Leitsatz (amtlich)
War eine Gesundheitsstörung als Dienstschädigungsfolge nach dem Reichsversorgungsgesetz anerkannt und ist diese inzwischen abgeklungen, so liegt keine rechtsverbindliche Entscheidung im Sinne des BVG § 85 S 1 vor.
Normenkette
BVG § 85 S. 1 Fassung: 1950-12-20
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts ... vom 17. Februar 1955 wird zurückgewiesen.
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts ... vom 17. Februar 1955 und des Sozialgerichts ... vom 9. Juli 1954 insoweit aufgehoben, als darin "nervöse Störungen schwerer Art" als Schädigungsfolgen anerkannt worden sind.
Die Klage wird insoweit abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der am 6. Dezember 1887 geborene Kläger bezog nach dem Rentenänderungsbescheid des Versorgungsamtes (VersA.) ... vom 15. Januar 1930 für "ausgedehnte Narbenbildung an der rechten Schulter und nervöse Störungen schwererer Art", hervorgerufen durch Schrapnellschußverletzung, nach dem Reichsversorgungsgesetz (RVG) eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE.) um 40 v. H. Er erhielt in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands bis einschließlich Dezember 1950 eine Invalidenrente. Nach seinem Zuzug in ... (West) hat er am 19. Januar 1951 die Gewährung von Versorgung wegen Lungen-, Herz- und Leberleidens, grünen Stars, Rheumatismus und operierter Leistenbrüche beantragt. Das VersA. ... hat ohne ärztliche Nachuntersuchung mit Bescheid vom 4. Januar 1952 "ausgedehnte Narbenbildung an der rechten Schulter und nervöse Störungen schwererer Art", hervorgerufen durch schädigende Einwirkungen im Sinne des § 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG), anerkannt und dem Kläger vom 1. Dezember 1950 ab eine Rente nach einer MdE. um 40 v. H. bewilligt. In dem Bescheid ist ausgeführt, daß der bis 1945 anerkannte Grad der MdE. in der gleichen Höhe übernommen worden sei. Für die anderen geltend gemachten Gesundheitsschäden lägen keine Beweisunterlagen vor.
Auf den Einspruch des Klägers hat das Landesversorgungsamt (LVersA.) ... am 5. Februar 1953 entschieden, daß das Versorgungsleiden nach dem inzwischen eingeholten versorgungsärztlichen Gutachten des Dr. ... vom 15. Januar 1953 mit dem Prüfungsvermerk vom 2. Februar 1953 als "ausgedehnte Narbenbildung in der rechten Schultergegend, knöchern geheilte Rippenbrüche der 4. bis 7. Rippe rechts mit starker Knochenschwielenbildung (Kallusbildung)" zu bezeichnen sei. Ein Stecksplitter sei röntgenologisch weder in der Schultergegend noch in der Lebergegend gefunden worden. Eine Leberverletzung sei nach Lage der Narben unwahrscheinlich. Die nach dem ersten Weltkrieg als Versorgungsleiden anerkannten nervösen Störungen schwererer Art seien nach ärztlicher Beurteilung abgeklungen. Die jetzt bestehende nervöse Übererregbarkeit stehe mit den Schädigungen des ersten Weltkrieges nicht mehr in ursächlichem Zusammenhang. Die durch das Versorgungsleiden bedingte MdE. werde in wohlwollender Weise wie bisher auf 40 v.H. festgesetzt. Die übrigen geltend gemachten Gesundheitsstörungen müßten bei der Beurteilung des Versorgungsanspruchs außer Betracht bleiben, da sie nach den bisherigen gesetzlichen Vorschriften nicht als Leistungsgrund anerkannt gewesen seien und mit den anerkannten Schädigungsfolgen nicht in ursächlichem Zusammenhang stünden. Das VersA. hat dem Kläger mit Benachrichtigung vom 17. Februar 1953 die neue Bezeichnung der Schädigungsfolgen mitgeteilt und vermerkt, daß die Benachrichtigung nur im Zusammenhang mit dem Bescheid vom 4. Januar 1952 gelte.
