Leitsatz (amtlich)

Zur Abgrenzung zwischen einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung iS WGSVG § 14 Abs 2 und einer familienhaften Mitarbeit im elterlichen Unternehmen.

 

Normenkette

BGB § 1617 Fassung: 1896-08-18, § 1619 Fassung: 1969-08-19; WGSVG § 14 Abs 2 Fassung: 1970-12-22

 

Verfahrensgang

LSG Berlin (Entscheidung vom 20.02.1981; Aktenzeichen L 1 An 24/79)

SG Berlin (Entscheidung vom 16.01.1979; Aktenzeichen S 2 An 1978/76)

 

Tatbestand

Streitig sind Ansprüche des Klägers auf Gewährung eines Altersruhegeldes und auf Zulassung der Nachentrichtung von Beiträgen.

Der im Jahre 1911 geborene Kläger ist rassisch Verfolgter im Sinne des § 1 des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG). Er studierte ab März 1930 Volkswirtschaftslehre und legte im April 1933 die Diplomprüfung ab. Vom 1. Mai 1933 an war er in dem Möbelfabrikations- und -handelsunternehmen seines Vaters in M tätig. Im April 1934 wurde die im Jahre 1921 erfolgte Einbürgerung des Klägers widerrufen und er damit staatenlos. Nach Fertigstellung einer Dissertation wurde ihm im November 1936 von der Universität M die Zulassung zur Promotion verweigert. Er wurde jedoch im Mai 1938 von der Universität A zum Doktor promoviert. Mit Wirkung vom 1. November 1938 ging das Unternehmen seines Vaters in "arischen Besitz" über. Der Kläger wanderte im März 1939 nach P aus und ist heute israelischer Staatsangehöriger. Von 1954 bis 1975 war er in Israel in der Rentenversicherung pflichtversichert.

Im Juli 1973 beantragte der Kläger die Zulassung zur Nachentrichtung von Beiträgen nach dem Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) vom 22. Dezember 1970 (BGBl I S 1846) und im August 1975 die Gewährung flexiblen Altersruhegeldes. Mit Bescheid vom 4. Mai 1976 lehnte die Beklagte diese Anträge ab. Für das flexible Altersruhegeld sei die Wartezeit nicht erfüllt. Die Zeit vom 1. Mai 1933 bis 31. Oktober 1938 sei als Versicherungszeit weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht. Sie könne auch nicht nach § 14 Abs 2 WGSVG als Versicherungszeit gelten, weil es sich bei der Beschäftigung des Klägers im väterlichen Betrieb um eine nicht versicherungspflichtige familienhafte Mithilfe gehandelt habe. Die Zeiten vom 1. November 1938 bis 31. Dezember 1949 könnten mangels Erfüllung der Voraussetzungen des § 28 Abs 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) nicht als Ersatzzeiten angerechnet werden. Wegen Fehlens anrechenbarer Versicherungszeiten seien auch die Voraussetzungen einer Beitragsnachentrichtung nicht erfüllt. Der Widerspruch des Klägers blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 23. August 1976).

Das Sozialgericht (SG) Berlin hat nach Vernehmung mehrerer Zeugen die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, dem Kläger Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres zu gewähren und ihn zur Nachentrichtung von Beiträgen zuzulassen (Urteil vom 16. Januar 1979). Das Landessozialgericht (LSG) Berlin hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG aufgehoben und die Klage in vollem Umfange abgewiesen (Urteil vom 20. Februar 1981). Zur Begründung hat es ausgeführt:

Der Kläger habe keinen Anspruch auf Altersruhegeld. Die erforderliche Wartezeit sei nicht erfüllt. Die israelischen Beitragszeiten könnten darauf nicht angerechnet werden. Das setze das Vorliegen auch einer deutschen Beitragszeit voraus. Beiträge zur deutschen Angestelltenversicherung seien nicht entrichtet worden und könnten auch nicht als entrichtet gelten. Die Beitragsfiktion des § 14 Abs 2 WGSVG für die Zeit vom 1. Mai 1933 bis 31. Oktober 1938 komme nicht in Betracht. Der Kläger habe während dieser Zeit eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit im Sinne der Vorschrift nicht ausgeübt. Zwar sei er damals im Unternehmen seines Vaters ganztägig in leitender Funktion tätig gewesen. Dabei habe es sich jedoch nicht um ein Beschäftigungsverhältnis gehandelt, welches Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung begründet habe. Das habe die Beschäftigung gegen Entgelt in einem "Dienstverhältnis" und damit in einem Verhältnis persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit von einem Arbeitgeber vorausgesetzt. In einem derartigen Dienstverhältnis sei der Kläger nicht beschäftigt worden. Dagegen spreche, daß er, damals noch ledig und im elterlichen Haushalt lebend, bei einem nahen Verwandten gearbeitet habe. Zwar habe ein nahes Verwandtschaftsverhältnis dem Zustandekommen eines Dienstverhältnisses nicht entgegengestanden. Die Tätigkeit habe aber nicht nur aufgrund eines Dienstverhältnisses, sondern auch aufgrund verwandtschaftlicher Beziehungen ausgeübt werden können. Das sei regelmäßig von den Beteiligten selbst und der durch sie vorgenommenen Ausgestaltung ihrer Beziehungen abhängig gewesen. Der Kläger sei nach eigenen Angaben damals nicht in einem "offiziellen" Angestelltenverhältnis tätig gewesen und habe einen Betrag von monatlich RM 350,-- direkt von seinem Vater aus dessen Privatentnahmen ohne Lohnsteuerpflicht erhalten. Dies spreche ebenso für eine verwandtschaftliche Grundlage und damit eine Versicherungsfreiheit des Beschäftigungsverhältnisses wie der Umstand, daß der Kläger seit seiner Ausbürgerung im April 1934 gar nicht hätte arbeiten dürfen, weil er die erforderliche Arbeitserlaubnis nicht besessen habe und wohl auch nicht erhalten hätte. Die Tätigkeit innerhalb eines versicherungsfreien Beschäftigungsverhältnisses sei möglicherweise auf die damaligen politischen Verhältnisse bzw auf Verfolgungsgründe zurückzuführen. Das sei aber im Rahmen des § 14 Abs 2 WGSVG unerheblich. Die Vorschrift könne weder nach ihrem Wortlaut noch nach ihrem Sinn und Zweck sowie ihrer Entstehungsgeschichte erweiternd dahin ausgelegt werden, daß die Beitragsfiktion auch dann eintrete, wenn aus Verfolgungsgründen ein rentenversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis schon nicht begründet worden sei oder habe begründet werden können. Es solle der Schaden ausgeglichen werden, den der Verfolgte bei der Ausübung oder dem verfolgungsbedingten Abbruch einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung erleide. Dem Kläger sei ein derartiger Schaden nicht entstanden, weil er nicht rentenversicherungspflichtig tätig gewesen sei. Beiträge seien auch nicht deswegen nicht abgeführt worden, um den Kläger oder seinen Arbeitgeber nicht zu gefährden. Denn er habe insofern nicht heimlich gearbeitet, als seine Tätigkeit zumindest der Steuerbehörde bekannt gewesen sei. Der Kläger sei auch zur Beitragsnachentrichtung nach §§ 9, 10 WGSVG nicht berechtigt. Weder sei eine Versicherungszeit von mindestens 60 Kalendermonaten vorhanden, noch seien die anderen Voraussetzungen einer Nachentrichtung erfüllt.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger Verletzungen der §§ 128, 153 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), des § 14 Abs 2 WGSVG, des § 1 AVG alter Fassung (aF) und der §§ 611, 1619 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Entgegen der nicht auf dem Gesamtergebnis der Beweisaufnahme beruhenden Ansicht des LSG sei er (Kläger) im Rahmen eines Dienstverhältnisses und nicht aufgrund familienrechtlicher Pflicht im Unternehmen seines Vaters tätig gewesen. Bei Aufnahme seiner Tätigkeit sei er bereits 22 Jahre alt und im Besitz einer abgeschlossenen Hochschulausbildung gewesen. Dieser Lebensstellung habe eine bloße Mithilfe im väterlichen Unternehmen allein gegen Unterhaltsleistungen nicht entsprochen, zumal er den Betrieb später nicht habe übernehmen wollen. Lediglich die Verfolgungssituation habe ihn daran gehindert, das Elternhaus zu verlassen und sich sein eigenes Leben aufzubauen. Der ihm gezahlte Betrag von monatlich RM 350,-- neben freier Kost und Wohnung sei nach den damaligen Währungsverhältnissen ein sehr gutes Gehalt und nicht bloß eine Unterhaltszahlung oder ein Taschengeld gewesen. Auch das spreche für ein versicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis. Dieses könne auch mündlich oder stillschweigend begründet werden. Ein schriftlicher Dienstvertrag habe wegen der besonderen Verhältnisse nicht abgeschlossen werden können. Für diesen Abschluß eines Arbeitsvertrages spreche ferner, daß er (Kläger) den Weisungen seines Vaters bzw des für diesen handelnden Treuhänders und Betriebsführers unterworfen gewesen sei. Durch den Abschluß eines Arbeitsvertrages würden familienrechtliche Verpflichtungen zur Mithilfe im elterlichen Unternehmen ausgeschlossen. Nach insoweit allein entscheidenden objektiven Maßstäben sei seine (Klägers) Beschäftigung im Unternehmen seines Vaters an sich versicherungspflichtig gewesen. Gerade auch solche Tatbestände erfasse § 14 Abs 2 WGSVG, ohne daß es einer erweiternden Auslegung der Vorschrift bedürfe. Die Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG), auf welche das LSG seine ablehnende Ansicht glaube stützen zu können, hätten andere Sachverhalte betroffen und rechtfertigten den Standpunkt des Berufungsgerichts nicht. Entgegen dessen Ausführungen sei sein (Klägers) 1933 begründetes Beschäftigungsverhältnis auch zunächst geheim bzw in seiner wirklichen Beschaffenheit gegenüber den nationalsozialistischen Behörden und Belegschaftsmitgliedern unklar geblieben. Erst im Jahre 1939 und damit nach seiner (Klägers) Auswanderung habe der Betriebsführer im Rahmen einer Mitteilung, welche Mittel seinem (Klägers) Vater zur Verfügung gestellt worden seien, gegenüber den Steuerbehörden von einem ihm (Kläger) von seinem Vater gezahlten Gehalt gesprochen.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 20. Februar 1981 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. Januar 1979 zurückzuweisen; hilfsweise: unter Aufhebung des angefochtenen Urteils den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Das LSG sei im Rahmen seiner freien Überzeugungsbildung fehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, daß der Kläger während des fraglichen Zeitraums aufgrund familienhafter Mithilfe und nicht aufgrund eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses tätig gewesen sei.

