Entscheidungsstichwort (Thema)

Verzicht auf Kassenzulassung. Beschränkung des Arztes auf Ersatzkassenpraxis

 

Leitsatz (amtlich)

Die Übergangsregelung des Art 2 § 6 KVWG, die die Anwendbarkeit des § 525c Abs 1 RVO einschränkt, gilt auch für solche Vertragsärzte der Ersatzkassen, die außerdem zur kassenärztlichen Versorgung zugelassen sind.

 

Orientierungssatz

Sollte in Zukunft die Sicherstellung der kassenärztlichen Versorgung einen weitergehenden Eingriff in erworbene Rechtspositionen der Vertragsärzte erforderlich machen, so wäre dies nur durch eine entsprechend eindeutige gesetzliche Regelung möglich. Der Rechtsprechung ist es grundsätzlich verwehrt, über den klaren Wortlaut des Gesetzes hinaus verfassungsrechtlich geschützte Rechtspositionen einzuschränken.

 

Normenkette

RVO § 368a Abs 7 Fassung: 1976-12-28, § 525c Abs 1 Fassung: 1976-12-28, § 368b Abs 4 Fassung: 1955-08-17; KVWG Art 2 § 6 Fassung: 1976-12-28; ZO-Ärzte § 28 Abs 1 Fassung: 1978-07-24; ZO-Zahnärzte § 28 Abs 1 Fassung: 1978-07-24; GG Art 12 Abs 1 Fassung: 1968-06-24; SGG § 54 Abs 1 S 2 Fassung: 1953-09-03

 

Verfahrensgang

SG Düsseldorf (Entscheidung vom 14.12.1979; Aktenzeichen S 2 Ka 137/79)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der beklagte Berufsausschuß zu Recht das Ende der Kassenzulassung der Ärztin für Kinderheilkunde, Dr. B - R, der Beigeladenen zu 1., bestätigt hat, nachdem diese nur auf die Kassenzulassung (Zulassung zu den gesetzlichen Krankenkassen - RVO-Zulassung) verzichtet hatte, aber weiterhin Vertragsärztin der Ersatzkassen bleiben wollte.

Die Beigeladene zu 1. ist seit 1966 zur kassenärztlichen Versorgung zugelassen und gleichzeitig an der Ersatzkassenpraxis beteiligt. Im Januar 1979 verzichtete sie auf ihre RVO-Zulassung. Der Zulassungsausschuß lehnte es ab, das Ende der Zulassung auszusprechen. Auf den Widerspruch der Beigeladenen zu 1. hat der Beklagte den Beschluß des Zulassungsausschusses aufgehoben und festgestellt, der von der Beigeladenen zu 1. erklärte Verzicht ausschließlich auf die RVO-Zulassung sei wirksam. Die dagegen gerichtete Klage des Verbandes der Ortskrankenkassen Rheinland hat das Sozialgericht (SG) abgewiesen. Zur Begründung hat es ua ausgeführt: § 525c Abs 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO), der ab 1. Januar 1977 die Beteiligung an der Ersatzkassenpraxis von der Zulassung zur kassenärztlichen Versorgung abhängig mache, finde auf die Beigeladene zu 1. keine Anwendung. Nach Art 2 § 6 des Krankenversicherungs-Weiterentwicklungsgesetzes (KVWG) gelte diese Vorschrift nicht für solche Ärzte, die bei Inkrafttreten des Gesetzes Vertragsärzte der Ersatzkassen gewesen seien. Da die Beigeladene zu 1. seit 1966 an der Ersatzkassenpraxis beteiligt sei, gehöre sie zu diesem Personenkreis. Die Anwendung der Übergangsregelung des Art 2 § 6 KVWG ausschließlich auf "Nur-Vertragsärzte" finde im Gesetz keine Stütze. Ihrem Wortlaut nach gelte sie ohne Einschränkung für alle Ärzte, die bei Inkrafttreten des Gesetzes Vertragsärzte der Ersatzkassen gewesen seien oder sich um Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung beworben hätten. Im übrigen sei zu bedenken, daß Art 2 § 6 KVWG der Besitzstandswahrung diene. Wollte man die Vorschrift auf "Nur-Vertragsärzte" beschränken, wären alle die Vertragsärzte benachteiligt, die, aus welchen Gründen auch immer, sowohl an der Ersatzkassenpraxis als auch an der kassenärztlichen Versorgung beteiligt gewesen seien. Eine solche Regelung ließe sich mit Art 3, 12 und 14 des Grundgesetzes (GG) nicht vereinbaren.

Dagegen richtet sich die Revision des Klägers. Er macht geltend, das SG habe die Übergangsregelung des Art 2 § 6 KVWG verkannt. Daß darunter allein die "Nur-Vertragsärzte" fielen, folge bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift. Hätte der Gesetzgeber beide Arztgruppen gemeint, hätte er das durch eine entsprechende Formulierung, etwa "auf Ärzte, die ... Kassen- und Vertragsärzte oder Nur-Vertragsärzte sind ..." zum Ausdruck gebracht. Auch der Zweck des Gesetzes spreche gegen die Auffassung des SG. Es sollte eine bessere kassenärztliche Versorgung erreicht werden. Gleichzeitig sollte die Vorschrift Bedeutung für die Bedarfsplanung erlangen. Wie aber könne eine Bedarfsplanung funktionieren, wenn die Ärzte und Zahnärzte, die am 1. Januar 1977 Kassen- und Vertragsärzte gewesen seien, praktisch bis an ihr Lebensende auf die Kassenzulassung unter Beibehaltung der Ersatzkassenpraxis verzichten könnten.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom

14. Dezember 1979 sowie den Beschluß des Beklagten

vom 20. Juni 1979 aufzuheben und den Widerspruch

der Beigeladenen zu 1. gegen den Beschluß des

Zulassungsausschusses für Kassenärzte Köln vom

7. Februar 1979 zurückzuweisen.

Der Beigeladene zu 3. schließt sich diesem Antrag an.

Der Beigeladene zu 2. hält die Revisionsbegründung des Klägers ebenfalls für zutreffend.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält die Klage für unzulässig. Durch den von der Beigeladenen zu 1. erklärten Verzicht auf die RVO-Zulassung habe diese nach § 28 Abs 1 Satz 1 der Zulassungsordnung für Kassenärzte (ZO-Ärzte) mit dem Ende des auf den Zugang der Verzichtserklärung folgenden Kalendervierteljahres unmittelbar geendet, ohne daß es eines Zustimmungsaktes des Zulassungsausschusses bedurft hätte. Da dieser in seinem Beschluß eine Entscheidungskompetenz in Anspruch genommen habe, welche ihm nicht zustehe, habe der Beklagte den Beschluß aufheben müssen. Auf die dafür gegebene weitere Begründung, daß der Verzicht auch wirksam sei, obwohl die Beigeladene zu 1. nur auf die RVO-Zulassung verzichtet habe, komme es nicht an. Darüber hinaus stehe dem Kläger gegen den Beschluß des Beklagten überhaupt kein Klagerecht zu. Nach § 368b Abs 4 RVO könnten ua die am Verfahren beteiligten Landesverbände der Krankenkassen gegen die Entscheidung des Zulassungsausschusses über die Zulassung, über die Entziehung der Zulassung, über die Beteiligung sowie über den Widerruf der Beteiligung nach § 368a Abs 8 RVO Widerspruch einlegen. Jedoch habe im vorliegenden Fall der Zulassungsausschuß keine "Entscheidung" über die Zulassung getroffen, sondern sich eine im Gesetz nicht vorgesehene Kompetenz beigelegt. Hiergegen könne nur der Kassenarzt als formal Beschwerter Widerspruch einlegen. Schließlich fehle dem Kläger auch das Rechtsschutzbedürfnis für die von ihm erhobene Anfechtungsklage. Er sei durch den Verzicht der Beigeladenen zu 1. nur insoweit betroffen, als damit eine - von ihm hinzunehmende - Beendigung der Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung eingetreten sei. Welche Folgerungen für einen hiervon zwar abhängigen, aber anderweit geregelten Rechtsstatus zu ziehen seien, sei ausschließlich in die Beurteilungskompetenz der Instanzen gemäß des Arzt/Ersatzkassenvertrages gegeben. Im übrigen sei die Entscheidung des Beklagten - soweit sie zusätzlich die Wirksamkeit des Verzichts der Beigeladenen zu 1. feststelle - auch materiell-rechtlich zutreffend.

Die Beigeladenen zu 5. und 6. beantragen ebenfalls,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beigeladenen zu 1. und 4. sind im Revisionsverfahren nicht vertreten.

 

Entscheidungsgründe

Die Sprungrevision des Klägers ist unbegründet. Das SG hat zu Recht die gegen den Beschluß des Beklagten gerichtete Klage abgewiesen.

Die Klage ist zwar - entgegen der Auffassung der Beklagten - zulässig. § 54 Abs 1 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) setzt dafür voraus, daß der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt beschwert zu sein. Dazu reicht die bloß verbale Behauptung der rechtlichen Betroffenheit allerdings nicht aus (vgl Kopp, VwGO, 5. Aufl, § 42 RdNr 39). Erforderlich ist vielmehr ein Tatsachenvortrag, aus dem sich ergibt, daß der Kläger die Beseitigung einer in seine Rechtssphäre eingreifenden Verwaltungsmaßnahme anstrebt, von der er behauptet, sie sei nicht rechtmäßig (vgl BSGE 14, 164, 166; 37, 28, 30; Meyer-Ladewig, SGG, 2. Aufl, § 54 RdNr 10). Zweifelhaft könnte der Eingriff in die Rechtssphäre des klagenden Krankenkassenverbandes hier deshalb sein, weil unmittelbar betroffen von dem Beschluß, der die Wirksamkeit des Verzichts feststellt, nur die Kassenärztin ist. Jedoch kommt die Verletzung einer eigenen Rechtsposition auch bei einem Verwaltungsakt in Betracht, der gegen einen Dritten ergangen ist, sofern er wenigstens mittelbar in eigene rechtlich geschützte Interessen eingreift (vgl BSGE 15, 118, 122, 125; 35, 224, 225; 47, 214, 217; Meyer-Ladewig aaO § 54 RdNr 12).

Ein solcher Eingriff entfällt hier nicht etwa deshalb, weil nach § 368a Abs 7 RVO idF des Art 1 § 1 Nr 31 des Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetzes (KVKG) vom 27. Juni 1977 (BGBl I, 1069) die Zulassung kraft Gesetzes mit dem Wirksamwerden des Verzichts endet. Der Verzicht ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, die keiner Annahme bedarf (vgl Krauskopf/Schroeder-Printzen, Soziale Krankenversicherung, Stand: Januar 1981, § 368a Anm 3.6; Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Stand: Januar 1981, § 368a Anm 10c, cc S 17/1533). Der Gesetzeswortlaut - Ende der Zulassung mit dem Wirksamwerden des Verzichts - läßt zwar auf den ersten Blick den Schluß zu, die Beendigung sei noch von weiteren Voraussetzungen, zB einer ausdrücklichen Annahme durch den Zulassungsausschuß, abhängig. Entstehungsgeschichte und Gesetzessystematik ergeben jedoch das Gegenteil. Vor Inkrafttreten des KVKG endete die Zulassung "nach Verzicht", der zu jedem beliebigen Termin von einem Kassenarzt erklärt werden konnte. Durch das KVKG wurde der Verzicht nach § 368c Abs 2 Nr 15 iVm § 28 Abs 1 ZO-Ärzte idF vom 24. Juli 1978 (BGBl I, 1085) zur Sicherstellung der kassenärztlichen Versorgung an eine Frist gebunden. Nur auf den Ablauf dieser Frist bezieht sich deshalb das "Wirksamwerden" des Verzichts. Gleichwohl stellt die den Verzicht bestätigende Entscheidung des Beklagten einen Eingriff in die rechtlich geschützte Sphäre des Klägers dar. Dies folgt aus § 525c Abs 1 RVO idF des Art 1 § 1 Nr 26 KVWG vom 28. Dezember 1976 (BGBl I, 3871). Danach ist die Teilnahme als Vertragsarzt an der ärztlichen Versorgung der Mitglieder der Ersatzkassen zulässig, sofern und solange der Arzt kassenärztliche Tätigkeit ausübt. Damit sollte sichergestellt werden, daß Ärzte gleichermaßen für RVO-Krankenkassen und Ersatzkassen an der ärztlichen Versorgung teilnehmen. Im übrigen ging der Gesetzgeber davon aus, daß die Vorschrift zugleich Bedeutung für die Bedarfsplanung und die im Falle der Unterversorgung aufkommenden Fragen hat (vgl Begründung des Entwurfs zum KVWG vom 7. März 1975, BT-Drucks 7/3336 S 28 zu Art 1 § 1 Nr 48 und 49). Auf diese Weise wurden die kassenärztliche Tätigkeit und die vertragsärztliche Tätigkeit einseitig zugunsten der ersteren verzahnt. Denn die ausschließliche Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung wird durch § 525c Abs 1 RVO nicht ausgeschlossen (vgl Heinemann/Liebold, Kassenarztrecht, 5. Aufl, Stand: Oktober 1980, § 525c RVO RdNr C 1007). Wenn nun ein Arzt isoliert auf die RVO-Kassenzulassung verzichtet, ist dadurch die ärztliche Versorgung der bei diesen Krankenkassen Versicherten betroffen. Die Gewährleistung einer gleichmäßigen, ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung obliegt aber auch den Krankenkassen. Diese Verpflichtung ist, wie sich aus § 368g Abs 1 RVO ergibt, den Verbänden der Krankenkassen und den Kassenärztlichen Vereinigungen gemeinsam auferlegt (vgl auch § 368 Abs 1 RVO). Der Verzicht bzw dessen Bestätigung durch den Beklagten berührt somit rechtlich geschützte Interessen des Klägers. Die Frage hingegen, ob der Verzicht wirksam, die Entscheidung des Beklagten also rechtmäßig war, betrifft nicht die Zulässigkeit, sondern die Begründetheit der erhobenen Anfechtungsklage.

Entgegen der Auffassung des Klägers hat der Beklagte aufgrund des von der Beigeladenen zu 1. erklärten Verzichts zu Recht das Ende der Zulassung festgestellt. Nach § 368b Abs 4 RVO war der Beklagte zur Entscheidung über den Widerspruch der Beigeladenen zu 1. berufen. Die Vorschrift eröffnet gegen Entscheidungen der Zulassungsausschüsse über die Zulassung und über die Entziehung der Zulassung sowie über die Beteiligung und den Widerruf der Beteiligung den am Verfahren beteiligten Ärzten, den Kassenärztlichen Vereinigungen und den Landesverbänden der Krankenkassen den Rechtsbehelf des Widerspruchs an den Berufungsausschuß. Unter "Zulassung" iS der Vorschrift ist nicht nur die Zulassung im engen Sinn des § 368a Abs 2 bis 4 RVO zu verstehen, vielmehr werden von § 368b Abs 4 RVO alle Entscheidungen des Zulassungsausschusses erfaßt, die die einmal erworbene Rechtsstellung eines Kassenarztes betreffen, sei es, daß sie sie begründen, beenden oder auch nur verändern (vgl Hess/Venter, Handbuch des Kassenarztrechts, Band I, § 368b Anm III 1c S 149; BSGE 4, 151, 153; BSG SozR Nr 3 zu § 368b RVO). Denn alle Entscheidungen dieser Art sind von einschneidender Bedeutung nicht nur für die beteiligten Kassenärzte, sondern auch für die Kassenärztliche Vereinigung und die Krankenkassenverbände in Anbetracht ihrer Verpflichtung zur Sicherstellung der ärztlichen Versorgung der Versicherten.

Nun hat zwar der Beschluß über das Ende der Zulassung wegen eines erklärten Verzichts nur deklaratorischen Charakter, weil er eine kraft Gesetzes eingetretene Rechtsfolge lediglich feststellt (vgl Heinemann/Liebold aaO, § 28 ZO-Ärzte RdNr E 169; Krauskopf/Schroeder-Printzen aaO). Dennoch betrifft er die Rechtsstellung des Kassenarztes, nämlich insofern, als das Ob der weiteren Zulassung geklärt wird, was zB wegen der Abrechnung der kassenärztlichen Leistungen von erheblicher Bedeutung für die Beteiligten ist.

Der Beklagte hat weiter zu Recht die Übergangsvorschrift des Art 2 § 6 KVWG auf die Beigeladene zu 1. angewandt. Der Senat kann deshalb dahinstehen lassen, ob der Verzicht eines Kassen- und Vertragsarztes auf die RVO-Kassenzulassung wegen Verstoßes gegen § 525c Abs 1 RVO nach § 134 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nichtig oder zwar wirksam wäre, jedoch kraft Gesetzes auch das Ende der Zulassung als Vertragsarzt nach sich zöge (so Peters aaO § 525c Anm 2, S 17/2456 - 4 -). § 525c Abs 1 RVO findet nämlich nach Art 2 § 6 KVWG auf Ärzte, die bei Inkrafttreten dieses Gesetzes Vertragsärzte der Ersatzkassen gewesen sind oder sich bis zu diesem Zeitpunkt um die Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung der Ersatzkassen beworben haben, keine Anwendung. Der klare Wortlaut der Vorschrift erfaßt alle Vertragsärzte ohne Ausnahme, also auch diejenigen, die außerdem zur kassenärztlichen Versorgung zugelassen waren. Da die Beigeladene zu 1. beim Inkrafttreten des KVWG am 1. Januar 1977 (vgl Art 2 § 9 KVWG) auch Vertragsärztin war, war für sie die Ausübung kassenärztlicher Tätigkeit nicht Voraussetzung für die weitere Vertragsarzttätigkeit. Sie konnte deshalb nach § 368a Abs 7 RVO ohne weitere auf die Zulassung als Kassenärztin verzichten (so im Ergebnis auch Krauskopf/Schroeder-Printzen aaO § 525c Anm 2.2.).

Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck von § 525c Abs 1 RVO und Art 2 § 6 KVWG gebieten es nicht, die Anwendung der Übergangsvorschrift im Wege teleologischer Reduktion (vgl dazu Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 4. Aufl, S 377 ff) auf die Ärzte zu beschränken, die ausschließlich Vertragsärzte waren (im folgen "Nur-Vertragsärzte"). Art 2 § 6 KVWG sollte dem Schutze erworbener Rechte solcher Ärzte dienen, die bei Inkrafttreten Vertragsärzte waren oder sich als solche beworben hatten (vgl BT-Drucks 7/3336 aaO S 31 zu Art 2 § 11). Mit § 525c Abs 1 RVO hat der Gesetzgeber eine Norm geschaffen, die unechte Rückwirkung entfaltet. Die Koppelung der vertragsärztlichen Tätigkeit an die kassenärztliche Tätigkeit wirkt zwar nicht auf vergangene, aber auch nicht nur auf zukünftige, sondern auf gegenwärtige noch nicht abgeschlossene Sachverhalte ein (vgl dazu BVerfGE 30, 392, 402 mwN). Ohne eine Übergangsregelung wäre die Rechtsposition solcher Ärzte, die bisher "Nur-Vertragsärzte" waren, empfindlich getroffen. Denn sie wären gezwungen, eine kassenärztliche Tätigkeit aufzunehmen, wenn sie ihre Vertragsarztpraxis weiterführen wollten. Aber auch die Rechtsposition der Ärzte, die bereits beide Zulassungen besaßen, wäre ohne Übergangsregelung tangiert. Sie könnten nicht mehr - wie im vorliegenden Fall von der Beigeladenen zu 1. beabsichtigt - die Kassenarztpraxis aufgeben und die Vertragsarzttätigkeit weiter ausüben, sondern müßten entweder beide Tätigkeiten weiterführen oder ihre Praxis ganz aufgeben bzw nur noch Privatpatienten behandeln. Ob in beiden Fällen, ähnlich wie bei der Entziehung der Zulassung, eine Einschränkung der Berufsfreiheit vorliegt, die wegen des möglichen Zwangs zur völligen Aufgabe der Berufstätigkeit einer Beschränkung der Berufswahl iS von Art 12 Abs 1 GG gleichgeachtet werden muß (vgl dazu BSGE 15, 177, 182; 28, 80, 82), oder ob darin - insbesondere im zweiten Fall - lediglich eine Regelung der Berufsausübung zu sehen ist, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Derartige Gesetze sind nämlich - auch wenn sie unechte Rückwirkungen entfalten - grundsätzlich zulässig (vgl BVerfGE 30, 392, 402 mwN). Jedoch muß der Gesetzgeber bei der Aufhebung oder Modifizierung geschützter Rechtspositionen eine angemessene Übergangsregelung treffen (vgl BVerfGE 21, 173, 183; 22, 275, 276; 25, 236, 248; 32, 1, 22; 43, 242, 288). Dabei steht ihm ein breiter Gestaltungsspielraum zur Verfügung. Er hat allerdings zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht und der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe unter Berücksichtigung aller Umstände eine Gesamtabwägung zu treffen, die die Grenze der Zumutbarkeit nicht überschreiten darf (vgl BVerfGE 43, 242, 289). Wenn man die Übergangsregelung des Art 2 § 6 KVWG entsprechend ihrem Wortlaut dahin auslegt, daß sie alle Vertragsärzte einschließlich diejenigen mit RVO-Zulassung erfaßt, begegnet sie unter Zugrundelegung der oben genannten Kriterien verfassungsrechtlich keinen Bedenken. Denn auf diese Weise bleibt die berufliche Stellung der betroffenen Ärzte unangetastet (vgl dazu BVerfGE 34, 252, 256). Daß der Gesetzgeber dieser Vorschrift einen derart weiten Geltungsbereich beilegen wollte, wird im übrigen dadurch erhärtet, daß die Regelung auch für solche Ärzte gilt, die sich vor dem 1. Januar 1977 um eine Zulassung als Vertragsarzt lediglich beworben haben.

Ein so umfassender Besitzstandsschutz nimmt der Regelung des § 525c Abs 1 RVO auch nicht jeglichen Sinn. Zwar werden dann von der Vorschrift ausschließlich die Ärzte erfaßt, die nach dem 1. Januar 1977 Vertragsärzte geworden sind oder sich um die Beteiligung als Vertragsarzt beworben haben. Damit besteht - wie der Kläger zu Recht ausführt - auch in Zukunft noch für einen längeren Zeitraum die Möglichkeit des isolierten Verzichts auf die Zulassung als Kassenarzt. Ob aber deshalb § 525c Abs 1 RVO als Instrument der Bedarfsplanung bzw als Mittel gegen eine eventuelle Unterversorgung untauglich wird, erscheint zweifelhaft. So können Nur-Kassenärzte nach wie vor ohne weitere Voraussetzungen auf ihre Kassenzulassung verzichten. Auch dies bringt gewisse Unsicherheiten für die Bedarfsplanung. Andererseits dürften die Fälle, in denen isoliert auf die Kassenzulassung verzichtet wird, kalkulierbar sein, weil in der Regel nicht junge Ärzte, sondern ältere, die bereits am Ende ihres Berufslebens stehen, von dieser Möglichkeit Gebrauch machen werden. Sollte in Zukunft die Sicherstellung der kassenärztlichen Versorgung einen weitergehenden Eingriff in erworbene Rechtspositionen der Vertragsärzte erforderlich machen, so wäre dies nur durch eine entsprechend eindeutige gesetzliche Regelung möglich. Der Rechtsprechung ist es grundsätzlich verwehrt, über den klaren Wortlaut des Gesetzes hinaus verfassungsrechtlich geschützte Rechtspositionen einzuschränken.

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des SG war deshalb zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1659015

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