Der Kläger hat gegen diese Entscheidung Klage beim Versorgungsgericht ... erhoben. Das Sozialgericht (SGer.) ..., auf das diese Klage nach dem Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) am 1. Januar 1954 übergegangen war, hat ein Gutachten des Prof. Dr. ... in ... eingeholt. Dieser Arzt hat im Gutachten vom 7. Mai 1954 ausgeführt, daß außer den mit starker Knochenschwielenbildung verheilten Verletzungen der 4. bis 7. hinteren Rippe rechts und starker Narbenbildung in der rechten Schultergegend Folgen der Schrapnellschußverletzung nicht nachgewiesen seien. Die Bewertung der MdE. mit 40 v.H. durch das VersA. sei als besonders wohlwollend anzusehen. Vom ärztlichen und versorgungsrechtlichen Standpunkt aus lasse sie sich nicht rechtfertigen. Eine Leberfunktionsstörung bestehe nicht. Auch am Herzen sei klinisch, röntgenologisch und elektrokardiographisch kein krankhafter Befund festzustellen. Wenn man eine nervöse Übererregbarkeit annehme - von schweren nervösen Störungen zu sprechen sei man nicht berechtigt - so könnten diese unmöglich auf das 40 Jahre zurückliegende Kriegsgeschehen bezogen werden. Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers hat in der mündlichen Verhandlung vor dem SGer. ... am 9. Juli 1954 beantragt, Herz-, Lungen- und Leberleiden, ferner nervöse Störungen mit leichter Erregbarkeit des Klägers als weitere Versorgungsleiden anzuerkennen und die Höhe des Grades der MdE. auf mindestens 50 v. H. festzusetzen.
Das SGer. ... hat durch Urteil vom 9. Juli 1954 "ausgedehnte Narbenbildung an der rechten Schultergegend, knöchern geheilte Rippenbrüche der 4. bis 7. Rippe rechts mit starker Knochenschwielenbildung (Kallusbildung) und nervöse Störungen schwererer Art" als Schädigungsfolgen anerkannt und den Bescheid des VersA. ... vom 4. Januar 1952, die Benachrichtigung dieser Behörde vom 17. Februar 1953 und die Einspruchsentscheidung des LVersA. ... vom 5. Februar 1953, soweit sie entgegenstehen, aufgehoben. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Es hat seine Entscheidung damit begründet, daß nach dem Gutachten von Prof. Dr. ... der Atmungsvorgang durch die Verwundungsfolgen nicht beeinträchtigt sei. Ein Leber- und Herzleiden liege nicht vor. Nervöse Störungen seien im Hinblick auf § 85 BVG als Versorgungsleiden anzuerkennen, weil nach der Bescheinigung des früheren VersA. ... vom 23. Juli 1942 nervöse Störungen schwererer Art als Dienstbeschädigungsfolgen anerkannt gewesen seien. Die Leidensbezeichnung müsse daher insoweit ergänzt werden. Eine Erhöhung des Grades der MdE. sei jedoch nicht gerechtfertigt, weil nach den übereinstimmenden Beurteilungen der Versorgungsärzte und des Prof. ... die früher anerkannten nervösen Störungen abgeklungen seien und die jetzt bei dem Kläger bestehende nervöse Übererregbarkeit keine Schädigungsfolge sei. Zudem bedingten die Verwundungsfolgen an der Schulter und an den Rippen nach der Beurteilung von Prof. ... nur eine MdE. um höchstens 20 v.H.
Gegen dieses Urteil haben der Kläger und der Beklagte Berufung eingelegt. Der Kläger hat eine Stellungnahme seines behandelnden Arztes ... vom 18. September 1954 vorgelegt, in der u.a. ausgeführt ist, daß die schweren Störungen des vegetativen Nervensystems nicht anlagemäßig bedingt, sondern durch die Schockwirkung der schweren Verwundung ausgelöst seien. Er bewerte die MdE., die auf die Verwundung zurückzuführen sei, mit 50 v. H. und schlage vor, den Kläger gegebenenfalls stationär untersuchen zu lassen.
Das Landessozialgericht (LSGer.) ... hat die Berufungen der Beteiligten durch Urteil vom 17. Februar 1955 zurückgewiesen und die Revision zum Bundessozialgericht (BSGer.) zugelassen. Es hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, daß die vom Kläger als Schädigungsfolgen neuerdings geltend gemachten Gesundheitsstörungen nach § 57 BVG nicht berücksichtigt werden könnten, weil sie nicht als Folgen einer Schädigung anerkannt gewesen seien und nicht mit einer anerkannten Gesundheitsschädigung in ursächlichem Zusammenhang stünden. Nach dem Gutachten des Prof. ... läge weder ein Lungenleiden noch ein Herz- oder Leberleiden vor. Die Stellungnahme des ... könne das Gutachten des Prof. ... nicht entkräften. Die Berufung des Klägers sei daher unbegründet. Die früher anerkannten "nervösen Störungen schwererer Art" seien zwar abgeklungen und etwa heute noch vorhandene neurotische Störungen könnten nicht auf die Folgen des ersten Weltkrieges zurückgeführt werden; trotzdem müsse diese Leidensbezeichnung aber wegen der Rechtskraftwirkung des Bescheides vom 15. Januar 1930 nach § 85 BVG beibehalten werden, wenn ihr auch jetzt eine inhaltliche Bedeutung nicht mehr zukomme. Die Berufung des Beklagten sei deshalb unbegründet. Da die Frage der Anwendbarkeit der materiellen Rechtskraft auf Bescheide der Versorgungsbehörden bei der Auslegung des § 85 BVG von grundsätzlicher Bedeutung sei, habe das LSGer. die Revision zugelassen.
Gegen dieses Urteil haben beide Beteiligte Revision eingelegt. Der Kläger hat in der am 1. April 1955 beim BSGer. eingegangenen Revisionsschrift beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils entsprechend den Anträgen erster Instanz zu erkennen.
Er hat in der am 25. April 1955 beim BSGer. eingegangenen Revisionsbegründung ausgeführt, daß nach § 85 BVG der einmal festgestellte Kausalzusammenhang nicht nachprüfbar sei. Die frühere Anerkennung sei auch dann rechtsverbindlich, wenn ein als Versorgungsleiden anerkanntes Leiden nach den heutigen Erkenntnissen der ärztlichen Wissenschaft nicht auf Kriegseinwirkungen zurückzuführen sei. Im übrigen seien die früher anerkannten nervösen Störungen schwererer Art mit den jetzt festgestellten neurotischen Störungen identisch.
Der Beklagte hat beantragt,
die Revision des Klägers als unzulässig zu verwerfen und den Hilfsantrag gestellt, sie als unbegründet zurückzuweisen.
Er hat ausgeführt, daß die Revision nur für ihn zugelassen worden sei. Wenn sich das Gericht dieser Auffassung nicht anschließe, sei die Revision des Klägers unbegründet, weil eine nach früheren versorgungsrechtlichen Vorschriften als Schädigungsfelge anerkannt gewesene Gesundheitsstörung nach dem BVG dann nicht anzuerkennen sei, wenn die Gesundheitsstörung inzwischen abgeklungen sei.
Der Beklagte hat mit einem beim BSGer. am 4. April 1955 eingegangenen Schriftsatz gegen das Urteil des LSGer. ... vom 17. Februar 1955 ebenfalls Revision eingelegt und beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils der Berufung gegen die Entscheidung des Sozialgerichts ... vom 9. Juli 1954 stattzugeben.
Er hat in der am 28. April 1955 beim BSGer. eingegangenen Revisionsbegründung ausgeführt, daß eine Bindung an die einmal ergangene Verwaltungsentscheidung dann nicht bestehe, wenn eine Änderung der Verhältnisse eingetreten sei. Das Abklingen der nervösen Störungen des Klägers sei eine solche wesentliche Änderung der Verhältnisse und berechtige zur Streichung der alten Leidensbezeichnung. Aus § 85 BVG könne nicht entnommen werden, daß ein nach alten versorgungsrechtlichen Vorschriften ergangener Bescheid einer Nachprüfung entzogen sei. Er könne durch einen Berichtigungsbescheid aufgehoben und eine in der Zwischenzeit eingetretene Änderung der Verhältnisse müsse bei der Erstanerkennung nach dem BVG berücksichtigt werden. Wenn man in einem solchen Fall einen formellen Änderungsbescheid verlange, dann könne der Bescheid vom 4. Januar 1952 gleichzeitig als Änderungsbescheid ausgelegt werden. Auch nach der Ansicht des LSGer. seien die als Dienstbeschädigungsfolgen anerkannt gewesenen nervösen Störungen abgeklungen. Einer abweichenden Beurteilung der medizinischen Zusammenhangsfrage bezüglich der heute bestehenden neurotischen Störungen stehe § 163 SGG entgegen.
Die Revision des Klägers ist statthaft, da das LSGer. sie zugelassen hat (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Der Senat hat sich den Ausführungen des Prozeßbevollmächtigten des Beklagten in der mündlichen Verhandlung, das LSGer. habe die Revision nur für den Beklagten zugelassen, nicht angeschlossen. Das Berufungsgericht hat nämlich die Zulassung nicht ausdrücklich auf einen der beiden Beteiligten beschränkt. Aus seiner Begründung für die erfolgte Zulassung der Revision ist eine solche Absicht ebenfalls nicht erkennbar. Das Berufungsgericht hat vielmehr allgemein ausgeführt, daß es den Revisionszug eröffne, weil die Frage der Anwendbarkeit der materiellen Rechtskraft auf Bescheide der Versorgungsbehörden im Zusammenhang mit der Auslegung des § 85 BVG von grundsätzlicher Bedeutung sei. Diese Frage war für das Begehren der beiden Beteiligten wesentlich. Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Der Revisionsantrag des Klägers, das genau bezeichnete Urteil der Vorinstanz abzuändern und entsprechend den in der ersten Instanz gestellten Anträgen zu erkennen, ist ein bestimmter Antrag im Sinne des § 164 Abs. 2 Satz 1 SGG, da das Revisionsbegehren des Klägers aus jenen Anträgen ersichtlich ist. Die Revision des Klägers ist daher zulässig.
Sie ist jedoch nicht begründet. Das Urteil des LSGer. läßt die behauptete Verletzung des § 85 Satz 1 BVG nicht erkennen. Nach dieser Vorschrift ist eine nach bisherigen versorgungsrechtlichen Vorschriften über die Frage des ursächlichen Zusammenhanges einer Gesundheitsstörung mit einem schädigenden Ereignis im Sinne des § 85 Satz 1 BVG getroffene Entscheidung auch nach diesem Gesetz rechtsverbindlich. Diese Vorschrift bezweckt, daß der ursächliche Zusammenhang nach dem BVG anerkannt werden muß, wenn bei gleichliegendem Tatbestand nach früherem Recht Versorgung bezogen worden war. Eine solche Bindung an die frühere Anerkennung ist auch dann gegeben, wenn sich die medizinische Beurteilung des ursächlichen Zusammenhanges in der Zwischenzeit geändert hat. Dagegen besteht eine Bindung an die einmal erfolgte Anerkennung nicht, wenn sich die Grundlage eines Leidens inzwischen geändert hat. Das Berufungsgericht hat hierzu festgestellt, daß die früher bei dem Kläger als Dienstbeschädigungsfolgen nach dem RVG anerkannten nervösen Störungen schwererer Art abgeklungen seien und daß eine heute bestehende nervöse Übererregbarkeit auf einer anderen, von der Verwundung im Jahre 1914 unabhängigen Grundlage beruhe. Das Revisionsgericht ist an diese tatsächlichen Feststellungen gebunden, da in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe nicht vorgebracht sind (§ 163 SGG). Die aus § 85 Satz 1 BVG hergeleitete Rüge ist deshalb nicht begründet.
Das LSGer. hat darüber hinaus die Klage auch insoweit abgewiesen, als der Kläger die Anerkennung eines Herz-, Lungen- und Leberleidens als Schädigungsfolgen und die Gewährung der Rente nach einer MdE. um mindestens 50 v. H. beantragt hat. In der Revision hat er zwar insoweit keine Gesetzesverletzung gerügt; das Revisionsgericht hat aber nach §§ 202 SGG, 559 Satz 2 ZPO das angefochtene Urteil auch insoweit nachzuprüfen. Es ist hierbei nicht an den geltend gemachten Revisionsgrund gebunden, sondern hat auch nicht gerügte Rechtsverletzungen zu berücksichtigen (vgl. Stein-Jonas-Schönke, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 18. Aufl., Anm. V zu § 559; Rosenberg, Lehrbuch des Deutschen Zivilprozeßrechts, § 143 II 2; Schunk-De Clerk, Gesetz über das Bundesverwaltungsgericht, Anm. 3 zu § 56). Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß der Kläger sowohl die Anerkennung verschiedener Leiden als Schädigungsfolgen als auch eine höhere Rente begehrt; denn es handelt sich dabei nicht um verschiedene Ansprüche, von denen jeder in der Revision einer besonderen Begründung bedürfte. Vielmehr bildet die Frage, welche Leiden als Schädigungsfolgen anzuerkennen sind, die Grundlage für die Entscheidung, ob und in welchem Umfange Leistungen zu gewähren sind. Soweit das angefochtene Urteil die Anerkennung der geltend gemachten Leiden als Schädigungsfolgen abgelehnt hat, sind seine Ausführungen frei von Rechtsirrtum. Die Feststellungen der Vorinstanz, daß diese Leiden nicht vorliegen, sind für das BSGer. bindend, da zulässige und begründete Revisionsgründe nicht vorgebracht sind (§ 163 SGG).
Die Revision des Klägers ist somit unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).
Die Revision des Beklagten ist statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet (§ 164 SGG).
Das Rechtsmittel ist daher zulässig.
Die Revision des Beklagten ist auch begründet. Der Senat hat sich der Ansicht der Vorinstanz, daß die in dem Rentenbescheid des VersA. ... vom 15. Januar 1930 als Dienstbeschädigungsfolgen anerkannten nervösen Störungen schwererer Art, obwohl sie vor der Bescheiderteilung nach dem BVG abgeklungen waren, wegen der materiellen Rechtskraft dieses Bescheids nach § 85 Satz 1 BVG auch nach diesem Gesetz anerkannt werden müssen, nicht angeschlossen. § 85 Satz 1 BVG will nämlich nur eine Schlechterstellung des Versorgungsberechtigten und eine medizinische Überprüfung des einmal festgestellten ursächlichen Zusammenhangs verhindern. Diese Vorschrift zwingt aber nicht dazu, anerkannte Gesundheitsstörungen zu übernehmen, die nicht mehr bestehen. Da das BVG eine von früherem Recht unabhängige Neuregelung des Rechts der Kriegsopfer darstellt, sind bei der ersten Feststellung der Versorgungsbezüge nach diesem Gesetz die tatsächlichen Verhältnisse für die Entscheidung maßgebend, die bei dieser Feststellung vorgelegen haben. Das hat zur Folge, daß eine in der Zwischenzeit bis zu dieser Feststellung eingetretene Änderung der Verhältnisse zu berücksichtigen ist. Die gegenteilige Ansicht von Carstensen (ZfS. 1953 S. 69), auf die sich das Berufungsgericht zur Begründung seiner gegenteiligen Ansicht gestützt hat, wird im Schrifttum und auch von der bisherigen Rechtsprechung einhellig abgelehnt (vgl. Wilke, BVBl. 1954 S. 13 und KOV. 1955 S. 93; Schwankhart, KOV. 1953 S. 82; van Nuis, VersB. 1952 S. 9 und Bünger, VersB. 1952 S. 17; Schönleiter, Bundesversorgungsgesetz, Erl. 1 zu § 85; Thannheiser-Wende-Zech, Handbuch des Bundesversorgungsrechts, Erl. zu § 85 BVG; Grunds. Entsch. Nr. 63 des Bayer. LVAmts. vom 5.12.1951 - Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Arbeit und soziale Fürsorge 1952 Teil B S. 34; Urteil des LSGer. Berlin vom 16.11.1954 - Breith. 1955 S. 775). Eine solche Änderung der Verhältnisse liegt auch dann vor, wenn eine als Dienstbeschädigungsfolge anerkannte Gesundheitsstörung vor der Bescheiderteilung nach dem BVG abgeklungen und nicht mehr vorhanden war. In einem solchen Fall liegt keine rechtsverbindliche Entscheidung im Sinne des § 85 Satz 1 BVG vor (ebenso Schönleiter a.a.O., Erläuterung 4 zu § 85; Urteil des LSGer. Berlin vom 16.11.1954 a.a.O.; und in ähnlich gelagerten Fällen die Urteile des Bayer. EVAmts. vom 4.11.1952 - Amtsblatt 1953 Teil B S. 83 Nr. 503 - und vom 24.2.1953 - Amtsblatt 1953 Teil B S. 176 Nr. 549). Dem Einwand des Klägers, daß ein einmal anerkanntes Dienstbeschädigungsleiden auch nach seinem Abklingen anerkannt bleiben müsse, weil sich die Versorgungsbehörden sonst bei Eintritt eines Rückfalles auf die Rechtskraft des Bescheids berufen könnten, kommt keine Bedeutung zu. Denn nach dem Wegfall einer Schädigungsfolge muß bei erneuter Geltendmachung einer Gesundheitsstörung mit gleichen Symptomen die Frage des ursächlichen Zusammenhangs stets neu geprüft werden.
Auch der Umstand, daß das VersA. ... die Bezeichnung der alten Dienstbeschädigungsfolgen zunächst wörtlich in den Bescheid vom 4. Januar 1952 übernommen hat, steht dem Revisionsbegehren des Beklagten nicht entgegen. Diese Bescheiderteilung ist ohne ärztliche Nachuntersuchung ergangen, weil sie nicht durch die Anordnung einer Nachuntersuchung verzögert werden sollte, zumal der Rentenantrag des Klägers erst ein Jahr nach Eingang beim VersA. bearbeitet werden konnte. Die Aufnahme der Leidensbezeichnung "nervöse Störungen schwererer Art" in dem Bescheid vom 4. Januar 1952 bedeutet deshalb nur eine Wiederholung der früher anerkannten Dienstbeschädigungsfolge. Ein unbedingtes Anerkenntnis des Inhalts, daß die frühere Anerkennung ohne Rücksicht auf eine inzwischen eingetretene Änderung der Verhältnisse für die Entscheidung nach dem BVG maßgeblich sein sollte, kann darin nicht erblickt werden. Der Gesetzgeber hat für die Fälle, in denen die Rente nach dem BVG ohne vorherige Nachuntersuchung unter Übernahme des bisher anerkannten Grades der MdE. festgestellt worden ist, der Versorgungsbehörde gestattet, diese Nachuntersuchung binnen vier Jahre nach dem Inkrafttreten des BVG nachzuholen und die Rente gegebenenfalls entsprechend dem neuen Befund festzusetzen (§ 86 Abs. 3 BVG). Diese Vorschrift kann zwar auf den vorliegenden Fall nicht unmittelbar angewendet werden, da der Kläger letztmals Versorgung nach dem RVG bis zum 30. April 1945 bezog, Bezüge auf Grund des vor dem Inkrafttreten des BVG geltenden Rechts aber nicht festgestellt waren. Es bestehen jedoch keine Bedenken, den Grundgedanken des § 86 BVG auch dann zur Anwendung zu bringen, wenn bei der Bescheiderteilung nach dem BVG die in dem letzten Bescheid nach dem RVG bezeichneten Dienstbeschädigungsfolgen ohne Überprüfung durch eine Nachuntersuchung übernommen worden sind, um den Antragsteller rasch in den Genuß der Versorgungsbezüge zu bringen. Auch in einem solchen Fall muß es der Versorgungsbehörde gestattet sein, die Nachuntersuchung nachzuholen und eine zwischenzeitlich eingetretene Änderung der Verhältnisse zu berücksichtigen. Eine solche Änderung liegt jedenfalls vor, wenn die Versorgungsbehörde bei der Nachuntersuchung feststellt, daß eine Dienstbeschädigungsfolge vor der Bescheiderteilung nach dem BVG abgeklungen und deshalb nicht mehr vorhanden war. Das LVersA. konnte daher in dem Einspruchsbescheid vom 5. Februar 1953 das Versorgungsleiden in der vorgenommenen Weise beschränken. Die Mitteilung des VersA. ... vom 17. Februar 1953 ist nur in Ausführung des Einspruchsbescheides vom 5. Februar 1953 ergangen. Da das LSGer. in tatsächlicher Hinsicht festgestellt hat, daß die früher anerkannten nervösen Störungen abgeklungen und die heute bestehende nervöse Übererregbarkeit mit diesen nervösen Störungen nicht identisch sind, sondern auf einer von den Verwundungsfolgen und den Verhältnissen des im ersten Weltkriegs geleisteten Militärdienstes unabhängigen Grundlage beruhen, hätte es bei richtiger Anwendung des § 85 Satz 1 BVG das Urteil des SGer. ... vom 9. Juli 1954 insoweit aufheben müssen, als der Beklagte zur Anerkennung von nervösen Störungen schwererer Art als Schädigungsfolgen verpflichtet worden war. Das Urteil der Vorinstanz war daher insoweit aufzuheben, als es diese Verurteilung bestätigt hat. In demselben Umfang war auch das Urteil des SGer. aufzuheben und die Klage insoweit abzuweisen, da weitere tatsächliche Feststellungen nicht mehr notwendig sind (§ 170 Abs. 2 Satz 1 SGG).
Kosten sind nicht zu erstatten, da die Aufwendungen des Beklagten nicht erstattungsfähig sind (§ 193 Abs. 1 und Abs. 4 SGG).
Fundstellen