Leitsatz (amtlich)

Bei der Entscheidung der Frage, ob die Anwartschaft nach altem Recht im Sinne des ArVNG Art 2 § 42 S 2 zum 1956-12-31 erhalten war, können grundsätzlich nur die vor dem 1957-01 01 tatsächlich entrichteten Beiträge berücksichtigt werden.

Hat der Versicherte vor dem 1957-01-01 die - erkennbar gewordene - ernsthafte Absicht gehabt, noch Beiträge für die Jahre 1955 und 1956 zu entrichten, ist er hieran aber ohne sein Verschulden verhindert gewesen, so sind diese Beiträge ausnahmsweise zu berücksichtigen, falls er sie alsbald nach Wegfall des Hindernisses entrichtet.

Als Nichtverschulden in diesem Sinne ist es anzusehen, wenn ein Versicherter im Dezember 1956 mehrfach versucht hat, bei der Post Beitragsmarken zu kaufen, um diese noch im Jahre 1956 für die Jahre 1955 und 1956 zu entrichten, er diese Absicht aber nicht verwirklichen konnte, weil die Post keine Beitragsmarken mehr vorrätig hatte.

 

Normenkette

ArVNG Art. 2 § 42 S. 2 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Auf die Revision wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 13. Juli 1960 aufgehoben.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts in Düsseldorf vom 1. September 1959 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Tatbestand

Die am 19. April 1900 geborene frühere Klägerin war von 1916 bis 1922 versicherungspflichtig beschäftigt; es sind für diesen Zeitraum Beiträge zur Invalidenversicherung entrichtet worden. Im Jahre 1952 hat sie die Versicherung freiwillig fortgesetzt; für die Zeit von 1949 an hat sie folgende Beiträge entrichtet:

 Karte 6:

 26    

 Wochenbeiträge mit dem Aufdruck 52 entwertet für 1949

 Karte 7:

 52    

 Wochenbeiträge mit dem Aufdruck 52 entwertet für 1950

 52    

 Wochenbeiträge mit dem Aufdruck 52 entwertet für 1951

 Karte 8:

 26    

 Wochenbeiträge mit dem Aufdruck 52 entwertet für 1952

 26    

 Wochenbeiträge mit dem Aufdruck 53 entwertet für 1953

 26    

 Wochenbeiträge mit dem Aufdruck 54 entwertet für 1954

 Karte 9:

 4     

 Wochenbeiträge mit dem Aufdruck 55 entwertet für 1954

 26    

 Wochenbeiträge mit dem Aufdruck 55 entwertet für 1955

 17    

 Wochenbeiträge mit dem Aufdruck 55 entwertet für 1956

 9     

 Wochenbeiträge mit dem Aufdruck 57 entwertet für 1956

 2     

 Wochenbeiträge mit dem Aufdruck 57 entwertet für 1957

 26    

 Wochenbeiträge mit dem Aufdruck 57 entwertet für 1955

 Kartei 10:

 26    

 Wochenbeiträge mit dem Aufdruck 57 entwertet für 1956

 9     

 Monatsbeiträge mit dem Aufdruck 57 entwertet für 1957.

Die Beklagte hat der Klägerin auf ihren Antrag durch Bescheid vom 19. Juni 1958 eine monatliche Rente wegen Erwerbsunfähigkeit in Höhe von 5,20 DM gewährt, hat aber die Berechnung der Rente nach Art. 2 § 42 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) mit der Begründung abgelehnt, daß am 31. Dezember 1956 nicht aus allen Beiträgen die Anwartschaft erhalten gewesen sei.

Gegen diesen Bescheid hat die frühere Klägerin Klage erhoben. Ihr Ehemann habe im Dezember 1956 mehrmals bei der Post versucht, Beitragsmarken mit dem Aufdruck "56" zu erhalten. Diese seien aber immer ausverkauft gewesen. Aus diesem Grunde seien erst Anfang Januar 1957 Marken mit dem Aufdruck "57" für das Jahr 1956 verwendet worden.