 

Entscheidungsgründe

Die durch Zulassung statthafte Revision des Klägers ist zulässig und im Sinne einer Zurückverweisung des Rechtsstreits begründet.

Gegenstand des Rechtsstreits ist in erster Linie ein Anspruch des Klägers auf Gewährung eines Altersruhegeldes wegen Vollendung des 65. Lebensjahres. Nicht mehr im Streit ist ein Anspruch auf Gewährung flexiblen Altersruhegeldes. Insoweit hat das SG die Klage abgewiesen und der hierdurch allein beschwerte Kläger ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung nicht eingelegt.

Rechtsgrundlage des Rentenanspruchs des Klägers ist § 25 Abs 5 und Abs 7 Satz 2 AVG. Hiernach erhält Altersruhegeld der Versicherte, der das 65. Lebensjahr vollendet und die Wartezeit füllt hat. Die Wartezeit ist erfüllt, wenn eine Versicherungszeit von 180 Kalendermonaten zurückgelegt ist. Auf die Wartezeit werden die ab 1. Januar 1924 und unter bestimmten Voraussetzungen auch die vorher zurückgelegten Versicherungszeiten angerechnet (§ 26 AVG). Anrechnungsfähige Versicherungszeiten sind Zeiten, für die nach Bundesrecht oder früheren Vorschriften der reichsgesetzlichen Angestelltenversicherung Beiträge wirksam entrichtet sind oder als entrichtet gelten (Beitragszeiten; § 27 Abs 1 Buchst a AVG), sowie Zeiten ohne Beitragsleistung nach § 28 AVG (Ersatzzeiten; § 27 Abs 1 Buchst b AVG). Deren Anrechnungsfähigkeit wiederum ist - soweit für den vorliegenden Rechtsstreit erheblich - von dem vorherigen Bestehen einer Versicherung abhängig (§ 28 Abs 2 Satz 1 AVG).

Das LSG hat die Wartezeit als nicht erfüllt angesehen und deshalb einen Anspruch des Klägers auf Altersruhegeld verneint. Es hat diese Entscheidung maßgebend darauf gestützt, daß der Kläger vor seiner Auswanderung aus Deutschland im März 1939 Beiträge zur deutschen Rentenversicherung nicht entrichtet habe und auch eine Beitragsfiktion für die Zeit vom 1. Mai 1933 bis 31. Oktober 1938 nach § 14 Abs 2 WGSVG nicht in Betracht komme. Ersteres ist unter den Beteiligten nicht streitig. Streitig ist allein, ob für die Zeit vom 1. Mai 1933 bis 31. Oktober 1938 Beiträge als entrichtet gelten (§ 27 Abs 1 Buchst a AVG). Hierüber kann der Senat nicht abschließend entscheiden. Dazu sind weitere tatsächliche Feststellungen erforderlich.

Nach § 14 Abs 2 Satz 1 WGSVG gelten, wenn der Verfolgte eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt hat und aus Verfolgungsgründen für die Beschäftigung oder Tätigkeit keine Beiträge entrichtet worden sind, für diese Zeiten Beiträge als entrichtet. Die nicht nur für die Rentenberechnung, sondern auch für die Begründung des Rentenanspruchs selbst und damit für die Erfüllung der Wartezeit geltende Vorschrift (vgl Urteil des Senats in BSG SozR 5070 § 14 Nr 1 S 2) erfaßt auch erstmalig beschäftigte Versicherte und setzt die vorherige Zugehörigkeit zur gesetzlichen Rentenversicherung oder den Nachweis weiterer Beitragszeiten nicht voraus (BSG SozR 5070 § 14 Nr 1 S 2; Nr 4 S 10; Nr 8 S 20; Nr 9 S 24). Voraussetzung ihrer Anwendbarkeit ist aber, daß der Versicherte während des maßgeblichen Zeitraums in einem an sich rentenversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden und aufgrund dieses Beschäftigungsverhältnisses als Gegenleistung für die erbrachte Arbeitsleistung ein Entgelt bezogen hat. Dabei muß es sich um ein Beschäftigungsverhältnis im üblichen Sinne gehandelt haben. Der in § 14 Abs 2 Satz 1 WGSVG verwendete Begriff des Beschäftigungsverhältnisses stimmt mit demjenigen der Reichsversicherungsordnung (RVO) überein und erhält sein Gepräge dadurch, daß das Beschäftigungsverhältnis regelmäßig auf freiwilliger Basis zustande gekommen ist, der Verfolgte in persönlicher Abhängigkeit zu einem Arbeitgeber gestanden hat und ihm eine Entlohnung gewährt worden ist (BSGE 38, 245, 246, 247 = SozR 5070 § 14 Nr 2 S 6, 7; BSG SozR aa0 Nr 4 S 11 f; Nr 8 S 20; Nr 9 S 25; Nr 10 S 30; Nr 13 S 40). Ob das Beschäftigungsverhältnis Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung begründet hat, ist nach dem zur Zeit seiner Ausübung geltenden Recht unter Berücksichtigung der damaligen Rechtsprechung und Verwaltungspraxis zu beurteilen (BSG SozR 5070 § 14 Nr 1 S 3; Nr 11 S 37). Als Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 14 Abs 2 Satz 1 WGSVG darf lediglich die Beitragsentrichtung aus Verfolgungsgründen unterblieben sein (BSGE 38, 245, 247 = SozR 5070 § 14 Nr 2 S 7; BSG SozR aa0 Nr 13 S 42; zum Begriff der Verfolgungsgründe BSGE 43, 181, 182 f = SozR 5070 § 14 Nr 6 S 14). Dabei muß es sich um eine konkrete und individuelle Verfolgung des Beschäftigten selbst oder seines Arbeitgebers gehandelt haben. Der allgemeine Verfolgungsdruck der damaligen Zeit gegen jüdische Mitbürger reicht nicht aus (BSG SozR 5070 § 14 Nr 1 S 2; Nr 8 S 21 f).

Schon die Frage, ob der Kläger vom 1. Mai 1933 bis zum 31. Oktober 1938 in einem rentenversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis im vorgenannten Sinne gestanden hat, läßt sich nicht abschließend entscheiden. Nach § 1 Abs 1 AVG idF  der Bekanntmachung vom 28. Mai 1924 (RGBl I S 563; = AVG aF) sind für den Fall der Berufsunfähigkeit und des Alters sowie zugunsten der Hinterbliebenen Angestellte nach den Vorschriften des AVG versichert worden. Eine der Voraussetzungen der  Versicherung ist gewesen, daß der Angestellte gegen Entgelt in einem Dienstverhältnis beschäftigt worden ist (§ 1 Abs 3 AVG  aF). Hinsichtlich des Begriffs des Entgelts hat zunächst  § 2 AFG aF eine eigenständige Definition enthalten. Durch § 6 des Gesetzes über die Änderung einiger Vorschriften der Reichsversicherung vom 23. Dezember 1936 (RGBl I S 1128) ist diese Vorschrift aufgehoben und sind in § 1 Abs 3 Satz 1 AVG aF hinter dem Wort "Entgelt" die Worte "(§ 160 der Reichsversicherungsordnung)" eingefügt worden. Nach § 2 Satz 1 AVG aF wie nach § 160 Abs 1 (später Abs 1 Satz 1) RVO in seiner hier maßgeblichen Fassung der Bekanntmachung vom 15. Dezember 1924 (RGBl I S 779) haben zum Entgelt neben Gehalt oder Lohn auch Gewinnanteile, Sach- und andere Bezüge gehört, die der Versicherte, wenn auch nur gewohnheitsmäßig, statt des Gehalts oder Lohns oder neben ihm von dem Arbeitgeber oder einem Dritten erhalten hat. Von der Beschäftigung gegen Entgelt in einem Dienstverhältnis als Voraussetzung für die Versicherungspflicht ist die nicht versicherungspflichtige "familienhafte Mitarbeit" zu unterscheiden. Nach § 1617 BGB in seiner ursprünglichen Fassung (= § 1619 BGB idF des Gesetzes über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder vom 19. August 1969; BGBl I S 1243) ist das Kind, solange es dem elterlichen Hausstand angehört und von den Eltern erzogen oder unterhalten wird, verpflichtet, in einer seinen Kräften und seiner Lebensstellung entsprechenden Weise den Eltern in ihrem Hauswesen und Geschäft Dienste zu leisten.

Mit der Abgrenzung zwischen nicht versicherungspflichtiger familienhafter Mitarbeit und versicherungspflichtiger Beschäftigung gegen Entgelt hat sich die Rechtsprechung wiederholt befaßt. Das ist insbesondere in Rechtsstreitigkeiten um die Versicherungspflicht der sog "Meistersöhne" in handwerklichen Betrieben und mithelfender Familienangehöriger in der Landwirtschaft geschehen. Das Reichsversicherungsamt (RVA) hat zur Frage der Sozialversicherungspflicht eines Beschäftigungsverhältnisses von Familienangehörigen ausgesprochen, es sei in allen Fällen die Gesamtheit der Umstände daraufhin zu überprüfen, ob es sich bei dem Beschäftigungsverhältnis um ein Lohnarbeitsverhältnis handele oder aber die Tätigkeit aufgrund des sittlichen Familienbandes ausgeübt werde und daher die Zuwendungen des Arbeitgebers kein Entgelt für geleistete Arbeit, sondern einen Unterhaltsbeitrag aufgrund des Familienbandes darstellten (vgl die Rechtsprechungshinweise in der Grundsätzlichen Entscheidung -GE- Nr 5134 des RVA vom 27. April 1937 in AN 1937, 300, 301). Speziell für "Meistersöhne" in handwerklichen Betrieben hat das RVA seine Spruchpraxis später dahin modifiziert, daß dann, wenn sich aus der gesamten Sachlage eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür ergebe, daß der einzige im Betrieb beschäftigte Sohn künftig den väterlichen Handwerksbetrieb übernehmen werde, zu vermuten sei, daß ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis nicht bestehe (vgl RVO AN aa0). Dem ist - allerdings bezogen auf eine später als während des hier maßgeblichen Zeitraums ausgeübte Tätigkeit (zur Nichtanwendbarkeit der vom RVA entwickelten Rechtsgrundsätze für Meistersöhne auf früher ausgeübte Tätigkeiten vgl Urteil des 11. Senats vom 30. April 1981 in BSGE 52, 1, 3 f = SozR 2200 § 1259 Nr 50 S 130 f) - der 3. Senat des BSG entgegengetreten. Nach seinem Urteil vom 5. April 1956 (BSGE 3, 30, 35 ff) beurteilt sich die Versicherungspflicht auch bei "Meistersöhnen" nach den gleichen Grundsätzen, die allgemein für das Bestehen der Versicherungspflicht gelten. Danach kommt es darauf an, ob nach den gesamten Umständen des Einzelfalles ein - insbesondere durch Eingliederung des Arbeitenden in einen Betrieb und seine Unterwerfung unter ein "Direktionsrecht" des Arbeitgebers geprägtes - abhängiges Beschäftigungsverhältnis mit Entgeltzahlung vorliegt oder nur Mithilfe aufgrund der Familienzugehörigkeit ohne Eingliederung in den Betrieb und ohne Entgeltzahlung geleistet wird. Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 1617 BGB aF für eine familienrechtliche Dienstleistung schließt nicht aus, daß das Kind durch Eintritt in den Betrieb seines Vaters mit ihm ein Arbeitsverhältnis eingeht und dann die Mitarbeit in Erfüllung der Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis leistet. Hierfür ist vor allem die Höhe der gewährten Leistungen (Geld- und Sachbezüge) sowie ihr Verhältnis zu Umfang und Art der im Betrieb verrichteten Tätigkeit von Bedeutung. Einen wichtigen Anhaltspunkt für die versicherungsrechtliche Beurteilung der Mitarbeit eines Verwandten bietet auch die steuerrechtliche Behandlung der ihm gewährten Bezüge. Diese Rechtsprechung hat der 3. Senat insbesondere mit seinen Urteilen vom 29. März 1962 (BSGE 17, 1 = SozR Nr 31 zu § 1265 RVO) zur Frage der Versicherungspflicht mitarbeitender Familienangehöriger in der Landwirtschaft (vgl auch BSG SozR Nr 22 zu § 165 RVO zur Versicherungspflicht der bei einer GmbH beschäftigten Tochter der beiden alleinigen Gesellschafter) fortgeführt und ausgesprochen, es komme entscheidend darauf an, ob nach den gesamten Umständen des Einzelfalles abhängige, dh weisungsgebundene Arbeit gegen Lohn oder "nur" Mithilfe aufgrund der Familienzugehörigkeit ohne Entgeltzahlung geleistet werde. Erhalte der in der Familiengemeinschaft lebende Angehörige im Rahmen seines freien Unterhaltes neben Kost, Wohnung und Kleidung nur geringfügige Barbeträge (Taschengeld), so sei im allgemeinen familienhafte Mitarbeit ohne Bestehen eines entgeltlichen Beschäftigungsverhältnisses anzunehmen. Würden dem Angehörigen dagegen neben freiem Unterhalt laufend feste Barbezüge gewährt, die sich dem ortsüblichen Barlohn fremder Arbeitskräfte näherten, so spreche dies für das Bestehen eines abhängigen, entgeltlichen Beschäftigungsverhältnisses, auch wenn ein Arbeitsvertrag nicht ausdrücklich vereinbart worden sei. Ein wesentliches Anzeichen für das Bestehen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses sei ferner in dem Umstand zu erblicken, daß der Betriebsinhaber für den Familienangehörigen Lohnsteuer entrichte und das gewährte Entgelt als Betriebsausgabe verbuche (vgl insbesondere BSGE 17, 1, 4 f = SozR Nr 31 zu § 165 RVO).

