Entscheidungsstichwort (Thema)

Zugehörigkeit zur Wehrmacht. Bruch des deutsch-rumänischen Bündnisses. Inhaftierung keine Ersatzzeit

 

Orientierungssatz

1. Eine Beendigung der Zugehörigkeit zur Wehrmacht ohne förmliche Entlassung kann auch durch den Bruch des deutsch-rumänischen Bündnisses im August 1944 erfolgt sein (vgl BSG vom 19.2.1957 10 RV 325/55 = BSGE 4, 289).

2. § 2 Abs 3 BVG erfaßt nur den Dienst in einer ausländischen Armee während der Dauer des Bündnisses mit dem betreffenden anderen Staat.

3. Zeiten der Inhaftierung eines rumänischen Soldaten nach dem Bruch des Bündnisses sind keine Ersatzzeiten (Kriegsgefangenschaft) iS von § 1251 Abs 1 Nr 1.

 

Normenkette

WehrG § 21 Abs. 3; RVO § 1251 Abs. 1 Nr. 1; BVG § 2 Abs. 3

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 16.02.1988; Aktenzeichen L 13 J 5/87)

SG Köln (Entscheidung vom 25.11.1986; Aktenzeichen S 4 J 24/85)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Anrechnung einer Ersatzzeit vom 25. August 1944 bis 8. Mai 1945.

Der 1922 in Rumänien geborene Kläger war zunächst rumänischer Staatsangehöriger. Von November 1943 bis Juni 1944 besuchte er nach seinen Angaben die Marineausbildungsschule in B.      . Seit 1. Juli 1944 war er in St.       bei der deutschen Marine, und zwar entweder als Angehöriger der rumänischen Armee lediglich im Rahmen einer Ausbildung oder als Angehöriger der Deutschen Wehrmacht.

Als das Bündnis zwischen dem Deutschen Reich und Rumänien im August 1944 zerbrach, wurde der Kläger in ein Kriegsgefangenenlager bei B.     gebracht. Nach seiner Befreiung blieb er auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland; er wurde als heimatloser Ausländer geführt, bis er 1966 die deutsche Staatsangehörigkeit erwarb.

Die Beklagte erkannte die Zeit vom 18. November 1943 bis 23. August 1944 als Ersatzzeit an, lehnte jedoch die Vormerkung der Zeit vom 24. August 1944 bis 8. Mai 1945 als Ersatzzeit ab (Bescheid vom 29. Dezember 1983). Auch im Altersruhegeldbescheid vom 31. Januar 1984 wurde die strittige Zeit nicht berücksichtigt.

Die Klage und die Berufung des Klägers hatten keinen Erfolg (Urteile vom 25. November 1986 und vom 16. Februar 1988). Das Landessozialgericht (LSG) ließ offen, ob der Kläger Angehöriger der rumänischen oder der deutschen Armee gewesen ist. Es führte aus, militärischer oder militärähnlicher Dienst habe nicht vorgelegen, weil der Kläger im strittigen Zeitraum gerade keinen Dienst mehr geleistet habe. Eine Kriegsgefangenschaft iS von § 1251 Abs 1 Nr 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) scheide aus, weil der Kläger in deutschem Gewahrsam gewesen sei.

Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, er sei Angehöriger der Deutschen Wehrmacht gewesen. Da er nicht formell aus der Wehrmacht entlassen worden sei, sei auch die Zeit im Lager eine Zeit des militärischen Dienstes gewesen. Gehe man aber davon aus, daß er der rumänischen Armee angehört habe, so sei die deutsche Gewahrsamsmacht aus seiner Sicht eine feindliche Macht gewesen.

Der Kläger beantragt,

1. die Urteile des Sozialgerichts Köln vom 25. November

ber 1986 und des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 16. Februar 1988 sowie die Bescheide der Beklagten vom 29. Dezember 1983 und vom 31. Januar 1984 aufzuheben,

2. die Beklagte zu verurteilen, in dem Versicherungs

verlauf des Klägers die Zeit vom 25. August 1944 bis 8. Mai 1945 als Ersatzzeit aufzunehmen und seine Rente unter Berücksichtigung dieser Ersatzzeit neu zu berechnen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich gemäß § 124 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die kraft Zulassung durch den erkennenden Senat statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und damit zulässige Revision des Klägers ist nicht begründet. Das LSG hat zutreffend die Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Sozialgerichts (SG) zurückgewiesen. Die Beklagte hat zu Recht abgelehnt, die strittige Zeit als Ersatzzeit anzuerkennen. Die Voraussetzungen des § 1251 Abs 1 Nr 1 RVO, worin hier in erster Linie die Grundlage für eine Anrechnung als Ersatzzeit gefunden werden könnte, liegen nicht vor.

