Entscheidungsstichwort (Thema)
Kriegsopferversorgung. militärähnlicher Dienst iS des § 1 Abs 1 BVG. Dienst auf Grund der Notdienstverordnung
Orientierungssatz
1. Die Auslegung des Berufungsgerichts des § 3 Abs 1 Buchst k BVG, wonach als militärähnlicher Dienst im Sinne des § 1 Abs 1 BVG nur derjenige Dienst auf Grund der 3. Verordnung zur Sicherstellung des Kräftebedarfs für Aufgaben von besonderer staatspolitischer Bedeutung (Notdienstverordnung; juris: NotdienstV 3) vom 15.10.1938 gilt, der ein militärisches oder militärähnliches Gepräge gehabt, zumindest aber im Zusammenhang mit der Kriegführung gestanden und somit den Interessen der Wehrmacht gedient habe, ist unrichtig.
2. Das BSG hat bereits zur Auslegung des § 3 Abs 1 Buchst k BVG ausdrücklich Stellung genommen (vgl Urteil des 10. Senats vom 26.11.1957 - 10 RV 475/55 = BSGE 6, 129) und unter Hinweis auf den Gesetzeswortlaut, die Entstehungsgeschichte und den inneren Grund der Regelung ausgesprochen, dass von der Vorschrift jeder Dienst auf Grund der oa Notdienstverordnung erfasst werde, auch wenn er nicht für die Wehrmacht geleistet worden sei.
Normenkette
BVG § 3 Abs. 1 Buchst. k; NotdienstV 3
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 17.12.1957) |
SG Lübeck (Urteil vom 07.07.1955) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Schleswig vom 17. Dezember 1957 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der Kläger - früher Schriftsteller und Kunsthistoriker, jetzt Geschäftsführer einer Plakatwerbefirma - beantragte im November 1947, ihm wegen eines Augenleidens Versorgungsrente zu gewähren. Er habe - so begründete er seinen Antrag - von 1916 bis 1919 Militärdienst geleistet und sei von Dezember 1939 bis zum 27. Juli 1946 in Dänemark und Italien kriegsdienstverpflichtet und interniert gewesen. Das Augenleiden stehe mit diesen Dienstleistungen in Zusammenhang. Die Versorgungsverwaltung lehnte durch Bescheid vom 6. Februar 1953 eine Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) ab, weil die Verwendung des Klägers im auswärtigen Dienst nicht mit besonderen, dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnissen verbunden gewesen sei und der Kläger daher nicht zu dem versorgungsberechtigten Personenkreis gehöre. Nachdem der hiergegen eingelegte Einspruch erfolglos geblieben war, hat der Kläger beim Sozialgericht (SG.) Lübeck Klage erhoben. Das SG. hat die Klage durch Urteil vom 7. Juli 1955 abgewiesen. Gegen diese Entscheidung hat der Kläger Berufung eingelegt; er hat begehrt, den Beklagten zur Erteilung eines neuen Bescheides über die Gewährung einer Rente vom 1. November 1947, hilfsweise vom 1. März 1952 an zu verurteilen. Die Berufung ist vom Landessozialgericht Schleswig (LSG.) durch Urteil vom 17. Dezember 1957 zurückgewiesen worden: Die Trigeminusneuralgie stehe mit dem vom Kläger geleisteten Dienst in beiden Weltkriegen in keinem ursächlichen Zusammenhang. Der Kläger leide außerdem an einer hochgradigen Schwachsichtigkeit des rechten Auges, an Alterssichtigkeit sowie an angeborenem geringen Astigmatismus des linken Auges. Die Schädigung des linken Auges verursache keine meßbare Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE.). Die Schädigung des rechten Auges sei zwar auch nicht durch Einflüsse, denen der Kläger während des zweiten Weltkrieges und der nachfolgenden Internierung ausgesetzt gewesen sei, verursacht; sehr wahrscheinlich sei aber ein beachtlicher Teil des bestehenden Krankheitszustandes auf die infolge der genannten Einflüsse aufgetretene Verschlimmerung zu beziehen. Von der Zeit, in der der Kläger den unter Umständen zur Verschlimmerung führenden Einflüssen ausgesetzt gewesen sei, sei aber nur die Zeit von Dezember 1939 bis zum 9. April 1940, in der man den Kläger auf Grund der Notdienstverordnung vom 15. Oktober 1938 für Zwecke der Wehrmacht nach Dänemark entsandt habe, sowie die Zeit der Internierung in Italien 1945/46 versorgungsrechtlich erheblich. Dagegen könne nicht festgestellt werden, daß der Kläger auch nach der Besetzung Dänemarks, als er der Kulturabteilung beim Bevollmächtigten des Reiches in Dänemark zugeteilt gewesen sei, und später noch Dienst auf Grund der Notdienstverordnung geleistet habe. Selbst wenn letzteres aber der Fall gewesen sein sollte, falle diese Zeit weder unter § 3 Abs. 1 Buchst. k BVG noch unter Abs. 2 dieser Vorschrift. Die Verpflichtung auf Grund der Notdienstverordnung allein genüge nicht zur Annahme eines militärischen oder militärähnlichen Dienstes, wenn nicht der Dienst selbst typisch militärischen oder militärähnlichen Charakter gehabt habe. Der gegenteiligen Ansicht des Bundessozialgerichts. - BSG. - (BSG. 6 S. 129) könne nicht gefolgt werden, weil das Ergebnis zu sehr dem Sinn und Zweck des BVG, die Opfer des Krieges zu versorgen, widersprechen würde. Zumindest müsse die Dienstleistung im Zusammenhang mit der Kriegführung gestanden haben. Deshalb könne es dahingestellt bleiben, ob der Kläger seit Mai 1940 auf Grund der Notdienstverordnung Dienst geleistet habe oder nicht. Denn der Kläger habe in dieser Zeit keinen Dienst für die Wehrmacht, sondern Dienst bei Gesandtschaften, Reichsbevollmächtigten und Generalkonsulaten geleistet, sei vom Auswärtigen Amt besoldet worden und habe ihm personell unterstanden. Auch die Art der Tätigkeit habe ziviles Gepräge gehabt. Da der Kläger somit nur in der Zeit von Ende 1939 bis Anfang Mai 1940 und während der Internierung zu dem Personenkreis des BVG gehört habe, er aber - abgesehen von der Internierung - gerade die Zeit von Ende 1940 bis Anfang 1941 für die Auslösung oder Verschlimmerung seines Leidens durch Belastungen des Dienstes bezw. durch Eindringen eines Fremdkörpers in das Auge verantwortlich mache, könne nur die Zeit der Internierung als versorgungsrechtlich erheblich in Betracht kommen. Bei einer MdE. von insgesamt höchstens 25 v. H. könne der Anteil, der auf Einflüsse dieser Zeit zurückzuführen sei, auch dann keinen rentenberechtigenden Grad erreichen, wenn man berücksichtige, daß der Kläger nur noch als Geschäftsführer einer Plakatwerbefirma tätig sein könne und somit beruflich besonders betroffen sei. Das LSG. hat die Revision zugelassen.
Gegen dieses am 19. März 1958 zugestellte Urteil hat der Kläger mit einem am 2. April 1958 beim BSG. eingegangenen Schriftsatz Revision eingelegt und beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG. zurückzuverweisen.
In der - nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist - am 4. Juni 1958 eingegangenen Revisionsbegründung rügt der Kläger die Verletzung formellen (§ 123 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) und materiellen (§ 4 a der Sozialversicherungsdirektive - SVD - Nr. 27 in Verb. mit § 3 g der Sozialversicherungsanordnung - SVA - Nr. 11; § 3 Abs. 1 Buchst. k BVG) Rechts: Das LSG. habe lediglich über den Anspruch nach dem BVG entschieden; es habe aber auch über den Anspruch nach der SVD Nr. 27 entscheiden müssen, denn er habe bereits im November 1947 den ersten Antrag gestellt. Ein am 16. Oktober 1948 erteilter Bescheid könne nicht als endgültige Ablehnung des Anspruchs nach der SVD Nr. 27 aufgefaßt werden. Sachlich-rechtlich könne der vom LSG. vorgenommenen Auslegung des § 3 Abs. 1 Buchst. k BVG und der entsprechenden Vorschrift der SVA Nr. 11 nicht gefolgt werden. Diese Auslegung sei weder aus dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte noch aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift zu rechtfertigen. Das LSG. hätte deshalb auch eindeutige Feststellungen darüber treffen müssen, ob der Kläger auch nach dem 9. April 1940 auf Grund der Notdienstverordnung Dienst geleistet haber oder nicht.
Der Beklagte beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Er meint, der Anspruch nach der SVD Nr. 27 sei nicht mehr Gegenstand des Revisionsverfahrens. Hinsichtlich der Auslegung des § 3 Abs. 1 Buchst. k BVG sei einzuräumen, daß die Auslegung des LSG. im Gesetz keine Stütze finde.
Die durch Zulassung statthafte Revision (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 164 SGG); sie ist daher zulässig.
Die Revision ist auch begründet. Das angefochtene Urteil war aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG. zurückzuverweisen.
Die Sachentscheidung des Berufungsgerichts beruht wesentlich auf der Auffassung, daß als militärähnlicher Dienst im Sinne des § 1 Abs. 1 BVG nur derjenige Dienst auf Grund der 3. Verordnung zur Sicherstellung des Kräftebedarfs für Aufgaben von besonderer staatspolitischer Bedeutung (Notdienstverordnung) vom 15. Oktober 1938 (§ 3 Abs. 1 Buchst. k BVG) gelte, der ein militärisches oder militärähnliches Gepräge gehabt, zumindest aber im Zusammenhang mit der Kriegführung gestanden und somit den Interessen der Wehrmacht gedient habe. Diese Auslegung des Gesetzes ist unrichtig. Das BSG. hat bereits zur Auslegung dieser Vorschrift ausdrücklich Stellung genommen (vgl. Urteil des 10. Senats vom 26.11.1957 in BSG. 6 S. 129) und unter Hinweis auf den Gesetzeswortlaut, die Entstehungsgeschichte und den inneren Grund der Regelung ausgesprochen, daß von der Vorschrift jeder Dienst auf Grund der o. a. Notdienstverordnung erfaßt werde, auch wenn er nicht für die Wehrmacht geleistet worden sei. Der erkennende Senat hat sich dieser Auffassung in seinem nicht veröffentlichten Urteil vom 22. Januar 1959 - 8 RV 115/56 - angeschlossen. Die Ausführungen, mit denen das Berufungsgericht seine von der Auslegung des BSG. abweichende Ansicht begründet, geben keine Veranlassung, von dieser Rechtsprechung abzuweichen. Das LSG. meint, die Einbeziehung aller Notdienstverpflichteten in den versorgungsberechtigten Personenkreis widerspreche so sehr dem Sinn und Zweck des BVG, die Opfer des Krieges zu versorgen, daß eine so weite Auslegung nicht Rechtens sein könne. Diese allgemeine Erwägung vermag aber nicht die zu der vom BSG. vorgenommenen Auslegung führenden zwingenden Gründe zu entkräften. Im übrigen verkennt das LSG., daß alle Notdienstverpflichtungen seit Kriegsausbruch zumindest mittelbar im Zusammenhang mit der Kriegführung standen. Schließlich gehören auch Personen, die anläßlich ihrer Notdienstverpflichtung eine Schädigung erlitten, wegen einer solchen Schädigung aber als Notdienstverpflichtete nicht den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung genossen, zu den "Opfern", d. h. Benachteiligten des Krieges, denen durch entsprechende Versorgungsansprüche ein Ersatz für den fehlenden Unfallversicherungsschutz geschaffen werden mußte.
Für die Sachentscheidung ist somit im Gegensatz zu der Auffassung des LSG. wesentlich, ob der Kläger auch noch seit Mai 1940 Dienst auf Grund der Notdienstverordnung geleistet hat. Hierzu hat das LSG. keine eindeutigen Feststellungen getroffen. Es hat zwar in den Gründen zunächst ausgeführt, auf Grund der erschöpfenden Beweisaufnahme könne nicht festgestellt werden, daß auch der nach dem 9. April 1940 geleistete Dienst auf Grund der Notdienstverordnung geleistet worden sei. In den weiteren Gründen heißt es aber, diese Frage könne dahingestellt bleiben, denn auch wenn es sich um einen Dienst auf Grund der Notdienstverordnung gehandelt habe, so sei es doch aus anderen Gründen kein Dienst im Sinne des § 3 Abs. 1 Buchst. k BVG gewesen. Es ist daher für den erkennenden Senat nicht klar, ob das LSG. zu der nach seiner Ansicht nicht entscheidenden Frage endgültig tatsächliche Feststellungen treffen bezw. eine endgültige Beweiswürdigung vornehmen wollte oder nicht. Zwar führt das LSG. in der Folge abschließend aus, "hiernach" sei "tatsächlich festzustellen", daß der Kläger nur in der Zeit von Ende Dezember 1939 bis Anfang Mai 1940 und während der Internierung in den Jahren 1945/46 zum Personenkreis des BVG gehört habe. Hierbei handelt es sich aber um die Zusammenfassung der tatsächlichen und rechtlichen Wertungen, die das LSG. veranlaßt haben, die Zugehörigkeit zu dem Personenkreis des BVG zu verneinen. Diese Ausführungen können daher die Unklarheit nicht beseitigen. Ist aber nicht klar erkennbar, daß das Berufungsgericht tatsächliche Fragen endgültig entscheiden wollte, so können derartige "Feststellungen" keine Grundlage für die Entscheidung des Revisionsgerichts bilden, insbesondere das Revisionsgericht nicht nach § 163 SGG binden (vgl. BSG. 9 S. 158 (164); BSG. in SozR. SGG § 163 Bl. Da 2 Nr. 6). Das Revisionsgericht kann die fehlenden Feststellungen selbst nicht treffen. Das angefochtene Urteil war daher schon aus diesem Grunde aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG. zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).
Da durch diese Aufhebung und Zurückverweisung die Sache ohnehin erneut zu verhandeln und entscheiden ist, erübrigte sich ein Eingehen auf den vom Kläger gerügten Verfahrensmangel. Durch die Zurückverweisung erhält das LSG. die Möglichkeit, über den in der Berufung gestellten Antrag auch insoweit, als Versorgung für die Zeit vor dem Inkrafttreten des BVG verlangt wird, zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.
Fundstellen