Leitsatz (amtlich)

BVG § 86 Abs 1 S 1 stellt eine Übergangsregelung zu BVG § 84 Abs 1 dar. Der Anspruch auf Weiterzahlung der höheren Rente nach früheren versorgungsrechtlichen Bestimmungen ist nur dann gegeben, wenn dieser Anspruch bereits vor der Verkündung des BVG anerkannt war.

 

Normenkette

BVG § 84 Abs. 1 Fassung: 1950-12-20, § 86 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1950-12-20

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts ... vom 22. Oktober 1954 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Tatbestand

Der Kläger bezog bis 30. April 1945 eine Rente auf Grund des Reichsversorgungsgesetzes (RVG) nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE.) um 60 v. H. wegen der Folgen einer im ersten Weltkrieg erlittenen Verwundung der rechten Hand. Am 27. August 1950 beantragte er Versorgung nach dem Berliner Gesetz über die Versorgung von Kriegs- und Militärdienstbeschädigten sowie ihren Hinterbliebenen (Berliner KVG) vom 24.7.1950 (VOBl. f. Groß-Berlin I S. 318). Mit vorläufigem Bescheid vom 19. Juni 1951 gewährte ihm das Versorgungsamt ... ab 1. Juli 1951 die Grundrente auf Grund des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) nach einer MdE. um 60 v. H. in Höhe von monatlich 35,- DM.

Mit Bescheid vom 5. Oktober 1951 bewilligte das Versorgungsamt dem Kläger für die Zeit vom 1. Juli bis 30. September 1950 eine monatliche Rente von 63,- DM nach dem Berliner KVG und ab 1. Oktober 1950 die monatliche Grundrente von 35,- DM nach dem BVG mit der Maßgabe, daß die KVG-Rente von 63,- DM wegen ihres Zusammentreffens mit der höheren Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung nicht zur Auszahlung kam.

Der Einspruch des Klägers vom 11. Oktober 1951, den er auf die Nichtanwendung des § 86 Abs. 1 BVG stützte, wurde vom Landesversorgungsamt ... mit Entscheidung vom 10. Dezember 1951 als unbegründet zurückgewiesen.

Mit Berichtigungsbescheid vom 11. Februar 1952 ordnete das Versorgungsamt unter Abänderung des Bescheids vom 5. Oktober 1951 die Auszahlung der auf den Zeitraum vom 1. Juli bis 30. September 1950 entfallenden Rente in voller Höhe an.

Der Kläger hat am 23. Februar 1952 beim Versorgungsgericht ... Klage erhoben und beantragt, die Rente in der gleichen Höhe von 63,- DM über den 30. September 1950 hinaus bis 30. November 1951 gemäß § 86 Abs. 1 BVG zu zahlen. Das Versorgungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 8. Juli 1952 abgewiesen.

Die Berufung des Klägers, mit der er die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung der Rente nach dem Berliner KVG in Höhe von 63,- DM nunmehr bis zum 31. März 1952 begehrte, wurde durch Urteil des Landessozialgerichts ... vom 22. Oktober 1954, zugestellt am 4. Dezember 1954, als unzulässig verworfen. Die Revision wurde nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zugelassen.

In der Begründung hat das Landessozialgericht ausgeführt, die Zulässigkeit alter Rechtsmittel könne nach dem Übergang dieser Sache vom Oberversorgungsgericht auf das Landessozialgericht gemäß § 218 Abs. 6 SGG nur nach den Vorschriften über die Berufung gemäß §§ 143 ff. SGG beurteilt werden. Nach § 148 Nr. 2 SGG sei im vorliegenden Falle die Berufung unzulässig, da es sich bei dem Anspruch des Klägers auf eine höhere Rente für die Zeit vom 1. Oktober 1950 bis 31. März 1952 um Versorgung für bereits abgelaufene Zeiträume handle. Die Rechtsmittelbelehrung enthält u. a. den Hinweis darauf, daß die Revision binnen eines Monats schriftlich beim Bundessozialgericht einzulegen und binnen eines weiteren Monats zu begründen ist. Es ist außerdem darin angegeben, welche Personen als Prozeßbevollmächtigte in dem Verfahren vor dem Bundessozialgericht zugelassen sind.

Der Kläger hat mit einem von ihm persönlich unterzeichneten Schreiben vom 31. Dezember 1954, eingegangen am 3. Januar 1955, Revision eingelegt und Bewilligung des Armenrechts beantragt. Mit Schreiben vom 20. Januar 1955 hat er mitgeteilt, daß er den Verband der Kriegsbeschädigten, Kriegshinterbliebenen und Sozialrentner Deutschlands e. V. (VdK) mit seiner Vertretung beauftragt habe.

Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers, ein Angestellter des VdK, hat mit Schreiben vom 26. Januar 1955, eingegangen am 27. Januar 1955, gebeten, dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsfrist zu gewähren und beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen, ferner die außergerichtlichen Kosten des Revisionsklägers dem Beklagten aufzuerlegen. Der Antrag auf Bewilligung des Armenrechts wurde zurückgenommen. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils sei unvollständig, da der Hinweis fehle, daß bereits die Revision von einem zugelassenen Prozeßbevollmächtigten einzureichen sei. Es sei deshalb zweifelhaft, ob die Revisionsfrist von einem Monat in Lauf gesetzt worden sei. Die Revision rügt die Verletzung des § 218 Abs. 6 SGG. Das Verfahren des Landessozialgerichts leide deshalb an einem Mangel, weil es zu Unrecht eine Sachentscheidung abgelehnt und dem Kläger damit die zweite Tatsacheninstanz entzogen habe. Die Berufung sei nicht unzulässig. Das nach altem Recht zulässig eingelegte Rechtsmittel bleibe zulässig und könne nach Übergang der Sache vom Oberversorgungsgericht auf das Landessozialgericht nicht mehr auf seine Zulässigkeit geprüft werden. Im übrigen wird auf den Schriftsatz des Klägers vom 26. Januar 1955 Bezug genommen.

Der Beklagte hat die Zurückweisung der Revision beantragt. Mit Beschluß vom 8. November 1955 gewährte der Senat dem Kläger auf seinen Antrag gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

In der mündlichen Verhandlung beantragte der Vertreter des Klägers das angefochtene Urteil aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger unter Anrechnung der ihm nach dem Bundesversorgungsgesetz gewährten Grundrente Rente nach dem Gesetz über die Versorgung von Kriegs- und Militärdienstbeschädigten sowie ihren Hinterbliebenen vom 24.7.1950 (VOBl. für Groß-Berlin Teil I S. 318) für die Zeit vom 1. Oktober 1950 bis 31. März 1952 zu gewähren, hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Sie ist form- und fristgerecht eingelegt, da dem Kläger gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wurde. Die Revision ist auch form- und fristgerecht begründet worden. Sachlich konnte das Rechtsmittel keinen Erfolg haben.

Es handelt sich im vorliegenden Falle um ein Urteil des Versorgungsgerichts ... aus dem Jahre 1952, gegen das Berufung beim Oberversorgungsgericht eingelegt war. Das am 31. Dezember 1953 noch anhängige Verfahren ist nach § 218 Abs. 6 SGG auf das Landessozialgericht übergegangen.

Da § 218 Abs. 6 SGG nichts darüber bestimmt, nach welchem Verfahren die übergegangenen Sachen zu erledigen sind, muß hier dasselbe gelten, was der Senat bereits für die Übergangsfälle des § 215 Abs. 3 SGG ausgesprochen hat (vgl. Urteile vom 20.9.1955 - 9 RV 46/54 - 9 RV 78/54). Diese Vorschrift betrifft gleichfalls den Übergang rechtshängiger Sachen auf das Landessozialgericht in denjenigen Ländern, in denen es schon vor dem Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes einen zweistufigen Aufbau der Versicherungsbehörden und Versorgungsgerichte gab. Diese Rechtsmittel sind grundsätzlich als Berufungen neuen Rechts zu behandeln (§§ 143 - 159 SGG).

In den Fällen, die nach den Übergangsvorschriften der §§ 218, 215 SGG auf das Landessozialgericht übergegangen sind, muß das vom Kläger eingelegte Rechtsmittel sowohl nach altem als auch nach neuem Recht auf seine Zulässigkeit geprüft werden. Seine Unzulässigkeit steht dann fest, wenn sie nach einer der beiden Vorschriften gegeben ist.

Nach § 41 Abs. 3 des Gesetzes über die Versorgung von Kriegs- und Militärdienstbeschädigten sowie ihren Hinterbliebenen vom 24. Juli 1950 (VOBl. für Groß-Berlin I S. 318 (Berliner KVG)) war, worauf schon das Versorgungsgericht ... in seinem Urteil vom 8. Juli 1952 hingewiesen hat, die Berufung gegen diese Entscheidung zulässig. Es kommt daher darauf an, ob die nach altem Recht zulässige Berufung nach dem Übergang der rechtshängigen Sache auf das Landessozialgericht auf Grund der §§ 143 bis 150 SGG zulässig geblieben ist.

Da der Kläger nur Versorgungsbezüge für die Zeit vom 1. Oktober 1950 bis 31. März 1952, also für bereits einen abgelaufenen Zeitraum geltend gemacht hat, ist nach § 148 Abs. 2 Nr. 2 SGG an sich die Berufung ausgeschlossen. Insoweit konnte der Senat der Rechtsauffassung des Vorderrichters folgen.

Das Landessozialgericht hat es aber unterlassen zu prüfen, ob die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und ob etwa aus diesem Grund die Berufung in sinngemäßer Anwendung des § 150 Nr. 1 SGG gleichwohl zulässig ist.

Für ein Sozialgericht wären die Voraussetzungen gegeben gewesen, nach § 150 Nr. 1 SGG die Berufung zuzulassen. Der Streit darüber, ob dem Kläger gemäß § 86 Abs. 1 BVG die Versorgungsbezüge nach dem Berliner KVG auch für die Zeit vom 1. Oktober 1950 bis 31. März 1952 zu gewähren sind, betrifft eine Rechtsfrage, die für eine große Zahl Versorgungsberechtigter von grundsätzlicher Bedeutung ist und über die eine höchstrichterliche Entscheidung bisher noch nicht ergangen ist. Die Berufung ist deshalb als zulässig anzusehen. Das Landessozialgericht hat daher zu Unrecht die Berufung als unzulässig verworfen und damit eine Sachentscheidung verweigert.

Bei dieser Sachlage hatte der Senat darüber zu befinden, ob er in der Sache selbst entscheiden konnte; er hat dies bejaht. Er kam dabei zu dem Ergebnis, daß der vom Kläger geltend gemachte Anspruch unbegründet ist.

§ 86 Abs. 1 Satz 1 BVG bestimmt, daß die auf Grund der bisherigen versorgungsrechtlichen Vorschriften zu zahlenden Versorgungsbezüge solange weitergezahlt werden, bis die Bezüge nach dem BVG festgestellt sind. Damit wird eine Übergangsregelung zu § 84 Abs. 1 und 2 BVG geschaffen. Diese Vorschrift besagt, von welchem Zeitpunkt an das BVG in Kraft tritt und daß die früheren Versorgungsgesetze vom gleichen Zeitpunkt an außer Kraft treten. Für wird dasselbe im Kriegsopferversorgungsgesetz vom 12. April 1951 Art. 4 festgelegt (GVOBl. für ... I S. 317).

Nach § 86 Abs. 1 Satz 2 in Vbdg. mit § 84 Abs. 1 und 2 BVG mußte die Verwaltungsbehörde die Versorgungsbezüge nach diesem Gesetz rückwirkend vom 1. Oktober 1950 an, dem Inkrafttreten des BVG, feststellen, während andererseits die Feststellung von Versorgungsbezügen nach früheren versorgungsrechtlichen Vorschriften nur bis 30. September 1950 möglich war.

§ 86 BVG, der dem § 93 RVG in seiner ursprünglichen Fassung (= § 102 RVG in der Fassung vom 30.6.1923) entspricht, will die Fälle regeln, in denen zur Zeit der Verkündung des BVG auf Grund von Bescheiden nach früheren versorgungsrechtlichen Bestimmungen Versorgungsbezüge bereits zu zahlen waren. In diesen Fällen sollten die Zahlungen bis zur Bescheiderteilung nach dem BVG weiterlaufen. Dadurch wollte der Gesetzgeber Härten beseitigen und mildern, die dadurch entstehen konnten, daß das im Bundesgebiet am 20. Dezember 1950, in ... am 23. April 1951, verkündete BVG rückwirkend ab 1. Oktober 1950 in Kraft getreten ist und vom gleichen Zeitpunkt an die früheren Versorgungsgesetze außer Kraft gesetzt hat. Härten dieser Art können aber nur eintreten, wenn schon auf Grund eines vor der Verkündung des BVG ergangenen Bescheides ein Zahlungsanspruch nach früherem Recht auf höhere Versorgungsbezüge festgestellt war. Ein solcher Härtefall liegt dann nicht vor, wenn, wie im Falle des Klägers, bis zur Verkündung des BVG in ... ein Bescheid überhaupt noch nicht erteilt war, so daß Versorgungsbezüge nach altem Recht überhaupt noch nicht zu zahlen waren.

Die Verwaltungsvorschrift (VV) Nr. 1 zu § 84 BVG war im Zeitpunkt der Bescheiderteilung (5.10.1951) vom Land Berlin noch nicht übernommen und wurde daher vom Versorgungsamt in seinem Bescheid auch nicht angewendet. Diese VV bestimmt nichts anderes als das, was sich aus § 86 Abs. 1 in Vbdg. mit § 84 Abs. 1 BVG von selbst ergibt. Sie bringt keine Einschränkung der dort gegebenen Vorschriften, wie der Kläger meint, vielmehr kann sie höchstens als eine Bestätigung der oben erläuterten Gesetzesauslegung gewertet werden.

Der Kläger hat somit keinen Anspruch auf Festsetzung von Versorgungsbezügen nach früheren versorgungsrechtlichen Bestimmungen für die Zeit ab 1. Oktober 1950. Seine Berufung gegen das Urteil des Versorgungsgerichts ... vom 8. Juli 1950 konnte daher sachlich keinen Erfolg haben.

Die Entscheidung über die Kosten erfolgt gemäß § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2373433

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge