Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 04.06.1987) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 4. Juni 1987 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten für das Revisionsverfahren zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Kläger, der wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls seit dem 31. Mai 1985 eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 vH bezieht, war von 1948 bis 1981 im Steinkohlenbergbau unter Tage beschäftigt. Hier verrichtete er in zeitlich zusammenhängenden Abschnitten von jeweils mehreren Monaten und in der Gesamtdauer über mehr als drei Jahre Arbeiten an Betriebspunkten mit Flözmächtigkeiten bis zu 180 cm und Flözeinfällen von 10 bis 40 gon. 1981 wurde beim Kläger ein Meniskusschaden festgestellt, der am 13. Oktober 1981 zur operativen Entfernung des Innenmeniskus führte. Durch Bescheid vom 2. Juli 1982 lehnte die Beklagte eine Entschädigung des Meniskusschadens ab, weil dieser Schaden nicht durch die Untertagearbeit verursacht worden sei.
Die hiergegen erhobene Klage ist in erster Instanz ohne Erfolg geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 2. Juli 1982 verurteilt, dem Kläger ab 31. Mai 1985 eine Verletztenrente wegen einer Berufskrankheit nach einer MdE um 10 vH zu gewähren. Es hat ferner der Beklagten die außergerichtlichen Kosten des Klägers aus dem zweiten Rechtszug zu 4/5 auferlegt. Gemäß § 547 der Reichsversicherungsordnung (RVO) habe der Träger der Unfallversicherung nach Eintritt eines Arbeitsunfalls unter anderem Verletztenrente zu gewähren, wenn die für diese Leistung in § 581 RVO bestimmten Voraussetzungen erfüllt seien. Als Arbeitsunfall gelte nach § 551 Abs 1 Satz 1 RVO auch eine Berufskrankheit. Die bei dem Kläger festgestellten Meniskusschäden seien als Berufskrankheit im Sinne der Nr 2102 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKVO) idF vom 8. Dezember 1976 anzuerkennen. Die von der Berufskrankheit ausgehende MdE um 10 vH sei seit dem 31. Mai 1985 durch Gewährung von Verletztenrente zu entschädigen, weil dem Kläger seitdem wegen der Folgen eines (anderen) Arbeitsunfalls eine Verletztenrente nach einer MdE um 20 vH gewährt werde (§ 581 Abs 3 Satz 1 und 2 RVO). Nach den getroffenen Feststellungen spreche der Beweis des ersten Anscheins dafür, daß der Meniskusschaden, der am 13. Oktober 1981 zur Entfernung des Innenmeniskus rechts geführt habe, durch die kniestrapazierende Untertagearbeit herbeigeführt worden sei. Allerdings hätten alle Ärzte ausgeführt, daß bei dem Kläger eine schwere Arthrose im Bereich des rechten Kniegelenks vorliege, die ihrerseits konkret als Verursacher für den Meniskuszustand verantwortlich gemacht werde. Dieser Sachverhalt sei wiederum geeignet, den Beweis des ersten Anscheins für einen Ursachenzusammenhang zwischen dem Meniskusschaden und der kniestrapazierenden Untertagearbeit zu erschüttern. Dies habe aber nicht die Folge, daß ein solcher Nachweis nicht mehr erbracht werden könne. Vielmehr sei nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon auszugehen, daß die kniestrapazierende Arbeit unter Tage den Meniskusschaden zwar nicht unmittelbar, sondern über den Weg einer verschlimmernden Einwirkung auf die schon vorhandene Kniegelenksarthrose herbeigeführt habe, die ihrerseits stets zu degenerativen Veränderungen aller anderen Gewebe des Knieinnenraums und damit auch der Minisken führe. Eine solche Kausalkette sei zur Anerkennung des beim Kläger vorliegenden Meniskusschadens als Berufskrankheit im Sinne von Nr 2102 der Anlage 1 zur BKVO ausreichend.
Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 551 Abs 1 RVO und der Nr 2102 der Anlage 1 zur BKVO. Entgegen der Auffassung des LSG erfasse die genannte Vorschrift der BKVO nur primäre Meniskusschäden. Die Ausweitung der Entschädigungspflicht auf Meniskusschäden, die erst als Folge einer anderen Krankheit aufträten, sei weder versicherungsrechtlich noch medizinisch begründbar. Hinweise für eine restriktive Auslegung ergebe schon der Wortlaut der Nr 2102 der Anlage 1 zur BKVO. Es handele sich hier um eine Berufskrankheit, die sich nur auf einen begrenzten Tätigkeitsbereich beziehe und die als Anspruchsvoraussetzung eine Mindestzeit der Tätigkeit verlange. Der Verordnungsgeber habe hierdurch den Schwierigkeiten bei der Feststellung des ursächlichen Zusammenhangs Rechnung tragen wollen. Dies dürfe bei der Auslegung der Verordnung nicht unberücksichtigt bleiben. Für eine restriktive Anwendung der Vorschrift spreche auch die Entstehungsgeschichte. Insoweit werde auf die Amtliche Begründung zur 5. BKVO verwiesen. Nach alledem dürfe als Berufskrankheit nur ein primärer Meniskusschaden angesehen werden, dh ein Schaden, der unmittelbar durch die kniebelastende berufliche Tätigkeit verursacht worden sei. Die Vorstellung des Verordnungsgebers von der Entstehung des berufsbedingten Meniskusschadens würde bei einer Mitberücksichtigung der Zwischenursache „Arthrose” beiseitegeschoben. Es stände dann nicht mehr die direkte mechanische Schädigung im Vordergrund, sondern die Arthrose, die zahlreiche andere Ursachen als kniestrapazierende Untertagetätigkeiten haben könne und bei der grundsätzlich jede Gelenkfunktion die Abnutzung in Gang setze. Die angefochtene Entscheidung des LSG widerspreche auch der bisherigen Rechtsanwendung und den bislang bekannt gewordenen Auffassungen der medizinischen Wissenschaft. Im übrigen sei die Entschädigung eines Meniskusschadens, der als Folge einer Arthrose auftrete, mit dem Schutzzweck der Nr 2102 der Anlage 1 zur BKVO nicht zu vereinbaren. Als Berufskrankheit seien nur solche Erkrankungen zu entschädigen, die aufgrund besonderer arbeitsbedingter gesundheitsschädigender Einwirkungen entständen, nicht aber diejenigen, die auf außerberuflichen oder sogenannten normalen beruflichen Schädigungen beruhten. Letzteres sei aber bei Arthrose mit nachfolgendem Meniskusschaden der Fall.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 4. Juni 1987 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 15. Februar 1984 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und macht ergänzend geltend, ob die Arthrose infolge Gewebsschwäche oder ausschließlich durch die extrem kniebelastende Bergarbeit entstanden sei, könne dahinstehen. Auch ein Versicherter mit einer gewissen Gewebsschwäche stehe bei seiner beruflichen Tätigkeit unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Zumindest habe die kniebelastende Bergarbeit die Kniegelenksarthrose wesentlich beeinflußt und damit den Meniskusschaden mitverursacht.
Entscheidungsgründe
II
Der Senat konnte gemäß § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten sich übereinstimmend damit einverstanden erklärt haben. Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das LSG hat zu Recht angenommen, daß der beim Kläger bestehende Meniskusschaden eine Berufskrankheit ist und die Beklagte ihm wegen dieser Gesundheitsstörung eine Verletztenrente zu gewähren hat.
Nach § 547 RVO gewährt der Träger der Unfallversicherung nach Eintritt des Arbeitsunfalls nach Maßgabe der folgenden Vorschriften Leistungen, insbesondere Verletztenrente. Als Arbeitsunfall gilt gemäß § 551 Abs 1 Satz 1 RVO auch eine Berufskrankheit. Berufskrankheiten sind die Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 genannten Tätigkeiten erleidet (§ 551 Abs 1 Satz 2 RVO). Nach Nr 2102 der Anlage 1 der Siebten Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) vom 20. Juni 1968 (BGBl I, 721) in der hier anwendbaren Fassung der Verordnung zur Änderung der 7. BKVO vom 8. Dezember 1976 (BGBl I, 3329) gehören zu den Berufskrankheiten auch die durch physikalische Einwirkungen verursachten Meniskusschäden nach mindestens dreijähriger regelmäßiger Tätigkeit unter Tage. Die mit Wirkung vom 1. April 1988 eingetretenen Änderungen durch die Verordnung vom 22. März 1988 (BGBl I, 400) haben hier keine Bedeutung. Insbesondere betrifft die Vorschrift des Art 3 Abs 2 ÄndVO, nach der das neue Recht auch schon auf Versicherungsfälle anwendbar ist, die vor dem 1. April 1988 eingetreten sind, anders gelagerte Fälle.
Nach den von der Revision nicht angegriffenen Tatsachenfeststellungen des LSG, an die der Senat gemäß § 163 SGG gebunden ist, hat der Kläger mindestens drei Jahre lang regelmäßig Tätigkeiten unter Tage ausgeübt. Der bei ihm bestehende Meniskusschaden hat dazu geführt, daß der Innenmeniskus am 13. Oktober 1981 operativ entfernt werden mußte.
Zu Recht ist das LSG davon ausgegangen, daß zwischen der Tätigkeit unter Tage und einem eingetretenen Meniskusschaden ein Ursachenzusammenhang bestehen muß (BSGE 8, 245, 247; 59, 295, 296; BSG, Urteil vom 27. November 1986 – 5a RKnU 3/85 – SozR 5670 Anlage 1 Nr 2102 BKVO Nr 2). Bei dem Meniskusschaden kommt hinzu, daß die VO die dreijährige Untertagearbeit voraussetzt und damit eine spezifische Ursache verlangt.
Das LSG hat die Voraussetzungen der Nr 2102 der Anlage 1 zur BKVO im vorliegenden Falle auch hinsichtlich der erforderlichen Kausalität zu Recht bejaht. Zwar liegt die Beantwortung der Frage, ob ein ursächlicher Zusammenhang im naturwissenschaftlichen Sinne zwischen einer beruflichen Tätigkeit und einer Krankheit besteht, auf tatsächlichem Gebiet und ist keine Rechtsfrage (BSG, Urteil vom 17. Dezember 1976 – 5 RKnU 3/76 – SozSich 1977, 86). Das Revisionsgericht kann, soweit – wie hier – die Tatsachenfeststellungen durch die Revision nicht angegriffen worden sind, lediglich prüfen, ob die Vorinstanz den im Unfallrecht geltenden Begriff von der wesentlichen Ursache richtig erkannt und die Tatsachen zutreffend unter diesem Begriff subsumiert hat. Die angefochtene Entscheidung steht mit dem Grundsatz von der wesentlichen Bedingung im Einklang. Nach ihr ist eine Bedingung als ursächlich oder mitursächlich im Rechtssinne anzusehen, wenn sie im Verhältnis zu anderen Einzelbedingungen wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat (BSGE 30, 167, 178).
Ob die Bedingung den konkreten Erfolg direkt oder indirekt herbeigeführt hat, ist rechtlich ohne Bedeutung. Die gesetzliche Unfallversicherung kennt keinen Unterschied zwischen unmittelbarer und mittelbarer Ursache. Beide sind gleichermaßen rechtlich relevante Ursachen, wenn sie wesentlich sind (BSG, Urteile vom 28. März 1973 – 5 RKnU 14/71 – und vom 27. August 1976 – 5 RKnU 2/76 –). In der Rechtsprechung ist darüberhinaus anerkannt, daß ein bestimmter Erfolg auch durch einen Unfall im Rechtssinne verursacht werden kann, daß eine schon bestehende unfallunabhängige Krankheit durch den Unfall richtunggebend verschlimmert wird und dann mittelbar die entschädigungspflichtige Folge herbeiführt (vgl BSGE 2, 178, 181; 12, 247, 252 f; 40, 273, 274; BSG SozR Nr 10 zu § 542 RVO).