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte zur Zahlung der nach Art. 2 § 42 ArVNG zu berechnenden Rente verurteilt. Der Ehemann der Klägerin habe im Dezember 1956 wiederholt vergeblich versucht, die für die Aufrechterhaltung der Anwartschaft erforderlichen Beitragsmarken zu erwerben. Die Klägerin habe jedoch auch im Januar 1957 noch Beiträge mit Wirkung für 1956 entrichten können. Das folge aus § 1444 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aF, dessen Rechtsgedanke auch im Rahmen des Art. 2 § 42 ArVNG anzuwenden sei. Der Gesetzgeber habe es auf die Beitragsleistung bis zum 31. Dezember 1956 abgestellt, um Versicherten nicht die Möglichkeit zu geben, durch Nachentrichtung die Vorteile des Art. 2 § 42 ArVNG zu erlangen. Er habe aber nicht beabsichtigt, denjenigen Versicherten die Vorteile des Art. 2 § 42 ArVNG zu nehmen, die an der rechtzeitigen Entrichtung nur dadurch gehindert gewesen seien, daß sie trotz ernsthaften Versuches keine Marken erhalten konnten, aber die Marken kurze Zeit später nachentrichtet hätten. Der Versuch zum Erwerb der Beitragsmarken müsse als Bereiterklärung zur Beitragsleistung betrachtet werden. Zwar sei die Post nicht die für eine Bereiterklärung zuständige Stelle. Darauf komme es aber nicht an, da es sich hier nicht um eine formelle Nachentrichtung handele.

Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 13. Juli 1960 das Urteil des SG abgeändert und die Klage angewiesen; es hat die Revision zugelassen.

Art. 2 § 42 ArVNG könne nicht angewendet werden, weil die Anwartschaft aus den Beiträgen, die von der früheren Klägerin vor dem 1. Januar 1957 entrichtet worden seien, zu diesem Zeitpunkt nicht erhalten gewesen sei. Sie habe die Beitragswochenmarken in der gesetzlich vorgeschriebenen Mindestzahl für das Jahr 1956 erst im Laufe des Jahres 1957 entrichtet. Zur Erreichung der erforderlichen 26 Beitragswochen im Jahre 1956 könne auch nicht eine zeitliche Verschiebung der vor dem 1. Januar 1957 entrichteten Beiträge vorgenommen werden. Bei der freiwilligen Versicherung komme es auf den Willen des Versicherten an. Maßgebend sei der Wille im Zeitpunkt der Entrichtung, nicht der im Zeitpunkt der Rentenfeststellung. Es sei aber nicht, ersichtlich, daß die frühere Klägerin von den in der Zeit bis Ende 1955 gekauften Beiträgen bereits insgesamt 26 Marken für das Jahr 1956 habe verwenden wollen. An einer Bereiterklärung gegenüber der hierfür zuständigen Stelle fehle es hier. Es sei zwar richtig, daß der Ehemann der Klägerin im Dezember vergeblich versucht habe, bei der Post die für das Jahr 1956 noch erforderlichen Beiträge zu erhalten. Darin könne jedoch keine Bereiterklärung gegenüber einer zuständigen Stelle angesehen werden (§ 1444 Abs. 1 RVO aF und § 1420 Abs. 1 RVO).

Gegen das dem Ehemann der früheren Klägerin, dem jetzigem Kläger, als deren Pfleger am 4. Oktober 1960 zugestellte Urteil hat der Prozeßbevollmächtigte der früheren Klägerin am 22. Oktober 1960 Revision eingelegt. Die Revision ist, nachdem die Revisionsbegründungsfrist bis zum 4. Januar 1961 verlängert worden war, am 29. Dezember 1960 begründet worden.

Durch die Anfang 1957 vorgenommene Nachentrichtung der für 1956 bestimmten Beiträge sei die Anwartschaft am 31. Dezember 1956 erhalten gewesen. Art. 2 § 42 ArVNG solle gewährleisten, daß den Berechtigten, die in der Zeit von 1957 bis 1961 Rentner würden, mindestens das gewährt werde, was ihnen auf Grund der bis zum 1. Januar 1957 geltenden Vorschriften zugestanden hätte. Mit dieser Vorschrift könne daher nur gesagt sein, aus welchen Beiträgen die Anwartschaft erhalten sein müsse. Die Frage, welche Beiträge bei der Prüfung der Anwartschaft zu berücksichtigen seien, sei offengelassen worden. Sämtliche nach dem 1. Januar 1957 für die Zeit davor wirksam nachentrichteten Beiträge müßten daher berücksichtigt werden. Schließe man sich dem nicht an, so müßten doch zumindest diejenigen Beiträge berücksichtigt werden, die zwar nach dem 1. Januar, aber noch vor Verkündung des ArVNG entrichtet worden seien.

