bescheid vom 18. Mai 1954 aufgehoben hat, zurückgewiesen, dieser Bescheid ist rechtmäßig, weil die Beklagte den Bescheid vom 1. Dezember 1951 mit Wirkung für die Zukunft, nämlich vom 1. Juli 1954 an, hat zurücknehmen dürfen. Ob die Klägerin nach § 42 BVG nF ab 1. Juni 1960 oder von einem späteren Zeitpunkt an wegen tatsächlicher Unterhaltsleistung ihres geschiedenen Ehemannes im letzten Jahr vor seinem (vermuteten) Tode Anspruch auf Rente hat, ist eine andere Frage. Die Beklagte hat sich bereiterklärt, dies zu prüfen und der Klägerin für die Zeit vom 1. Juni 1960 an einen neuen Bescheid zu erteilen, diese Frage ist damit im Revisionsverfahren nicht zu entscheiden.
Das Urteil des LSG ist auch insofern unzutreffend, als das LSG die Widerklage der Beklagten für zulässig gehalten hat. Zwar bestehen keine Bedenken dagegen, daß die Widerklage hilfsweise erhoben worden ist für den Fall, daß die Klägerin mit ihrem Begehren auf Aufhebung des Bescheids vom 18. Mai 1954 durchdringt (vgl. Rosenberg, Lehrbuch des Zivilprozeßrechts, 8.Aufl., § 61 IV c S. 285, 286). Es kann auch dahingestellt bleiben, ob die Widerklage der Beklagten nicht schon deshalb unzulässig ist, weil die Widerklage nicht schriftlich und auch nicht zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle (§§ 100, 90 SGG) erhoben worden ist, sondern, wie sich aus der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem SG ergibt, mündlich in der Verhandlung (vgl. Peters/Sautter/Wolff, Anm. 2 zu § 100 SGG; Miesbach/Ankenbrank, Anm. 3 zu § 100 SGG; Mellwitz, Anm. A zu § 100 SGG). Die Widerklage ist aber deshalb unzulässig, weil für sie kein Rechtsschutzbedürfnis bestanden hat. Die Beklagte ist jedenfalls nach dem Inkrafttreten des VerwVG und im Zeitpunkt der Erhebung der Widerklage - wie auch das LSG angenommen hat - nicht gehindert gewesen, für den Fall der Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 18. Mai 1954 einen neuen Bescheid nach § 41 VerwVG zu erlassen und damit den Bescheid vom 1. Dezember 1951 mit Wirkung vom Inkrafttreten des VerwVG an aufzuheben (vgl. hierzu BSG, SozR Nr. 9 zu § 41 VerwVG); sie hat damit die Möglichkeit gehabt, das von ihr erstrebte Ziel, nämlich die Beseitigung der Rechtswirksamkeit des Bescheids vom 1. Dezember 1951 für die Zukunft, ohne Inanspruchnahme der Gerichte, durchzusetzen (BSG 3, 136 ff, 140; 6, 97 ff). Von dieser Möglichkeit hat sie nicht nur, wie das LSG meint, dann Gebrauch machen müssen, wenn sie - wie dies in dem BSG 6, 97 ff entschiedenen Fall geschehen ist - bisher überhaupt noch keine Entscheidung darüber getroffen hat, ob die Voraussetzungen für eine Rücknahme des früheren Bescheids vorliegen; sie hat dies auch dann tun müssen, wenn sie zwar selbst bereits einen "Berichtigungsbescheid" erlassen hat, wenn es aber rechtlich zweifelhaft gewesen ist, ob dieser "Berichtigungsbescheid" rechtmäßig ist. Auch dies ändert nichts daran, daß die Verwaltung die hoheitliche Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts selbst vorzunehmen hat, daß für das Handeln gegenüber dem ihr untergeordneten Bürger die Rechtsform des Verwaltungsakts zur Verfügung steht und daß es nur Aufgabe der Verwaltungsgerichte ist, die Rechtmäßigkeit dieses Verwaltungsakts nachzuprüfen. Die Verwaltung ist nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, zunächst selbst zu prüfen, ob sie - falls eine von ihr zunächst getroffene Regelung nicht rechtmäßig ist - auf Grund einer anderen rechtlichen Grundlage eine neue Regelung erlassen darf; sie hat sich zunächst selbst darüber schlüssig zu werden, von wann an diese andere Rechtsgrundlage ihr ein Tätigwerden gestattet und in welchem zeitlichen Rahmen sie auf Grund dieser anderen Rechtsgrundlage ein Rechtsverhältnis neu regeln darf. Die Gerichte sind nicht befugt, in den Hoheitsbereich der Verwaltung einzugreifen; sie sind dies auch dann nicht, wenn die Verwaltung selbst versucht, im Wege der Feststellungsklage eine gerichtliche Entscheidung über die materielle Rechtslage, wie sie ihrer Meinung nach besteht, herbeizuführen. Das LSG hat zwar ausgeführt, daß ein "neuer" Berichtigungsbescheid, wenn ihn die Beklagte während des anhängigen Verfahrens erlassen hätte, nach § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden wäre; es hat hieraus offenbar den Schluß gezogen, daß das mit der Widerklage angestrebte Ziel in diesem Falle durch einen neuen Verwaltungsakt nicht einfacher und nicht schneller erreicht worden wäre als durch die Widerklage (vgl. BSG 6, 97 ff), es hat deshalb auch die Widerklage hier für zulässig gehalten. Auch wenn aber in Fällen dieser Art der Erlaß eines "neuen" Berichtigungsbescheids nicht schneller zum Ziele führt als eine Widerklage, falls eine solche zulässig wäre, so ist jedenfalls die Widerklage nicht "der einfachere Weg". Dies ergibt sich schon daraus, daß das LSG annimmt, die rechtlichen Wirkungen der Widerklage seien so zu beurteilen, wie wenn die Beklagte im Zeitpunkt der Erhebung der Widerklage einen Berichtigungsbescheid erlassen hätte; es ist nicht einzusehen, warum ein Rechtsverhältnis, das die Verwaltung kraft ihrer hoheitlichen Befugnis selbst regeln kann, von den Gerichten so geregelt werden soll, wie wenn die Verwaltung selbst gehandelt hätte.
Da die Widerklage unzulässig ist, kommt es nicht darauf an, wie das LSG sachlich darüber entschieden hat. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG ist insoweit begründet gewesen, als das SG zu Unrecht über die Widerklage sachlich entschieden hat; die Revision der Klägerin ist insoweit begründet, als sie die Aufhebung des Urteils des LSG und die Verwerfung der Widerklage als unzulässig begehrt.
Auf die Revisionen der Klägerin und der Beklagten sind sonach das Urteil des LSG und das Urteil des SG aufzuheben; die Klage ist abzuweisen; die Widerklage ist als unzulässig zu verwerfen (§ 170 Abs. 2 Satz 1 SGG). Da die Klägerin in der Sache selbst unterlegen ist, erscheint es angemessen, daß zwei Drittel der außergerichtlichen Kosten des Verfahrens von der Klägerin selbst getragen werden (§ 193 SGG).
Fundstellen
Haufe-Index 2308593 |
BSGE, 81 |
NJW 1961, 1943 |
JZ 1962, 224 |
MDR 1961, 1047 |