Anrechnungsfähige Ersatzzeiten sind nach § 1251 Abs 1 Nr 1 RVO ua zum einen Zeiten des militärischen oder militärähnlichen Dienstes iS der §§ 2 und 3 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) idF der Bekanntmachung vom 22. Januar 1982 (BGBl I S 21), der aufgrund gesetzlicher Dienst- oder Wehrpflicht oder während eines Krieges geleistet worden ist, zum anderen Zeiten der Kriegsgefangenschaft. Der Kläger leistete in der Zeit vom 25. August 1944 bis 8. Mai 1945 weder Dienst der genannten Art, noch befand er sich in Kriegsgefangenschaft. Ob er damals der deutschen oder rumänischen Armee angehörte, ist dafür unerheblich.

Selbst wenn der Kläger - wie er vorgetragen hat - Angehöriger der deutschen Wehrmacht war, bildete die Zeit seiner Inhaftierung keine Zeit militärischen oder militärähnlichen Dienstes iS von §§ 2, 3 BVG. Nach § 2 Abs 1 Buchst a) BVG, der hier allein in Betracht kommt, ist militärischer Dienst jeder nach deutschem Wehrrecht geleistete Dienst als Soldat oder Wehrmachtsbeamter. Dem Kläger, der geltend gemacht hat, auch über August 1944 hinaus Wehrmachtsangehöriger gewesen zu sein, ist einzuräumen, daß das Wehrgesetz vom 21. Mai 1935 (RGBl I S 609) keine nichtförmliche Beendigung des Wehrdienstes vorsah. Die Zugehörigkeit zur Wehrmacht dauerte vielmehr grundsätzlich vom Tage des Eintritts oder der Einberufung bis zum Ablauf des Entlassungstages (§ 21 Abs 3 Buchst a) Wehrgesetz); darüber hinaus war ein Ausscheiden "von Rechts wegen" ohne Entlassung im Gesetz lediglich vorgesehen, wenn bestimmte gerichtliche Verurteilungen erfolgten (§ 23 Wehrgesetz). In Fällen wie dem vorliegenden bedurfte es aber zur Beendigung des militärischen oder militärähnlichen Dienstes nicht der im Wehrgesetz vorgesehenen Form. Denn für die Beurteilung kommt es nicht darauf an, wie lange jemand der Wehrmacht formal angehörte, sondern entscheidend ist, wie lange er wirklich Dienst als Soldat leistete.

Der 10. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat bereits im Urteil vom 19. Februar 1957 (BSGE 4, 289) eine Beendigung der Zugehörigkeit zur Wehrmacht auch ohne förmliche Entlassung angenommen, wenn sich der Wehrmachtsangehörige in einer Zeit allgemeiner Auflösung der Wehrmacht von der Unterordnung unter die militärische Befehlsgewalt wirksam löste. Damit wurde den tatsächlichen Verhältnissen zum Ende des Krieges Rechnung getragen. Die Situation des Klägers nach dem Bruch des deutsch-rumänischen Bündnisses im August 1944 war ebenfalls von kriegseigentümlichen Verhältnissen bestimmt, die das Wehrgesetz nicht erfaßt hatte und nicht hatte erfassen können: Der Kläger wandelte sich innerhalb von drei Tagen vom Angehörigen eines verbündeten Staates zum Angehörigen eines feindlichen Staates. Ihm wurde eindeutig erklärt, daß sein Dienst in der Wehrmacht beendet sei. Die Unterordnung unter die militärische Befehlsgewalt wurde damit aufgehoben. Im Anschluß an die Erwägungen des 10. Senats aaO hat der erkennende Senat daher keine Bedenken, auch für einen derartigen Sachverhalt die Schlußfolgerung zu ziehen, daß der militärische Dienst ohne förmliche Entlassung beendet war.

Einer solchen Einschätzung steht die spezielle Art und Weise, wie beim Kläger die Beendigung des militärischen Dienstes erfolgte, nicht entgegen. Nach den unangefochtenen und damit für den Senat gemäß § 163 SGG bindenden Feststellungen des LSG ist der Kläger inhaftiert worden, um einem möglichen Eingreifen in den Kampf gegen Deutschland vorzubeugen. Die Internierung von wehrpflichtigen Staatsangehörigen feindlicher Mächte ist nach den Grundsätzen des Völkerrechts zulässig (Berber, Lehrbuch des Völkerrechts Bd 1, 2. Aufl 1975 S 410; Wengler, Völkerrecht 1964 S 1003 Anm 1, S 1431; von der Heydte, Völkerrecht Bd 1 - 1958 S 284). Sie wurde erst durch das IV. Genfer Abkommen vom 12. August 1949 zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten (BGBl II S 917) an engere Voraussetzungen geknüpft. Die Freiheitsbeschränkung des Klägers im August 1944 war also unter den besonderen Bedingungen des Krieges nicht rechtswidrig und schloß demzufolge auch nicht aus, daß der Militärdienst des Klägers mit seiner Inhaftierung rechtsgültig beendet war.

Militärischer oder militärähnlicher Dienst des Klägers von August 1944 bis Mai 1945 iS von §§ 2 und 3 BVG läßt sich ebenfalls nicht bejahen, wenn davon ausgegangen wird, daß der Kläger Angehöriger der rumänischen Armee war. Der dann vorliegende Dienst des Klägers in der Wehrmacht eines anderen Staates könnte ihm, da er nicht Vertriebener iS des § 1 des Bundesvertriebenengesetzes ist, nur nach § 2 Abs 3 BVG angerechnet werden. Nach dieser Vorschrift steht bei deutschen Staatsangehörigen der während eines der beiden Weltkriege geleistete Dienst in der Wehrmacht eines Staates, der mit dem Deutschen Reich verbündet gewesen ist, dem Dienst nach deutschem Wehrrecht gleich, wenn der Berechtigte vor dem 9. Mai 1945 seinen Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt im Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stand vom 31. Dezember 1937 hatte. Das letzte Erfordernis ist zwar beim Kläger erfüllt. Nach den unangefochtenen, den Senat nach § 163 SGG bindenden Feststellungen des LSG hielt er sich seit 1. Juli 1944 ständig im Reichsgebiet auf. Die Monate seiner Inhaftierung sind aber ihrem Charakter nach keine Zeiten ausländischen Militärdienstes iS von § 2 Abs 3 BVG.

Dem bloßen Wortlaut nach erfaßt die Vorschrift den gesamten Dienst in der Wehrmacht eines dem Deutschen Reich verbündet gewesenen Staates während eines der beiden Weltkriege. Eine ausdrückliche, differenzierende Regelung des Falles wie beim Kläger, daß aus einem zunächst verbündeten Staat infolge des Kriegsverlaufes ein feindlicher Staat wird, ist nicht vorhanden. Aus Sinn, Zweck und Entstehung der Vorschrift ist aber abzuleiten, daß nur der Dienst in einer ausländischen Armee während der Dauer des Bündnisses mit dem betreffenden anderen Staat dem Dienst nach deutschem Wehrrecht gleichgestellt wird. § 2 Abs 2 des Entwurfs des BVG, der im wesentlichen den jetzigen Absätzen 2 und 3 entspricht, wurde bei der Schaffung des BVG lediglich damit begründet, daß diesem Personenkreis schon früher Bezüge gewährt worden seien (BT-Drucks 1/1333 S 47). § 2 Abs 3 BVG geht auf eine Härtefallregelung nach § 8 des Gesetzes über Teuerungsmaßnahmen für Militärrentner vom 21. Juli 1922 (RGBl I S 650; ähnlich dem heutigen § 89 BVG) zurück. Die Vorschrift erlaubte die Gewährung eines Ausgleichs, sofern sich in einzelnen Fällen aus den Vorschriften des Reichsversorgungsgesetzes (RVG) besondere Härten ergaben. Ein solcher Härtefall setzt die Vergleichbarkeit des im einzelnen Fall erbrachten Opfers mit den im RVG geregelten Fällen voraus. Aufgrund dieser Vorschrift genehmigte der Reichsarbeitsminister allgemein die Versorgung von Kriegsbeschädigten, die in einer mit der deutschen Wehrmacht während des Krieges 1914-1918 verbündet gewesenen Wehrmacht Dienst geleistet hatten (RVBl 1923 S 54). Die Versorgung erhielten Reichsangehörige oder Bewohner des Deutschen Reiches, die nach der Volksanschauung als Deutsche anzusehen waren. Damit wurde der Tatsache Rechnung getragen, daß diese Personen sich in ähnlicher Form wie die Versorgungsberechtigten für das Interesse des Deutschen Reiches eingesetzt hatten. Wäre eine Härte aus anderen Gründen angenommen worden, so hätte der Personenkreis anders umschrieben werden müssen. Dieser vergleichbare Einsatz, der die Härte begründete, konnte aber nur während der Dauer des Bündnisses mit dem anderen Staat, in dessen Wehrmacht Dienst geleistet wurde, erbracht werden.

