Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeldanspruch – Sperrzeit – wichtiger Grund – Vermittlung in Leiharbeitsverhältnis – zumutbare Beschäftigung – Einzelfallprüfung – Höhe des Arbeitsentgelts
Leitsatz (amtlich)
Eine Sperrzeit kann auch eintreten, wenn der Arbeitslose ein angebotenes Leiharbeitsverhältnis nicht angenommen oder nicht angetreten hat.
Stand: 25. Februar 2002
Normenkette
SGB III §§ 35-36, 121 Abs. 3, § 144 Abs. 1 Nr. 2
Beteiligte
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 14. November 2000 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Der Rechtsstreit betrifft die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) wegen Eintritts einer Sperrzeit.
Der 1975 geborene Kläger schloß im Juli 1996 eine Ausbildung als Elektroinstallateur ab. Danach bezog er – mit Unterbrechungen durch mehrere jeweils nur wenige Wochen dauernde Beschäftigungen im erlernten Beruf und durch den von September 1997 bis September 1998 geleisteten Zivildienst – Alg. Zuletzt wurde ihm nach Arbeitslosmeldung am 31. Januar 1999 ab diesem Tag Alg bewilligt (Bescheid vom 18. Februar 1999) und bis einschließlich 28. Februar 1999 gezahlt. Ab 15. März 1999 war der Kläger als Bauhelfer beschäftigt.
Am 2. Februar 1999 übermittelte die Beklagte dem Kläger ein mit Rechtsfolgenbelehrung versehenes Stellenangebot als Elektroinstallateur bei der Firma (E.) in S., der die Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) erteilt worden war. E. informierte die Beklagte mit Schreiben vom 9. Februar 1999 über die Nichteinstellung des Klägers und begründete dies mit dem Hinweis: „Hatte alle Ausreden, möchte nicht in Zeitarbeit, der Weg ist ihm zu weit usw”. Die Beklagte hob daraufhin die Bewilligung von Alg für die Zeit vom 10. Februar bis 28. Februar 1999 auf und forderte Erstattung des in dieser Zeit gezahlten Alg von 792,11 DM sowie der hierauf entfallenden Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 247,33 DM (Bescheide vom 1. März 1999, Widerspruchsbescheid vom 17. Mai 1999).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage, mit welcher der Kläger im wesentlichen geltend gemacht hat, ihm dürfe nach einer Arbeitslosigkeit von gerade zwei Wochen noch kein Leiharbeitsverhältnis angeboten werden, abgewiesen (Urteil vom 30. September 1999). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 14. November 2000). In den Entscheidungsgründen hat das LSG ua ausgeführt: Die Voraussetzungen für ein Ruhen des Anspruchs wegen Eintritts einer Sperrzeit gemäß § 144 Abs 1 Nr 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) lägen vor. Der Kläger habe ein mit zutreffender Rechtsfolgenbelehrung versehenes, konkret bezeichnetes und sich im Rahmen des erlernten und ausgeübten Berufs haltendes Arbeitsangebot des Arbeitsamts vorsätzlich nicht angenommen. Der Kläger könne nicht mit Erfolg geltend machen, ein wichtiger Grund für die Nichtannahme des Angebots sei eine unzumutbare Vermittlung in ein Leiharbeitsverhältnis. E. sei im Besitz der Erlaubnis nach dem AÜG, unzumutbare Arbeitsbedingungen seien nicht behauptet worden; den Versuch, eine Vereinbarung über das zu erzielende Entgelt herbeizuführen, habe der Kläger nicht getätigt. Bei der individuellen Prüfung, ob ein Leiharbeitsverhältnis zumutbar sei, sei die Dauer der Arbeitslosigkeit zu berücksichtigen; nach Literaturmeinungen müsse die Vermittlung in ein reguläres Beschäftigungsverhältnis erfolglos versucht worden sein und auf längere Zeit nicht aussichtsreich erscheinen. Der Kläger mache zwar geltend, er habe im Juli 1996 seine Ausbildung zum Elektroinstallateur abgeschlossen und sei keinen auffällig langen einzelnen Zeitraum arbeitslos gewesen. Dem sei jedoch entgegenzuhalten, daß kein Arbeitsverhältnis im erlernten Beruf mehr als drei Monate bestanden habe und nach den Darlegungen der Arbeitsvermittlerin 28 Vermittlungsvorschläge ohne Erfolg geblieben seien, obwohl gelernte Elektroinstallateure „händeringend gesucht” würden. Daß das Angebot für den Kläger eine letzte Chance dargestellt habe, erhelle auch daraus, daß er in den folgenden Monaten keine Stelle im erlernten Beruf habe finden können und sich als Bauhelfer verdingt habe. Gerade im Beruf des Klägers werde der Bedarf der Arbeitgeber zunehmend über Zeitarbeitsfirmen gedeckt; die bei Zeitarbeit geforderte abwechselnde Betätigung an verschiedenen Stellen eröffne längerfristig die Chance zur festen Übernahme in einen Betrieb. Dem Kläger sei es deshalb nach mehreren kurzfristig gescheiterten Beschäftigungsverhältnissen zumutbar gewesen, diese Chance zu ergreifen. Ihm sei jedenfalls grobfahrlässige Unkenntnis iS von § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) vorzuhalten. Die Rücknahme des Bewilligungsbescheides sei deshalb ebenso rechtmäßig wie die Erstattungsforderung (§§ 45, 50 SGB X, § 335 SGB III).
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung der §§ 144 und 121 SGB III: Die Vermittlung in ein Leiharbeitsverhältnis kurz nach der Arbeitslosmeldung sei unzumutbar gewesen; für die Ablehnung des Angebots habe ein wichtiger Grund vorgelegen. In Literatur und Rechtsprechung werde bei Vermittlung in ein Leiharbeitsverhältnis das Vorliegen eines wichtigen Grundes nur dann verneint, wenn „bei wachsender Dauer der Arbeitslosigkeit eine Vermittlung in ein reguläres Arbeitsverhältnis auf längere Zeit aussichtslos” erscheine. Das LSG messe dagegen Leiharbeitsverhältnisse lediglich an § 121 Abs 3 bis 5 SGB III und übergehe die mit einem Leiharbeitsverhältnis verbundenen Nachteile für den Arbeitnehmer. Die für den Entleiherbetrieb geltenden kollektiv-rechtlichen Regelungen seien auf den Leiharbeitnehmer in der Regel zu dessen Nachteil nicht anwendbar. Kennzeichnend für die Tätigkeit eines Leiharbeitnehmers sei ein häufig wechselnder Einsatzort mit unterschiedlichen Fahrzeiten sowie die Notwendigkeit, sich den Weisungen wechselnder Entleiher zu unterwerfen und sich an fremden Arbeitsplätzen auf begrenzte Zeit immer wieder sozial einzugliedern. Die gravierenden Nachteile auch des legalen Verleihs ließen die Leiharbeit, die auch aus sozialethischer Sicht in Frage gestellt werden könne, im Hinblick auf Art 2 und Art 12 Grundgesetz (GG) allenfalls dann als akzeptabel erscheinen, wenn Arbeitnehmer diese Beschäftigungsform nicht unter mittelbarem staatlichen Zwang ausübten, sondern freiwillig wählten. Dem LSG seien auch Fehler in der Abwägung und ein Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz vorzuhalten. Es stelle bei der Prüfung des „wichtigen Grundes” auf die Dauer der Arbeitsverhältnisse ab; diese könne jedoch die Interessen der Versichertengemeinschaft nicht tangieren. Als „Abwägungsmaterial” komme allein die Dauer der Arbeitslosigkeit in Verbindung mit der Inanspruchnahme von Leistungen in Betracht. Auch die Folgerung des LSG, die Leiharbeit sei zumutbar, weil er später einer berufsfremden regulären Tätigkeit nachgegangen sei, beruhe auf einem Abwägungsmangel. Fehlerhaft sei auch, einerseits dem Kläger vorzuhalten, die vorausgegangenen Arbeitsverhältnisse hätten kaum länger als drei Monate bestanden, und andererseits davon auszugehen, Leiharbeitsverhältnisse würden die „Chance” zur festen Übernahme in einen Betrieb eröffnen. Laut amtlicher Statistik dauerten Leiharbeitsverhältnisse durchschnittlich drei Monate, weshalb kein Vorteil der Vermittlung in ein Leiharbeitsverhältnis im vorliegenden Fall zu erkennen sei. Schließlich habe das LSG bei der Anwendung des § 45 Abs 2 Nr 3 SGB X das Vorliegen der Voraussetzungen der „groben Fahrlässigkeit” rechtsfehlerhaft bejaht.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des LSG und des SG sowie die Bescheide der Beklagten vom 1. März 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Mai 1999 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die Rechtsauffassung des LSG für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung begründet.
Zu entscheiden ist nach den vom Kläger gestellten Anträgen ausschließlich über die Rechtmäßigkeit der Bescheide vom 1. März 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Mai 1999, mithin darüber, ob die Beklagte zu Recht die Alg-Bewilligung für die Zeit vom 10. bis 28. Februar 1999 aufgehoben und Erstattung des für diese Zeit gezahlten Alg zuzüglich Beiträge verlangt hat. Insoweit sind von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrensmängel, die einer Sachentscheidung des Revisionsgerichts entgegenstehen könnten, nicht ersichtlich. Insbesondere bedurfte die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des SG im Hinblick auf den Wert des Beschwerdegegenstandes von 1.039,44 DM (792,11 DM Alg, 247,33 DM Beiträge) nach § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) keiner Zulassung.
Nach § 335 Abs 1 Satz 1 und Abs 5 SGB III hat der Bezieher von Alg der beklagten Bundesanstalt für Arbeit gezahlte Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und zur sozialen Pflegeversicherung zu ersetzen, soweit die Entscheidung über die Leistung rückwirkend aufgehoben und das Alg zurückgefordert worden ist. Nach § 50 Abs 1 Satz 1 SGB X sind bereits erbrachte Leistungen, mithin auch Alg, zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist. Ob die Beklagte im März 1999 berechtigt war, die im Februar 1999 verfügte Alg-Bewilligung für den Zeitraum 10. bis 28. Februar 1999 zurückzunehmen, richtet sich – wovon das LSG zutreffend ausgegangen ist – nach § 45 SGB X. Danach darf ein begünstigender Verwaltungsakt zurückgenommen werden, wenn er rechtswidrig ist. Rechtswidrig wäre die Bewilligung von Alg bezogen auf den streitbefangenen Zeitraum dann, wenn in ihm der Anspruch des Klägers wegen Eintritts einer Sperrzeit geruht hätte. Ob dies der Fall ist, läßt sich anhand der bisherigen tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht abschließend beurteilen.
Nach § 144 Abs 1 Nr 2 SGB III setzt der Eintritt einer Sperrzeit von zwölf Wochen zunächst voraus, daß der Arbeitslose trotz Belehrung über die Rechtsfolgen eine vom Arbeitsamt unter Benennung des Arbeitgebers und der Art der Tätigkeit angebotene Arbeit nicht angenommen oder nicht angetreten hat (Sperrzeit wegen Arbeitsablehnung). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist nicht zweifelhaft. Nach den unangegriffenen und damit für den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) hat das zuständige Arbeitsamt dem Kläger ein Stellenangebot als Elektroinstallateur bei einem bestimmten Arbeitgeber unterbreitet; es handelt sich damit um ein den gesetzlichen Anforderungen entsprechendes, hinreichend konkretisiertes Angebot (vgl BSG SozR 3-4100 § 119 Nr 11). Dem steht nicht entgegen, daß es sich bei E. um ein Zeitarbeitsunternehmen handelte; denn dem Gesetz läßt sich nicht entnehmen, daß ein Arbeitgeber, der als Verleiher einem Dritten Leiharbeitnehmer zur Arbeitsleistung überlassen will (§ 1 AÜG), kein Arbeitgeber im Sinne des § 144 Abs 1 Nr 2 SGB III wäre. Nach den Feststellungen des LSG hat das Arbeitsamt den Kläger auch hinreichend über die Rechtsfolgen der Ablehnung des Angebotes belehrt und der Kläger hat trotz dieser Belehrung das Angebot nicht angenommen.
Der Eintritt einer Sperrzeit setzt gemäß § 144 Abs 1 SGB III allerdings weiter voraus, daß der Arbeitslose für sein Verhalten keinen wichtigen Grund hatte. Soweit sich der Kläger hierauf beruft und geltend macht, ein wichtiger Grund für die Ablehnung des Arbeitsangebotes habe bereits deswegen vorgelegen, weil die Vermittlung in ein Leiharbeitsverhältnis unzumutbar sei, folgt ihm der Senat nicht.
Ob ein wichtiger Grund für die Ablehnung eines Arbeitsangebotes vorliegt, ist unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Sperrzeitregelung zu beurteilen. Diese beruht auf dem Grundgedanken, daß sich die Versichertengemeinschaft gegen Risikofälle wehren muß, deren Eintritt der Versicherte selbst zu vertreten hat oder an deren Behebung er unbegründet nicht mithilft (BSGE 49, 197, 199 = SozR 4100 § 119 Nr 11 mwN; BSGE 71, 256, 261 = SozR 3-4100 § 119 Nr 7); eine Sperrzeit soll dann eintreten, wenn dem Arbeitnehmer unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung seiner Interessen mit den Interessen der Versichertengemeinschaft ein anderes Verhalten zugemutet werden kann (BSGE 51, 70, 71 = SozR 4100 § 119 Nr 13; BSGE 54, 7, 8 = SozR 4100 § 119 Nr 19; SozR 3-4100 § 119 Nr 11). Geboten ist somit eine Einzelfallprüfung. Ob dem Arbeitslosen wegen Unzumutbarkeit der angesonnenen Arbeit ein wichtiger Grund für sein Verhalten zur Seite steht, richtet sich nach den gesetzlichen Regelungen zur Arbeitsvermittlung (§§ 35, 36 SGB III) und zur Zumutbarkeit einer Beschäftigung (§ 121 SGB III).
Die Arbeitsvermittlung durch das Arbeitsamt umfaßt alle Tätigkeiten, die darauf gerichtet sind, Arbeitssuchende mit Arbeitgebern zur Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses zusammenzuführen (§ 35 Abs 1 Satz 2 SGB III); das Arbeitsamt darf nicht vermitteln, wenn ein Arbeitsverhältnis begründet werden soll, das gegen ein Gesetz oder die guten Sitten verstößt (§ 36 Abs 1 SGB III). Einem Arbeitslosen sind grundsätzlich alle seiner Arbeitsfähigkeit entsprechenden Beschäftigungen zumutbar, soweit allgemeine oder personenbezogene Gründe der Zumutbarkeit nicht entgegenstehen; aus allgemeinen Gründen ist eine Beschäftigung insbesondere nicht zumutbar, wenn die Beschäftigung (ua) gegen gesetzliche oder tarifliche Bestimmungen über Arbeitsbedingungen verstößt (§ 121 Abs 1 und 2 SGB III). Danach ist die Vermittlung in ein Leiharbeitsverhältnis, das den Vorgaben des AÜG entspricht, einem Arbeitslosen nicht generell – also ohne Berücksichtigung besonderer Umstände des Einzelfalles – nicht zuzumuten (so zutreffend LSG Niedersachsen info also 1996, 70; 70; vgl Gagel, AFG, § 119 Rz 289; Niesel, SGB III, § 144 Rz 89; aA Hauck/Noftz, SGB III, § 144 Rz 129 f; SG Hannover info also 1994, 132).
Allerdings bieten Leiharbeitsverhältnisse den Arbeitnehmern häufig ungünstige Lohn- und Arbeitsbedingungen. Die Entlohnung ist im Vergleich mit üblichen Beschäftigungen regelmäßig geringer; es wird von einer durchschnittlichen Einkommenseinbuße von ca ein Drittel ausgegangen, für niedrig qualifizierte Hilfstätigkeiten soll der Wert noch höher liegen (vgl Neunter Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen bei der Anwendung des AÜG ua, BT-Drucks 14/4220 S 15; Rudolph/Schröder, Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, 1997, 102, 117). Demgegenüber muß der Arbeitnehmer bereit sein, in verschiedenen Betrieben und ggf an verschiedenen Orten eingesetzt zu werden, und zwar weitgehend ungeschützt von der kollektiven Betriebsordnung. Die kollektiv-rechtlichen Regelungen des Entleiherbetriebs sind nur im beschränkten Umfange oder überhaupt nicht auf Zeitarbeitnehmer anwendbar. Die hohe Fluktuation in den Verleihbetrieben führt andererseits in der Regel dazu, daß keine Betriebsräte gewählt werden (BT-Drucks aaO S 15). Gegen die Vermittlung von Arbeitslosen, die eine Beschäftigung von Dauer suchen, in Leiharbeitsverhältnisse spricht, daß diese erfahrungsgemäß nur von kurzer Dauer sind (BT-Drucks aaO S 10; Rudolph/Schröder aaO S 118 ff). Bei anhaltend hoher Arbeitslosigkeit eröffnet jedoch eine Tätigkeit als Leiharbeitnehmer für viele Arbeitslose die Chance, auf verschiedenen Gebieten Erfahrungen zu sammeln, weshalb die Vermittlung in ein Leiharbeitsverhältnis von nicht unerheblicher Bedeutung für die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt sein kann (vgl BT-Drucks aaO S 11, 15). Nicht zuletzt deshalb hat der Gesetzgeber, der der besonderen Situation von Leiharbeitnehmern durch umfangreiche Schutzvorschriften (vgl etwa §§ 3, 7, 8, 11 AÜG) Rechnung getragen hat, auch zB durch Erweiterung der Regelungen zur Zulässigkeit der Befristung von Leiharbeitsverhältnissen bzw zur Höchstüberlassungsdauer (vgl § 3 Abs 1 Nr 3, 5 und 6 AÜG idF des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes vom 24. März 1997, BGBl I, 594) Möglichkeiten geschaffen, auch und gerade die Arbeitnehmerüberlassung zur Entlastung des Arbeitsmarktes einzusetzen (vgl BT-Drucks 13/4941 S 247 f). Dem Gesamtzusammenhang der gesetzlichen Regelungen zur Vermittlung und zur Zumutbarkeit einer Beschäftigung in der Arbeitslosenversicherung einerseits sowie zur Arbeitnehmerüberlassung andererseits ist demnach nicht zu entnehmen, ein angebotenes Leiharbeitsverhältnis könne generell mit wichtigem Grund abgelehnt werden. Die gegenteilige Auffassung läßt sich auch nicht mit verfassungsrechtlicher Argumentation, insbesondere mit Hinweisen auf Art 2 und 12 GG, rechtfertigen. Denn es kann unter Berücksichtigung des sozialstaatlichen Gebots der Gewährleistung der Funktionsfähigkeit der Arbeitslosenversicherung auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden sein, bei der Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes im Sinne des § 144 Abs 1 SGB III nicht isoliert auf das Leiharbeitsverhältnis, sondern auf alle maßgeblichen Gesichtspunkte des Einzelfalles abzustellen (vgl BVerfG SozR 4100 § 119 Nr 22).
Der Senat folgt darüber hinaus auch nicht dem Einwand des Klägers, ihm habe ein Leiharbeitsverhältnis jedenfalls nicht kurz nach der Arbeitslosmeldung – hier am 2. Februar 1999 nach Arbeitslosmeldung vom 31. Januar 1999 – angeboten werden dürfen. Zwar dürfte einem Arbeitslosen, der nach langer Beschäftigung erstmals arbeitslos geworden ist, unmittelbar nach Verlust der bisherigen Beschäftigung ungeachtet weiterer Bedingungen ein Leiharbeitsverhältnis nicht zumutbar sein, sofern die alsbaldige Vermittlung in ein übliches Arbeitsverhältnis nicht ausgeschlossen ist (vgl Niesel, SGB III, § 144 Rz 89; Gagel, AFG, § 119 Rz 289); denn bei der gebotenen Einzelfallprüfung ist auch die Dauer der Arbeitslosigkeit zu berücksichtigen (Niesel aaO; vgl auch Urteil des Senats vom 3. Mai 2001, B 11 AL 80/00 R, zur Veröffentlichung vorgesehen). So liegt der Fall hier jedoch nicht; auf eine längere Beschäftigung kann der Kläger nicht zurückblicken. Insoweit ist der nach Würdigung verschiedener Einzelumstände zum Ausdruck gebrachten Auffassung des LSG, in der Dauer der Arbeitslosigkeit könne kein Grund für eine Unzumutbarkeit des am 2. Februar 1999 unterbreiteten Angebots gesehen werden, zuzustimmen.
Das LSG hat seine Beurteilung entscheidend auf Beschäftigungszeiten und Zeiten der Arbeitslosigkeit des Klägers in der Zeit nach Abschluß der Ausbildung als Elektroinstallateur im Juli 1996 sowie auf die seitherigen Bemühungen der Arbeitsvermittlerin des Klägers gestützt. Es hat festgestellt, daß seit 1996 mehrfach vom Kläger eingegangene Arbeitsverhältnisse im erlernten Beruf nach kurzer Zeit arbeitgeberseitig beendet wurden, daß kein Arbeitsverhältnis mehr als drei Monate Bestand hatte und daß 28 Vermittlungsvorschläge der Arbeitsvermittlerin ohne Erfolg blieben, obwohl gelernte Elektroinstallateure „händeringend gesucht” wurden, also eine große Nachfrage vorhanden war. Unter diesen Umständen und unter Berücksichtigung der weiter festgestellten Tatsache, daß gerade im Beruf des Klägers der Bedarf von Arbeitgebern häufig über Zeitarbeitsfirmen abgedeckt wurde, ist die Auffassung des LSG, für den Kläger sei es zumutbar gewesen, das Angebot einer Arbeit bei E. anzunehmen, nicht zu beanstanden. Insbesondere ist es in Fällen wiederholter, immer wieder von kurzen Beschäftigungen unterbrochener Arbeitslosigkeit angemessen, bei der Prüfung der Zumutbarkeit auf einen längeren Gesamtzeitraum (hier etwa zweieinhalb Jahre) sowie auf die Dauer aufgenommener und immer wieder aufgegebener Beschäftigungen und nicht etwa nur auf die seit der letzten Arbeitslosmeldung verstrichene Zeit abzustellen; ein vom Kläger gerügter „Abwägungsfehler” des LSG ist insoweit nicht ersichtlich.
Dennoch kann aufgrund der bisher getroffenen Feststellungen die Beurteilung des LSG, das Arbeitsangebot bei E. sei zumutbar gewesen, nicht bestätigt werden. Denn nach § 121 Abs 3 SGB III ist eine Beschäftigung dann nicht zumutbar, wenn das daraus erzielbare Arbeitsentgelt erheblich niedriger ist als das der Bemessung des Alg zugrunde liegende Arbeitsentgelt. So ist in den ersten drei Monaten der Arbeitslosigkeit etwa ein Arbeitsentgelt nicht zumutbar, das um mehr als 20 Prozent niedriger liegt als das für die Bemessung des Alg maßgebende Entgelt (vgl § 121 Abs 3 Satz 2 SGB III). Dies bedeutet, daß der Kläger das Angebot zur Aufnahme der Tätigkeit bei E. dann mit wichtigem Grund iS des § 144 Abs 1 SGB III abgelehnt hätte, wenn er aus dieser Beschäftigung nur ein Arbeitsentgelt unterhalb der Grenzen des § 121 Abs 3 SGB III hätte erzielen können. In diesem Fall wäre keine Sperrzeit gemäß § 144 Abs 1 Nr 2 SGB III eingetreten. Feststellungen zur Höhe des in der angebotenen Beschäftigung bei E. erzielbaren Arbeitsentgelts hat das LSG indes nicht getroffen.
Solche Feststellungen waren nicht deshalb entbehrlich, weil der Kläger nicht versucht hat, eine Vereinbarung über das zu erzielende Entgelt herbeizuführen. Das Arbeitsangebot des Arbeitsamtes, der Nachweis der Gelegenheit zum Abschluß eines Arbeitsvertrages, bedarf zwar nicht in jedem Fall auch der Angabe, welcher Lohn gezahlt werden soll (BSGE 44, 71, 73 = SozR 4100 § 119 Nr 3; BSGE 52, 63, 66 ff = SozR 4100 § 119 Nr 15). Da eine Sperrzeit nach § 144 Abs 1 Nr 2 SGB III jedoch nur eintritt, wenn der Arbeitslose die angebotene Arbeit nicht angenommen oder nicht angetreten hat, ohne für sein Verhalten einen wichtigen Grund zu haben, ein solcher Grund aber vorliegt, wenn das Arbeitsangebot für den Arbeitslosen nicht zumutbar ist, müssen sich die Beklagte und im Rechtsstreit um eine Sperrzeit die Gerichte davon überzeugen, daß das zu erzielende Arbeitsentgelt die von § 121 Abs 3 SGB III gezogenen Grenzen nicht unterschritten hat. Gerade bei einer Vermittlung in ein Leiharbeitsverhältnis besteht hierfür Veranlassung, weil in diesen Arbeitsverhältnissen im Vergleich mit üblichen Beschäftigungen regelmäßig erheblich geringere Löhne erzielt werden. Daß der Kläger weder gegenüber E. noch im Widerspruchsverfahren sich auf einen Lohnabstand berufen hat, ist unerheblich; es genügt für den wichtigen Grund, daß dieser objektiv vorliegt (vgl BSG SozR Nr 1 zu § 80 AVAVG; BSGE 69, 108, 114 = SozR 3-4100 § 119 Nr 6; Gagel, SGB III, Stand August 2001, § 144 Rz 99; Niesel, SGB III, § 144 Rz 78). Daß der Kläger E. möglicherweise zur Höhe des Entgelts überhaupt nicht befragt und jedenfalls nicht mit E. über das Entgelt verhandelt hat, konnte weder die Beklagte noch die Gerichte von ihrer Verpflichtung entbinden, alle Tatsachen zu ermitteln, die für das Vorliegen eines wichtigen Grundes von Bedeutung sein können.
Da es sich bei der Entgelthöhe um eine für das Vorliegen eines wichtigen Grundes erhebliche Tatsache handelt, zu der keine Feststellungen getroffen sind, ist der Senat nicht in der Lage darüber zu befinden, ob eine Sperrzeit eingetreten ist. Auch aus anderen Gründen ist es dem Senat nicht möglich, abschließend zu entscheiden. Die Auffassung des LSG, die Beklagte sei gemäß § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X berechtigt gewesen, die Alg-Bewilligung für die Zeit vom 10. bis 28. Februar 1999 rückwirkend aufzuheben, weil der Kläger die – vom LSG angenommene – Rechtswidrigkeit der Bewilligung jedenfalls grob fahrlässig nicht gekannt habe, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Soweit das LSG in diesem Zusammenhang auf den Inhalt des ausgehändigten Merkblattes und im übrigen auf das Einsichts- und Beurteilungsvermögen des Klägers abgestellt hat, handelt es sich um die Feststellung von Tatsachen, an die der Senat nach § 163 SGG gebunden ist. Das Berufungsurteil ist daher gemäß § 170 Abs 2 Satz 2 SGG aufzuheben und die Sache an das LSG zurückzuverweisen, damit dieses die notwendigen Feststellungen treffen kann.
Bei seiner erneuten Entscheidung, die auch die Kosten des Revisionsverfahrens umfassen wird, hat das LSG auch Gelegenheit, seine Auffassung zu § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X zu überprüfen, wenn eine Sperrzeit zu bestätigen ist; dabei sollte auch berücksichtigt werden, daß es gerade Sinn der bei einer Sperrzeit nach § 144 Abs 1 Nr 2 SGB III zwingend erforderlichen Belehrung ist, den Arbeitslosen auf die Rechtsfolgen hinzuweisen, die ihm drohen, wenn er die angebotene Arbeit nicht annimmt oder nicht antritt.
Fundstellen
FA 2002, 158 |
NZA 2002, 437 |
AP, 0 |
FEVS 2002, 385 |
NZA-RR 2002, 657 |
SozR 3-4300 § 144, Nr. 7 |
PP 2002, 45 |
SozSi 2003, 321 |