Entscheidungsstichwort (Thema)
Administrator. Vogt
Leitsatz (redaktionell)
Die Stellung als leitender Wirtschafter setzt über die Tätigkeit eines Gutsverwalters oder -inspektors hinausgehende Tätigkeitsmerkmale voraus und muß, wie aus der Bezeichnung "leitender" hervorgeht, mit Aufsichts- und Dispositionsbefugnissen gegenüber anderen Angestellten verbunden sein.
Normenkette
FRG § 22 Anl 1 Buchst. B Fassung: 1960-02-25
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 25. Mai 1962 wird aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
Der Rechtsstreit wird über die Höhe des Altersruhegeldes geführt, das der Kläger aus der Rentenversicherung der Angestellten erhält; im Revisionsverfahren ist allein noch streitig, welche der in Anlage 1 B zu § 22 des Fremdrentengesetzes (FRG) aufgeführten Leistungsgruppen für die Zeit der Beschäftigung des Klägers in Polen von 1927 bis 1935 zugrunde zu legen ist.
Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) ist der Kläger als "Administrator" von Oktober 1927 bis Juni 1931 auf dem Rittergut B bei Herrn von J und von Juli 1931 bis Januar 1935 auf dem Gut der Frau Anna G in L beschäftigt gewesen. Die Beklagte hat den Kläger für diese Zeiten als "Gutsverwalter" in die Leistungsgruppe B 3 eingestuft. Das LSG hat die vorliegenden Zeugnisse und die Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung dahin gewürdigt, es habe sich um Beschäftigungen mit hoher Verantwortung und entsprechendem Entgelt (250 bis 300 Zloty monatlich neben freier Station) gehandelt; der Kläger sei in den genannten Zeiten "leitender Wirtschafter" gewesen. Es hat daher u. a. die Beklagte verurteilt, der Berechnung des Altersruhegeldes die Leistungsgruppe B 2 für die Zeiten vom 1. Oktober 1927 bis 31. Dezember 1935 zugrunde zu legen (Urteil vom 25. Mai 1962).
Die Beklagte legte die - vom LSG zugelassene - Revision ein mit dem Antrag, das angefochtene Urteil abzuändern, soweit sie zur Anrechnung der Leistungsgruppe B 2 verurteilt wurde, und die Klage abzuweisen, hilfsweise den Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen. Das LSG habe den Begriff "leitender Wirtschafter" infolge unzureichender Sachaufklärung fehlerhaft angewandt. Es habe keine tatsächlichen Feststellungen über die vom Kläger im einzelnen ausgeübten Tätigkeiten getroffen; eine Überprüfung der Richtigkeit des Urteils sei deshalb nicht möglich. Aus der im Gesetz enthaltenen Unterscheidung sei zu erkennen, daß die Bewertung als "leitender Wirtschafter" über die Tätigkeit eines Gutsverwalters hinausgehende Tätigkeitsmerkmale voraussetze. Mit dem Zusatz "leitender" werde im allgemeinen ausgedrückt, daß dem Betreffenden andere Angestellte mit geringeren Befugnissen unterstellt sind. Als leitender Wirtschafter könne deshalb nur derjenige bezeichnet werden, dem mindestens ein weiterer Gutsverwalter unterstellt ist. Das LSG hätte hierüber eine Auskunft des zuständigen Landwirtschaftsamts oder eines Facharbeitsamts einholen müssen. Ein Anhalt dafür, daß der Kläger die Tätigkeitsmerkmale der Leistungsgruppe B 2 erfüllt habe, sei nicht gegeben.
Der Kläger beantragte die Zurückweisung der Revision.
Die Revision ist zulässig und begründet. Die Auffassung des LSG, die Beschäftigungszeiten des Klägers vom 1927 bis 1935 seien bei der Berechnung seines Altersruhegeldes in die Leistungsgruppe B 2 der Anlage 1 zum FRG einzuordnen, läßt sich auf die bisher getroffenen Feststellungen nicht stützen.