Der zweite aus § 1251 Abs 1 Nr 1 RVO zugunsten des Klägers in Betracht kommende Tatbestand der Kriegsgefangenschaft liegt ebenfalls bei keiner der beiden möglichen Fallgestaltungen vor. Das BSG hat in ständiger Rechtsprechung den Begriff der Kriegsgefangenschaft völkerrechtlich ausgelegt. Danach ist in Übereinstimmung mit den Genfer Abkommen über die Behandlung von Kriegsgefangenen vom 27. Juli 1929 (RGBl II 1934 S 227) und vom 12. August 1949 (BGBl I 1954 S 838) Kriegsgefangener, wer wegen seiner Zugehörigkeit zu einem militärischen oder militärähnlichen Verband gefangengenommen worden ist und von einer feindlichen (ausländischen) Macht festgehalten wird (s Urteil des 4a Senats vom 28. November 1985, SozR 2200 § 1251 Nr 117, Urteil des erkennenden Senats vom 28. April 1989 - 5/4a RJ 43/87 -, zur Veröffentlichung bestimmt). Sofern der Kläger der deutschen Wehrmacht angehörte, scheitert die Annahme einer Kriegsgefangenschaft schon daran, daß der Kläger dann nicht wegen seiner Zugehörigkeit zu einem feindlichen militärischen Verband festgehalten wurde. Wenn der Kläger rumänischer Soldat war, lag zwar eine Kriegsgefangenschaft vor. § 1251 Abs 1 Nr 1 RVO erfaßt aber nicht jede Kriegsgefangenschaft, sondern nur die, die auf den militärischen oder militärähnlichen Dienst iS der §§ 2, 3 BVG - dh Dienst zugunsten des Deutschen Reiches - zurückzuführen ist (s Urteile des 11. Senats des BSG vom 20. September 1973 - 11 RA 6/73 - in BSGE 36, 171 und vom 2. November 1983 - 11 RA 58/82 - in DAngVers 1984, 147). Der Kläger wurde in diesem Fall zum einen nicht wegen seiner Zugehörigkeit zu einer verbündeten Wehrmacht in Gewahrsam genommen, sondern weil er der (ab August 1944) feindlichen rumänischen Armee angehörte. Sein militärischer Dienst iS von § 2 Abs 3 BVG war, wie oben dargelegt, bereits beendet. Zum anderen wurde er nicht von einer feindlichen Macht, sondern von deutschen Stellen festgehalten. Seine Inhaftierung stand damit gehaltlich der Kriegsgefangenschaft gleich, in die Soldaten feindlicher Armeen regelmäßig bei Gefangennahme durch deutsche Truppen kamen. Dieser Sachverhalt wird indes von § 1251 Abs 1 Nr 1 RVO nicht erfaßt.

Eine Ersatzzeit wegen einer Internierung nach § 1251 Abs 1 Nr 2 RVO kommt schon deshalb von vornherein nicht in Betracht, weil der Kläger kein Heimkehrer iS von § 1 des Heimkehrergesetzes (HkG) vom 19. Juni 1950 (BGBl I S 221) ist. Zugunsten des Klägers könnte lediglich eine Anwendung von § 1 Abs 3 HkG erwogen werden. Da gemäß dieser Regelung aber Heimkehrer nach einer Internierung lediglich derjenige ist, der außerhalb des Bundesgebiets und des Landes Berlin interniert war, der Kläger jedoch innerhalb der heutigen Bundesrepublik festgesetzt wurde, scheidet eine solche Möglichkeit aus.

Ebenso entfällt von vornherein eine Anwendung von § 1251 Abs 1 Nr 4 RVO zugunsten des Klägers, weil er nicht Verfolgter iS des § 1 des Bundesentschädigungsgesetzes idF vom 29. Juni 1956 (BGBl I S 562) ist.

Nach alledem mußte der Revision des Klägers der Erfolg versagt bleiben; sie war zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1655451

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