Diese allgemeinen Grundsätze der Lehre von der wesentlichen Bedingung gelten auch für den Ursachenzusammenhang zwischen der Berufstätigkeit und einer eingetretenen Krankheit. Zwar hatte früher das Reichsversicherungsamt (RVA) aus dem Wortlaut des § 1 der BKVO eine einschränkende Bedeutung des Begriffs „Verursachung” hergeleitet (EuM Bd 34, 358 und 41, 7). Diese Rechtsprechung ist aber bereits durch das RVA (vgl EuM Bd 42, 6) mit der Begründung aufgegeben worden, der Ursachenbegriff im Recht der Berufskrankheiten könne kein anderer sein als im sonstigen Unfallrecht. Dieser Auffassung hat sich die Rechtsprechung des BSG angeschlossen (vgl BSGE 2, 178, 181, mwN).
Auch im Hinblick auf die Regelung in Nr 2102 der Anlage 1 zur BKVO besteht kein Anlaß, eine mittelbare Verursachung durch Verschlimmerung einer bereits bestehenden berufsunabhängigen Erkrankung als nicht ausreichend anzusehen. Eine derartige Einschränkung läßt sich weder auf den Wortlaut der genannten Vorschrift noch auf deren Entstehungsgeschichte und dem daraus erkennbaren Sinn der Regelung stützen.
§ 551 Abs 1 Satz 3 RVO und Nr 2102 der Anl 1 zur BKVO verlangen nur einen Ursachenzusammenhang zwischen der näher bezeichneten Berufstätigkeit und der als Berufskrankheit bezeichneten Gesundheitsstörung. Eine Einschränkung auf eine bestimmte Art der Verursachung, zB auf unmittelbare Ursachenfaktoren, ist dem Wortlaut nicht zu entnehmen. Aber auch die Entstehungsgeschichte läßt nicht erkennen, daß Meniskusschäden nur dann als Berufskrankheit angesehen werden sollen, wenn sie durch die Untertagetätigkeit unmittelbar verursacht sind. Meniskusschäden sind erstmalig durch Nr 26 der Anlage 1 zur 5. BKVO vom 26. Juli 1952 (BGBl I, 395) in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommen worden. Die amtliche Begründung der 5. BKVO (BArBl 1952, 409, 411) legt zwar im einzelnen dar, worum es sich bei den Meniskusschäden handelt und unter welchen Bedingungen sie gehäuft auftreten, macht aber keine Aussage für die Art des zu fordernden Ursachenzusammenhangs. Insbesondere beschränkt sie die Anwendung der Nr 2102 der Anl 1 zur BKVO nicht darauf, daß die Untertagetätigkeit unmittelbar den Meniskusschaden hervorgerufen haben muß. Der aus der Begründung und aus der Vorschrift selbst erkennbare Sinn spricht nicht dafür, den Grundsatz der wesentlichen Bedingung hier einengend anzuwenden.
Die weitere Rechtsentwicklung hat insoweit keine Änderung gebracht. Zwar hat der Verordnungsgeber den Wortlaut der Bestimmung über die Berufskrankheit „Meniskusschäden” durch die Anl 1 der Verordnung zur Änderung der 7. BKVO vom 8. Dezember 1976 (BGBl I, 3329) geändert. Dabei handelt es sich jedoch nur um redaktionelle Änderungen. Sie geben nichts für eine einschränkende Auslegung in dem von der Beklagten gewünschten Sinne her.
Das LSG hat demnach zu Recht die beim Kläger vorliegenden Meniskusschäden als Berufskrankheit angesehen. Nach den – auch insoweit unangegriffenen – Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts ist die Untertagetätigkeit des Klägers eine wesentliche, wenn auch nur mittelbare Ursache für den Meniskusschaden. Dadurch wird nicht die Arthrose zur Berufskrankheit, sondern nur zum Bindeglied für die Kausalität; denn für diese Entschädigung hat auch das LSG nur den Meniskusschaden berücksichtigt.
Ob eine höhere Bewertung in Betracht kommt, war wegen des Verbots der reformatio in peius (Verschlechterungsverbot) nicht zu prüfen. Die Vorinstanz durfte deshalb auch in Anwendung der Vorschrift des § 581 Abs 3 Satz 1 RVO unter Berücksichtigung eines vom Kläger erlittenen früheren Arbeitsunfalls die Beklagte verurteilen, eine Verletztenrente zu gewähren, weil der frühere Arbeitsunfall und der durch die Berufstätigkeit anteilig bedingte Meniskusschaden insgesamt eine MdE von mindestens 20 vH bedingen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen