Leitsatz (amtlich)
1. § 14 Abs 2 WGSVG kann nicht auf den Fall angewandt werden, daß der Versicherte gehindert war, eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufzunehmen und deswegen in eine versicherungsfreie oder nicht versicherungspflichtige Beschäftigung ausgewichen ist (Anschluß an BSG 1981-05-14 4 RJ 15/80 = SozR 5070 § 14 Nr 13).
2. Im Rahmen von § 14 Abs 2 WGSVG kann unter einer versicherungspflichtigen Beschäftigung stets nur eine solche verstanden werden, die der Versicherte tatsächlich verrichtet hat und für die Beiträge hätten entrichtet werden müssen (Fortführung von BSG 1979-10-04 1 RA 95/78 = SozR 5070 § 14 Nr 9).
Normenkette
WGSVG § 14 Abs 2 Fassung: 1970-12-22
Verfahrensgang
LSG Berlin (Entscheidung vom 09.10.1981; Aktenzeichen L 1 An 53/81) |
SG Berlin (Entscheidung vom 27.03.1981; Aktenzeichen S 15 An 997/80) |
Tatbestand
Der im Mai 1915 geborene Kläger ist rassisch Verfolgter und amerikanischer Staatsangehöriger; er lebt in den Vereinigten Staaten. Im Februar 1979 beantragte er bei der Beklagten ua Anerkennung der Zeit von Januar 1934 bis August 1935 als Beitragszeit nach § 14 Abs 2 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG). Zur Begründung trug er vor, er habe seine Schulausbildung im Januar 1934 unterbrechen müssen und sei bis zu seiner verfolgungsbedingten Auswanderung im August 1935 im elterlichen Betrieb tätig gewesen, da sich ihm keine andere Beschäftigungsmöglichkeit geboten habe. Später trug er vor, er sei von Januar 1934 bis April 1934 kaufmännischer Angestellter gewesen und halte sich seit April 1934 im Ausland auf. Nach dem Inhalt der Entschädigungsakten beim Regierungspräsidenten (RP) in D. hat der Kläger am 22. Februar 1934 in D. die Reifeprüfung bestanden; der RP ging im Entschädigungsverfahren ferner davon aus, daß der Kläger im April 1934 nach Holland ausgewandert, 1935 ins Reichsgebiet zurückgekehrt und im August 1935 von Bremerhaven aus in die USA ausgewandert ist.
Die Beklagte lehnte eine Anerkennung der streitigen Zeiten ab. Die nach Zurückweisung des Widerspruchs erhobene Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat seine Entscheidung damit begründet, daß es an einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung iS von § 14 Abs 2 WGSVG fehle. Es sei nicht überwiegend wahrscheinlich, daß der Kläger im Unternehmen seines Vaters in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegen Entgelt beschäftigt gewesen sei. Angesichts der widersprüchlichen Angaben des Klägers bestünden schon erhebliche Zweifel, ob der Kläger überhaupt die behauptete Beschäftigung ausgeübt habe. Aber auch nach dem eigenen Vortrag des Klägers müsse davon ausgegangen werden, daß dieser seine Tätigkeit nicht im Rahmen eines an sich versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses, sondern auf der Grundlage des nahen Verwandtschaftsverhältnisses ausgeübt habe. Für eine erweiternde Auslegung des § 14 Abs 2 WGSVG dahin, daß Beiträge auch dann als entrichtet zu gelten hätten, wenn aus Verfolgungsgründen schon ein rentenversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis nicht begründet wurde oder begründet werden konnte, sei kein Raum.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 14 Abs 2 WGSVG. Sinn und Zweck dieser Vorschrift erforderten ihre Anwendung auch auf den Fall, daß aus Verfolgungsgründen eine Versicherungspflicht nicht begründende Beschäftigung aufgenommen werden mußte.
Der Kläger beantragt, die Urteile der Vorinstanzen und den ablehnenden Bescheid der Beklagten in Gestalt des Widerspruchsbescheides aufzuheben und die Beklagte zur Anerkennung der Zeit von Februar bis April 1934 als fiktive Beitragszeit zu verurteilen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Das Begehren des Klägers ist auf Feststellung nur noch der Monate Februar bis April 1934 als fiktive Beitragszeiten gerichtet; auch insoweit ist, wie die Vorinstanzen zu Recht entschieden haben, ein Anspruch nicht gegeben.
§ 14 Abs 2 WGSVG, der allein als Anspruchsgrundlage in Betracht kommt, setzt für die Fiktion von Beitragszeiten voraus, daß eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt worden ist, für sie aber aus Verfolgungsgründen keine Beiträge entrichtet worden sind. Unter einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung ist dabei eine Beschäftigung zu verstehen, die nach dem seinerzeit geltenden Recht konkret Versicherungspflicht begründet hat (SozR 5070 § 14 Nrn 4, 14). Das LSG hat eine solche Beschäftigung in der noch streitigen Zeit nicht für glaubhaft gemacht angesehen; dabei hat es ungeachtet erheblicher Zweifel an den Behauptungen des Klägers unterstellt, daß dieser im Unternehmen seines Vaters tätig gewesen ist, aber in Übereinstimmung mit dem eigenen Vorbringen des Klägers angenommen, daß es sich dabei um eine Tätigkeit aufgrund familienhafter Bindung gehandelt habe, durch die Versicherungspflicht nicht begründet worden sei. Das ist im Ergebnis auch dann nicht zu beanstanden, wenn im Rahmen von § 14 Abs 2 WGSVG bei der Abgrenzung zwischen einer versicherungspflichtigen Beschäftigung und einer Tätigkeit aufgrund familienhafter Bindung von der heutigen geläuterten Rechtsauffassung ausgegangen wird (Urteil des 1. Senats des Bundessozialgerichts -BSG- vom 7. September 1982 - 1 RA 35/81 -).
Selbst wenn jedoch aufgrund irriger Rechtsauslegung seinerzeit eine Versicherungspflicht zu Unrecht verneint worden wäre, würde damit § 14 Abs 2 WGSVG noch nicht anwendbar, weil es dann an der in der Vorschrift vorausgesetzten Kausalität zwischen der unterbliebenen Beitragsentrichtung und einer Verfolgung fehlen würde; ursächlich wäre in einem solchen Fall allein die damalige Rechtsauffassung. Dafür, daß das Fehlen von Beiträgen für die behauptete Tätigkeit zumindest auch auf Verfolgungsmaßnahmen zurückzuführen sein könnte, bietet der festgestellte Sachverhalt auch im übrigen keinerlei Anhalt; selbst der Kläger hat derartiges nicht behauptet.
Der Kläger meint allerdings, § 14 Abs 2 WGSVG müsse ferner auf den Fall angewandt werden, daß der Versicherte aus Verfolgungsgründen gehindert war, eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufzunehmen, und deswegen in eine versicherungsfreie oder nicht versicherungspflichtige Beschäftigung ausgewichen ist. Eine solche Auslegung ist mit Wortlaut und Sinn des Gesetzes nicht vereinbar. Nach seinem eindeutigen Wortlaut setzt § 14 Abs 2 WGSVG die Ausübung einer konkret versicherungspflichtigen Beschäftigung voraus (SozR 5070 § 14 Nr 9); sein Grundgedanke ist die Herstellung der Beitragswirkung, die unter Berücksichtigung der ausgeübten Beschäftigung ohne die Verfolgung eingetreten wäre (SozR 5070 § 14 Nr 11). Damit kann unter einer versicherungspflichtigen Beschäftigung stets nur eine solche verstanden werden, die der Versicherte tatsächlich verrichtet hat und für die Beiträge zu entrichten gewesen wären. Wenn der 4. Senat des BSG in seinem Urteil vom 26. Mai 1976 (SozR 5070 § 14 Nr 4) die Ansicht vertreten hat, § 14 Abs 2 WGSVG müsse nach seinem Sinn und Zweck auch in den Fällen eingreifen, in denen eine Beschäftigung aus Verfolgungsgründen mangels anderer Möglichkeiten bei einem Arbeitgeber aufgenommen wurde, der grundsätzlich für die bei ihm tätigen Personen keine Beiträge entrichtete, selbst wenn hierdurch eine bestimmte Gruppe von Verfolgten berührt wurde, so geht der 4. Senat damit nicht von dem Erfordernis ab, daß die ausgeübte Beschäftigung versicherungspflichtig gewesen sein muß (vgl dazu Urteil des 1. Senats vom 13. März 1979 - SozR 5070 § 14 Nr 8). Davon abgesehen ist hier nichts dafür ersichtlich, daß der Vater des Klägers für die bei ihm tätigen Personen grundsätzlich keine Beiträge entrichtet hätte. Zudem hat der 4. Senat in einem späteren Urteil vom 14. Mai 1981 (SozR 5070 § 14 Nr 13) ausdrücklich hervorgehoben, daß es für die Feststellung einer Beitragszeit nach § 14 Abs 2 Satz 1 WGSVG nicht ausreiche, wenn auf die nicht versicherungspflichtige Tätigkeit ausgewichen werden mußte, weil Verfolgungsgründe die Ausübung einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung nicht zuließen; diese Vorschrift setze nach Wortlaut und Entstehungsgeschichte voraus, daß nur die Beitragszahlung verfolgungsbedingt unterblieben sei. In anderen Fällen könnten Leistungen allein nach allgemeinem Wiedergutmachungsrecht gewährt werden. Dem stimmt der erkennende Senat zu.
Nach alledem war die Revision mit der sich aus § 193 Sozialgerichtsgesetz ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 2 SGG).
Fundstellen