Wie das SG zutreffend ausgeführt habe, müsse zudem der Rechtsgedanke des § 1444 RVO aF bzw. § 1420 RVO auch im Rahmen des Art. 2 § 42 ArVNG angewendet werden. Daß die Bereiterklärung der Post gegenüber abgegeben worden sei, sei unerheblich. Die Stellung der Post sei heute auf Grund ihrer erweiterten Befugnisse so, daß sie als zuständige Stelle im Sinne der Vorschriften über die Bereiterklärung angesehen werden müsse. Im übrigen sei die Stellung der Post gegenüber dem Versicherungsträger der eines Erfüllungsgehilfen ähnlich. Die Post habe dadurch, daß sie im Dezember nicht genügend Marken vorrätig gehalten habe, grob fahrlässig gehandelt. Die Beklagte müsse daher die durch das Verhalten der Post betroffenen Personen so stellen, daß ihnen keine Schäden entstünden.

Die frühere Klägerin ist am 29. Oktober 1961 verstorben. Ihr Ehemann, der mit ihr bis zu deren Tode in häuslicher Gemeinschaft gelebt hat, hat den Rechtsstreit aufgenommen.

Er stellt den Antrag,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils des LSG Nordrhein-Westfalen die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Düsseldorf zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die im Januar 1957 entrichteten Beiträge könnten für die Erhaltung der Anwartschaft nicht berücksichtigt werden. Auch durch eine Bereiterklärung zur Beitragsentrichtung könnten die Voraussetzungen für die Vergleichsberechnung nicht erfüllt werden. Deshalb brauchte zu der Frage, ob ein Vorsprechen bei der Post die Voraussetzungen des § 1444 RVO aF oder des § 1420 RVO erfülle, nicht Stellung genommen zu werden. Schließlich sei die Post auch nicht Erfüllungsgehilfe des Rentenversicherungsträgers, sondern nehme die ihr auf dem Gebiet der Rentenversicherung zugewiesene Aufgabe aus eigener gesetzlicher Verpflichtung wahr.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist, da das Berufungsgericht sie zugelassen hat, auch statthaft. Bedenken gegen ihre Zulässigkeit bestehen somit nicht.

Die durch den Tod der früheren Klägerin nach § 68 in Verbindung mit § 239 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO) eingetretene Unterbrechung des Rechtsstreits ist durch die Aufnahmeerklärung des jetzigen Klägers beendet worden. Dieser war hierzu, da er mit der früheren Klägerin, seiner Ehefrau, bis zu deren Tode in häuslicher Gemeinschaft gelebt hat, als Sonderrechtsnachfolger (§ 1288 Abs. 2 RVO) berechtigt.

Der Revision konnte der Erfolg nicht versagt bleiben. Es war, da die Beklagte der früheren Klägerin Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gewährt hat, nur noch darüber zu befinden, ob sie verpflichtet ist, diese Rente in der sich aus Art. 2 § 42 ArVNG ergebenden Höhe zu gewähren.

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts sind die Voraussetzungen des Art. 2 § 42 ArVNG erfüllt. Der Versicherungsfall ist im Jahre 1958, also innerhalb der in Art. 2 § 42 aaO vorgesehenen Frist von fünf Jahren seit dem 1. Januar 1957 eingetreten. Die nach Art. 2 § 42 aaO zu berechnende Rente ist auch höher als die nach neuem Recht berechnete Rente; sie würde schon wegen des zu gewährenden Grundbetrages (§ 1268 RVO aF) erheblich über dem nach neuem Recht gewährten Rentenzahlbetrag liegen. Ebenfalls war die Anwartschaft nach altem Recht zum 1. Januar 1957 aus den vor diesem Zeitpunkt entrichteten Beiträgen erhalten. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) genügt es, wenn die Anwartschaft auch nur aus einem Beitrag erhalten war (BSG 10, 139). Im vorliegenden Fall ist die Anwartschaft aus den 17 für das Jahr 1956 entrichteten Beiträgen (mit Beitragsmarken aus dem Jahre 1955) erhalten. Es kann hierbei dahingestellt bleiben, ob sie im Jahre 1955 oder im Jahre 1956 entrichtet worden sind. Falls sie bereits im Jahre 1955 entrichtet worden sind, bestehen gegen ihre Verwertung für das Jahr 1956 keine Bedenken, weil grundsätzlich jedenfalls die wirksame Entrichtung von Beiträgen für die Zukunft nicht ausgeschlossen ist. Falls sie erst im Jahre 1956 entrichtet sein sollten, bestehen ebenfalls keine Bedenken; denn diese aus dem Jahre 1955 stammenden Beitragsmarken waren auch im Jahre 1956 noch gültig, da sie nicht für ungültig erklärt worden sind. Weitere Voraussetzung des Art. 2 § 42 ArVNG ist, daß der Versicherte vom 1. Januar 1957 an für jedes Kalenderjahr vor dem Kalenderjahr des Eintritts des Versicherungsfalles für mindestens neun Monate Beiträge entrichtet. Diesem Erfordernis hat die frühere Klägerin durch Entrichtung von neun Monatsbeiträgen für das dem Jahr des Versicherungsfalls vorhergehende Jahr 1957 genügt.

Damit sind die in Art. 2 § 42 ArVNG genannten Voraussetzungen erfüllt. Nach der von dem erkennenden Senat in seinem Urteil vom 20. April 1961 (BSG 14, 159) vertretenen Auffassung brauchen weitere Voraussetzungen für die Gewährung der sog. Vergleichsrente nicht vorzuliegen, insbesondere bedarf es nicht der Erfüllung der Wartezeit zum Schluß des Jahres 1956. Selbstverständlich muß beim Eintritt des Versicherungsfalles die Wartezeit nach neuem Recht erfüllt sein, da sonst eine Rente überhaupt nicht gewährt werden könnte. Diese Voraussetzung ist aber zweifelsohne gegeben, wie zwischen den Parteien auch nicht streitig ist; die Rente ist ja auch bereits durch den angefochtenen Bescheid gewährt worden. Nun hat sich allerdings der 12. Senat des BSG in seiner Entscheidung vom 23. November 1961 (BSG 15, 271) auf den Standpunkt gestellt, daß die Berechnung der Rente nach Art. 2 § 42 ArVNG nur dann erfolgen könne, wenn im Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles die Wartezeit aus denjenigen Beiträgen erfüllt sei, aus denen am 31. Dezember 1956 die Anwartschaft erhalten war, und aus den danach bis zum Eintritt des Versicherungsfalles entrichteten Beiträgen. Einer Entscheidung dieser Frage bedurfte es hier indessen nicht, da die Wartezeit auch dann erfüllt ist, wenn für ihre Berechnung die Grundsätze des angeführten Urteils des 12. Senats für maßgebend gehalten werden.

Zwar ist dem Berufungsgericht darin zuzustimmen, daß im vorliegenden Falle, wenn man die im Jahre 1957 für die Jahre 1955 und 1956 nachentrichteten Beiträge nicht berücksichtigt, zum Schluß des Jahres 1956 die Anwartschaft aus den für die Zeit vor dem 1. Januar 1957 entrichteten Beiträgen nach § 1264 RVO aF nicht erhalten war und auch durch Halbdeckung nicht als erhalten galt. Jedoch müssen nach Auffassung des erkennenden Senats hier ausnahmsweise die im Jahre 1957 für die Jahre 1955 und 1956 nachentrichteten Beiträge voll berücksichtigt werden. Der Senat hält zwar an seiner bisherigen Rechtsprechung fest, daß bei der nach Art. 2 § 42 Satz 2 ArVNG vorzunehmenden Prüfung, ob die Anwartschaft Ende 1956 erhalten war, grundsätzlich nur die vor dem 1. Januar 1957 entrichteten Beiträge berücksichtigt werden können (BSG 10, 139). Indessen ergeben sich hiervon Ausnahmen in Fällen, in denen eine entsprechende Anwendung der §§ 1442 bis 1444 RVO aF bzw. der §§ 1418 bis 1420 RVO zulässig und geboten erscheint. Inwieweit und unter welchen Voraussetzungen dies in Fällen des § 1444 Abs. 1 Nr. 2 RVO aF (§ 1420 Abs. 1 Nr. 2 RVO) angängig ist, mag hier auf sich beruhen. Denn wie der 12. Senat des BSG in seinem Urteil vom 23. November 1961 (ESG 15, 267) entschieden hat, kann in der vergeblichen Nachfrage nach Beitragsmarken bei der Post schon deshalb keine Bereiterklärung im Sinne der genannten Vorschriften gesehen werden, weil die Post Keine zuständige Stelle im Sinne dieser Vorschriften ist. Dieser Auffassung schließt sich der erkennende Senat an.

Die Zulässigkeit einer Ausnahme ergibt sich bei dem hier vorliegenden Tatbestand aus einer entsprechenden Anwendung der Absätze 2 und 3 des § 1418 RVO. Wenn in Art. 2 § 42 ArVNG darauf abgestellt wird, daß zum 31. Dezember 1956 die Anwartschaft nach altem Recht erhalten war, so werden damit die alten Anwartschaftserhaltungsvorschriften, insbesondere § 1264 RVO aF in Bezug genommen, wonach zur Erhaltung der Anwartschaft für jedes Kalenderjahr mindestens 26 Wochenbeiträge entrichtet werden müssen, andernfalls die Anwartschaft aus den für die Zeit bis zum Beginn des laufenden Kalenderjahres entrichteten Beiträgen erlischt, wobei für die Frage, bis zu welchem Zeitpunkt diese Beiträge spätestens entrichtet sein müssen, die §§ 1442 Abs. 1 RVO aF, 1418 Abs. 1 RVO galten bzw. gelten. Während aber nach diesen Vorschriften die zur Erhaltung der Anwartschaft erforderlichen Beiträge ganz allgemein noch binnen zwei Jahren nach Schluß des Kalenderjahres, für das sie gelten sollen, wirksam entrichtet werden können - dh hier für die Jahre 1955 und 1956 noch bis zum 31. Dezember 1957 bzw. 31. Dezember 1958-, enthält Art. 2 § 42 Satz 2 ArVNG eine Einschränkung dieser Vorschriften dahin, daß die nach dem 31. Dezember 1956 für die Jahre 1955 und 1956 nachentrichteten Beiträge insofern nicht vollwirksam sind, als sie für die Berechnung der Rente nach altem Recht nicht zu berücksichtigen sind. Durch den in Art. 2 § 42 ArVNG gesetzten Endtermin wird also im Hinblick auf die Berechnung der Rente nach altem Recht letztlich nur die Frist des Abs. 1 RVO eingeschränkt. Mit anderen Worten: § 1418 Abs. 1 RVO gilt bei der Anwendung des Art. 2 § 42 Satz 2 ArVNG mit der Einschränkung, daß die für die Jahre 1955 und bis zum 31. Dezember 1957 bzw. bis zum 31. Dezember 1958 entrichteten Beiträge als vollwirksam, dh auch für die Berechnung der Rente nach altem Recht als wirksam nur insoweit anzusehen sind, als sie vor dem 1. Januar 1957 entrichtet worden sind. Der sich aus § 1418 Abs. 2 und 3 RVO ergebende Grundgedanke, daß die Ausschlußfrist des § 1418 Abs. 1 RVO unter gewissen Umständen verlängert wird, ist nach Auffassung des erkennenden Senats hier entsprechend anzuwenden, weil sich die Interessenlage nicht von der dem § 1418 Abs. 2 und 3 RVO zugrunde liegenden Interessenlage unterscheidet. Wenn auch nach der damaligen Rechtslage Beitrage für 1955 und 1956 noch bis Ende des Jahres 1957 bzw. 1958 wirksam entrichtet werden konnten, sind doch diese Fälle, in denen der Versicherte die - erkennbar gewordene - ernsthafte Absicht hatte, noch vor Ablauf des Jahres 1956 Beiträge für die Jahre 1955 und 1956 zu entrichten, er diese Absicht jedoch nicht verwirklichen konnte, weil die Post keine Beitragsmarken mehr vorrätig hatte, dann aber später durch Art. 2 § 42 ArVNG rückwirkend der Endtermin des 31. Dezember 1956 eingeführt wurde, nicht anders zu werten als die Normalfälle, in denen der Versicherte einen bereits gesetzlich bestehenden Endtermin nicht einhalten konnte. Hinzu kommt, daß Art. 2 § 42 ArVNG nicht nur eine Berechnungsvorschrift ist, sondern auch der Wahrung des am 31. Dezember 1956 bestehenden Besitzstandes dient (BSG 14, 159). Wenn auch ausdrücklich nur die aus bereits tatsächlich geleisteten Beiträgen erworbenen Anwartschaften in ihrem vollen Bestand gesichert worden sind, so kann doch nichts anderes für die Rechtspositionen gelten, die den Versicherten nach §§ 1442 bis 1444 RVO aF, §§ 1418 bis 1420 RVO zustehen, da das Gesetz sie ebenso schützt wie die Anwartschaften aus tatsächlich entrichteten Beiträgen selbst. Etwas anderes hätte nur angenommen werden müssen, wenn sich aus Art. 2 § 42 Satz 2 ArVNG ergäbe, daß der gesetzte Endtermin als absolut angesehen werden müßte. Dafür ergibt sich jedoch kein Anhalt. Insbesondere kann aus dem Umstand, daß das ArVNG erst im Februar 1957 beschlossen und verkündet, aber rückwirkend zum 1. Januar 1957 in Kraft gesetzt worden ist, nicht geschlossen werden, der Gesetzgeber habe dadurch, daß er diesen Endtermin in die Vergangenheit verlegt habe, bewußt jedwede Möglichkeit der vollwirksamen Nachentrichtung von Beiträgen für die Jahre 1955 und 1956 vereiteln wollen. Denn die rückwirkende Inkraftsetzung des ArVNG ist lediglich darauf zurückzuführen, daß der Gesetzgeber entgegen seiner ursprünglichen Absicht das Gesetz nicht mehr rechtzeitig vor den 1. Januar 1957 beschließen konnte. Auch der Umstand, daß der Gesetzgeber diesen Endtermin dann nicht auf den 1. März 1957 verlegt hat, läßt eine derartige Schlußfolgerung nicht zu. Denn diese Verlegung des Endtermins verbot sich, weil das alte Anwartschaftsrecht des § 1264 RVO aF auf volle Kalenderjahre abgestellt war. Wenn auch Art. 2 § 42 ArVNG (damals noch § 41) erstmalig in dem Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik vom 10. Januar 1957 (Nr. 3080) erwähnt ist, so liegen doch die Verhandlungen und Beschlüsse dieses Ausschusses naturgemäß vor diesem Zeitpunkt, so daß auch aus dem Datum dieses Berichtes keine gegenteiligen Schlüsse möglich sind. Der Bericht zu dieser Vorschrift (S. 25) läßt auch inhaltlich keinen gegen diese Auffassung sprechenden Umstand erkennen. Es ist dort ausgeführt: "Voraussetzung ..... ist jedoch, daß die Anwartschaft nach bisherigem Recht am 1. Januar 1957 erhalten war. Hat der Versicherte diese Anwartschaftsvorschrift vor dem Inkrafttreten des Gesetzes nicht beachtet, so kann er nach geltendem Recht eine Rente nicht erhalten. ......". Entscheidend für den Ausschuß war also, daß nur derjenige Versicherte in den Genuß dieser Vergünstigung kommen sollte, der die Anwartschaftsvorschrift vor dem Inkrafttreten des Gesetzes beachtet hatte. Dies betraf aber auch die Versicherten, denen am 31. Dezember 1956 nach geltendem Recht noch die Möglichkeit späterer wirksamer Beitragsentrichtung nach §§ 1442 bis 1444 RVO aF (heute §§ 1418 bis 1420 RVO) zur Seite stand. Von einer ausdrücklichen Beschränkung auf Beiträge, die vor dem 1. Januar 1957 tatsächlich entrichtet sind, ist in diesem Bericht keine Rede. Wenn es nun auch der Gesetzestext auf die vor dem 1. Januar 1957 entrichteten Beiträge abstellt und dieser Termin daher von den Versicherungsträgern und Gerichten zu beachten ist, so ergibt sich doch immerhin, daß die Bedeutung dieses Satzes nicht überbewertet werden sollte. Es besteht also keine Notwendigkeit, den durch Art. 2 § 42 Satz 2 ArVNG eingeführten Endtermin anders zu sehen als den normalen Endtermin der Ausschlußfrist der §§ 1442 Abs. 1 RVO aF, 1418 Abs. 1 RVO. Dann aber müssen auch Abs. 2 und 3 dieser Vorschrift auf Fälle dieser Art entsprechend angewandt werden. Da die Klägerin im Dezember 1956 mehrmals vergeblich versucht hatte, Beitragsmarken bei der Post zu erwerben, hatte sic auch alles getan, was von ihr erwartet werden konnte, hat also ohne Verschulden diese Beiträge nicht vor dem 1. Januar 1957 entrichtet.

Allerdings betrifft § 1418 Abs. 2 und 3 RVO nur die Verlängerung der Ausschlußfrist für Pflichtbeiträge. Der Senat glaubte jedoch, diesen Grundsatz auf freiwillige Beiträge entsprechend anwenden zu sollen. Der Gesetzgeber hat in § 1418 Abs. 2 RVO nicht etwa bewußt die freiwilligen Beiträge von dieser Vergünstigung ausschließen wollen, sondern hat sich nur deshalb auf die Erwähnung der Pflichtbeiträge beschränkt, weil normalerweise nur bei ihnen, da sie nicht von dem Versicherten, sondern von dem Arbeitgeber zu entrichten sind, ein Nichtverschulden des Versicherten an ihrer nicht rechtzeitigen Entrichtung vorkommen kann. Freiwillige Beiträge dagegen sind von dem Versicherten selbst zu entrichten, so daß es kaum denkbar ist, daß dieser an deren nicht rechtzeitiger Entrichtung schuldlos sein könnte. Zwar ist es auch in den Normalfällen immerhin möglich, daß am Ende eines Kalenderjahres bei der Post die Beitragsmarken ausverkauft sind und der Versicherte infolgedessen an der rechtzeitigen Entrichtung von freiwilligen Beiträgen gehindert ist. Ihm allerdings steht es offen, ersatzweise gegenüber dem Versicherungsträger oder einer sonst zu ständigen Stelle eine Bereiterklärung im Sinne des § 1420 Abs. 1 Nr. 2 RVO abzugeben, so daß er nicht ohne Verschulden handeln würde, wenn er von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch machte. Die Fälle des Art. 2 § 42 ArVNG unterscheiden sich aber insofern von den Normalfällen, als der Versicherte nach der am 31. Dezember 1956 bestehenden Rechtslage in der Lage war, auch nach diesem Zeitpunkt noch für die Jahre 1955 und 1956 Beiträge nachzuentrichten. Er durfte sich also darauf beschränken, mit der Beitragsentrichtung bis Anfang 1957 zu warten; er brauchte nicht damit zu rechnen, daß der Endtermin des 31. Dezember 1956 noch nachträglich eingeführt werden würde. Ihm kann also kein Vorwurf daraus gemacht werden, daß er es unterlassen hat, eine Bereiterklärung zur Beitragsentrichtung noch im Dezember 1956 abzugeben. Daß der Gesetzgeber die freiwilligen Beiträge nicht bewußt aus der Vergünstigung dieser Vorschriften ausschließen wollte, ergibt sich auch aus § 1442 Abs. 3 RVO aF, nach welcher in Fällen besonderer Härte die Frist des § 1442 Abs. 1 RVO auch für freiwillige Beiträge verlängert werden konnte. Daraus ist zu schließen, daß der Gesetzgeber in § 1442 Abs. 2 RVO aF die freiwilligen Beiträge nur deshalb nicht genannt hat, weil er glaubte, diese Fälle würden nicht Vorkommen. Denn wenn er diese Vergünstigung für Fälle besonderer Härte, ohne es auf das Nichtverschulden des freiwillig Versicherten abzustellen, gewährte, wäre es unverständlich, wenn er die freiwilligen Beiträge für die Fälle des Nichtverschuldens des Versicherten nicht auch in § 1442 Abs. 2 RVO begünstigt hätte, falls er dies für möglich gehalten hätte. Zwar sind in dem seit dem 1. Januar 1957 geltenden entsprechenden § 1418 RVO auch in dessen Abs. 3 nur Pflichtbeiträge erwähnt. Die Konstruktion dieser Vorschrift weicht aber insofern von der des Abs. 3 des § 1442 RVO aF ab, als es sich hier nur um eine weitere Verlängerung der Frist des Abs. 2 handelt und diese jetzt auch nur bei Nichtverschulden des Versicherten möglich ist. Dies bestätigt nur, daß der Gesetzgeber freiwillige Beiträge nur deshalb nicht begünstigt hat, weil bei ihnen normalerweise ein Nichtverschulden des Versicherten an der nicht rechtzeitigen Beitragsentrichtung nicht in Betracht kommt. Wenn nun aber aus der besonderen Situation des Art. 2 § 42 ArVNG heraus ausnahmsweise ein Nichtverschulden des Versicherten an der nicht rechtzeitigen Entrichtung von freiwilligen Beiträgen gegeben ist, so erscheint es sinnvoll, § 1418 Abs. 2 RVO auch auf freiwillige Beiträge entsprechend anzuwenden. Dies kann jedoch nicht bedeuten, daß für diese Versicherten nunmehr die Zweijahresfrist oder sogar die in § 1418 Abs. 3 vorgesehene weitere Frist in Betracht kommen könnte. Denn anders als bei Pflichtbeiträgen hat es der freiwillig Versicherte grundsätzlich selbst in der Hand, jederzeit die Beiträge nachzuentrichten. Dies heißt, daß er in dem vorliegenden Falle die Nachentrichtung vornehmen konnte, sobald die Post wieder Marken vorrätig hatte, was Anfang des Jahres 1957 der Fall war. Diese Frist hat die Klägerin eingehalten.

Der Senat kam somit auf Grund entsprechender Anwendung des sich aus § 1418 Abs. 2 RVO ergebenden Grundgedankens zu dem Ergebnis, daß diese Beiträge noch als rechtzeitig im Sinne des Art. 2 § 42 ArVNG entrichtet anzusehen sind. Zwar ist der 12. Senat des BSG in seinem Urteil vom 23. November 1961 (BSG 15, 267) in einem ähnlichen Fall zur Ablehnung des Anspruchs des Versicherten auf Gewährung der sogenannten Vergleichsrente gekommen. Der vom 12. Senat zu entscheidende Fall lag jedoch insofern anders, als der Versicherte Ende 1956 nur einmal bei der Post vergeblich nach Beitragsmarken nachgefragt hatte. Manches spricht dafür, in einem solchen Fall ein Verschulden des Versicherten deshalb anzunehmen, weil er sich nur mit einem Verbuch zufrieden gegeben hatte. Im vorliegenden Fall dagegen hat die Versicherte im Dezember 1956 mehrmals vergeblich versucht, Beitragsmarken zu kaufen. In diesem Fall muß jedenfalls ein Nichtverschulden der Versicherten in diesem Sinne angenommen werden. Bei der Unterschiedlichkeit der beiden Fälle konnte der erkennende Senat seine Entscheidung treffen, ohne den Großen Senat des BSG anrufen zu müssen.

Da der Anspruch der Klägerin auf Gewährung der sogenannten Vergleichsrente somit gegeben ist, mußte das angefochtene Urteil aufgehoben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2939584

BSGE, 1

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