Leitsatz (amtlich)

Ein Hirnbeschädigter kann eine Pflegezulage ohne Nachweis von Hilflosigkeit nach BVG § 35 Abs 1 S 4 nicht beanspruchen, sofern er nur wegen zusätzlicher Berücksichtigung einer Entstellung, die durch eine Hautplastik über einer Schädelknochenlücke verursacht wird, erwerbsunfähig ist. Die unzureichende künstliche Gehirnabdeckung kann aber teilweise der "Hirnbeschädigung" zuzurechnen sein.

 

Normenkette

BVG § 35 Abs 1 S 4 Fassung: 1966-12-28

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 20.04.1979; Aktenzeichen L 11 V 1222/78)

SG Ulm (Entscheidung vom 19.04.1978; Aktenzeichen S 5 V 389/77)

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt eine Pflegezulage. Schädigungsfolgen sind bei ihm Granatsplitterverletzung des Schädels mit handtellergroßer Trepanationslücke, linksseitige Hirnverletzung und traumatische Wesensänderung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) anerkannt. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) wurde anfangs mit 70 vH bewertet (Bescheide vom 6. August 1951 und vom 24. November 1953), seit 1965 um 10 vH wegen besonderen beruflichen Betroffenseins (§ 30 Abs 2 BVG) erhöht (Bescheid vom 25. Februar 1965), sodann durch Zugunstenbescheid auf 80 vH nach § 30 Abs 1 und insgesamt auf 90 vH festgestellt; dabei wurden 30 vH wegen einer Gesichtsentstellung mitberücksichtigt (Bescheid vom 11. September 1974). Nachdem ein Antrag auf Neufeststellung wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse abgelehnt worden war (Bescheid vom 12. September 1974, Widerspruchsbescheid vom 24. Juli 1975), gewährte der Beklagte im nachfolgenden Rechtsstreit durch Anerkenntnis dem Kläger die Rente eines Erwerbsunfähigen, wobei die Trepanationslücke mit einer Teil-MdE von 30 bis 40 vH bewertet wurde.

Im Ausführungsbescheid vom 13. Juli 1976 lehnte das Versorgungsamt eine Pflegezulage ab. Das Sozialgericht (SG) sprach dem Kläger eine solche Leistung nach der Stufe I zu (Urteil vom 19. April 1978). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 20. April 1979): Dem Kläger stehe als erwerbsunfähigem Hirnbeschädigten die Pflegezulage ohne einen Nachweis von Hilflosigkeit zu; denn er sei aufgrund der Hirnverletzung erwerbsunfähig iS des § 30 Abs 1 und 2 iVm § 31 Abs 3 Satz 2 BVG. Für diese Voraussetzung gemäß § 35 Abs 1 Satz 4 BVG komme es nicht darauf an, an welchen Organsystemen sich die Hirnbeschädigung auswirke. Eine Aufspaltung solcher verschiedener Körperbereiche, die für die Schwerstbeschädigtenzulage vorzunehmen sei (§ 31 Abs 5 BVG, § 2 Abs 2 Satz 1 Durchführungsverordnung -DV-), sei auf diese Versorgungsleistung beschränkt (BSG SozR 3100 § 35 Nr 6). Beim Kläger sei vielmehr für den Anspruch auf Pflegezulage einheitlich die Gesamtheit der Auswirkungen des traumatischen Hirnschadens zu berücksichtigen und daher auch die durch plastische Operation eingetretene Gesichtsentstellung und der hautplastisch abgedeckte Schädelknochendefekt, der als Folge der Hirnverletzung nach mehreren Operationen verblieben sei.

Der Beklagte hat die - vom LSG zugelassene - Revision eingelegt. Nach seiner Auffassung muß die Erwerbsunfähigkeit iS des § 35 Abs 1 Satz 4 BVG allein auf der eigentlichen traumatischen Hirnverletzung, dh auf dem vom Gehirn ausgehenden Krankheitszustand, beruhen; dieser Schaden bedinge im Fall des Klägers nur eine MdE von 50 bis 70 vH. Hingegen habe die Trepanationslücke, eine Folge an einem hirnfremden Organ, die für sich allein die Erwerbsfähigkeit um 40 vH mindere, außer Betracht zu bleiben (BSG 14. Juli 1979 - 9 RV 212/75 -). Wenn auch eine Knochenlücke, die infolge der Verletzung des Schädels im Zusammenhang mit der Hirnbeschädigung entstanden sei, ebenso wie ein chirurgisch entstandener Knochendefekt als unmittelbare Schädigungsfolge gewertet werden müsse, so sei doch bei Beachtung der physiologischen Zusammenhänge zu bezweifeln, daß der Schaden am Schädel eine Auswirkung der Hirnbeschädigung iS des § 35 Abs 1 Satz 4 BVG sei. Diese Auslegung stehe nicht im Gegensatz zu der vom Beklagten für zutreffend erachteten Rechtsprechung, daß das Differenzierungsgebot des § 2 Abs 2 und 3 DV zu § 31 Abs 5 BVG nicht im Rahmen des § 35 Abs 1 Satz 4 BVG gelte (BSG 14. Juli 1976 - 9 RV 214/75 -).

Der Beklagte beantragt,

die Urteile des Sozialgerichts und des

Landessozialgerichts aufzuheben und die Klage

abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision des Beklagten als unbegründet zurückzuweisen.

Er betont ergänzend zur Begründung des Berufungsurteils, daß nach dem Urteil des erkennenden Senats vom 14. Juli 1976 - 9 RV 212/75 - eine Lücke im Schädel, die mit der Hirnverletzung zusammenhänge, bei deren Bewertung berücksichtigt werden müsse.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten hat Erfolg; der Rechtsstreit ist an das LSG zurückzuverweisen.

Der Kläger verlangt die Pflegezulage nicht nach § 35 Abs 1 Satz 1 BVG wegen einer erwiesenen Hilflosigkeit, sondern weil er infolge Hirnbeschädigung erwerbsunfähig ist. Ob die Vorinstanzen ihm deswegen, also ohne daß er hilflos zu sein braucht, diese Leistung nach § 35 Abs 1 Satz 4 BVG zu Recht zuerkannt haben, läßt sich aufgrund der vom Berufungsgericht festgestellten Tatsachen nicht beurteilen. LSG und SG durften jedenfalls, wie der Beklagte zutreffend rügt, den hautplastisch abgedeckten Schädelknochendefekt mitsamt der Gesichtsentstellung nicht ohne weiteres in vollem Umfang der "Hirnbeschädigung" im Sinne jener Vorschrift zurechnen. Aber möglicherweise führt die weitere Sachaufklärung nach anderen rechtlichen Maßstäben als denen, wovon die Vorinstanzen ausgegangen sind, doch zum Erfolg für den Kläger.

Einem "erwerbsunfähigen Hirnbeschädigten", der nicht nachweislich hilflos ist, steht die Pflegezulage nur dann zu, wenn allein die als Schädigungsfolge anerkannte Hirnbeschädigung den Beschädigten erwerbsunfähig macht, dh seine Erwerbsfähigkeit um mehr als 90 vH mindert (§ 31 Abs 3 BVG idF vom 20. Januar 1967 - BGBl I 141, 180 -; § 31 Abs 3 Satz 2 BVG idF seit dem Gesetz vom 16. Juni 1975 - BGBl I 1365 -); die MdE kann dieses Ausmaß sowohl nach den Maßstäben des allgemeinen Erwerbslebens (§ 30 Abs 1 BVG) als auch wegen besonderen beruflichen Betroffenseins (Abs 2; BSGE 22, 82 = SozR Nr 15 zu § 35 BVG) erreicht haben. Diese Deutung des § 35 Abs 1 Satz 4 BVG, die der ständigen Rechtsprechung des BSG entspricht (BSG 14. Juli 1976 - 9 RV 214/75 - = SozR 3100 § 35 Nr 6 mN; BSG 14. Juli 1976 (nicht 1979) - 9 RV 212/75 -), liegt den angefochtenen Urteilen zugrunde und wird auch von den Beteiligten vertreten.

Beim Kläger ist die schädigungsbedingte MdE mit mehr als 90 vH erst wegen des Gesamtzustandes aller Schädigungsfolgen bewertet worden. Dabei wurde ua eine Gesichtsentstellung, vor allem wegen seelischer Begleiterscheinungen (§ 30 Abs 1 Satz 1 Halbs 2 BVG) mit 30 vH berücksichtigt (Anhaltspunkte für die Ärztliche Gutachtertätigkeit im Versorgungswesen, Ausgabe 1973, Nr 83, S 127). Dieser Anteil der MdE erscheint notwendig, um den nach § 30 Abs 1 und 2 BVG bemessenen Gesamtbetrag von mehr als 90 vH auszumachen. Dann wäre aber der Kläger nicht infolge der "Hirnbeschädigung" erwerbsunfähig; denn zum Bereich dieser nach § 35 Abs 1 Satz 4 BVG allein rechtserheblichen Schädigungsfolge rechnet die Entstellung für sich nicht.

Wohl hat das LSG mit Recht die "Hirnbeschädigung" in diesem Sinne nicht nach Organsystemen abgegrenzt, wie dies gem § 2 Abs 2 und 3 DV zu § 31 Abs 5 BVG idF vom 20. April 1970 (BGBl I 410) für die spezielle Punktbewertung als Voraussetzung für eine Schwerstbeschädigtenzulage geboten ist (BSG SozR 3100 § 35 Nr 6). Ungeachtet dessen kann aus einem anderen Grund, nämlich wegen sachgemäß funktionell orientierter Betrachtung der reine Entstellungszustand, den die Knochenlückenabdeckung bedingt, nicht diesem Bereich der Schädigungsfolgen zugerechnet werden.

Auf den ersten Blick erscheint es allerdings natürlich, mit den Vorinstanzen auf den ursprünglichen Physischen Zusammenhang zwischen Schädeldach- und Hirnsubstanzverletzung abzustellen und beide Bereiche im Hinblick auf § 35 Abs 1 Satz 4 BVG als eine Einheit zu werten. Die Knochenlücke im Schädel, ohne die die spezielle Art der offenen Hirnverletzung beim Kläger nicht entstehen konnte (Bues in: Fischer/Herget/Mollowitz -Hg-, Das ärztliche Gutachten im Versicherungswesen, 3. Aufl 1968, Bd I, S 675, 691; Loew/Herrmann in: Bürkle de la Camp/Schwaiger -Hg-, Handbuch der gesamten Unfallheilkunde, 3. Aufl 1966, 2. Bd, S 122, 129), erscheint mit der künstlichen Abdeckung als die sichtbare Außenseite des Hirnverletztenzustandes. Jedoch wird diese vordergründige Betrachtung dem Sinn und Zweck der hier umstrittenen Sondervorschrift nicht gerecht. Allgemein hat die Art der Entstehung eines Schadens außer Betracht zu bleiben, wenn der Bereich der "Hirnbeschädigung" iS des § 35 Abs 1 Satz 4 BVG abzugrenzen ist (BSGE 8, 130, 134). Unter die in dieser Vorschrift beschriebenen Zustände können auch die Folgen einer gedeckten Hirnverletzung oder einer Hirnkrankheit fallen (BSGE 8, 130, 132 ff). Deshalb ist der anfangs in § 35 Abs 1 Satz 4 BVG verwendete Ausdruck "Hirnverletzter" durch das 1. Neuordnungsgesetz (NOG) vom 27. Juni 1960 (BGBl I 453) in "Hirnbeschädigter" verändert worden (vgl BSGE 8, 134 f; Entwurf des 1. NOG, BR-Drucks 192/59, Begründung, S 27, zu § 35 Abs 1).

Statt des Entstehungsvorganges sind vielmehr allein die Folgen für die Leistungsfähigkeit, die einen besonders hohen Grad erreicht haben müssen, maßgebend. Bei der Bewertung der MdE werden aber allgemein derartige Wirkungen einer Kopfverletzung im Sinn einer Schädelverletzung von solchen, die von Hirnsubstanzschädigungen ausgehen, unterschieden (vgl die Einteilung der Mindest-MdE-Sätze in den Anhaltspunkten, Nr 83 ff, S 127 ff; Nr 145, S 193 ff). Damit wird dem medizinischen Tatbestand Rechnung getragen, daß das Gehirn ein vom Schädel gesonderter Teilbereich des Körpers ist. Ungeachtet dieser natürlichen Trennung kann das Ausmaß der MdE, die durch einen Substanzverlust am knöchernen Schädel bedingt wird, im Zusammenhang mit Störungen im Gehirn höher zu bewerten sein (Anhaltspunkte, Nr 84 (1), S 127). Aber mit Rücksicht auf die körperliche Selbständigkeit des Gehirns kommen als Funktionsstörungen, die sich nach § 35 Abs 1 Satz 4 BVG rechtserheblich auf die MdE auswirken, hauptsächlich solche in Betracht, die als typische Krankheitszustände von der Hirnsubstanzschädigung, dem zentralen Verletzungsort, ausgehen (BSG SozR Nr 19 zu § 35 BVG; 3100 § 35 Nr 6; BSG 14. Juli 1976 - 9 RV 212/75 -). In diesem begrenzten Bereich gilt der Grundsatz, daß in einer Gesamtschau nach dem Maßstab der "Sachnähe" zu entscheiden ist, welche Ausfälle die Erwerbsunfähigkeit iS des § 35 Abs 1 Satz 4 BVG beeinflussen.

Dies ist für Zweifelsfälle wie den des Klägers wie folgt abgrenzend zu konkretisieren:

Die Funktionseinbußen, die insgesamt in hohem Maße erwerbsmindernd wirken müssen, müssen grundsätzlich ihrer Art nach zugleich geeignet sein, eine Hilflosigkeit iS des § 35 Abs 1 Satz 1 BVG wenigstens typischerweise, annähernd herbeizuführen; sie müssen also die Fähigkeit, die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens allein zu besorgen (BSGE 8, 97; SozR Nrn 7, 14 und 17 zu § 35 BVG), beeinträchtigen. Zwar braucht beim Hirnbeschädigten eine vollständige Hilflosigkeit dieser Art nicht wirklich zu bestehen, sofern er ausschließlich infolge von Hirnstörungen erwerbsunfähig ist (BSG SozR 3100 § 35 Nr 6). Aber diese Sonderstellung gegenüber anderen hart betroffenen Beschädigten - mit Ausnahme der sogar noch günstiger gestellten Blinden (§ 35 Abs 1 Satz 3 BVG) - ist allein wegen eines tendenziell auf Hilflosigkeit gerichteten oder ihr sogar angenäherten Zustandes berechtigt (vgl hierzu BSG SozR 3100 § 35 Nr 8 S 26). Die Wirkungen, die in Form der Gesichtsentstellung von der Knochenlückenabdeckung ausgehen und zu seelischen Belastungen des Klägers führen, sind aber erfahrungsgemäß nicht geeignet, die Fähigkeit zu den täglichen Verrichtungen iS des § 35 Abs 1 Satz 1 BVG zu beeinträchtigen. Sie erschöpfen sich in einer MdE gem § 30 Abs 1 und eventuell gem Abs 2 BVG. Ohne jeglichen Einfluß auf die Hilfsbedürftigkeit oder auf einen ihr verwandten Zustand können Funktionsstörungen an hirnfremden Organen im Rahmen des § 35 Abs 1 Satz 4 BVG nicht bei der maßgebenden MdE-Bewertung berücksichtigt werden.

Im Unterschied dazu kann gleichwohl beim Kläger die Trepanationslücke mit ihrer hautplastischen Abdeckung uU anteilig der "Hirnbeschädigung" zuzurechnen sein, soweit sie sich auf andere Weise als über die Gesichtsentstellung funktionell auswirkt. Das verkennt die Revision mit ihrem Bestreben, die Knochenschädigung völlig außer Betracht zu lassen. Der erkennende Senat hat sich mit dieser Problematik in den beiden Urteilen vom 14. Juli 1976 nicht befaßt, weil in beiden Fällen spezifische Auswirkungen der jeweils anerkannten Knochenlücke nicht streitig waren. Der Schaden im Schädel einschließlich der Hautplastik wäre als Teil der "Hirnbeschädigung" zu berücksichtigen, falls und sofern er die Befähigung, die Verrichtungen des täglichen Lebens ohne fremde Hilfe zu bewältigen, irgendwie beeinträchtigte oder wenigstens den Schutz des Gehirns in einer speziellen Weise ungenügend bewirkte. ZB könnte diese unzureichende künstliche Abdeckung der Hirnmasse ständig die Gefahr begründen, bei einem Sturz oder Anstoßen mit dem Kopf eine folgenschwere Verletzung zu erleiden und als Sicherung des Gehirns vor solchen Einwirkungen zu versagen. Der Kläger könnte infolgedessen in manchen Lagen des täglichen Lebens zu übermäßig vorsichtigem und schwerfälligem Verhalten veranlaßt, besonders im Dunkeln auf eine Begleitung angewiesen und beim Fehlen eines Begleiters gezwungen sein, wegen der objektiven Gefährdung auf notwendige Wege zu verzichten. Der Senat verkennt nicht, daß nach der bisherigen Rechtsprechung allein die Notwendigkeit, durch die Bereitschaft einer Hilfsperson mögliche Gesundheitsschädigungen bei zukünftigen Anfällen zu verhüten, keine Hilflosigkeit iS des § 35 Abs 1 Satz 1 BVG bedingt (BSGE 20, 205 = SozR Nr 14 zu § 35 BVG). Ein solcher gesetzlicher Tatbestand, der als Regelfall einen Anspruch auf Pflegezulage begründet, braucht aber bei einer ausgeprägten "Hirnbeschädigung", die kraft Gesetzes wie ein die Hilfsbedürftigkeit bedingender Zustand behandelt wird, nicht tatsächlich vollauf gegeben zu sein. Wenn der Gesetzgeber bei besonders schweren "Hirnbeschädigungen" statt einer Hilflosigkeit iS des § 35 Abs 1 Satz 1 BVG eine Schutzbedürftigkeit, die hauptsächlich in Richtung auf eine Schadensverhütung zu verstehen ist, als allgemein gegeben voraussetzt, so braucht eine Schädellücke nicht anders zu wirken. Sie muß nur wegen des Zusammenhanges zwischen Gehirn und abdeckendem Schädeldach die Gefährdung und damit die Schutzbedürftigkeit der Gehirnmasse in gleichgerichteter Weise funktionell erweitern. Insoweit wird für Fälle dieser Art der Grundsatz abgewandelt, daß Schäden an hirnfremden Organen auf eine Hilfsbedürftigkeit iS des § 35 Abs 1 Satz 1 BVG gerichtet sein müssen, um der "Hirnbeschädigung" iS des § 35 Abs 1 Satz 4 BVG zugerechnet werden zu können.

Die hautplastisch abgedeckte Trepanationslücke als Schädigungsfolge konnte beim Kläger - ungeachtet des Entstellungstatbestandes - als eine reine Schädelverletzung, sogar ohne Auswirkungen auf die eingeschlossene Hirnsubstanz, gesondert mit einer MdE von 30 bis 40 vH bewertet werden, weil sie ein größeres Ausmaß hat (Anhaltspunkte, Ausgabe 1952, S 97; Neuausgabe 1954, S 102, 146; Neuausgabe 1958, S 144, 170; Neuausgabe 1965, S 114, 165; Ausgabe 1973, S 127 f, 183; BSG SozR Nr 42 zu § 30 BVG). Wenn der MdE-Anteil, der unter den zuvor dargelegten Gesichtspunkten als Folge der die Hirnsubstanz unzureichend schützenden Abdeckung zu bewerten ist, in die allein durch die "Hirnbeschädigung" verursachte Gesamt-MdE einbezogen wird, kann diese uU beim Kläger mindestens 81 vH nach § 30 Abs 1 BVG und unter Berücksichtigung des Abs 2 insgesamt wenigstens 91 vH erreichen. Dann wäre die Erwerbsunfähigkeit iS des § 35 Abs 1 Satz 4 BVG gegeben und die Klage begründet (BSG SozR 3100 § 30 Nr 9).

Ob und inwieweit die hautplastische Knochenlückenabdeckung beim Kläger in tatsächlicher Hinsicht teilweise derart wirkt, daß sie nach dem dargelegten Rechtsmaßstab für die MdE iS des § 35 Abs 1 Satz 4 BVG bedeutsam ist, läßt sich weder aus den Bescheiden und dem Anerkenntnis noch aus den zugrundeliegenden Gutachten erkennen (BSG SozR 3100 § 35 Nr 10). Die Sachaufklärung darüber obliegt nun dem Berufungsgericht. Es hat auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden.

 

Fundstellen

Breith. 1981, 438

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