Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. vor Inkrafttreten des SGG beim Oberversorgungsgericht Berlin zulässig eingelegtes Rechtsmittel. Anwendbarkeit der Vorschriften des SGG

 

Orientierungssatz

Gemäß § 218 Abs 6 SGG gehen die bei Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes beim Oberversorgungsgericht Berlin anhängigen Fälle auf das Landessozialgericht über. Für die Prüfung der Frage der Zulässigkeit der Berufung sind in diesen Fällen nur die Vorschriften der §§ 144 bis 149 SGG maßgebend. Das bedeutet, dass eine bis zum Inkrafttreten des SGG zulässige Berufung in den Fällen der §§ 144 bis 149 SGG unzulässig geworden ist.

 

Normenkette

SGG § 162 Abs. 1 Nr. 1, § 218 Abs. 6

 

Verfahrensgang

LSG Berlin (Urteil vom 06.01.1955)

VG Berlin (Urteil vom 19.10.1953)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 6. Januar 1955 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Der Kläger bezog als Folge einer Verwundung im ersten Weltkrieg auf Grund des Rentenbescheides des früheren Versorgungsamts Breslau vom 11. Juni 1921 für Verlust beider Augen, zur Entzündung neigende Narbe am linken Knie nach Verletzung bis zur Kapitulation Versorgungsbezüge eines Erwerbsunfähigen. Auf seinen Antrag vom 28. August 1950 hat der Senator für Sozialwesen - Versorgungsstelle - in Berlin zur Vermeidung eines noch längeren Hinausschiebens des Beginns der Versorgung mit vorläufigem Vorbescheid vom 19. März 1951 den Versorgungsanspruch dem Grunde nach für Verlust beider Augen, zur Entzündung neigende Narbe am linken Knie nach Verletzung, Gehörverlust rechts, Handverletzung rechts, Brandnarben im Gesicht nach dem Gesetz über die Versorgung von Kriegs- und Militärdienstbeschädigten sowie ihren Hinterbliebenen (KVG) vom 24. Juli 1950 (VOBl. für Groß-Berlin, Teil I, S. 318) anerkannt, eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE.) um 100 v.H. festgestellt und die Zahlung der Versorgungsbezüge vom 1. Mai 1951 ab angeordnet. Dabei ist die Regelung der Bezüge für die rückliegende Zeit dem endgültigen Bescheid ausdrücklich vorbehalten und auf die Pflicht zur Rückzahlung unrechtmäßig empfangener Versorgungsbezüge hingewiesen worden. Der endgültige Bescheid des Versorgungsamts I Berlin vom 27. August 1951 hat die anerkannten Schädigungsfolgen übernommen und für die Zeit vom 1. Juli 1950 Versorgungsleistungen nach einer MdE. um 100 v.H. anerkannt, und zwar für die Zeit vom 1. Juli bis 30. September 1950 nach dem KVG, für die Zeit vom 1. Oktober 1950 ab nach dem Gesetz über die Versorgung der Opfer des Krieges (Bundesversorgungsgesetz - BVG -) vom 20. Dezember 1950 in Verbindung mit dem Kriegsopferversorgungsgesetz vom 12. April 1951 (Gesetz und Verordnungsblatt für Berlin S. 317). Für die Zeit der Gültigkeit des KVG ist gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 a.a.O. die vom 1. Juli bis 30. September 1950 gezahlte Rente der Rentenversicherung mit monatlich je 35,- DM zur Anrechnung gebracht worden, da die Rente nach dem KVG höher war als die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Der Auszahlungsbetrag ist daher um 105,- DM gekürzt worden.

Der gegen diese Einbehaltung eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg.

Die darauf vom Kläger erhobene Klage auf Auszahlung der einbehaltenen Beträge ist durch Urteil des Versorgungsgerichts Berlin vom 19. Oktober 1953 abgewiesen worden, da die Einbehaltung gesetzlich vorgesehen sei. Der Kläger könne sich auch nicht auf den ersten Bescheid vom 19. März 1951 berufen, da dieser ausdrücklich als "vorläufiger Bescheid" bezeichnet und in ihm auf die Erstattungspflicht unrechtmäßig bezogener Versorgungsbezüge hingewiesen worden sei. Im übrigen verstoße die Einbehaltung auch nicht gegen Treu und Glauben, vielmehr sei die Zahlung auf Grund eines Vorbescheides gerade deshalb erfolgt, um die Schwerstbeschädigten von wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu befreien.

Mit seiner gegen dieses Urteil eingelegten Berufung hat der Kläger vorgebracht, daß er infolge seiner Kriegserblindung erwerbsunfähig sei und ihm daher auf Grund der seit 1918 entrichteten Beiträge Rentenbezüge gemäß § 1254 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zuständen. Dieser Rechtsanspruch nach der RVO könne durch § 29 KVG nicht unwirksam gemacht werden, da diese Vorschrift gegen Treu und Glauben verstoße. Es könne auch nicht zwischen vorläufigen Vorbescheiden und rechtskräftigen Bescheiden unterschieden werden.

Der Beklagte, der die Vorschrift des § 29 KVG für rechtsgültig hält, hat darauf hingewiesen, daß es sich bei der Frage der Anwendbarkeit des § 29 KVG um eine grundsätzliche Rechtsfrage handele.

Das Landessozialgericht (LSG.) hat mit seinem Urteil vom 6. Januar 1955 die Berufung als unzulässig verworfen und die Revision gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zugelassen. Nach seiner Auffassung ist die Berufung in diesem gemäß § 218 SGG vom Oberversorgungsgericht auf das LSG. übergegangenen Rechtsstreit nach § 148 Abs. 1 Nr. 2 a.a.O. ausgeschlossen, da es sich um eine Versorgung für einen bereits abgelaufenen Zeitraum, nämlich um einen ziffernmäßig festgestellten Rentenbetrag für die Zeit vom 1. Juli bis 30.September 1950, handele. Diese Vorschrift des SGG müsse auch auf die Verfahren Anwendung finden, in denen die Berufung bereits vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes eingelegt worden sei. Denn eine neue prozessuale Vorschrift erstrecke sich nach einheitlicher Auffassung in Rechtslehre und Rechtsprechung grundsätzlich vom Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an auf alle schwebenden Prozesse, soweit nicht durch Übergangsvorschriften eine andere Regelung getroffen sei. Dies sei nicht der Fall. Zwar sei diese Frage nur in den Fällen des § 215 Abs. 7, 8 und 9 SGG völlig klargestellt. Aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes ergebe sich aber, daß sich die Zulässigkeit aller Rechtsbehelfe zur schnellen Erledigung der Altfälle nach dem SGG richten müsse. Dann sei aber die Berufung gemäß § 148 Abs. 1 Nr. 2 SGG unzulässig.

Gegen dieses am 5. Februar 1955 zugestellte Urteil hat der Kläger durch seinen gemäß § 166 Abs. 2 SGG zugelassenen Prozeßbevollmächtigten mit einem am 19. Februar 1955 beim Bundessozialgericht (BSG.) eingegangenen Schreiben vom 16. Februar 1955 Revision eingelegt und beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung gegen das Urteil des Versorgungsgerichts Berlin vom 19. Oktober 1953 für zulässig zu erklären.

In der am 16. März 1955 eingegangenen Revisionsbegründung führt er aus, daß eine vor dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes in zulässiger Weise eingelegte Berufung nach dem Inkrafttreten des SGG weiterhin als zulässig angesehen werden müsse, ohne daß die Zulässigkeit nach diesem Gesetz zu prüfen sei. Die Regelung in § 215 Abs. 7, 8 und 9 SGG sei eine Ausnahmevorschrift, die nicht erweitert ausgelegt werden könne. Im übrigen ist der Revisionskläger der Auffassung, daß selbst eine ausdrückliche gesetzliche Bestimmung die Berufung nicht unzulässig mache, weil eine solche Regelung gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verstoßen würde. Grundsätzlich könne einem Gesetz rückwirkende Kraft nicht uneingeschränkt beigelegt werden. Würde aber im Einzelfall eine Rückwirkung zu einer ungleichen Behandlung gleicher Fälle führen, dann sei sie nichtig.

Ein solcher Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz liege hier vor. § 150 SGG sehe an sich die Zulassungsmöglichkeit bei Fällen von grundsätzlicher Bedeutung vor. Die Frage, ob § 150 a.a.O. vorliegend angewendet werden könne, sei in zahlreichen Fällen umstritten; soweit das Sozialgericht (SG.) erst nach dem 1. Januar 1954 entscheide, sei die Möglichkeit der Berufungszulassung gegeben; in dem vorliegenden Rechtsstreit sei sie aber ausgeschlossen, da diese Vorschrift zur Zeit der Entscheidung des Versorgungsgerichts noch nicht gegolten habe. Der Revisionskläger werde bei Abschneiden der Berufungsmöglichkeit also schlechter gestellt als andere Kläger.

Der Beklagte hat die Zurückweisung der Revision beantragt. Die Zulässigkeit der Berufung könne auch in den Fällen des § 218 Abs. 6 SGG nur nach den Vorschriften des SGG beurteilt werden; sie sei aber nach § 148 Nr. 2 SGG ausgeschlossen, weil es sich nur um die Versorgung für einen bereits abgelaufenen Zeitraum handele.

Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt worden; sie ist vom LSG. gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG zugelassen und daher statthaft. Die Revision ist auch begründet.

Der Kläger hat das Urteil des Versorgungsgerichts Berlin nach § 41 KVG form- und fristgerecht mit der Berufung angefochten, der Rechtsstreit war beim Inkrafttreten des SGG beim Oberversorgungsgericht Berlin anhängig. Es handelt sich somit um einen Fall des § 218 Abs. 6 SGG, wonach die beim Inkrafttreten des SGG bei dem Oberversorgungsgericht Berlin anhängigen Fälle auf das LSG. übergehen. § 218 Abs. 6 SGG entspricht voll der in § 215 Abs. 3 SGG für die Länder Bayern und Württemberg-Baden getroffenen Regelung, die ebenfalls einen zweistufigen Rechtszug hatten. Dies ergibt sich aus dem übereinstimmenden Wortlaut beider Vorschriften. Lediglich wegen der besonderen Stellung Berlins war eine gesonderte Regelung erforderlich. Für beide Fälle hat der Senat entschieden, daß die beim Inkrafttreten des SGG bei den Landesversicherungsämtern Bayern und Württemberg-Baden bzw. dem Oberversorgungsgericht Berlin anhängigen Rechtsstreitigkeiten als Berufungen auf die zuständigen Landessozialgerichte übergegangen sind (BSG. 1 S. 62, 78). Bedenken hat der Kläger insoweit in seiner Revision auch nicht geltend gemacht. Er wendet sich aber gegen die Auffassung des LSG., daß sich die Zulässigkeit eines Rechtsmittels mit dem Inkrafttreten des SGG in allen Fällen, auch soweit es vor dem Inkrafttreten des neuen Rechts nach altem zulässig eingelegt worden sei, nach dem neuen Recht richten solle. Der Senat hat diese Frage mit seinem Urteil vom 16. Juni 1955 (BSG. 1 S. 62 (65, 66)) bereits entschieden, und zwar zuungunsten des Klägers. Er ist in seiner Begründung von den vergleichbaren Vorschriften in § 214 Abs. 4 Satz 1 sowie § 215 Abs. 7 bis 9 SGG ausgegangen, in denen für diese Fälle erschöpfend geregelt worden sei, nach welchem Recht die Rechtsmittel behandelt werden sollten. Der Gesetzgeber habe die Fälle der §§ 215 Abs. 3 und 218 Abs. 6 a.a.O. auch nicht anders regeln wollen. Für diese Auffassung spreche der erkennbare Zweck des Gesetzes, gleiche und gleichartig gelagerte Fälle nach Möglichkeit auch gleichmäßig zu behandeln. Der Senat hat sich in diesem Urteil weiter auf den bereits vom Reichsversorgungsgericht (RVGer. 1 S. 266) entwickelten allgemeinen Rechtsgrundsatz bezogen, daß bei einem Wechsel der Gesetzgebung im Laufe schwebender Verfahren ein neues Verfahrensrecht in der Regel sofort nach seinem Inkrafttreten, und zwar auf alle noch schwebenden Fälle, angewandt werden müsse. Er hat schließlich noch berücksichtigt, daß die beim Inkrafttreten des SGG anhängigen Fälle nicht nur nach einem neuen Verfahrensgesetz, dem SGG, sondern auch durch ein neues Gericht zu entscheiden seien. Für dieses könnten aber grundsätzlich nur die Vorschriften desjenigen Gesetzes maßgebend sein, auf Grund dessen es errichtet worden sei. Der Senat ist sodann zu dem Ergebnis gekommen, daß alle auf die Landessozialgerichte übergegangenen Fälle ohne Rücksicht darauf, aus welchem Grunde und nach welcher Vorschrift sie übergegangen seien, gleichmäßig als Berufungen, und zwar einheitlich nach den Vorschriften des SGG, behandelt werden müssen. Für die Prüfung der Frage der Zulässigkeit der Berufung seien somit in diesen Fällen nur die Vorschriften der §§ 144 bis 150 SGG maßgebend. Das bedeute aber, daß eine bis zum Inkrafttreten des SGG zulässige Berufung in den Fällen der §§ 144 bis 149 a.a.O. unzulässig geworden sei. Diese Grundsätze sind in ständiger Rechtsprechung auch von anderen Senaten des BSG. übernommen worden. Mit dieser Begründung ist aber das Vorbringen des Klägers in der Revision widerlegt, daß die in § 215 Abs. 7, 8, 9 SGG enthaltene erschöpfende Regelung Ausnahmevorschriften seien. Sie bringt vielmehr den grundsätzlichen Willen des Gesetzgebers zum Ausdruck. Dieser Wille ist entgegen der Auffassung des Revisionsklägers sehr wohl bei der Auslegung eines Gesetzes zu berücksichtigen.

Auch der weitere Angriff des Klägers, daß eine rückwirkende Anwendung des SGG in seinem Fall eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes bedingen würde, greift nicht durch. Der Kläger verweist insoweit auf mehrere Fälle, die erst nach dem Inkrafttreten des SGG vom SG. entschieden worden seien, und in denen wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 150 Nr. 1 SGG die Berufung zugelassen worden sei, während in seinem Falle das Versorgungsgericht von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch habe machen können, da diese Vorschrift bei Erlaß des Urteils noch nicht in Kraft gewesen sei. Es kann dahingestellt bleiben, ob bei einem solchen Fall wirklich eine Verletzung des in Art. 3 des GG festgelegten Gleichheitsgrundsatzes vorliegen würde. Denn der Senat hat in seinem Urteil vom 16. Juni 1955 (BSG. 1 S. 62 (67)) bereits entschieden, daß die für die Übergangszeit bestehende Lücke im Gesetz, die insoweit in den Fällen der §§ 215 Abs. 3, 218 Abs. 6 SGG gegeben ist, und die dem Rechtsschutzbedürfnis der Rechtsuchenden entgegensteht, sinnvoll nur dadurch geschlossen werden kann, daß hinsichtlich der Prüfung der Zulässigkeit einer Berufung nach § 150 Nr. 1 SGG an die Stelle des - nicht vorhandenen - SG. dasjenige LSG. tritt, an das die gegen das Urteil des Versorgungsgerichts eingelegte Berufung übergegangen ist. Damit entfällt aber die Voraussetzung für den Einwand des Klägers, daß der Gleichheitsgrundsatz verletzt sei. Das Urteil des LSG. ist hiernach auch in der Hinsicht nicht zu beanstanden, als es grundsätzlich davon ausgeht, daß das neue Verfahrensrecht auf alle Fälle, auch auf die bei seinem Inkrafttreten bereits schwebenden, anzuwenden ist.

Es bleibt daher noch zu prüfen, ob gegen das Urteil des Versorgungsgerichts nach dem SGG überhaupt ein Rechtsmittel gegeben war. Das LSG. hat diese Frage verneint, weil es sich um die Einbehaltung eines Betrages von monatlich 35,- DM für die Zeit der Gültigkeit des KVG, also um Versorgung für den bereits abgelaufenen Zeitraum vom 1. Juli bis 30. September 1950, handele (§ 148 Nr. 2 SGG). Der Senat ist dabei davon ausgegangen, daß der vorläufige (in § 57 der Ersten DurchfVO vom 13.12.1950 (VOBl. für Berlin 1950 S. 570) vorgesehene) Vorbescheid vom 19. März 1951, der den Versorgungsanspruch dem Grunde nach anerkannt und die Zahlung der Versorgungsgebührnisse für die Zeit vom 1. Mai 1951 ab angeordnet hat, nicht in Streit steht. (Er ist nach § 57 Abs. 2 a.a.O. auch nicht anfechtbar). Vielmehr wendet sich der Kläger gegen den endgültigen Bescheid vom 27. August 1951, in dem erneut die Schädigungsfolgen anerkannt, die Höhe der MdE. festgesetzt und die Versorgungsbezüge nach dem KVG bzw. BVG berechnet worden sind. Hierbei sind entsprechend der Vorschrift des § 29 Abs. 1 Nr. 1 KVG, wonach bei einem Zusammentreffen einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung mit einer Rente nach diesem Gesetz nur die höhere Rente gewährt wird, die für die Zeit der Gültigkeit des KVG gezahlten Invalidenrentenbeträge verrechnet und zur Abführung an die Versicherungsanstalt Berlin einbehalten worden. Der Senat hat die Frage, ob der in § 148 Nr. 2 SGG angeordnete Ausschluß der Berufung auch auf diesen Fall zutrifft, bejaht. Er hat bei seiner Entscheidung berücksichtigt, daß während der Gültigkeit des Gesetzes über das Verfahren in Versorgungssachen vom 10. Januar 1922 (RGBl. S. 59) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. November 1934 (RGBl. I S. 1113) unter Berücksichtigung der Änderungen durch das Gesetz zur Änderung des Reichsversorgungsgesetzes und des Gesetzes über das Verfahren in Versorgungssachen vom 27.9.1938 (RGBl. I S. 1217 (VersorgVerfG)) die Bescheide der Verwaltungsbehörden Urteilen gleich standen. Gegen sie war nach § 90 VersorgVerfG das Rechtsmittel der Berufung gegeben. Das alte Recht unterschied bei den Bescheiden streng zwischen solchen, durch welche die Rente gewährt wurde, und Bescheiden, die sich auf ihre Auszahlung (Regelung) bezogen. Es kam damals also auf die Rechtsnatur der Bescheide an. Das SGG beurteilt die Vorgänge jedoch anders. Es geht von dem Grundsatz der Gewaltenteilung aus, so daß Bescheide der Verwaltungsbehörden Urteilen nicht mehr gleichzustellen sind; sie werden vielmehr mit der Klage angegriffen. Grundlage des Gerichtsverfahrens ist also nicht mehr der Bescheid, sondern die Klage. Bei der Frage, welchen Anspruch ein Beteiligter geltend macht, ist hiernach von der Klage auszugehen. Es kommt also darauf an, über welchen Anspruch das SG. entschieden hat. Die Berufung ist nach § 148 Nr. 2 SGG dann ausgeschlossen, wenn das Urteil des SG. Beginn oder Ende der Versorgung oder nur Versorgung für bereits abgelaufene Zeiträume betrifft. Der Wortlaut des Gesetzes bietet im Gegensatz zu der alten Rechtslage keine Handhabe mehr zu der erwähnten Unterscheidung zwischen Streitigkeiten, die sich auf den Grund der Rente, und solchen, die sich auf ihre Höhe beziehen, also Streitigkeiten, die die "Gewährung" der Rente und solche, die ihre "Auszahlung" (die Regelung) betreffen. Wie im Zivilprozeßverfahren andere Gegengründe, z.B. die Aufrechnung, so müssen auch im Sozialgerichtsverfahren zulässige Gegengründe berücksichtigt werden. Zu solchen Gegengründen gehört die Anrechnung der für die Zeit der Gültigkeit des KVG gezahlten Invalidenrentenbeträge, die gemäß § 29 KVG grundsätzlich vorgenommen werden muß. Im vorliegenden Fall ist dieser Teil der Versorgungsleistungen einbehalten worden. Der Kläger hat mit der vor dem Versorgungsgericht erhobenen Leistungsklage deren Auszahlung geltend gemacht. Es handelt sich also um Versorgung für bereits abgelaufene Zeiträume, nämlich um diesen einbehaltenen Teil der Versorgungsbezüge. Die Berufung ist daher gemäß § 148 Nr. 2 SGG grundsätzlich ausgeschlossen (so im Ergebnis für § 146 SGG ebenso Urteil des 4. Senats vom 6.9.1956 - SozR. § 146 Da 2 Nr. 3). Die Entscheidung des LSG. ist daher auch insoweit nicht zu beanstanden.

Der Senat hatte jedoch noch zu prüfen, ob es sich wegen der Frage der Anwendbarkeit der Vorschrift des § 29 KVG etwa um eine Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des § 150 Nr. 1 SGG handelt und die Berufung ungeachtet der §§ 144 bis 149 SGG zulässig ist. Das LSG. ist hierauf nicht eingegangen, obgleich der Beklagte bereits in der Berufungsinstanz vorgetragen hat, daß die Frage über den vorliegenden Rechtsstreit hinaus von Bedeutung sei und sich auf zahlreiche Fälle erstrecke. Der Kläger hat in seiner Revisionsbegründung ebenfalls auf die Grundsätzlichkeit dieser Frage hingewiesen. Es handelt sich um eine über den vorliegenden Rechtsstreit hinausgehende Frage von weittragender Bedeutung, die sich auf eine Vielzahl von Fällen erstreckt. Das Versorgungsgericht konnte bei seiner Entscheidung die Prüfung einer etwaigen Zulässigkeit der Berufung gemäß § 150 Nr. 1 SGG noch nicht vornehmen, da das SGG damals noch nicht in Kraft war. Das LSG. hätte diese Frage prüfen müssen. Da es dies nicht getan hat, war das ergangene Urteil unter Berücksichtigung der in dem oben angeführten Urteil des Senats vom 16. Juni 1955 (BSG. 1 S. 62 (67)) entwickelten Grundsätze wegen Nichtbeachtung des § 150 Nr. 1 SGG durch das LSG. aufzuheben. Die Vorschrift des § 29 KVG stellt ausschließlich Berliner Recht dar, sie ist demzufolge gemäß § 162 Abs. 2 SGG nicht revisibel (so Urteil des Senats vom 8.12.1955 - BSG. 2 S. 106 (109 ff.)). Der Senat kann daher in der Sache nicht entscheiden. Sie war deshalb gemäß § 170 Abs. 2 Satz 2 SGG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG. Berlin zurückzuverweisen. Das LSG. wird unter Berücksichtigung der Entscheidung des BSG., daß es sich um eine Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung handelt und die Berufung daher zuzulassen war (§ 150 Nr. 1 SGG), in der Sache selbst zu entscheiden haben.

Die Kostenentscheidung war dem Schlußurteil vorzubehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2297016

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