Leitsatz (amtlich)

Die Berufung ist nach § 147 SGG nicht zulässig, soweit sie die Höhe des nach § 59 AFG zustehenden Übergangsgeldes betrifft.

 

Normenkette

SGG § 147; AFG § 59

 

Verfahrensgang

LSG Bremen (Entscheidung vom 20.06.1985; Aktenzeichen L 5 Ar 3/85)

SG Bremen (Entscheidung vom 24.10.1984; Aktenzeichen S 13 Ar 382/83)

 

Tatbestand

Streitig ist, ob das Landessozialgericht (LSG) die Berufung der Beklagten zu Recht als nach § 147 Sozialgerichtsgesetz (SGG) unzulässig verworfen hat.

Die Beklagte hat das dem Kläger gewährte Übergangsgeld (Übg) von kalendertäglich DM 41,91 auf DM 39,12 mit Wirkung vom 4. März 1983 herabgesetzt, da der Kläger nach vorhergehender Arbeitserprobung und Rehabilitationsvorbereitung zum 1. Februar 1983 die Umschulung zum Energiegeräteelektroniker begonnen habe und damit in eine neue Maßnahme eingetreten sei (Bescheid vom 23. Februar 1983; Abänderungsbescheid vom 28. Februar 1983; Widerspruchsbescheid vom 26. Juli 1983).

Die hiergegen erhobene Klage führte zur Aufhebung dieser Bescheide (Urteil des Sozialgerichts -SG- vom 24. Oktober 1984). Die Berufung der Beklagten wurde als unzulässig verworfen (Urteil des LSG vom 20. Juni 1985). Das LSG meint, aus dem Gesetzeswortlaut des § 147 SGG lasse sich der Begriff "Angelegenheiten der Arbeitslosenversicherung" nicht bestimmen. Die Gesetzesmaterialien gäben keinen Aufschluß. Der im näher bezeichneten Schrifttum vertretenen Ansicht, es seien nur die in den §§ 63 ff Arbeitsförderungsgesetz (AFG) genannten Leistungen gemeint, also nicht die streitigen Leistungen nach den §§ 56 ff AFG, sei nicht zu folgen. Der Begriff sei vielmehr mit dem Bundessozialgericht (BSG) im Sinne einer "Spartenbezeichnung" auszulegen (Hinweis auf SozR 1500 § 147 Nr 3). Er umfasse neben den vom BSG beurteilten Leistungen zur beruflichen Bildung nach den §§ 33 ff AFG auch die Leistungen zur Rehabilitation nach den §§ 56 ff AFG. Wenn der Gesetzgeber einerseits die Zulässigkeit der Berufung in den §§ 145 bis 148 SGG nach Sachgebieten unterschiedlich ordne und andererseits im Rehabilitationsangleichungsgesetz (RehaAnglG) an der gegliederten Rehabilitation festhalte, so ergäbe sich daraus zwangsläufig, daß die Zulässigkeit der Berufung für gleichartige Leistungen unterschiedlicher Rehabilitationsträger unterschiedlich zu beurteilen sei. Die Berufung sei auch nicht nach § 150 SGG zulässig.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte Verletzung des § 147 SGG. Das LSG habe der mit dem RehaAnglG gewollten Rechtsvereinheitlichung nicht die notwendige Bedeutung beigemessen. Die in § 6 Abs 2 Satz 2 2. Halbs RehaAnglG angeordnete Erfüllungsfiktion verlange gleiche Maßstäbe für die Zulässigkeit der Berufung in Angelegenheiten der Rehabilitation.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Der Kläger hat keinen Antrag gestellt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten war zurückzuweisen. Das LSG hat zutreffend entschieden, daß die Berufung der Beklagten als unzulässig zu verwerfen war, weil der Streit um die Höhe des Übg eine "Angelegenheit der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitslosenhilfe" iS des § 147 SGG ist; denn diese Formulierung ist als Spartenbezeichnung zu verstehen und meint alle Angelegenheiten der Bundesanstalt für Arbeit, wie sich aus einem Vergleich mit anderen Vorschriften des SGG ergibt; dem steht weder das materielle Recht der Arbeitsförderung noch das Rehabilitationsrecht entgegen.

Das SGG regelt den Ausschluß der Berufung "in Angelegenheiten der Unfallversicherung" (§ 145), "in Angelegenheiten der Rentenversicherung" (§ 146), "in Angelegenheiten der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitslosenhilfe" (§ 147) sowie "in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung" (§ 148 SGG) ersichtlich "nach Sachgebieten und Anspruchsarten" (BT-Drucks I/4357, S 30 zu den §§ 92 bis 97 des Regierungsentwurfs). Dementsprechend ist bei der Auslegung die Umschreibung der Sachgebiete in den Vorschriften über die Spruchkörper und den Rechtsweg mitzuberücksichtigen, zumal dort ähnliche Formulierungen gebraucht werden.

Nach § 10 Abs 1 Satz 1 SGG werden Fachkammern ua "für Angelegenheiten der Arbeitslosenversicherung einschließlich der übrigen Aufgaben der Bundesanstalt für Arbeit" gebildet. Die Besetzung der Kammern ist in § 12 geregelt, in Absatz 2 Satz 1 für die "Kammern für Angelegenheiten der Arbeitslosenversicherung". Hiermit kann nur die Besetzung der nach § 10 gebildeten Kammer gemeint sein, obgleich der dort hinzugefügte Zusatz "einschließlich der übrigen Aufgaben der Bundesanstalt für Arbeit" nun fehlt. Das gleiche gilt für die Formulierung "Kammern für Angelegenheiten der Arbeitslosenversicherung" in den die mitwirkenden ehrenamtlichen Richter betreffenden § 13 Abs 3 und Absatz 4, § 14 Abs 2 und § 16 Abs 2 und für die in den §§ 31, 41 Abs 2 und 46 Abs 1 SGG verwandten Formulierungen "Senate für Angelegenheiten der Arbeitslosenversicherung". Demgegenüber ist in § 41 Abs 3 Nr 1 SGG hinsichtlich der beim Großen Senat des BSG mitwirkenden ehrenamtlichen Richter von "Angelegenheiten der Bundesanstalt für Arbeit" und in § 51 Abs 1 SGG bei der Rechtswegabgrenzung von "Angelegenheiten der Arbeitslosenversicherung und der übrigen Aufgaben der Bundesanstalt für Arbeit" die Rede.

Mit allen diesen Formulierungen muß trotz ihrer unterschiedlichen Wortfassung schon deswegen immer dasselbe gemeint sein, weil einleuchtende Differenzierungsgründe untereinander fehlen. Das bestätigt die Entstehungsgeschichte. Die Vorschriften waren schon in der ursprünglichen Fassung des SGG vom 3. September 1953 enthalten. Die früher anders lautende Bezeichnung der ehrenamtlichen Richter und der Bundesanstalt für Arbeit kann dabei vernachlässigt werden; auf die Änderung des § 147 SGG ist an anderer Stelle einzugehen. Das SGG hat die Bildung von Kammern und Senaten für die einzelnen Fachgebiete (mit einer hier nicht interessierenden Einschränkung hinsichtlich des Bergbaues) entsprechend der Regierungsvorlage festgelegt (vgl schriftlichen Bericht des Ausschusses BT-Drucks I/4567 S 2). Nach dem Regierungsentwurf (BT-Drucks I/4225, dort § 9) waren bei den Sozialgerichten "Kammern für Angelegenheiten der Sozialversicherung, der Arbeitslosenversicherung und der weiteren, der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung übertragenen Aufgaben (Kammern für Angelegenheiten der Arbeitslosenversicherung)" zu bilden. Der Klammerzusatz bestätigt, daß die Arbeitslosenversicherung beispielhaft für das gesamte Aufgabengebiet der Bundesanstalt für Arbeit steht. Hierzu weist die Regierungsbegründung darauf hin, die Aufgaben der Bundesanstalt könnten begrifflich nicht fest umrissen werden; zu ihnen gehörten neben Aufgaben nach dem Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG), nunmehr AFG, auch Aufgaben nach anderen Gesetzen, zB nach dem Heimkehrergesetz und dem Schwerbeschädigtengesetz; deshalb sei nur das für die Sozialgerichtsbarkeit bedeutungsvollste Aufgabengebiet der Bundesanstalt ausdrücklich angeführt, während die übrigen Aufgaben der Bundesanstalt nur allgemein erwähnt würden (BT-Drucks I/4225 S 15 zu § 3, der den Rechtsweg regelt).

Die Rechtsprechung des BSG (BSGE 4, 211 = SozR Nr 3 zu § 147 SGG) hatte dementsprechend schon die ursprüngliche auf die "Angelegenheiten der Arbeitslosenversicherung" beschränkte Fassung des § 147 SGG im Sinne einer Spartenbezeichnung aufgefaßt (BSGE 4, 211, 215) und mit auf die Leistungen der Arbeitslosenhilfe bezogen. Die Neufassung des § 147 SGG durch das Zweite Änderungsgesetz zum SGG mit Wirkung vom 1. Juli 1958, mit der ua die Worte "und der Arbeitslosenhilfe" eingefügt wurden, ist als Bestätigung dieser Rechtsprechung aufzufassen. Der 7. Senat hat in ständiger Rechtsprechung § 147 SGG somit folgerichtig weiter auf Leistungen zur Förderung der beruflichen Bildung (§§ 33 ff AFG) angewandt (vgl SozR 1500 § 147 Nr 8, Urteil vom 23. September 1980 - 7 RAr 80/79 - AUB 1981, 251, SozR 1500 § 147 Nr 6, Urteil vom 11. Dezember 1979 - 7 RAr 2/79 - Breithaupt 1980, 1002, 1003; SozR 1500 § 147 Nr 3; BSGE 39, 119 = SozR 4100 § 45 Nr 4; Urteil vom 21. September 1967 - 7 RAr 31/65 - Breithaupt 1968, 523), da diese Förderung ebenfalls eine Aufgabe der Bundesanstalt für Arbeit ist. Dem tritt der Senat bei. Für die hier streitige berufliche Bildung Behinderter kann nichts anderes gelten, da auch diese zu den Aufgaben der Bundesanstalt für Arbeit gehört, früher nach § 39 AVAVG, nunmehr nach den §§ 56 ff AFG.

Eine Auslegung des § 147 SGG abweichend hiervon auf der Grundlage des materiellen Rechts der Arbeitsförderung führt nicht zu eindeutigen Ergebnissen und ist schon deswegen mit dem Gedanken der Rechtsmittelklarheit nicht zu vereinbaren. Hätte der Gesetzgeber nur das Arbeitslosengeld und die Arbeitslosenhilfe als die Hauptleistungen der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitslosenhilfe gemeint (sowohl Herschel, BABl 1959, 77, 82), so hätte er die Vorschrift einfacher fassen können. Ein Rückgriff auf die Abschnittsüberschriften des AVAVG ist abzulehnen, auch wenn die überwiegende Ansicht wohl im Hinblick auf die Überschriften des 3. (Arbeitslosenversicherung) und des 5. Abschnitts (Arbeitslosenhilfe) des AVAVG die Vorschrift nunmehr auf die Leistungen nach den §§ 63 bis 141 AFG (Mayer-Ladewig, SGG, 2. Aufl, § 147 RdNr 2; Zeihe, SGG, § 147 RdNr 2 und 3) bezieht, teilweise auch auf die §§ 155 bis 166 AFG (Hennig/Danckwerts/König), SGG, § 147 Anm 1), jedenfalls aber nicht auf alle Leistungen der Bundesanstalt (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Band I/2, S 250n; Peters/Sautter/Wolff, SGG, § 147 Anm 1b). Der Gesetzgeber hat sich bei Schaffung des AFG nicht an die Einteilung des AVAVG gehalten. Ein Anhaltspunkt dafür, daß dies nach Auffassung des Gesetzgebers für die Zulässigkeit der Berufung von Bedeutung sein könnte, findet sich nicht, wäre aber wohl zu erwarten gewesen, wenn der Gesetzgeber die streitige Formulierung in § 147 SGG nicht als prozessualen Begriff verstanden hätte.

Die Beklagte beruft sich zu Unrecht auf die Rechtsprechung, daß der Grundsatz der Rechtsmittelklarheit (vgl hierzu den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes in SozR 1500 § 161 Nr 18) eine "vornehmlich am Wortlaut orientierte Auslegung" der §§ 145 bis 149 SGG erfordere und deren analoge Anwendung weitgehend ausschließe (BSG SozR 1500 § 146 Nr 8 und SozR 2200 § 1421d Nr 6). Denn von einer nur analogen Anwendung kann hier keine Rede sein; vielmehr legt der Senat, dem 7. Senat folgend, die Vorschrift nach ihrem Wortlaut unter Berücksichtigung ähnlicher Formulierungen in anderen Vorschriften des SGG aus. Der Gedanke der Rechtsmittelklarheit wäre vielmehr im Gegenteil dann beeinträchtigt, wenn der Senat die bisherige Rechtsprechung nicht fortführen würde.

Auch der Versuch der Beklagten, den § 147 SGG vornehmlich nach dem Sinn der Berufungsausschließungsgründe unter Berücksichtigung der Zielsetzung des RehaAnglG in einer am Ergebnis orientierten Betrachtungsweise auszulegen, ist gerade aus Gründen der Rechtsmittelklarheit abzulehnen. Das SGG regelt in den §§ 145 bis 148 die Zulässigkeit der Berufung für die Angelegenheiten der dort genannten Leistungszweige unterschiedlich. Dabei hat es das RehaAnglG belassen, das nicht einmal im materiellen Recht zu einer vollständigen Angleichung gefunden hat. Im übrigen würde auch eine vollständige Angleichung keinen Hinweis darauf geben, welcher der §§ 145 bis 148 für die Leistungen der Rehabilitation anwendbar sein soll. Aus welchen Gründen die von der Revision angeführte Vorleistungspflicht nach § 6 RehaAnglG für die einzelnen Rehabilitationsträger unterschiedliche Regeln über die Zulässigkeit der Berufung ausschließen soll, ist nicht erkennbar. Dem in diesem Zusammenhang angeführten Rechtsschutz des Behinderten wird jedenfalls nicht dadurch gedient, daß bei dessen Obsiegen das Urteil von der Beklagten mit der Berufung angefochten werden darf.

Die Revision der Beklagten war daher mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1657976

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