Nach § 22 FRG richtet sich die Zuordnung der Lohn- und Beitragsklassen sowie der Bruttojahresarbeitsentgelte der Anlagen 4 bis 15 nach den in Anlage 1 enthaltenen Leistungsgruppen. Sie setzen sich aus einer allgemeinen Begriffsbestimmung (Definition) und einzelnen, beispielhaft ("unter anderem") aufgezählten Berufsbezeichnungen zusammen. Dabei erfolgt die Einstufung nach der Berufsbezeichnung nur dann, wenn sich nicht nach den Merkmalen der ausgeübten Beschäftigung die Einstufung in eine andere Leistungsgruppe ergibt (Jantz/Zweng/Eicher, Anm. 4 zu § 22 FRG). Bei den männlichen Angestellten, die landwirtschaftliche Betriebe leiten oder beaufsichtigen, ist in Anlage 1 B unterschieden zwischen "Gutsverwaltern, -inspektoren", die in die Leistungsgruppe 3, und den "leitenden Wirtschaftern", die in die Leistungsgruppe 2 einzustufen sind. Beide Berufsbezeichnungen sind im Gesetz nicht näher umschrieben; die Unterscheidung, die auch zu unterschiedlichen Beitrags- und Gehaltsklassen nach der Tabelle der Anlage 8 führt, muß nach der Verkehrsauffassung und der den Berufsbezeichnungen vorangestellten Definition erfolgen. Das LSG beruft sich für seine Meinung, der Kläger sei in den Jahren 1927 bis 1935 "leitender Wirtschafter" gewesen und deshalb in die Leistungsgruppe 2 einzustufen, auf den Inhalt der über diese Beschäftigungen vorliegenden Zeugnisse und auf die als glaubhaft anzusehenden Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung. Die Zeugnisse besagen aber so, wie sie im Urteil wiedergegeben sind, nur, daß der Kläger in der fraglichen Zeit als "Administrator" nacheinander auf zwei größeren landwirtschaftlichen Gütern beschäftigt war. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger lt. Sitzungsniederschrift angegeben, er habe von 1927 bis 1931 auf dem 1200 Morgen großen Gut des Herrn von Jackowski als Administrator die alleinige Wirtschaftsführung mit drei Vögten gehabt; ebenso sei er von 1931 bis 1935 auf dem 900 Morgen großen Gut der Frau Anna G. Administrator und alleiniger "Beamter" mit einem Vogt gewesen. In den Berufskatalogen der Anlage B 1 findet sich die Bezeichnung "Administrator" (zu deutsch = Verwalter) nicht (ebensowenig die Bezeichnung "Vogt"); sie kann auch nicht ohne weiteres mit einer der im Gesetz angegebenen Berufsbezeichnungen gleichgestellt werden. Es ist vielmehr nach den Beschäftigungsmerkmalen zu prüfen, ob der Kläger als Administrator die Stellung eines leitenden Wirtschafters oder diejenige eines Gutsverwalters bzw. Gutsinspektors eingenommen hat. Hierzu enthalten aber die Gründe des angefochtenen Urteils - wie die Beklagte mit Recht geltend macht - keine ausreichenden tatsächlichen Feststellungen. Das LSG sagt insoweit nur, daß es sich um eine Beschäftigung mit hoher Verantwortung und mit entsprechendem Entgelt gehandelt habe. Damit ist über die Merkmale der Tätigkeit des Klägers in der fraglichen Zeit nicht viel gesagt, jedenfalls nicht genügend dargelegt, daß und warum die Voraussetzungen für die vom LSG für anwendbar gehaltene Leistungsgruppe B 2 erfüllt sind. Es fehlen im Urteil alle tatsächlichen Feststellungen über die vom Kläger im einzelnen ausgeübten Tätigkeiten sowie Angaben darüber, ob er während der fraglichen Zeiten unter oder neben dem Betriebsinhaber (oder seinem Vertreter) nach dessen allgemeinen oder besonderen Weisungen gearbeitet hat oder ob er selbständig disponieren konnte, ebenso Angaben über seine etwaige - für die Eingruppierung in die Leistungsgruppe B 2 besonders wichtige - Verantwortung für den Einsatz von Angestellten anderer Tätigkeitsgruppen, also darüber, ob er etwa Inspektoren, Landwirtschaftsgehilfen, Hof- und Feldverwalter, Obergärtner, Saatzuchtleiter, Geflügelzuchtleiter, Brennmeister oder sonstige landwirtschaftliche Fachangestellte, landwirtschaftliche Büro- und hauswirtschaftliche Angestellte einzusetzen und verantwortlich zu unterweisen hatte oder ob er ohne Verantwortung für die Tätigkeit anderer Gutsangestellter nur das landwirtschaftliche Gesinde (Gutsarbeiter) beaufsichtigt und neben der Aufsichtstätigkeit selbst mit Hand angelegt hat. Aus der Unterscheidung im Gesetz ist zu erkennen, daß die Stellung als leitender Wirtschafter über die Tätigkeit eines Gutsverwalters oder - Inspektors hinausgehende Tätigkeitsmerkmale voraussetzt und daß sie, wie aus der Bezeichnung "leitender" hervorgeht, mit Aufsichts- und Dispositionsbefugnissen gegenüber anderen Angestellten verbunden sein muß. Ob dies beim Kläger der Fall war, kann aus dem angefochtenen Urteil nicht entnommen werden; es läßt entgegen § 128 Abs. 1 Satz 2 SGG nicht hinreichend die Gründe erkennen, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Das Revisionsgericht kann das Urteil des Tatsachengerichts nur an Hand der schriftlichen Urteilsgründe nachprüfen. Geben sie die Erwägungen, von denen das LSG ausgegangen ist, nur undeutlich oder unvollständig wieder, so bildet das Urteil keine ausreichende Grundlage für die revisionsrichterliche Nachprüfung (vgl. Urteil vom 20. November 1959 - 1 RA 161/58 - abgedruckt in SozR Da 2 Nr. 6 zu SGG § 163 3 NJW 1960, 264). Weil hiernach der Senat die Auffassung des LSG über die Zuordnung des Klägers in die Leistungsgruppe B 2 während der streitigen Zeiten nicht nachprüfen kann, muß das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden.
Bei der neuen Sachprüfung wird das LSG, soweit es die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen über die Tätigkeitsmerkmale eines Administrators (und über Stellung eines "Vogts") in der früheren Provinz Posen nicht durch nochmalige Anhörung des Klägers und der Zeugen treffen kann, darüber Erkundigungen bei einer Landwirtschaftskammer oder bei der für dieses Gebiet bestehenden Landsmannschaft anstellen können. Es sei auch darauf hingewiesen, daß beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft in Bonn die Ostdeutschen "Güter-Adreßbücher" aus den Jahren seit der Jahrhundertwende vorliegen, in denen für jedes Jahr die Größe der Betriebe, die Aufteilung der Flächen nach Kulturarten, der Viehbestand und auch die Namen der leitenden Angestellten angegeben sind. Auskünfte sind ferner möglicherweise auch über die Heimatauskunftsstellen des Bauernverbandes der Vertriebenen zu erhalten. Das LSG wird auch den Widerspruch klären müssen, der darin liegt, daß im Tatbestand des angefochtenen Urteils eine Beschäftigung des Klägers auf dem Gut der Frau Anna G bis zum 1. Januar bzw. 15. Januar 1935 angegeben ist, die Beklagte jedoch zur Anrechnung der Leistungsgruppe B 2 für die Zeit bis zum 31. Dezember 1935 verurteilt worden ist.
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil des LSG vorbehalten.
Fundstellen