Leitsatz (amtlich)
KrFristenablaufG § 2 S 4 regelt Fälle, in denen die Hinterbliebenenrente vor Verkündung des KrFristenablaufG vom 1952-11-13 nicht beantragt worden ist, weil die - beim Eintritt des Versicherungsfalls vorhandenen - Voraussetzungen für die Rentengewährung bis zum Ablauf des auf die Todesnachricht oder Todeserklärung folgenden Kalenderjahres weggefallen sind und deshalb ein Rentenantrag keinen Erfolg gehabt hätte.
Leitsatz (redaktionell)
Auch in den Fällen des KrFristenablaufG § 2 S 3 kann der Rentenbeginn nur dann auf den Sterbemonat vorverlegt werden, wenn der Antrag auf Bewilligung der Hinterbliebenenrente vor Ablauf der Frist des S 1 gestellt worden ist. Diese Frist ist den Hinterbliebenen nicht durch das KrFristenablaufG nachträglich gesetzt worden; es handelt sich vielmehr um eine Folge, die aus der Lage und dem Verhalten der Hinterbliebenen gezogen wird.
Normenkette
KrFrHemmSV/AVG § 2 Sätze 4, 1
Tenor
Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Landessozialgerichts Schleswig vom 7. Juni 1955 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Die Kläger sind die Witwe und der Minderjährige Sohn des Stabswachtmeisters W K Dieser hat der Angestelltenversicherung (AV) angehört. Er ist im April 1945 in einem russischen Kriegsgefangenenlager gestorben. Sein Tod ist den Klägern seit 1948 bekannt.
Sie stellten im Juni 1953 den Antrag, ihnen Hinterbliebenenrenten zu gewähren und den Beginn nach § 2 des Kriegsfristengesetzes ( KriegsfristenG ) auf den 1. Mai 1945 festzusetzen. Die Landesversicherungsanstalt (LVA.) Schleswig-Holstein, die damals die Aufgaben der AV wahrnahm, bewilligte die Renten nur vom 1. Juli 1953 an, dem Monat nach Ablauf des Antragsmonats: Nach § 2 Satz 1 KriegsfristenG begännen die Renten dann mit Ablauf des Sterbemonats, wenn der Antrag bis zum Ende des auf die Todesnachricht folgenden Kalenderjahres gestellt worden sei. Dies sei hier nicht geschehen (Bescheid vom 23.11.1953). Das Sozialgericht Schleswig verurteilte die Beklagte, die inzwischen an die Stelle der LVA. Schleswig-Holstein getreten ist, zur Zahlung der Hinterbliebenenrenten vom 1. Mai 1945 an: Die Kläger hätten die Todesnachricht bereits vor dem Inkrafttreten des KriegsfristenG erhalten. Es komme daher nicht § 2 Satz 1, sondern § 2 Satz 3 KriegsfristenG zur Anwendung. Danach beginne die Hinterbliebenenrente mit Ablauf des Sterbemonats, wenn der Antrag bis zum 30. Juni 1953 gestellt worden sei. Diese Voraussetzung liege vor. - Das Sozialgericht ließ die Berufung zu (Urteil vom 27.7.1954). Das Landessozialgericht Schleswig hob die Entscheidung auf und wies die Klage ab: Die Hinterbliebenenrente beginne nur dann mit Ablauf des Sterbemonats, wenn der erstmalige Antrag bis zum Ende des auf die Todesnachricht folgenden Kalenderjahres gestellt worden sei (§ 2 Satz 1 KriegsfristenG ). Satz 3 gelte nur für die Fälle, in denen der Rentenbeginn vor dem Inkrafttreten des KriegsfristenG abweichend hiervon festgestellt worden sei. Der Bescheid der LVA. Schleswig-Holstein sei daher nicht zu beanstanden. - Das Landessozialgericht ließ die Revision zu (Urteil vom 7.6.1955).
Die Kläger legten gegen das am 19. Juli 1955 zugestellte Urteil am 1. August 1955 Revision ein und begründeten sie am 13. August 1955. Sie beantragten, das Urteil des Landessozialgerichts aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts zurückzuweisen: § 2 Satz 1 KriegsfristenG stehe in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit den Sätzen 3 und 4. Die in Satz 1 genannte Antragsfrist gelte nur für Versicherungsfälle, die nach Inkrafttreten des KriegsfristenG eingetreten seien. Für die vorher eingetretenen Versicherungsfälle gelte Satz 3. Dies ergebe sich aus der Entstehungsgeschichte, dem Wortlaut und dem Zweck des § 2 KriegsfristenG . Das Landessozialgericht habe bei seiner Entscheidung übersehen, daß es von den Hinterbliebenen die Beachtung einer Frist verlange, die beim Eingang der Todesnachricht noch nicht bestanden habe. Eine rückwirkende Kraft könne dem KriegsfristenG nicht zugemessen werden. Die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 8. Mai 1956 - Sozialrecht zu § 2 KriegsfristenG Aa 1 - müsse Widerspruch hervorrufen. Die Hinterbliebenenrenten begännen daher am 1. Mai 1945. Dies ergebe sich auch aus § 2 Satz 4 KriegsfristenG . Beim Eingang der Todesnachricht im Jahre 1948 sei für die britische Zone die Sozialversicherungsdirektive (SVD) Nr. 27 in Kraft gewesen. Danach habe beim Zusammentreffen einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung mit einer Kriegsrente nur die höhere Rente ausgezahlt werden dürfen. Die Klägerin hätte die höhere Kriegswitwenrente erhalten. Die Voraussetzungen für die Hinterbliebenenrenten aus der AV seien daher weggefallen gewesen.
Die Beklagte beantragte, die Revision zurückzuweisen. Sie machte sich im wesentlichen die Ausführungen im angefochtenen Urteil zu eigen.
Die Revision ist zulässig, aber unbegründet.
Das Begehren der Kläger auf Vorverlegung des Rentenbeginns stützt sich auf § 2 KriegsfristenG . Diese Vorschrift bestimmt u. a.: Renten an Hinterbliebene von Kriegsteilnehmern und Internierten beginnen mit Ablauf des Sterbemonats, sofern der Antrag vor Ablauf des auf die Todesnachricht oder Todeserklärung folgenden Kalenderjahres gestellt wird (Satz 1); sind Renten bisher abweichend hiervon festgestellt worden, so sind sie neu festzustellen, wenn dies bis zum 31. Dezember 1955 beantragt wird (Satz 3). Hierzu hat der Senat in seinem Urteil vom 8. Mai 1956 - Sozialrecht a. a. O. - ausgeführt, nach der Entstehungsgeschichte, dem Zweck und Wortlaut der Vorschrift regele Satz 1 die Fälle, in denen vor dem Inkrafttreten des KriegsfristenG - 16. November 1952 - noch kein Bewilligungsbescheid ergangen sei, Satz 3 die Fälle, in denen zu diesem Zeitpunkt schon ein Bewilligungsbescheid vorgelegen habe; Satz 1 gelte daher für den Antrag auf Bewilligung der Hinterbliebenenrente, Satz 3 für den Antrag auf Neufeststellung einer schon bewilligten Hinterbliebenenrente; jedoch sei auch bei bereits festgestellten Renten die Vorverlegung des Rentenbeginns auf den Sterbemonat davon abhängig, daß der Antrag auf Bewilligung der Rente bis zum Ende des auf die Todesnachricht oder Todeserklärung folgenden Kalenderjahres gestellt worden sei. Diese Rechtsprechung hält der Senat - nach erneuter Beratung - aufrecht. Die Kritik der Kläger ist nicht begründet. Während in Satz 1 der umstrittenen Vorschrift von einer Rentenfeststellung keine Rede ist, erwähnt Satz 3 nur Renten, die "bisher" abweichend von Satz 1 "festgestellt worden sind". Dieser Wortlaut spricht für die Auffassung des Senats. Sie wird auch durch die Entstehungsgeschichte und den Sinn des § 2 KriegsfristenG bestätigt. Vor dem zweiten Weltkrieg begann eine Hinterbliebenenrente mit Ablauf des Sterbemonats, wenn sie bis zum Ende des folgenden Kalendermonats beantragt wurde; wurde sie später beantragt, dann begann sie mit Ablauf des Antragsmonats (§§ 41 Abs. 1 AVG a. F., 1286 Abs. 1 RVO a. F.). Diese Regelung ging davon aus, daß die Hinterbliebenen vom Tode des Versicherten regelmäßig alsbald Kenntnis erlangen, so daß ihnen zugemutet werden kann, den Rentenantrag bis zum Ablauf des auf den Todesmonat folgenden Kalendermonats zu stellen oder bei späterem Antrag einen späteren Rentenbeginn in Kauf zu nehmen. Sie war für die Kriegs- und Nachkriegszeit jedoch unbefriedigend, weil die Hinterbliebenen von Kriegsteilnehmern den Tod des Versicherten oft erst sehr viel später erfuhren. Die Renten konnten dann infolge der späten Antragstellung erst längere Zeit nach dem Versicherungsfall beginnen. Diese Unbilligkeit hat - von Übergangsregelungen während des Krieges abgesehen - § 2 KriegsfristenG beseitigt. Diese Vorschrift will verhindern, daß die Kriegshinterbliebenen nur wegen des späten Eingangs der Todesnachricht und des dadurch verzögerten Rentenantrags hinsichtlich des Rentenbeginns schlechter gestellt werden als andere Hinterbliebene (ebenso Begründung der Bundesregierung zu § 2 des Gesetzentwurfs, Verhandlungen des Deutschen Bundestags, Wahlperiode 1949 Drs. 3597). Sie hat nicht ganz allgemein den Zweck, den Hinterbliebenen, die den Rentenantrag aus anderen Gründen (z. B. wegen Unkenntnis der Versicherung des Verstorbenen oder des Erfordernisses eines Antrags, wegen unrichtiger Auskunft über das Versicherungsverhältnis oder wegen Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Unterlagen) nicht alsbald gestellt haben, einen früheren Rentenbeginn zu verschaffen. Das Gesetz hat der besonderen Lage der Kriegshinterbliebenen weiter dadurch Rechnung getragen, daß es den Rentenantrag auch dann noch als durch die späte Todesnachricht verzögert behandelt wissen will, wenn er in dem auf diese folgenden Kalenderjahr gestellt wird. Es handelt sich hierbei - entgegen der Auffassung der Kläger - nicht um eine "Frist", die den Hinterbliebenen gesetzt worden ist und innerhalb derer sie von einer erst durch das KriegsfristenG neu eingeräumten Möglichkeit Gebrauch machen können, wie z. B. in den Fällen des § 2 Satz 3 KriegsfristenG ; es handelt sich vielmehr um eine Folge, die aus ihrer Lage und ihrem Verhalten gezogen wird. Der Senat hat daher in seinem oben erwähnten Urteil angenommen, daß die Fassung des Satzes 1 "sofern der Antrag vor Ablauf des Kalenderjahres gestellt wird" - statt "gestellt worden ist oder gestellt wird" - eine sprachliche Ungenauigkeit sein muß. Anders liegt es bei den Fällen des § 2 Satz 3 KriegsfristenG . In diesen Fällen haben die Hinterbliebenen schon vor dem Inkrafttreten des Gesetzes gehandelt und beziehen eine Rente von dem durch die allgemeinen Vorschriften bestimmten Tage an. Für den Antrag auf Neufeststellung mit günstigerem Rentenbeginn hat das Gesetz eine erst von seinem Inkrafttreten an laufende Frist vorgesehen. Auch hier hängt dieser Rentenbeginn davon ab, wann die Hinterbliebenen die Renten nach dem Eingang der Todesnachricht beantragt haben. Diese Auslegung des § 2 KriegsfristenG (vgl. BSG. a. a. O.) verlangt von den Klägern nicht die Beachtung einer "Frist", die es beim Eingang der Todesnachricht noch nicht gab. Beim Erhalt der Todesnachricht konnten - und mußten - die Hinterbliebenen die Renten beantragen (§§ 41 AVG a. F., 1286 RVO a. F.). Für diesen Antrag war zwar keine Frist gesetzt, wohl aber richtete sich der Beginn der Rente nach dem Zeitpunkt des Antrags.
Die Kläger haben seit 1948 Kenntnis von dem Tode des Versicherten, die Renten aber erstmalig im Juni 1953 beantragt. Ihre Renten beginnen nach § 2 Satz 1 und 3 KriegsfristenG am 1. Juli 1953. Für eine Verlegung des Rentenbeginns auf Grund des § 2 Satz 4 KriegsfristenG fehlen die Voraussetzungen. Nach Satz 4 "gilt das gleiche" - wie in Satz 3 - "wenn ein Antrag auf Rentengewährung nicht gestellt worden ist, weil die Voraussetzungen für die Rentengewährung nach Eintritt des Versicherungsfalls weggefallen sind." Die Vergünstigung des Satzes 4 geht nicht weiter als die in den Fällen des Satzes 1. Sie trifft nach ihrem Sinn und Wortlaut die Kriegshinterbliebenen, die bei alsbaldiger Antragstellung nach dem Tode des Versicherten die Renten vom Sterbemonat an erhalten hätten, weil damals die Voraussetzungen für die Rentengewährung an Hinterbliebene vorlagen, die aber nach dem Eingang der Todesnachricht oder der Todeserklärung diese Rente nicht beantragt haben, weil vorher oder innerhalb der Frist des Satzes 1 die Voraussetzungen für die Rentengewährung weggefallen sind, so daß ein Rentenantrag zwecklos gewesen wäre. Diese Kriegshinterbliebenen sollen - wenn sie den Antrag bis 31. Dezember 1955 nachgeholt haben - so gestellt werden wie die Hinterbliebenen, die vor Wegfall der Rentenvoraussetzungen vom Tode des Versicherten Kenntnis erlangt und daher auch die Rente beantragt haben. Ihnen sollen die Hinterbliebenenrenten vom Ablauf des Sterbemonats bis zum Ablauf des Monats, in dem ihre Voraussetzungen weggefallen sind, nachgezahlt werden. § 2 Satz 4 KriegsfristenG setzt voraus, daß die Hinterbliebenenrente vor Verkündung des KriegsfristenG nicht beantragt worden ist, weil die Voraussetzungen für die Rentengewährung nach Eintritt des Versicherungsfalles und vor Ablauf des auf die Todesnachricht oder Todeserklärung folgenden Kalenderjahres weggefallen sind und daher ein Rentenantrag keinen Erfolg gehabt hätte (dies ist z. B. der Fall, wenn in der Invalidenversicherung eine Kriegerwitwe beim Tod ihres Mannes im Jahre 1943 invalide, beim Eingang der Todesnachricht im Jahre 1947 aber nicht mehr invalide war; vgl. § 1256 Abs. 1 RVO in der bis zum 1. Juni 1949 geltenden Fassung). Das Gesetz bestimmt zwar nicht ausdrücklich, was gelten soll, wenn nach dem Wegfall der Voraussetzungen für die Rentengewährung diese Voraussetzungen vor dem Inkrafttreten des KriegsfristenG längst wieder eingetreten sind und der Berechtigte trotzdem keinen Antrag gestellt hat. Es widerspricht aber dem Zweck des Gesetzes, in solchem Fall die Hinterbliebenen günstiger zu stellen als in den Fällen des Satzes 1. Denn daß nach dem Wegfall des Hindernisses für die Rentengewährung der Antrag nicht gestellt worden ist, beruht nicht mehr auf dem doch nur vorübergehenden Wegfall der Voraussetzungen für die Rentengewährung. Es kann im vorliegenden Rechtsstreit dahingestellt bleiben, ob die Hinterbliebenenrente der Klägerin aus der AV wegen des Bezugs der Hinterbliebenenrente nach der SVD Nr. 27 geruht hätte und ob das Ruhen einer Rente überhaupt den Wegfall der Voraussetzungen für ihre Gewährung bewirkt. Vom 1. Oktober 1950 an ist das Bundesversorgungsgesetz vom 20. Dezember 1950 in Kraft. Dieses enthält keine entsprechende Ruhensvorschrift. Es ordnet vielmehr an, daß neben der Kriegshinterbliebenenrente auch die Hinterbliebenenrente aus der AV zu gewähren ist (§ 87). Die Kläger konnten daher vom 20. Dezember 1950 an - also lange vor Verkündung des KriegsfristenG - mit Erfolg Hinterbliebenenrenten beantragen. Ihr Rentenantrag ist also nicht deshalb vor Verkündung des KriegsfristenG unterblieben, weil die Voraussetzungen für die Rentengewährung weggefallen waren. § 2 Satz 4 KriegsfristenG ist nicht anwendbar.
Die Revision der Kläger ist deshalb unbegründet; sie war daher zurückzuweisen. Kosten sind nicht zu erstatten (§§ 170, 193 SGG).
Fundstellen