Leitsatz (amtlich)
1. Sind die Voraussetzungen des RVO § 627 erfüllt, hindert die Ausschlußfrist des RVO § 1546 aF nicht die Verurteilung der beigeladenen BG zur Erteilung eines neuen Bescheides unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des LSG, daß kein militärähnlicher Dienst (BVG § 1 Abs 1, § 3), sondern ein Arbeitsunfall vorgelegen hat (Anschluß an BSG 1959-06-23 2 RU 21/54 = BSGE 10, 88).
2. Von der Unrichtigkeit eines früheren Bescheides muß die BG dann überzeugt sein, wenn wegen der rechtskräftigen Ablehnung als Versorgungsfall als einzige Alternative die Annahme eines Arbeitsunfalles übrig bleibt.
Normenkette
SGG § 54 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1953-09-03, § 75 Abs. 5 Fassung: 1953-09-03; RVO § 627 Fassung: 1963-04-30, § 1546 Fassung: 1942-08-20; BVG § 1 Abs. 1 Fassung: 1950-12-20
Verfahrensgang
Hessisches LSG (Entscheidung vom 24.05.1977; Aktenzeichen L 4 V 1026/74) |
SG Gießen (Entscheidung vom 10.09.1974; Aktenzeichen S 8 V 67/73) |
Tenor
Die Revision der Beigeladenen gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 24. Mai 1977 wird zurückgewiesen.
Die Beigeladene hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob das Landessozialgericht (LSG) die Beigeladene verurteilen durfte, der Klägerin unter Beachtung seiner Rechtsauffassung einen neuen Bescheid über den Unfall ihres Ehemannes vom 11. Februar 1945 zu erteilen.
Die Klägerin ist die Witwe des am 23. Februar 1945 verstorbenen selbständigen Metzgermeisters A D (D.). Dieser war am 11. Februar 1945 als ziviler Beifahrer in einem Wehrmachtslastkraftwagen auf einer Versorgungsfahrt verunglückt, hatte Brust- und Beinquetschungen erlitten, an die sich eine zum Tode führende Lungenentzündung anschloß.
Den Antrag der Klägerin vom Dezember 1948, ihr Hinterbliebenenrente nach dem Körperbeschädigtenleistungsgesetz zu gewähren, lehnte die Landesversicherungsanstalt Hessen ab, weil kein militärähnlicher Dienst geleistet worden sei, es sich vielmehr um einen Berufsunfall gehandelt habe (Bescheid vom 4. Juni 1949). Das Oberversicherungsamt Wiesbaden verwarf die hiergegen eingelegte Berufung wegen Fristversäumnis als unzulässig (Urteil vom 27. Januar 1951). Die Fleischerei-Berufsgenossenschaft (Beigeladene) lehnte bindend einen Entschädigungsanspruch ab, weil nach Ablauf von 12 Jahren nicht mehr nachgewiesen werden könne, ob es sich um einen Arbeitsunfall gehandelt habe und weil die Ausschlußfrist des § 1546 Reichsversicherungsordnung (RVO) verstrichen sei (Bescheid vom 5. August 1957). Einen im Januar 1965 gestellten Antrag der Klägerin auf Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) lehnte das Versorgungsamt Gießen unter Hinweis auf den bindenden Bescheid nach dem Gesetz über Leistungen an Körperbeschädigte (KBLG) gemäß § 85 BVG ebenfalls ab (Bescheid vom 5. April 1965). Der Widerspruch, der als Antrag auf Erteilung eines Zugunstenbescheides nach § 40 Verwaltungsverfahrensgesetz in der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) behandelt wurde, blieb ohne Erfolg (Bescheid vom 14. Juni 1965). Die Klage wurde zurückgenommen.
Auch der weitere Antrag der Klägerin vom September 1972, ihr Hinterbliebenenversorgung im Zugunstenwege zu gewähren (§ 40 KOVVfG), war erfolglos (Benachrichtigung vom 12. Oktober 1972; Widerspruchsbescheid vom 9. April 1973). Die Klage hat das Sozialgericht (SG) Gießen abgewiesen (Urteil vom 10. September 1974). Das Hessische LSG hat nach Beweiserhebung die von ihm Beigeladene, die sich geweigert hatte, der Klägerin auf ihren erneuten Antrag vom Juli 1973 einen rechtsbehelfsfähigen Bescheid zu erteilen, unter Zurückweisung der Berufung der Klägerin verurteilt, einen neuen Bescheid zu erteilen und die Revision zugelassen (Urteil vom 24. Mai 1977).
Die Beigeladene vertritt in ihrer Revision die Meinung, die unfallbringende Fahrt sei im Auftrag und auf Veranlassung der Wehrmacht erfolgt. Ohne Anordnung einer militärischen Stelle hätte D. den Transport mit einem Wehrmachtsfahrzeug nicht durchführen können. Dazu habe es eines ausdrücklichen Auftrages durch eine Wehrmachtsdienststelle (Heranziehung) bedurft. Ohne einen solchen hätte D. die Fahrt bei der damaligen Kriegs- und Verkehrslage auf den Straßen unter der Gefahr ständig drohender Tieffliegerangriffe sicherlich vermieden. Da D. somit bei der Unfallfahrt dem Schutz des BVG (§§ 1, 3 BVG) unterstanden habe, sei die bindende Ablehnung von Leistungen aus der Unfallversicherung im Bescheid vom 5. August 1957 unter Berufung auch auf § 1546 RVO aF nicht zu beanstanden (BSG SozR Nr 1 zu § 10 Fremdrentengesetz - FRG -). Ein begründeter Anlaß, die Bindungswirkung dieser Entscheidung gemäß § 627 RVO aufzuheben, bestehe nicht. Die Frage, ob eine Beigeladene bei vorhandenem bindendem Bescheid zum Erlaß eines neuen Bescheides verurteilt werden dürfe, sei daher zu verneinen. Selbst wenn man aber in dem Unfallereignis einen Arbeitsunfall erblicken wollte, bleibe es auch eine Schädigung nach dem BVG, da der Unfall nicht vor dem 1. Januar 1942 und nicht nach dem 8. Mai 1945 eingetreten sei. § 54 BVG greife hier ein und führe zu einer Entschädigung nur nach dem BVG.
Die Beigeladene beantragt sinngemäß
die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Abweisung der Klage bezüglich der Beigeladenen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beigeladenen zurückzuweisen,
hilfsweise,
den Beklagten unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide zu verurteilen, der Klägerin einen neuen Bescheid unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu erteilen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision der Beigeladenen zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheidet (§ 124 Abs 2 SGG).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beigeladenen ist nicht begründet. Sie ist zurückzuweisen. Auch der Hilfsantrag der Klägerin, über den mitzuentscheiden war (BSGE 9, 67, 69 ff), ist unbegründet.
Die Verurteilung der Beigeladenen (§ 75 Abs 5 SGG) ohne vorhergegangenen Bescheid und ohne Vorverfahren war zulässig (BSGE 14, 86, 89; BSG SozR Nr 27, 30 zu § 75 SGG). Sie konnte auf den Hilfsantrag der Klägerin erfolgen, nachdem sich die Beigeladene geweigert hatte, einen förmlichen Bescheid zu erteilen (BSG Urteil vom 18. November 1960 - 4 RJ 305/59, Breithaupt 1961, 342).
Das LSG hat aus Art 4 § 2 Abs 1 Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz (UVNG) vom 30. April 1963 (BGBl I, 241) zu Recht entnommen, daß unter anderem § 627 RVO auch für Arbeitsunfälle gilt, die vor dem Inkrafttreten des UVNG eingetreten sind. Danach ist der Versicherungsträger anders als nach § 619 RVO aF verpflichtet, die Leistung neu festzustellen, wenn er sich bei erneuter Prüfung davon überzeugt, daß diese zu Unrecht ganz oder teilweise abgelehnt worden ist (vgl auch § 1300 RVO idF vom 1. Januar 1957 durch Art 1 Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz (ArVNG) vom 23. Februar 1957, BGBl I, 254, § 79 AVG). § 627 RVO setzt voraus, daß früher bereits eine Entscheidung über den Anspruch getroffen worden ist. Dies ist hier durch den Bescheid vom 5. August 1957 geschehen, in dem eine Leistung abgelehnt worden ist, weil der Nachweis eines Arbeitsunfalles nach Ablauf von 12 Jahren nicht zu erbringen sei und die Ausschlußfrist des § 1546 RVO aF der verspäteten Anmeldung entgegenstehe. An diesem bindend gewordenen Bescheid hat die Beigeladene festgehalten und sich geweigert, eine neue Prüfung durchzuführen, weil sie sich nicht von der Unrichtigkeit der früheren Entscheidung zu überzeugen vermocht hat. Bei der nach Beiladung aufgrund des § 627 RVO vorzunehmenden Prüfung war auf den Sachverhalt das zur Zeit der Ablehnung geltende Recht anzuwenden (BSGE 13, 259; 19, 38, 44; BSG SozR Nr 12 zu § 1300 RVO; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Band II, 1. - 8. Aufl 1978, S. 606 e). Danach hat der Versicherungsträger von der Unrichtigkeit der früheren Entscheidung als überzeugt zu gelten, wenn die Prüfung der Unterlagen und des Sachverhalts bei vernünftiger, alle Umstände berücksichtigender Beurteilung zu dem Schluß führt, daß die Überzeugung begründet sein müßte (BSGE 20, 199). Er ist von der Unrichtigkeit der früheren Entscheidung als überzeugt anzusehen, wenn die Unrechtmäßigkeit so offensichtlich ist, daß er dies bei erneuter Prüfung hätte erkennen müssen.
Das LSG hat zutreffend erkannt, § 1546 RVO nF sei nicht auf Arbeitsunfälle anzuwenden, die sich vor dem 1. Juli 1963 ereignet haben (Art 4 §§ 1, 16 UVNG vom 30. April 1963 - BGBl I, 241; BSG SozR Nr 1 zu § 10 FRG). Demgemäß sind weiterhin die §§ 1546, 1548 RVO aF auf Altfälle anzuwenden. Danach war der Anspruch der Klägerin zur Vermeidung des Ausschlusses spätestens zwei Jahre nach dem Tode des Verletzten anzumelden. Diese Frist lief gemäß § 2 Abs 1 des Gesetzes über weitere Maßnahmen in der Reichsversicherung aus Anlaß des Krieges vom 15. Januar 1941 (RGBl I, 34) frühestens mit dem auf das Kriegsende folgenden Kalenderjahr ab. Als Kriegsende wurde mit dem Gesetz über den Ablauf der durch Kriegsvorschriften gehemmten Fristen in der Sozial- und Arbeitslosenversicherung vom 13. November 1952 (BGBl I, 737) idF des Änderungsgesetzes vom 26. Juli 1955 (BGBl I, 457) der 31. Dezember 1950 festgelegt. Die Anmeldefrist endete hier also frühestens am 31. Dezember 1951. Sie konnte anders als nach Art 21 KBLG vom 8. April 1947 (Gesetz- und Verordnungsblatt S. 18) nur durch Anmeldung bei einem Unfallversicherungsträger oder einem Versicherungsamt (§ 1549 RVO aF), nicht aber bei der Landesversicherungsanstalt oder einer anderen amtlichen deutschen Stelle gewahrt werden. Nach Ablauf der Frist bestand unter anderem gemäß §§ 1547 Abs 1 Nr 2, 1548 Abs 2 RVO aF noch die Möglichkeit der Anmeldung binnen drei Monaten nach Wegfall des Hindernisses, wenn der Berechtigte durch Verhältnisse an ihr gehindert worden ist, die außerhalb seines Willens lagen. Solche könnten zwar darin zu erblicken sein, daß die Klägerin keine Kenntnis darüber besaß, ob es sich bei dem schädigenden Ereignis um einen Arbeitsunfall handelte, weil der Unfall von Wehrmachtsdienststellen abgewickelt wurde. Da diese Kenntnis der Klägerin aber bereits durch den KBLG-Bescheid vom 14. Juni 1949 vermittelt wurde, in dem unter anderem ausgeführt war, es handele sich um einen Berufsunfall, der keinen Leistungsgrund iSv § 1 KBLG darstelle und das Urteil des Oberversicherungsamts vom 27. Januar 1951 ebenfalls einen derartigen Hinweis enthielt, standen ihr die Vorschriften der §§ 1547 Abs 1 Nr 2, 1548 Abs 2 RVO aF 1957 nicht zur Verfügung. Die Beigeladene durfte sich allein auf die §§ 1546 Abs 1, 1548 Abs 1 RVO aF berufen und den geltend gemachten Anspruch wegen Fristversäumnis ablehnen (vgl LSG Celle, Urteil vom 27. Juli 1966, Breith. 1967, 119). Zu den von Pickel gegen die Auslegung des § 1546 aF (SGb 1964, 320) mit Stellungnahme von Spinnarke (SGb 1965, 396) und Entgegnung von Pickel (SGb 1965, 399) erhobenen Bedenken erübrigt sich im Hinblick auf die abschließende Entscheidung des Großen Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 9. Juni 1961 - GS 2/60 - (BSGE 14, 246) eine Stellungnahme. In dieser zu § 58 BVG aF ergangenen Entscheidung hat der Große Senat ua die Rechtsauffassung des 2. Senats (BSGE 10, 88, 91) bestätigt. Danach haben Fristvorschriften die Funktion, Ansprüche auszuschließen, die wegen Fristablaufs die Feststellung des Sachverhalts nach allgemeiner Erfahrung entweder überhaupt nicht mehr oder nur noch unter unzumutbaren Mühen möglich machen. Anders ist es nur, wenn die Voraussetzungen des verspätet angemeldeten Anspruchs zweifelsfrei gegeben sind. Dann widerspricht die Anwendung der Fristvorschrift ihrer Funktion und führt zu einem sozial unangemessenen und nicht gewollten Ergebnis. Solche Fälle sollen von der Fristvorschrift nicht betroffen werden (BSGE 14, 246, 250 f). Der Gesetzgeber hat aus dieser Rechtslage allerdings für das Recht der KOV andere Folgerungen gezogen als für das Unfallversicherungsrecht. Während er nämlich in der KOV mit dem 1. Neuordnungsgesetz (NOG) vom 27. Juni 1960 (BGBl I, 453) die Fristvorschriften der §§ 56 bis 59 BVG ersatzlos wegfallen ließ, so daß wegen Fristversäumnis abgelehnte Anträge ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt der Schädigung erneut eingebracht werden konnten (Art IV § 1 Abs 2 1. NOG), räumte er mit dem UVNG durch Neufassung des § 1546 RVO nur für die nach dessen Inkrafttreten (1. Juli 1963) eingetretenen Arbeitsunfälle eine günstigere Fristenregelung ein. Dies hat zur Folge, daß die Entscheidung des LSG nur bestätigt werden kann, wenn der verspätet angemeldete Anspruch zweifelsfrei besteht.
Dies ist hier wegen der rechtskräftigen Ablehnung des Leistungsanspruches nach dem KBLG der Fall gewesen. Das LSG hat festgestellt, der Ablehnungsbescheid sei von falschen Tatsachen ausgegangen, die Aufklärung des Sachverhaltes sei aber noch zweifelsfrei möglich gewesen, weshalb die Berufung auf § 1546 RVO aF rechtsmißbräuchlich gewesen sei (BSG 10, 88; BSG SozR Nr 5 zu § 77 SGG). Die Beigeladene hatte nämlich 1957 die Unterlagen des Beklagten, aus denen zu entnehmen war, daß der Versorgungsanspruch nach dem KBLG rechtskräftig abgelehnt und als Berufsunfall gewertet worden war, eingesehen. Ihr war daher bekannt, daß D. im Rahmen seines Berufes als Unternehmer eine Versorgungsfahrt für die Wehrmacht durchgeführt hatte, bei der er verunglückte, die aber nicht als militärähnlicher Dienst, sondern als Arbeitsunfall gewertet worden war. Bei dieser Sach- und Rechtslage war die Beigeladene 1957 nicht befugt, sich auf die Behauptung zurückzuziehen, der Nachweis eines Arbeitsunfalles sei nicht mehr zu erbringen, und sich auf die Fristversäumnis zu berufen. Denn nach der rechtskräftigen Ablehnung des Versorgungsanspruches verblieb als einzige Alternative für das Leistungsbegehren der Klägerin nur noch die Annahme eines Arbeitsunfalles, sofern man nicht behaupten wollte, es habe sich um eine reine "Privatfahrt" gehandelt; dafür fehlten und fehlen allerdings Anhaltspunkte. Die Beigeladene muß sich deshalb entgegenhalten lassen, daß ihre Ablehnung sachfremden Erwägungen entsprochen hat. Dies wird nachträglich noch bekräftigt durch die ergänzenden Ermittlungsergebnisse des LSG, aber auch durch die späteren Entscheidungen der Versorgungsverwaltung und des SG. Die Beigeladene hätte sich deshalb als überzeugt ansehen lassen müssen, daß ein solcher Nachweis sehr wohl zu erbringen, der verspätet geltend gemachte Anspruch aber offensichtlich berechtigt und sein Ausschluß wegen Fristversäumnis nicht sachgerecht gewesen ist (BSGE 10, 88; 20, 199). Dem Umstand, daß sich der Beklagte im rechtsverbindlichen Bescheid vom 5. April 1965 möglicherweise zu Unrecht auf § 85 BVG bezogen und die Erteilung eines Zugunstenbescheides deshalb abgelehnt haben mag, kommt deshalb keine rechtliche Bedeutung zu, weil in jedem Fall von der Bindungswirkung dieses Bescheides auszugehen ist. Unter dieser Voraussetzung war es auch nicht ungerechtfertigt, den späteren Antrag der Klägerin vom September 1972 als Antrag nach § 40 KOVVfG zu behandeln und die Unrichtigkeit früherer Entscheidungen zu verneinen.
Die Beigeladene hat erst im Klageverfahren Gelegenheit genommen, erneut Einsicht in die Versorgungsakten zu nehmen. Ihr wurden nach ihrer Beiladung durch das LSG auch alle weiteren Ermittlungsergebnisse zur Kenntnis gebracht, so daß sie in die Lage versetzt gewesen ist, die Unterlagen und den Sachverhalt abschließend zu prüfen. Obwohl auch diese konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben haben, daß die frühere Entscheidung zumindest falsch sein konnte, hat die Beigeladene in Verkennung ihrer Fürsorgepflicht (BSGE 12, 127) es abgelehnt, in eine neue Prüfung einzutreten. Sie mußte sich aber bei Vergleich des Sachstandes von 1957 mit dem des Jahres 1977 besonders gedrängt fühlen, ihre Überzeugung von der Rechtmäßigkeit des früheren Bescheides zu ändern, weil dieser offensichtlich fehlerhaft gewesen ist (BSGE 28, 173, 175; BSG SozR Nr 12 zu § 1300 RVO; Brackmann aaO, S. 728 k I). Dies gilt in doppelter Hinsicht: Die Beigeladene hätte sich weder auf die Ausschlußfrist des § 1546 RVO aF noch auf den nicht zu erbringenden Nachweis eines Arbeitsunfalles berufen dürfen. Denn der Grundsatz der Rechtssicherheit muß in den Fällen hinter den Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit zurücktreten, in denen sich die Verwaltung von der Unrichtigkeit ihrer für den Betroffenen nachteiligen Entscheidung überzeugt oder überzeugen muß (BSGE 26, 146; BSG SozR Nr 3 zu § 40 KOVVfG; BSG SozR 3900 § 40 Nr 2). Wenn dem Versicherungsträger das Recht eingeräumt ist, trotz der Bindungswirkung eines nicht angefochtenen Bescheides ein Versicherungsverhältnis nach materiellem Recht richtig zu gestalten, besteht für ihn die Pflicht zu einer angemessenen Rechtsausübung. Der Inhalt jedes Rechts ist durch seine rechtsethische und soziale Funktion bestimmt und begrenzt. Eine funktionswidrige Ausübung ist nicht mehr durch den Inhalt des Rechts gedeckt, sie ist nur noch scheinbar Gebrauch dieses Rechts und in Wirklichkeit in einem solchen Fall Rechtsmißbrauch (vgl BSG, Urteil vom 26. Januar 1967 - 8 RV 407/64 -). Die Bindung des Versicherungsträgers an Recht und Gesetz (Art 20 Abs 3 Grundgesetz - GG -) verlangt bei einer Kollision zwischen einem bindend gewordenen rechtswidrigen Bescheid und einem für den Betroffenen günstigeren Versicherungsrecht die Realisierung dieses Rechts und nicht ein Festhalten an der Bindung. Für ein Ermessen der Behörde ist dann kein Raum, vielmehr ist der Versicherungsträger in solchen Fällen zur Bescheiderteilung verpflichtet. Dabei ist der Sach- und Rechtslage in der Weise Rechnung zu tragen, daß auf die allein noch zur Verfügung stehende Alternative eines Arbeitsunfalles abgestellt wird. Die Beigeladene darf sich jedenfalls nicht mehr darauf berufen, nach ihrer Überzeugung habe es sich um einen Unfall während der Ausübung militärähnlichen Dienstes gehandelt, der auf Veranlassung eines militärischen Befehlshabers für Zwecke der Wehrmacht geleistet worden sei (Art 1 Abs 1 KBLG aaO iVm § 4 Abs 1 Buchst h der DVO zum KBLG vom 1. Mai 1949 - GVBl S. 113; § 3 Abs 1 Buchst b BVG), weil dem rechtskräftige und rechtsverbindliche Entscheidungen entgegenstehen. Daran ändert auch nichts, daß der Beklagte sich im Bescheid vom 5. April 1965 zu Unrecht auf die Bindungswirkung aus § 85 BVG bezogen haben mag, obwohl im KBLG-Bescheid vom 14. Juni 1949 lediglich militärähnlicher Dienst verneint worden war, also keine Zusammenhangsentscheidung iSd § 85 BVG ergangen war. Denn selbst wenn die Entscheidung vom 5. April 1965 als Erstentscheidung nach dem BVG darüber hätte ergehen müssen, ob D. militärähnlichen Dienst nach dem BVG geleistet hatte, also nicht den strengeren Voraussetzungen des § 40 KOVVfG hätte unterzogen werden dürfen, würde dies nichts daran ändern, daß dieser Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juni 1965 durch Klagerücknahme rechtsverbindlich geworden ist. Der Beklagte durfte deshalb in jedem Fall den neuen Antrag der Klägerin vom 25. September 1972 als einen solchen auf Erteilung eines Zugunstenbescheides behandeln. Immerhin hat der Widerspruchsbescheid vom 9. April 1973 die Bindung aus § 85 BVG nicht mehr für seine Begründung verwendet, sondern weiterhin die Leistung militärähnlichen Dienstes durch D. aus der Sicht des § 40 KOVVfG angezweifelt. Zwar hat das SG im klageabweisenden Urteil vom 10. September 1974 erneut die Bindungswirkung aus § 85 BVG angenommen und das LSG hat sich lediglich auf die Bindung durch den Bescheid vom 14. Juni 1949 bezogen, weil dieser nicht zweifelsfrei unrichtig gewesen sei. Da das LSG aber auch als Ergebnis der von ihm durchgeführten Beweisaufnahme festgestellt hat, D. sei im Unfallzeitpunkt nicht Soldat gewesen, er habe zur Wehrmacht in keinem Verhältnis gestanden, das Ansprüche nach dem BVG begründe, hat es im Ergebnis zutreffend auch die Voraussetzungen des § 40 KOVVfG nach dem BVG verneint (vgl BSG Urteil vom 6. Oktober 1977 - 9 RV 4/77 -; SES BSG IX/3 § 3 Nr 20). Dieser Auffassung stimmt auch der erkennende Senat zu. Denn den Äußerungen des Zeugen I iVm der Aussage des Zeugen W, der Stellungnahmen der OFD Frankfurt, des BMV und des BMA konnte das LSG entnehmen, daß die früheren Entscheidungen nicht unrichtig gewesen sind.
Deshalb ist es der Revision verwehrt, die Anwendung des § 54 BVG zu fordern, der allein einen Anspruch nach dem BVG zuläßt, wenn eine Schädigung iSd § 1 BVG zugleich ein Unfall iS der gesetzlichen Unfallversicherung ist, sofern das schädigende Ereignis in der Zeit vom 1. Januar 1942 bis 8. Mai 1945 eingetreten ist (BSG Urteil vom 26. Mai 1966 - 2 RU 115/65 - SozEntsch 9/3 § 54 Nr 1 - S 1 -).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen