Entscheidungsstichwort (Thema)

Eingliederungs- und Entschädigungsprinzip

 

Leitsatz (redaktionell)

1. DV FAG SV § 4 erfaßt gerade diejenigen Fälle, in denen das tatsächlich erzielte Entgelt (oder die Höhe der entrichteten Beiträge) nachgewiesen ist. Der Senat hält an dieser seiner Auffassung fest. Nur wenn die Tabellenwerte unterschreitende Entgelte festgestellt werden, werden diese der Berechnung zugrunde gelegt.

 

Normenkette

SVFAGDV 1 § 4 Fassung: 1954-07-31

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 10. April 1959 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Der Rechtsstreit wird um die Höhe der Rente geführt, die dem Kläger aus der gesetzlichen Rentenversicherung zusteht. Nach dem Antrag, den er in der Revisionsinstanz allein noch aufrechterhält, ist darüber zu entscheiden, ob Versicherungszeiten, die seit dem 1. Juli 1948 in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) zurückgelegt worden sind, auch dann nach §§ 4 und 5 der Ersten Durchführungsverordnung (DVO) vom 31. Juli 1954 (BGBl I 245) zum Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz (FAG) vom 7. August 1953 (BGBl I 848) angerechnet werden, wenn ein Entgelt nachgewiesen ist, das nominell höher ist als die in der Tabelle der Anlage 3 zu der DVO-FAG aufgeführten Werte.

Die Beklagte bewilligte dem Kläger vom 1. Januar 1956 an das Ruhegeld nach einjähriger Arbeitslosigkeit (§ 397 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG - aF) aus den zur Angestelltenversicherung geleisteten Beiträgen. In dem Bescheid hierüber vom 25. Oktober 1956 und in dem - wegen Hinzutritts der Leistungen aus der Arbeiterrentenversicherung ergangenen - Bescheid vom 14. November 1957 berechnete sie ihm für die Zeit seiner Beschäftigung in der SBZ vom 1. Juli 1948 bis 30. Juni 1951 Steigerungsbeträge aus einem Entgelt von 14.165.- DM, das sie nach §§ 4 und 5 Abs. 1 Buchst. b DVO-FAG der Tabelle der Anlage 3 zu dieser Verordnung entnahm. Mit der Klage begehrte der Kläger die Anrechnung von Steigerungsbeträgen aus dem von ihm nachgewiesenen Entgelt für die genannte Zeit in Höhe von 18.709,58 DM (Ost). Das Sozialgericht (SG) Berlin wies die Klage ab (Urteil vom 16.4.1957). Das Landessozialgericht (LSG) Berlin wies - unter Zulassung der Revision - die Berufung, soweit sie den jetzt noch streitigen Anspruch betraf, zurück:

Wegen des Fehlens eines amtlichen Kurses für die Umrechnung von DM-Ost in DM-West sei schon nach § 1 DVO-FAG eine Anrechnung des tatsächlich erzielten Verdienstes ausgeschlossen. Satz 3 und Satz 4 in § 1 DVO-FAG stellten klar, daß in diesen Fällen Versicherungszeiten so angerechnet werden, wie wenn das bezogene Entgelt (oder die geleisteten Beiträge) nur glaubhaft gemacht worden wäre. Diese Regelung entspreche auch der Ermächtigung in §§ 4 Abs. 1, 6 Abs. 2 FAG. Eine Unbilligkeit oder eine Verletzung des Gleichheitssatzes liege nicht vor (Urteil vom 10.4.1959).

Der Kläger legte gegen das Urteil des LSG Revision ein und begründete sie zugleich. Nachdem die Beklagte die Rente des Klägers nach dem Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetz (FANG) vom 25. Februar 1960 (BGBl I 93) neu festgestellt hatte (Bescheid vom 28.9.1960), begehrte der Kläger nur noch die Erhöhung der Rente unter Berücksichtigung der Steigerungsbeträge aus der Differenz zwischen dem nach § 5 DVO-FAG angerechneten und dem nachgewiesenen Entgelt. Er hält das nachgewiesene Entgelt deshalb für maßgebend, weil nirgends ausdrücklich festgelegt sei, daß höchstens die Tabellenwerte zugrunde zu legen seien.

Die Beklagte beantragte, die Revision zurückzuweisen.

Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Die Revision ist zulässig, aber unbegründet.

Die Beklagte hat zu Recht für die Versicherungszeit, die der Kläger in der SBZ nach dem 30. Juni 1948 zurückgelegt hat, das Entgelt zugrunde gelegt, das sich aus der Tabelle der Anlage 3 zur DVO-FAG ergibt. § 4 DVO-FAG, der die entsprechende Anwendung der §§ 5 und 6 DVO-FAG anordnet, erfaßt gerade diejenigen Fälle, in denen das tatsächlich erzielte Entgelt (oder die Höhe der entrichteten Beiträge) nachgewiesen ist. Das hat der erkennende Senat schon in seinem Urteil vom 6. September 1962 (SozR DVO-FAG Bl. Aa 1 Nr. 3) ausgesprochen. An dieser Auffassung hält der Senat nach erneuter Prüfung auch im vorliegenden Rechtsstreit fest. Inwieweit das tatsächlich bezogene Entgelt ausnahmsweise maßgebend ist, wird in § 4 letzter Satzteil ausdrücklich aufgeführt: Nur wenn die Tabellenwerte unterschreitende Entgelte festgestellt werden, werden diese der Berechnung zugrunde gelegt.

Das LSG hat zutreffend dargelegt, daß die entsprechende Anwendung der §§ 5 und 6 DVO-FAG schon durch § 1 DVO-FAG ermöglicht wird. Hieraus ergibt sich auch, daß die Tabellenwerte nicht nur für ehemalige Bewohner der sowjetischen Besatzungszone, sondern für alle Versicherten aus allen Herkunftsländern maßgebend sind, für deren Währung kein amtlicher Maßstab zur Umrechnung in DM-West bestimmt ist. § 4 DVG-FAG, der die Anwendung der §§ 5 und 6 DVO-FAG für die Zuwanderer aus der SBZ ausdrücklich hervorhebt, stellt daher keine den Gleichheitssatz des Art. 3 des Grundgesetzes oder die Forderung des § 90 des Bundesvertriebenengesetzes verletzende Sonderbehandlung dieses Personenkreises dar. Im übrigen ist es keineswegs sicher, daß die Anwendung des § 5 DVO-FAG sich für den Kläger ungünstiger auswirkt als eine Umrechnung der Währungseinheiten. Denn würde für die Umrechnung ein realistischer Maßstab zugrunde gelegt (vgl. zB Ziff. 80 der Einkommenssteuerrichtlinien für 1950 vom 21. September 1951 - Steuer- und Zollblatt für Berlin, 1951, 215, 244), so könnten dem Kläger wohl nur wesentlich geringere Steigerungsbeträge zugestanden werden als bei Zugrundelegung der Tabellenwerte. Eine Anrechnung des in der SBZ erzielten Verdienstes in seiner nominellen Höhe (DM-Ost = DM-West) kommt aber schon deshalb nicht in Betracht, weil seit der Währungsreform in der SBZ und in der Bundesrepublik verschiedene Währungen gelten, deren Zahlenwerte trotz ähnlicher Bezeichnung nicht gleichgesetzt werden können.

Die Tabellen Anl. 2 und 3 enthalten - nach Zeitabschnitten und Tätigkeitsmerkmalen aufgegliedert - Entgelte, die im Durchschnitt auch solchen Versicherten angerechnet werden, die ihr ganzes Arbeitsleben in der Bundesrepublik verbracht haben. Die Anwendung dieser Tabellenwerte auch in den Fällen, in denen das tatsächliche Entgelt außerhalb des Bundesgebietes nachgewiesen ist, entspricht dem sog. Eingliederungsprinzip, das im FAG nur ausnahmsweise zur Geltung gekommen ist. Hier gilt vielmehr allgemein das sog. Entschädigungsprinzip, das davon ausgeht, welche Ansprüche der Berechtigte gegen den fremden Versicherungsträger gehabt hätte. Dabei ist grundsätzlich auf die Verhältnisse im Herkunftsland abzustellen und die Entgelte oder Beiträge sind nach allgemeinen finanzpolitischen Maßstäben - soweit möglich - umzurechnen. Die in §§ 4, 5 DVO-FAG festgelegte Ausnahme ist aber nun im FANG zum allgemeinen Prinzip erhoben worden, weil es eine gerechtere Behandlung der Flüchtlinge, Vertriebenen und sonstigen Zuwanderer und ihre sachgemäße Gleichstellung mit den Einheimischen ermöglicht. Art. 1 § 22 FANG erklärt die - nun allerdings zeitlich etwas mehr aufgegliederten - Tabellenwerte für sämtliche Berechtigte als maßgeblich, auch wenn die im Herkunftsland erzielten Entgelte in DM umrechenbar sind. Auch im Hinblick auf diese Rechtsentwicklung muß die Regelung der §§ 4, 5 DVO-FAG als sachgemäß angesehen werden.

Die Revision ist deshalb zurückzuweisen (§§ 170 Abs. 1, 193 des Sozialgerichtsgesetzes).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2380698

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