Beteiligte
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 15. Oktober 1999 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Der Rechtsstreit betrifft einen Anspruch auf Konkursausfallgeld (Kaug) für die Zeit vom 1. bis 16. Juli 1996.
Die Klägerin war als kaufmännische Angestellte bei der E. Baumaschinenverleih GmbH beschäftigt. Diese beendete ihre Betriebstätigkeit – nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) – am 30. Juni 1996. Den Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens vom 1. Juli 1996 wies das Amtsgericht Schleswig mit Beschluß vom 19. Juli 1996 mangels Masse ab. Am 17. Juli 1996 begann die Mutterschutzfrist der Klägerin.
Mit ihrem Antrag vom 11. Juli 1996 machte die Klägerin für die Zeit vom 1. Mai bis 16. Juli 1996 einen Anspruch auf Kaug in Höhe von 6.531,40 DM geltend. Die beklagte Bundesanstalt für Arbeit (BA) bewilligte jedoch Kaug nur für die Zeit vom 1. Mai bis 30. Juni 1996 in Höhe von 4.725,16 DM. Den weitergehenden Antrag der Klägerin auf Kaug vom 1. bis 16. Juli 1996 lehnte sie ab (Bescheid vom 15. August 1996; Widerspruchsbescheid vom 23. Oktober 1996). Zur Begründung führte sie aus, Insolvenztag sei der 1. Juli 1996 gewesen, an diesem Tage seien keine Arbeiten mehr ausgeführt worden. Diese seien „teilweise als Restarbeiten” am 30. Juni 1996 ausgelaufen. Da der Konkursantrag erst am 1. Juli 1996 – mithin nach der Betriebsstillegung – gestellt worden sei, könne der Tag des Beschlusses über die Abweisung des Konkursantrags mangels Masse am 19. Juli 1996 nicht Insolvenztag sein.
Mit der Klage hat die Klägerin geltend gemacht, der Zeitpunkt der vollständigen Beendigung der Betriebstätigkeit komme als maßgeblicher Zeitpunkt nur in Betracht, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens nicht gestellt worden sei. Das Sozialgericht (SG) hat der Klage mit Urteil vom 26. Februar 1998 stattgegeben und ausgeführt, wenn das Konkursgericht tätig geworden sei, bestehe kein Bedürfnis dafür, daß die Beklagte die Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers feststelle. Mit der Berufung hat die BA geltend gemacht, die drei gesetzlichen Insolvenztatbestände seien gleichwertig und das zeitlich früheste Ereignis löse eine Sperrwirkung aus. Das früheste Insolvenzereignis sei hier die Betriebsstillegung am 30. Juni 1996, weil der Konkursantrag erst am 1. Juli 1996 gestellt worden sei.
Das LSG hat die Berufung mit Urteil vom 15. Oktober 1999 zurückgewiesen und ausgeführt, die gesetzlichen Leistungsvoraussetzungen lägen auch für die Zeit vom 1. bis 16. Juli 1996 vor, weil die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit als Insolvenztatbestand nur in Betracht komme, wenn zu diesem Zeitpunkt noch kein Konkursantrag gestellt sei. Maßgebend für die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit sei nicht der Tag, an dem die Betriebstätigkeit vollständig beendet werde, sondern der Tag, an dem sie vollständig beendet sei. Allein dieses Verständnis werde der Systematik und dem Sinn des § 141b Abs 3 Nr 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) gerecht. Da die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit dazu diene, den Zeitpunkt der Insolvenz in Fällen, in denen ein Konkursverfahren nicht durchgeführt werde, leicht feststellbar zu machen, sei auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem diese Aussage mit Sicherheit getroffen werden könne. Das sei der erste Tag, an dem keine betriebliche Tätigkeit mehr stattgefunden habe – hier mithin der 1. Juli 1996. Da der Konkursantrag am gleichen Tage gestellt worden sei, sei der Tag der Abweisung des Konkursantrages mangels Masse – also der 19. Juli 1996 – der für das Insolvenzereignis maßgebende Zeitpunkt. Danach könne offenbleiben, ob im Zeitpunkt der Betriebsstillegung ein Konkursverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht gekommen sei. Wegen des Beginns der Mutterschutzfrist am 17. Juli 1996 sei der Kaug-Anspruch der Klägerin bis zum 16. Juli 1996 begrenzt.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung der §§ 103, 128 Abs 1 Satz 2 und § 136 Abs 1 Nr 6 Sozialgerichtsgesetz (SGG): Wegen ungenügender Begründung lasse sich nicht ausschließen, daß das Urteil des LSG aufgrund unvollständiger Prüfung der Sach- und Rechtslage ergangen sei. Zu einem möglichen Annahmeverzug des Arbeitgebers enthalte das Urteil keine Feststellungen. Dem Sinne nach rügt die BA auch eine Verletzung des § 141b Abs 3 Nr 2 AFG, weil dessen Tatbestandsmerkmale bereits am 30. Juni 1996 eingetreten seien. Dem Versuch des LSG, das Insolvenzereignis auf den 1. Juli 1996 hinauszuschieben, könne nicht gefolgt werden. Bei einer Betriebseinstellung sei maßgeblicher Tag für die Feststellung des Leistungszeitraums von Kaug der Tag, an dem die Betriebstätigkeit ende. Das sei im vorliegenden Falle der 30. Juni 1996.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 15. Oktober 1999 und das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 26. Februar 1998 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie führt aus, Verfahrensfehler des LSG, welche die Revision stützen könnten, lägen nicht vor. Das LSG habe auch den Auffangtatbestand des § 141b Abs 3 Nr 2 AFG zutreffend angewandt. Von einer Einstellung der Betriebstätigkeit könne erst ab 1. Juli 1996 gesprochen werden.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).
II
Die Revision der Beklagten hat im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung Erfolg. Die Entscheidung des LSG verletzt § 141b Abs 3 Nr 2 AFG. Für eine abschließende Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) reichen die tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht aus.
Verfahrenshindernisse, die einer Sachentscheidung entgegenstehen, sind nicht ersichtlich. Der Wert der Beschwer der Beklagten durch das Urteil des SG übersteigt 1.000 DM, so daß die Berufung ohne Zulassung statthaft ist.
Zutreffend ist das LSG von der Anwendbarkeit des § 141b Abs 1 und 3 AFG für den im Jahre 1996 eingetretenen Insolvenzfall ausgegangen. Nach § 141b Abs 1 Satz 1 AFG hat ein Arbeitnehmer Anspruch auf Kaug, der bei Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen seines Arbeitgebers für die letzten der Eröffnung des Konkursverfahrens vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt hat. Diesem Insolvenzfall stellt § 141b Abs 3 die Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Konkursverfahrens mangels Masse (Nr 1) und – hier einschlägig – die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit im Geltungsbereich dieses Gesetzes gleich, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Konkursverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt (Nr 2).
Rechtlich nicht zu beanstanden ist auch die Annahme des LSG, die genannten drei Insolvenzfälle dienten gleichrangig zur Abgrenzung der drei Monate, für die § 141b Abs 1 Satz 1 AFG den Ersatz des Nettoarbeitsentgelts durch Kaug vorsieht, wobei dasjenige Insolvenzereignis, das erstmals die Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers hervortreten läßt, maßgebend ist und somit eine sog Sperrwirkung auslöst (BSGE 41, 121, 123 = SozR 4100 § 141b Nr 1; BSGE 52, 40, 41 = SozR 4100 § 141b Nr 19; BSGE 70, 9, 10 = SozR 3–4100 § 141b Nr 3). Allerdings ergibt § 141b Abs 3 Nr 2 AFG, daß eine Beendigung der Betriebstätigkeit die Sperrwirkung gegenüber anderen Insolvenzfällen nur auslösen kann, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Konkursverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt. Diesen Rechtssatz hat das LSG verletzt. Nach seinen tatsächlichen Feststellungen, die nicht mit begründeten Verfahrensrügen angegriffen und deshalb für das BSG bindend sind (§ 163 SGG), hat die Arbeitgeberin die Betriebstätigkeit am 30. Juni 1996 eingestellt. Zu diesem Zeitpunkt war ein Antrag auf Konkurseröffnung nicht gestellt. Vielmehr ist auch das LSG unangegriffen davon ausgegangen, daß der Konkursantrag erst am 1. Juli 1996 gestellt worden ist. Die begrifflichen Distinktionen, mit denen das LSG den Zeitraum der Beendigung der Betriebstätigkeit auf den 1. Juli 1996 verlegt, um die Betriebseinstellung als Insolvenzereignis auszuschließen, können nicht überzeugen. Auch die „systematischen” Gesichtspunkte rechtfertigen die Ansicht des LSG nicht. Sie ist auch mit der Rechtsprechung des BSG nicht zu vereinbaren, nach der nur Konkursanträge, die „am Tage der Betriebseinstellung” gestellt sind, diese als Insolvenzereignis nach § 141b Abs 3 Nr 2 AFG ausschließen (BSGE 48, 277, 281 = SozR 4100 § 141b Nr 12; BSGE 70, 9, 11 = SozR 3–4100 § 141b Nr 3; Gagel, AFG, § 141b RdNr 25). Nach den eigenen Feststellungen des LSG war aber Zeitpunkt der vollständigen Beendigung der Betriebstätigkeit der 30. Juni 1996, so daß dieser Zeitpunkt als Eintritt der Zahlungsunfähigkeit in Betracht kommt. Das weitere Tatbestandsmerkmal des § 141b Abs 3 Nr 2 AFG, den Umstand, ob ein Konkursverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt, hat das LSG – nach seiner Rechtsansicht folgerichtig – offengelassen. Das Urteil ist – da der Rechtsstreit auch nicht unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt abschließend zu entscheiden ist – mit den ihm zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).
Bei der weiteren Sachbehandlung wird das LSG zu beachten haben, daß die Notgeschäftsführerin L. in einem Fragebogen der BA am 19. Juli 1996 angegeben hat, die vorhandene Masse reiche nicht aus, um die mutmaßlichen Verfahrenskosten abzudecken. Diese Einschätzung legen auch die Feststellungen des Konkursgerichts im Beschluß vom 19. Juli 1996 nahe. Da die Arbeitgeberin seit Mai 1996 keine Löhne mehr gezahlt hat, spricht auch dies dafür, daß ein Konkursverfahren schon zum Zeitpunkt der Betriebsstillegung offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht gekommen ist. Der erwähnte Fragebogen gibt noch zu einer weiteren Bemerkung Anlaß. Die BA hat die Frage nach der Betriebseinstellung nicht mit einem (interpretierbaren) Rechtsbegriff gestellt, sondern sie zu einer der Rechtsprechung des BSG entsprechenden Sachfrage aufgeschlüsselt (vgl BSGE 52, 40, 41 = SozR 4100 § 141b Nr 19; zur Notwendigkeit im Interesse der Sachaufklärung nicht Rechtsbegriffe zu verwenden, die möglicherweise von den Befragten nicht mit ihrem besonderen rechtlichen Gehalt erfaßt werden, allgemein: BSGE 64, 233, 236 f = SozR 4100 § 145 Nr 4). In diesem Fragebogen ist als Tag der Betriebseinstellung der 29. Mai 1996 angegeben. Der 30. Juni 1996 war ein Sonntag. Bei der Frage der Einstellung der Betriebstätigkeit ist zu beachten, daß diese je nach dem Gegenstand des Betriebs unterschiedlich ausfallen kann, weil sie am Betriebszweck auszurichten ist. Durch die erwähnte Rechtsprechung des BSG ist geklärt, daß „reine” Abwicklungs-, Liquidations- oder erhaltende Arbeiten, die nicht dem Betriebszweck dienen, einer Betriebseinstellung iS des § 141b Abs 3 Nr 2 AFG nicht entgegenstehen (BSGE 52, 40, 41 = SozR 4100 § 141b Nr 19). Bei einem Vergleich der Auskunft der Notgeschäftsführerin vom 19. Juli 1996 mit der präzisen Fragestellung und den Vorgängen im November 1996, bei denen klare begriffliche Einstellungen über das, was eine Betriebseinstellung ausmacht, nicht deutlich werden, ist nicht auszuschließen, daß der Betrieb der Arbeitgeberin mit auf den Betriebszweck „Baumaschinenverleih” gerichteten Arbeiten schon wesentlich früher eingestellt worden ist und in der Folgezeit nur noch Abwicklungsarbeiten verrichtet wurden. Unter Umständen stellte sich die vom LSG aufgeworfene Rechtsfrage nicht.
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
Fundstellen
DZWir 2001, 324 |
info-also 2001, 100 |