Der erkennende Senat läßt offen, ob entsprechend der Ansicht des 11. Senats (BSGE 52, 1, 3 f = SozR 2200 § 1259 Nr 50 S 130 f) die zur Annahme familienhafter Mitarbeit vom RVA entwickelten Rechtsgrundsätze für Meistersöhne (AN 1937, 300) auch auf Tätigkeiten in der Zeit vor Aufgabe dieser Rechtsprechung mit Urteil vom 5. April 1956 (BSGE 3, 30) nicht anzuwenden sind. Das bedarf hier nicht der Entscheidung. Der Kläger ist nicht Meistersohn im Sinne der Entscheidung des RVA vom 27. April 1937 gewesen. Zwar ist er vom 1. Mai 1933 bis zum 31. Oktober 1938 im Betrieb seines Vaters tätig gewesen. Angesichts seines abgeschlossenen Studiums der Volkswirtschaftslehre und seiner Bemühungen um eine Promotion bestehen jedoch keine Anhaltspunkte dafür, daß er mit hinreichender Wahrscheinlichkeit den väterlichen Betrieb hat übernehmen wollen. Jedenfalls hat das LSG entsprechende tatsächliche Feststellungen nicht getroffen. Im übrigen jedoch ist der Senat der Ansicht, daß die vorstehend dargestellten Rechtsgrundsätze auch für die Abgrenzung zwischen nicht versicherungspflichtiger familienhafter Mitarbeit einerseits und in der Angestelltenversicherung versicherungspflichtiger Beschäftigung gegen Entgelt andererseits heranzuziehen sind. In der hier maßgeblichen Hinsicht sind die Voraussetzungen für die Versicherungspflicht einmal in der Rentenversicherung der Arbeiter (früher Invalidenversicherung) und zum anderen in der Angestelltenversicherung nicht derart unterschiedlich, daß sich daraus auch unterschiedliche Kriterien für die Abgrenzung zur nicht ver- sicherungspflichtigen familienhaften Mitarbeit ergeben könnten. Hier wie dort setzt die Annahme eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses eine Arbeitsleistung aufgrund einer Eingliederung in den Betrieb des Arbeitgebers unter dessen Direktionsrecht gegen ein ein bloßes Taschengeld übersteigendes Entgelt voraus.

Unter Anlegung dieser Abgrenzungskriterien reichen die tatsächlichen Feststellungen des LSG für die abschließende Entscheidung der Frage, ob der Kläger vom 1. Mai 1933 bis 31. Oktober 1938 im Unternehmen seines Vaters aufgrund familienhafter Mitarbeit oder in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis tätig gewesen ist, nicht aus. Das Berufungsgericht hat in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, daß der Kläger während der fraglichen Zeit in der Firma seines Vaters ganztägig in leitender Funktion tätig gewesen sei. Den ihm hierfür gezahlten Betrag von monatlich RM 350,-- habe er jedoch direkt von seinem Vater bezogen. Er sei demzufolge als Privatentnahme des Vaters verbucht worden und habe nicht der Lohnsteuerpflicht unterlegen. Daraus sei zu schließen, daß das Beschäftigungsverhältnis bewußt habe auf verwandtschaftliche Grundlage gestellt und damit versicherungsfrei gestaltet werden sollen. Dafür spreche auch, daß der Kläger mangels der erforderlichen Arbeitserlaubnis seit April 1934 gar nicht hätte arbeiten dürfen und eine Arbeitserlaubnis wohl auch nicht erhalten hätte.

Diese Feststellungen tragen das vom LSG gefundene rechtliche Ergebnis nicht. Das Fehlen der nach dem Widerruf der Einbürgerung des Klägers im April 1934 erforderlichen Arbeitserlaubnis steht der vorherigen Begründung eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses ab 1. Mai 1933 nicht entgegen. Ob ein solches zwischen dem Kläger und seinem Vater bestanden hat, hängt zunächst davon ab, welche Tätigkeiten im einzelnen der Kläger im Betrieb seines Vaters ausgeübt, und welche Position innerhalb des Betriebes er innegehabt hat und ob, wenn er nicht im Unternehmen seines Vaters tätig geworden wäre, für die von ihm ausgeübte Tätigkeiten eine andere bezahlte Arbeitskraft hätte eingestellt werden müssen. Dazu ist der Feststellung, der Kläger sei ganztägig in leitender Funktion tätig gewesen, nichts zu entnehmen. Insbesondere geht daraus nicht hervor, ob er abhängige Arbeit geleistet hat, insbesondere also in den Betrieb eingegliedert und einem Direktionsrecht seines Vaters unterworfen gewesen ist. Dazu wird das LSG entweder aufgrund der bereits erhobenen Beweise oder durch ergänzende Sachaufklärung zusätzliche Feststellungen treffen müssen. Dasselbe gilt hinsichtlich der Frage, ob der dem Kläger gewährte Betrag von monatlich RM 350,-- Entgelt im sozialversicherungsrechtlichen Sinne gewesen ist. Hierzu bedarf es zunächst der Feststellung, ob der Betrag nach dem Willen der Beteiligten als Gegenleistung für die vom Kläger erbrachte Arbeitsleistung gewährt worden ist oder dem Kläger zur Deckung seines persönlichen Bedarfs auch ohne Arbeitsleistung gezahlt worden wäre. Ein Indiz für den Entgeltcharakter des dem Kläger gezahlten Betrages kann dessen Höhe und sein Verhältnis zu den damals üblichen Bezügen eines in vergleichbarer Position tätigen Angestellten sein. Grundsätzlich zutreffend hat das LSG insofern weiterhin berücksichtigt, daß der dem Kläger gezahlte Betrag als Privatentnahme verbucht worden ist und nicht der Lohnsteuerpflicht unterlegen hat. Indes wird dabei zusätzlich zu erwägen sein, ob diesen Umständen angesichts der insbesondere von dem Zeugen Dr. R (schriftliche Aussage vom 3. Januar 1980) geschilderten besonderen Verhältnisse in dem frühzeitig von nationalsozialistischer Verfolgung betroffenen Unternehmen des Vaters des Klägers eine maßgebliche Bedeutung beigemessen werden kann.

Die hiernach erforderliche ergänzende Würdigung der Beweise und gegebenenfalls weitere Sachaufklärung sind dem Revisionsgericht verwehrt. Sie obliegen dem Tatsachengericht. Deswegen ist der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

Sollte das Berufungsgericht in seiner neuen Entscheidung zu dem Ergebnis gelangen, daß der Kläger vom 1. Mai 1933 bis zum 31. Oktober 1938 in einem versicherungspflichtigen entgeltlichen Beschäftigungsverhältnis gestanden hat, so wird es die bisher noch nicht getroffene Entscheidung nachzuholen haben, ob während des genannten Zeitraumes die Beitragsentrichtung im Sinne des § 14 Abs 2 Satz 1 WGSVG aus Verfolgungsgründen unterblieben ist. Dabei ist ua zu berücksichtigen, daß sogar noch über das Jahr 1938 hinaus die Versicherungspflicht für jüdische Beschäftigte grundsätzlich nicht aufgehoben gewesen ist (vgl BSG SozR 5070 § 14 Nr 4 S 10 und Nr 8 S 20).

Ebenso wie über den Anspruch des Klägers auf Gewährung eines Altersruhegeldes kann der Senat auch über den weiteren Anspruch auf Zulassung zur Nachentrichtung von Beiträgen nicht abschließend entscheiden. Rechtsgrundlage dieses Anspruchs ist § 10 Abs 1 WGSVG. Das dort im einzelnen geregelte Nachentrichtungsrecht steht Verfolgten zu, die nach § 9 WGSVG zur Weiterversicherung berechtigt sind. Diese Berechtigung wiederum haben nur Verfolgte mit einer Versicherungszeit von mindestens 60 Kalendermonaten (§ 9 Satz 1 WGSVG). Als solche kommt beim Kläger lediglich eine fiktive Beitragszeit vom 1. Mai 1933 bis 31. Oktober 1938 in Betracht. Ob sie vorliegt, kann ebenso wie im Rahmen des Anspruchs auf Gewährung eines Altersruhegeldes vom Senat nicht abschließend entschieden werden. Auch hierüber wird das LSG erneut zu verhandeln und entscheiden haben.

Ebenso wird es in seinem abschließenden Urteil über die Kosten des Revisionsverfahrens entscheiden.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1660540

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge