Leitsatz (amtlich)
1. KrFristenablaufG § 2 S 1 regelt die Fälle, in denen vor dem Inkrafttreten des KFG 1952-11-16 noch kein Bewilligungsbescheid ergangen ist, S 3 die Fälle, in denen zu diesem Zeitpunkt schon ein Bewilligungsbescheid vorgelegen hat.
2. Die Frist des KrFristenablaufG § 2 S 1 gilt für den Antrag auf Bewilligung der Hinterbliebenenrente, die des Satzes 3 für den Antrag auf Neufeststellung der Hinterbliebenenrente.
3. Der Rentenbeginn kann im Falle des KrFristenablaufG § 2 S 3 nur dann auf den Sterbemonat vorverlegt werden, wenn der Antrag auf Bewilligung der Hinterbliebenenrente innerhalb der Frist des Satzes 1 gestellt worden ist.
Normenkette
KrFrHemmSV/AVG § 2 S. 1 Fassung: 1955-07-26; RVO § 1286 Abs. 1 Fassung: 1952-11-13; AVG § 41 Abs. 1 Fassung: 1934-05-17; KrFrHemmSV/AVG § 2 S. 3 Fassung: 1955-07-26
Tenor
Die Revision der Klägerinnen gegen das Urteil des Landessozialgerichts ... vom 23. Mai 1955 wird zurückgewiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
I.
Die Klägerin zu 1) ist die Witwe, die Klägerin zu 2) das minderjährige Kind des Schirrmeisters .... Dieser ist vor seiner Einberufung zur Wehrmacht im Jahre 1937 kaufmännischer Angestellter gewesen. Seit 14. April 1950 ist er rechtskräftig für tot erklärt. Als Zeitpunkt des Todes ist der 31. August 1944 festgestellt.
Am 12. März 1953 beantragten die Klägerinnen Hinterbliebenenrente. Mit Schreiben vom 11. Mai 1953 beantragten sie "zusätzlich", ihnen die Rente vom Zeitpunkt des Todes des Versicherten an zu gewähren. Die Landesversicherungsanstalt (LVA) ... bewilligte ihnen mit Bescheid vom 22. Juni 1953 vom 1. April 1953 an eine Witwenrente von 46,80 DM und eine Waisenrente von 32,10 DM monatlich. Den Antrag, die Rente vom Zeitpunkt des Todes des Versicherten an zu zahlen, lehnte sie durch Bescheid vom 19. November 1953 ab: Nach § 2 S. 1 des Kriegsfristengesetzes (KFG) vom 13. November 1952, BGBl.I S.737, beginne die Hinterbliebenenrente nur dann mit Ablauf des Sterbemonats, wenn der Erstantrag auf eine Leistung aus der Rentenversicherung spätestens bis zum Ende des auf die Todeserklärung folgenden Kalenderjahres - 31. Dezember 1951 - gestellt worden sei; dies sei nicht geschehen, so daß die Rente erst mit Ablauf des Antragsmonats - 1. April 1953 - beginne.
Auf den "Einspruch" der Klägerinnen hob das Sozialgericht (SG) ... durch Urteil vom 29. Oktober 1954 den Bescheid der LVA vom 19. November 1953 auf und verurteilte die Beklagte, den Beginn der Hinterbliebenenrenten auf den 1. September 1944 vorzuverlegen: Bei wörtlicher Anwendung des § 2 KFG habe die Beklagte den Rentenbeginn zwar richtig festgesetzt. Sinn und Zweck dieser Vorschrift zwinge aber zur Auslegung, daß durch ihren Satz 3 eine allgemeine Bereinigungsfrist bis 30. Juni 1953 für die Vorverlegung des Rentenbeginns gesetzt worden sei; diese Frist hätten die Klägerinnen eingehalten. Die Antragsfrist des Satzes 1 sei auf die nach dem 30. Juni 1953 gestellten Erstanträge auf eine Rente beschränkt.
Der vom Sozialgericht zugelassenen Berufung der Beklagten gab das Landessozialgericht (LSG) ... durch Urteil vom 23. Mai 1955, zugestellt am 3. August 1955, statt; es hob das Urteil des SG auf und wies die Klage ab: Nach § 1286 der Reichsversicherungsordnung (RVO) beginne die Rente grundsätzlich mit dem Ablauf des Antragsmonats. Hiervon habe § 2 KFG für die Hinterbliebenen von Soldaten eine Ausnahme gemacht; danach beginne die Hinterbliebenenrente bereits mit dem Ablauf des Sterbemonats, wenn der Antrag spätestens bis zum Ende des auf die Todeserklärung folgenden Kalenderjahres gestellt werde. Diese Frist hätten die Klägerinnen versäumt; der Rentenbeginn sei demnach mit Recht auf den 1. April 1953 festgesetzt worden. Daran ändere auch nichts die Behauptung der Klägerinnen, es sei ihnen vor Antragstellung unbekannt gewesen, daß sie einen Rentenanspruch hätten; § 2 KFG enthalte keine Sonderregelung für eine verspätete Antragstellung ohne Verschulden. Der Gesetzgeber habe zur Vermeidung von Härten nur die Sätze 3 und 4 in § 2 KFG aufgenommen, deren Voraussetzungen hier jedoch nicht gegeben seien; Satz 3 könne nicht dahin ausgelegt werden, daß die Rente mit Ablauf des Sterbemonats beginne, wenn nur bis 30. Juni 1953 überhaupt ein Antrag auf Gewährung von Hinterbliebenenrente gestellt worden sei. Die Revision wurde vom LSG zugelassen.
Die Klägerinnen legten am 8. August 1955 Revision ein und beantragten, unter Aufhebung des Urteils des LSG die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG ... vom 29. Oktober 1954 zurückzuweisen. Sie begründeten die Revision am 12. August und 22. Oktober 1955: § 2 S.1 KFG, das am 16. November 1952 in Kraft getreten sei, habe zukunftsweisende Bedeutung; das SG sei daher zutreffend davon ausgegangen, daß die dort genannte Antragsfrist nur für die nach dem 30. Juni 1953 gestellten Rentenanträge gelte, während auf die Anträge vorher Satz 3 anzuwenden sei. Dies ergebe sich aus der Rechtslage vor dem Inkrafttreten des KFG sowie aus dessen Sinn und Zweck. Das LSG habe bei seiner Entscheidung übersehen, daß es von den Hinterbliebenen die Beachtung einer Frist verlange, die bei Erhalt der Todesnachricht bzw. der Todeserklärung noch gar nicht bestanden habe; eine rückwirkende Kraft könne dem KFG nicht zugesprochen werden.
Die Beklagte beantragte, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Sie machte sich die Ausführungen des LSG zu eigen. Fürsorglich trug sie vor, die Hinterbliebenenrenten könnten jedenfalls nicht vor dem 1. April 1952 beginnen, weil hier das Fremd- und Auslandsrentengesetz vom 7. August 1953 zur Anwendung komme, wonach die Renten frühestens vom 1. April 1952 an zu gewähren seien.
II.
1.) Die Revision ist statthaft, form- und fristgerecht eingelegt und begründet (§§ 162 Abs.1 Nr.1, 164 SGG). Sie ist deshalb zulässig (§ 169 SGG).
2.) Die Revision ist aber nicht begründet.
a) Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt von der Auslegung des § 2 KFG ab. Diese Vorschrift ist am 16. November 1952 in Kraft getreten; sie hat in der vom 1. Juli 1953 an geltenden Fassung des Änderungsgesetzes vom 26. Juli 1955 (BGBl.I S.457) folgenden Wortlaut:
"Die Renten an Hinterbliebene von Versicherten, die während des Krieges in Ausübung von Kriegs-, Sanitäts- oder ähnlichen dem Deutschen Reich geleisteten Diensten ... gestorben sind, beginnen abweichend von § 1286 RVO mit dem Ablauf des Sterbemonats, sofern der Antrag vor Ablauf des Kalenderjahres gestellt wird, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Hinterbliebenen die Todesnachricht erhalten haben oder das auf den Eintritt der Rechtskraft der Todeserklärung folgt. Der Todeserklärung steht die gerichtliche Feststellung des Todes gleich.
Sind Renten bisher abweichend hiervon festgestellt worden, so sind sie auf Antrag neu festzustellen, wenn dieser bis zum 31. Dezember 1955 gestellt wird. Das gleiche gilt, wenn ein Antrag auf Rentengewährung abgelehnt oder nicht gestellt worden ist, weil die Voraussetzungen für die Rentengewährung nach Eintritt des Versicherungsfalles weggefallen sind."
Die Auslegung dieser Vorschrift ist in Rechtsprechung und Schrifttum umstritten. Sie wird wesentlich durch die Regelung des Rentenbeginns vor ihrem Inkrafttreten beeinflußt, weil sich daraus wichtige Hinweise für Sinn und Zweck der Vorschrift ergeben. Es ist daher erforderlich, zunächst auf die Rechtslage vor Inkrafttreten des KFG einzugehen.
b) Vor dem zweiten Weltkrieg begann die Hinterbliebenenrente mit Ablauf des Sterbemonats, wenn sie bis zum Ende des folgenden Kalendermonats beantragt wurde; wurde sie später beantragt, dann begann sie mit Ablauf des Antragsmonats (§§ 41 Abs.1 AVG, 1286 Abs.1 RVO). Diese Regelung ging davon aus, daß die Hinterbliebenen vom Tode des Versicherten regelmäßig sofort Kenntnis erlangen und daher durch eine rechtzeitige Antragstellung dafür sorgen können, daß ihnen die Rente vom Ablauf des Sterbemonats an gewährt wird. Sie war für die Kriegszeit insofern unbefriedigend, als viele Hinterbliebene von Kriegsteilnehmern den Tod eines Versicherten erst lange Zeit später erfuhren; daher bestimmte § 22 des Gesetzes über weitere Maßnahmen in der Reichsversicherung aus Anlaß des Krieges vom 15. Januar 1941 (RGBl.I S.34), daß die Hinterbliebenenrenten abweichend von § 1286 RVO mit Ablauf des Sterbemonats beginnen, wenn ihre Gewährung vor Ablauf des auf das Kriegsende folgenden Kalenderjahres beantragt wird und der Versicherte nach dem 25. August 1939 gestorben ist. Diese Vorschrift wurde nach Kriegsende in Bayern, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern aufgehoben (§ 2 des Bayer. Ges. Nr.7 vom 27.11.1945, GVOBl.1946 S.19; § 3 des Württ.-Bad. Ges. Nr.76 vom 12.1.1948, Reg.Bl.1948 S.11; § 3 des Ges. von Württ.-Hohenzollern vom 6.8.1948, Reg.Bl.1948 S.89), so daß in diesen Ländern nur noch die Vorschrift des § 1286 RVO galt. Die dadurch den Kriegshinterbliebenen drohenden Nachteile wurden nur teilweise durch die Bestimmung vermieden, daß die Rente auch dann mit Ablauf des Sterbemonats beginnt, wenn die verspätete Antragstellung "unverschuldet" war (§ 1 der gen. Ländergesetze). In Hessen und Bremen, in Südbaden und Rheinland-Pfalz galt die Vorschrift des § 22 des Gesetzes vom 15. Januar 1941 unverändert weiter; trotzdem brachte die unterschiedliche Auffassung der Verwaltung und Rechtsprechung über den Zeitpunkt des Kriegsendes auch hier für die Hinterbliebenen von Kriegsteilnehmern erhebliche Nachteile. In den Ländern der ehemaligen britischen Besatzungszone bestimmte die SVA Nr.10 vom 24. Juni 1947 (Arb.Bl. f.d.brit. Zone 1947 S.234), daß als Tag des Kriegsendes der 31. Dezember 1946 gilt; dies hatte zur Folge, daß die Kriegshinterbliebenen die Rente nach den §§ 41 Abs.1 AVG, 1286 Abs.1 RVO auch dann erst vom Ablauf des Antragsmonats an erhielten, wenn ihnen der Tod des Versicherten nach dem 31. Dezember 1947 mitgeteilt oder zur Gewißheit wurde.
c) Diese unterschiedliche und teilweise unbillige Regelung des Rentenbeginns hat die Vorschrift des § 2 KFG beseitigt. Sie will nach Entstehungsgeschichte und Zweck verhindern, daß die Hinterbliebenen von Kriegsteilnehmern, die infolge zu späten Eingangs der Todesnachricht die Rente nicht rechtzeitig beantragen konnten oder können, hinsichtlich des Beginns ihrer Rente schlechter gestellt werden als die Hinterbliebenen, die zur rechtzeitigen Antragstellung in der Lage waren oder sind, weil sie vom Tode des Versicherten alsbald Kenntnis erlangt haben oder erlangen (ebenso Begründung der Bundesregierung zu § 2 des Gesetzentwurfs, Verhandlungen des Deutschen Bundestags Wahlperiode 1949 Drs. 3597). § 2 KFG hat nicht ganz allgemein die Aufgabe, den Hinterbliebenen, von denen der Rentenantrag aus anderen Gründen (z.B. wegen Unkenntnis der Versicherung des Verstorbenen oder des Erfordernisses eines rechtzeitigen Antrags, wegen falscher Auskunft über das Versicherungsverhältnis oder wegen Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Unterlagen) nicht rechtzeitig gestellt worden ist, einen früheren Rentenbeginn zu verschaffen.
Nach Zweck und Wortlaut des § 2 KFG regelt Satz 1 die Fälle, in denen vor dem Inkrafttreten des KFG - 16.11.1952 - noch kein Bewilligungsbescheid ergangen ist, und Satz 3 die Fälle, in denen zu diesem Zeitpunkt schon ein Bewilligungsbescheid vorgelegen hat; während in Satz 1 von einer Rentenfeststellung keine Rede ist, spricht Satz 3 von Renten, die "bisher abweichend hiervon (von Satz 1) festgestellt worden sind". Die Formulierung in Satz 1 "sofern der Antrag (auf Rente) vor Ablauf des Kalenderjahres gestellt wird" - statt "gestellt worden ist oder gestellt wird" - ist offenbar ein Redaktionsversehen (ebenso im Ergebnis das Bayer.LSG, Entsch. vom 15.6.1954, Breithaupt 1954 S.1129; OVA Hannover, Entsch. vom 24.7.1953, Breithaupt 1954 S.34; OVA Württ.-Hohenzollern, Entsch. vom 22.9.1953, Breithaupt 1954 S.219; Seitz, Probleme des Rentenbeginns in der gesetzlichen Rentenversicherung der Kriegshinterbliebenen, Die Sozialversicherung 1954 S.224; Lippert, Zur Auslegung des § 2 KFG, Die Sozialversicherung 1955 S.67).
d) Im vorliegenden Fall war vor dem Inkrafttreten des KFG ein Bewilligungsbescheid noch nicht ergangen; es kommt demnach die Vorschrift des § 2 Satz 1 KFG zur Anwendung. Danach ist die Hinterbliebenenrente nur dann vom Ablauf des Sterbemonats an zu gewähren, wenn sie spätestens bis zum Ende des auf die Todesnachricht oder die rechtskräftige Todeserklärung folgenden Kalenderjahres beantragt worden ist oder wird. Ein Antrag bis Ablauf der in Satz 3 genannten Frist - 31.12.1955 - genügt nicht. Satz 1 und 3 regeln verschiedene Tatbestände und enthalten verschiedene Fristen. Die Frist von Satz 1 gilt für den Antrag auf Bewilligung der Hinterbliebenenrente, die in Satz 3 für den Antrag auf Neufeststellung einer schon bewilligten Hinterbliebenenrente. Auch bei bereits festgestellten Renten ist aber die Vorverlegung des Rentenbeginns auf den Sterbemonat davon abhängig, daß der Antrag auf Bewilligung der Rente innerhalb der Frist des Satzes 1 gestellt worden ist. Dies folgt schon aus dem Wortlaut des Satzes 3; "abweichend von Satz 1" ist die Rente nur dann festgestellt, wenn sie vom Antragsmonat an beginnt, obwohl sie innerhalb der Frist des Satzes 1 beantragt worden ist (ebenso das Bayer. LSG a.a.O.; LSG Bad.-Württ., Entsch. vom 24.11.1954, Sozialrechtliche Entscheidungssammlung Bd.2 V § 1286 Nr. 15; LSG Nordrhein-West., Entsch. vom 7.12.1955, Az. LS III AV 186/55; OVA Hannover, a.a.O.; OVA Württ.-Hohenzollern, a.a.O.; Seitz, a.a.O.).
Der Ehemann und Vater der Klägerinnen ist seit 14. April 1950 rechtskräftig für tot erklärt; die Rente ist nicht bis zum Ende des auf die Todeserklärung folgenden Kalenderjahres - 31.12.1951 -, sondern erst am 12.3.1953 beantragt worden. Die Antragsfrist des § 2 Satz 1 KFG ist versäumt; nach § 1286 RVO beginnt deshalb die Rente am 1. April 1953. Bei dieser Rechtslage erübrigt es sich, auf die fürsorglichen Ausführungen der Beklagten, die Rente beginne nach dem Fremd- und Auslandsrentengesetz frühestens am 1. April 1952, einzugehen.
e) Das angefochtene Urteil läßt hiernach eine Rechtsverletzung nicht erkennen; die Revision ist deshalb als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs.1 SGG). Kosten sind nicht zu erstatten (§ 193 Abs.4 SGG).
Fundstellen