Leitsatz (amtlich)

Der im Juli 1939 in der SS-Verfügungstruppe geleistete Dienst war weder militärischer noch militärähnlicher Dienst im Sinn des BVG (Anschluß BSG 1957-02-14 8 RV 623/55 = SozR Nr 2 zu § 2 BVG).

 

Normenkette

BVG § 2 Fassung: 1950-12-20, § 3 Fassung: 1950-12-20

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 12. September 1956 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Der Kläger erlitt am 31. Juli 1939 in M einen Motorradunfall. Er war damals Angehöriger der SS-Standarte Deutschland. Infolge des Unfalls mußte ihm der linke Oberschenkel amputiert werden. Mit Bescheid vom 10. August 1948 lehnte die Landesversicherungsanstalt (LVA.) Württemberg die Versorgungsansprüche des Klägers nach den Vorschriften des Körperbeschädigten-Leistungsgesetzes (KBLG) ab, weil der Kläger den Unfall als Angehöriger der SS-Standarte Deutschland bereits vor Kriegsbeginn erlitten habe und nach § 1 Abs. 2 KBLG Leistungen für Folgen einer solchen Schädigung nicht gewährt werden dürften.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger zunächst Berufung ein, nahm sie dann aber zurück. Als er später nach Inkrafttreten des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) erneut Versorgung beantragte, lehnte das Versorgungsamt (VersorgA.) I S seinen Antrag mit Bescheid vom 6. Juni 1952 ab. Es hielt den rechtskräftigen Bescheid vom 10. August 1948 auch für die Entscheidung über den Versorgungsanspruch des Klägers nach den Vorschriften des BVG gemäß § 85 dieses Gesetzes für rechtsverbindlich. Die Berufung des Klägers gegen diesen Bescheid hatte keinen Erfolg. Das Württembergische Oberversicherungsamt (OVA.) in S lehnte mit Urteil vom 4. November 1953 den Versorgungsanspruch des Klägers zwar nicht auf Grund des § 85 BVG ab, sondern deshalb, weil auch bei einer erneuten sachlichen Prüfung der Dienst des Klägers in der SS-Verfügungstruppe vor Kriegsausbruch nicht als militärischer Dienst im Sinne des § 2 BVG anzusehen sei und deshalb der Kläger auch nicht für seine Körperschäden Versorgung gemäß § 1 BVG erhalten könne. Die Berufung des Klägers wurde mit Urteil des Landessozialgerichts (LSG.) Baden-Württemberg in Stuttgart vom 12. September 1956 zurückgewiesen. Das LSG. hielt die Ablehnung der Versorgungsansprüche des Klägers auf Grund des § 85 BVG für gerechtfertigt, da die frühere rechtskräftige Entscheidung auch insoweit rechtsverbindlich sei, als sie die Zugehörigkeit des Klägers zum versorgungsberechtigten Personenkreis betreffe. Voraussetzung sei zwar, daß sich inhaltlich die maßgeblichen Bestimmungen des KBLG und des BVG über den versorgungsberechtigten Personenkreis decken. Dies sei jedoch der Fall, soweit dafür der Dienst des Klägers in der SS-Standarte Deutschland in Frage komme. Die Revision wurde vom LSG. zugelassen.

Gegen dieses am 27. Oktober 1956 zugestellte Urteil hat der Kläger mit Schriftsatz vom 9. November 1956, eingegangen beim Bundessozialgericht (BSG.) am gleichen Tage, Revision eingelegt und sie mit seinem Schriftsatz vom 9. Januar 1957, eingegangen beim BSG. am 11. Januar 1957, begründet. Er beantragt:

1) das Urteil des LSG. Baden-Württemberg vom 12. September 1956, das Urteil des Württembergischen OVA. vom 4. November 1953 sowie den Bescheid des VersorgA. I Stuttgart vom 6. Juni 1952 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den Verlust des linken Beines als Folge einer Schädigung im Sinne des BVG anzuerkennen und dem Kläger vom 1. April 1951 ab eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE.) um 80 v. H. zu gewähren,

2) den Revisionsbeklagten ferner zu verurteilen, dem Revisionskläger die außergerichtlichen Kosten zu erstatten,

3) hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG. Baden-Württemberg zu verweisen.

Er rügt zunächst eine Verletzung des § 85 BVG und beruft sich auf die Entscheidung des erkennenden Senats vom 16. Oktober 1956 - 10 RV 1050/55 -, wonach die Rechtsverbindlichkeit der Entscheidung nach den bisherigen Versorgungsvorschriften sich nur auf den ursächlichen Zusammenhang bezieht, nicht aber auf die Zugehörigkeit des Beschädigten zum versorgungsberechtigten Personenkreis. Der Kläger gehöre aber zum versorgungsberechtigten Personenkreis. Sein Dienst in der SS-Verfügungstruppe sei schon vor Beginn des zweiten Weltkrieges militärischer Dienst nach deutschem Wehrrecht gemäß § 2 BVG gewesen. Dies ergebe sich daraus, daß es sich um eine Truppe und nicht um eine Parteiformation handelte, daß die Wehrpflicht in dieser Truppe abgeleistet werden konnte, und daß diese Truppe der Dienstaufsicht und der obersten Kommandogewalt des Oberbefehlshabers der Wehrmacht unterlag. Zum mindesten müsse der Dienst in der SS-Verfügungstruppe aber als militärähnlicher Dienst im Sinne des § 3 BVG gelten, denn die SS-Verfügungstruppe sei schon zur Zeit des Unfalls auf Grund des Befehls Hitlers an die Wehrmacht über die Angriffsvorbereitungen gegen Polen vom 3. April 1939 (Fall Weiß) ebenso wie die Wehrmacht für militärische Zwecke und unter militärischem Oberbefehl eingesetzt gewesen. Wenn der Dienst auf Grund der Notdienstverordnung gemäß § 3 Buchst. k BVG als militärähnlicher Dienst gelte, so müsse auch der Dienst in der SS-Verfügungstruppe in der Zeit der Kriegsvorbereitung als solcher gelten.

Der Beklagte, der in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten war, hat in seinem Schriftsatz vom 25. Januar 1957 beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

In Übereinstimmung mit der Auffassung des Klägers hält er die Ablehnung der Versorgungsansprüche des Klägers allein auf Grund des § 85 BVG nicht für begründet. Im Ergebnis sei aber das angefochtene Urteil richtig, weil der Kläger keinen militärischen oder militärähnlichen Dienst im Sinne der §§ 2, 3 BVG geleistet habe. Die SS-Verfügungstruppe sei nach dem im Urteil des LSG. angeführten Erlaß Hitlers vom 17. August 1938 kein Teil der Wehrmacht gewesen. Als militärähnlicher Dienst im Sinne des § 3 Abs. 1 Buchst. k BVG könne der Dienst in dieser Truppe schon deswegen nicht angesehen werden, weil die Notdienstverordnung erst nach Entstehung der SS-Verfügungstruppe erlassen und wirksam geworden sei. Im übrigen sei der Dienst in der SS-Verfügungstruppe auch nicht von den Polizeiverwaltern, Oberbürgermeistern und Landräten erfordert worden, die nach der Notdienstverordnung allein Leistungen fordern konnten.

Die Revision ist frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden. Durch die Zulassung im angefochtenen Urteil ist sie auch statthaft. Die sonach zulässige Revision ist aber nicht begründet.

Der Ansicht des LSG., daß die Versorgungsansprüche des Klägers abzulehnen seien, weil der Bescheid. vom 10. August 1948 gemäß § 85 BVG auch für die Entscheidung der Frage rechtsverbindlich sei, ob der Kläger militärischen oder militärähnlichen Dienst im Sinne des BVG geleistet habe, kann nicht gefolgt werden. Wie der erkennende Senat in seinen Urteilen vom 6. Oktober 1956 und 13. November 1956 (SozR. BVG § 85 Bl. Ca 2 Nr. 4 und Bl. Ca 3 Nr. 6) und der 8. Senat in seinem Urteil vom 31. Januar 1957 (8 RV 109/55) ausgeführt haben, ist eine nach bisherigen versorgungsrechtlichen Vorschriften ergangene Entscheidung gemäß § 85 nur rechtsverbindlich, soweit über den ursächlichen Zusammenhang zwischen einer Gesundheitsstörung und einem schädigenden Vorgang im Sinne des § 1 BVG entschieden ist. Die Rechtsverbindlichkeit erstreckt sich aber nicht auf die Entscheidung über die Zugehörigkeit zum versorgungsberechtigten Personenkreis. Der Senat hatte auf Grund der Ausführungen des LSG. keine Veranlassung, von seiner bisherigen Auffassung, die im übrigen von beiden Beteiligten vertreten wird, abzuweichen.

Es mußte daher erneut geprüft werden, ob der Kläger zum versorgungsberechtigten Personenkreis im Sinne des BVG gehört. Wenngleich das LSG. diese Prüfung nur bei der Gegenüberstellung der Vorschriften des KBLG mit denen des BVG vorgenommen hat, so ist seine Ansicht doch zutreffend, daß der Kläger nicht zum versorgungsberechtigten Personenkreis des BVG gehört, weil sein Dienst in der SS-Standarte Deutschland weder militärischer noch militärähnlicher Dienst war. Wie der 8. Senat in seinem Urteil vom 14. Februar 1957 - 8 RV 623/55 - (SozR. BVG § 3 Bl. Ca 3 Nr. 3) eingehend dargelegt hat, kann der Dienst in der SS-Verfügungstruppe nach der Entstehungsgeschichte dieser SS-Einheiten, nach ihrem Unterstellungsverhältnis und ihren Aufgaben, wie sie sich insbesondere aus dem Erlaß Hitlers vom 17. August 1938 (Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof, Nürnberg, Bd. XXVI, S. 190 ff.) ergeben, nicht als ein nach deutschem Wehrrecht geleisteter militärischer Dienst im Sinne des § 2 BVG angesehen werden.

Dem Kläger ist zwar zuzugeben, daß das erwähnte Urteil des 8. Senats den Dienst in der SS-Verfügungstruppe im April 1935 beurteilt und im Urteil die Möglichkeit einer anderen Beurteilung des Dienstes in der SS-Verfügungstruppe zu späterer Zeit offen gelassen ist. Jedoch ist der Dienst in der SS-Verfügungstruppe zur Zeit des Unfalls des Klägers am 31. Juli 1939 noch nicht militärischer Dienst nach deutschen Wehrrecht gewesen. Nach den §§ 1, 2 des Wehrgesetzes vom 21. Mai 1935 war die Wehrdienstpflicht in der Wehrmacht abzuleisten. Zur Wehrmacht gehörte die SS-Verfügungstruppe in diesem Zeitpunkt aber nicht. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß nach dem Erlaß Hilters vom 17. August 1938 durch den Dienst in dieser Truppe die gesetzliche aktive Dienstpflicht als erfüllt galt. Aus § 201 des Wehrmachtsfürsorge- und Versorgungsgesetzes (WFVG) vom 26. August 1938 (RGBl. I S. 1077) und aus den Ausführungsbestimmungen zu dieser Vorschrift vom 10. November 1938 (RGBl. I S. 1607), auf welche sich der spätere Erlaß Hitlers vom 1. August 1939 (RGBl. 1939 I S. 1335) nochmals bezieht, geht hervor, daß die Einheiten der SS-Verfügungstruppen nicht als zur Wehrmacht gehörig betrachtet wurden, denn sonst wäre es nicht nötig gewesen, die entsprechende Anwendbarkeit der für die Wehrmachtsangehörigen geltenden Vorschriften für die Angehörigen der SS-Verfügungstruppe besonders anzuordnen. Die SS-Verfügungstruppe unterstand im Frieden auch nicht einem militärischen Befehlshaber, sondern dem Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei (Abschn. I Ziff. 1 des Erlasses vom 17.8.1938). Ob der Dienst in der SS-Verfügungstruppe mit Ausbruch des zweiten Weltkrieges als Dienst nach deutschem Wehrrecht anzusehen ist, worauf die in dem erwähnten Erlaß für den Mobfall veränderten Aufgaben und möglichen anderweitigen Unterstellungsverhältnisse der SS-Verfügungstruppe hindeuten, und was nach der Entstehungsgeschichte des BVG anzunehmen ist, kann im Fall des Klägers unerörtert bleiben. Der Unfall des Klägers ereignete sich jedenfalls vor Kriegsausbruch, gleichgültig welcher Tag als Zeitpunkt des Kriegsausbruches angesehen werden kann. Der Dienst des Klägers am 31. Juli 1939 in der SS-Standarte Deutschland, die zu dieser Zeit nicht zur deutschen Wehrmacht gehörte, war somit kein militärischer Dienst nach deutschem Wehrrecht im Sinne des § 2 BVG.

Es war aber auch kein militärähnlicher Dienst im Sinne des § 3 BVG. Wie im § 5 BVG die Fälle der unmittelbaren Kriegseinwirkung erschöpfend aufgezählt sind (vgl. BSG. 2 S. 29), so sind im § 3 BVG, worauf der 8. Senat in seinem Urteil hinweist, die Fälle des militärähnlichen Dienstes erschöpfend aufgezählt. Eine Ausdehnung dieser Vorschrift auf Dienstleistungen ähnlicher Art ist nicht möglich. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob die SS-Verfügungstruppe ebenso wie die Wehrmacht auf den Befehl Hitlers an die Wehrmacht über die Angriffsvorbereitungen gegen Polen vom 3. April 1939 - Fall Weiß - (Dokumente der deutschen Politik und Geschichte, 5. Bd., S. 39 Nr. 18) eingesetzt war, und ob damit der Dienst in der SS-Verfügungstruppe den gleichen Aufgaben diente wie der auf Grund der Notdienstverordnung (§ 3 Abs. 1 Buchst. k BVG) geleistete, den das Gesetz als militärähnlichen Dienst gelten läßt. Da das BVG den Dienst in der SS-Verfügungstruppe, auch wenn er unter den vom Kläger behaupteten Verhältnissen geleistet sein sollte, nicht im § 3 BVG erwähnt hat, kann dieser Dienst entgegen der abschließenden Aufzählung im § 3 BVG nicht als militärähnlicher Dienst angesehen werden. Damit entfallen aber die Versorgungsansprüche des Klägers, ohne daß es einer Feststellung bedurfte, ob die SS-Standarte Deutschland damals bereits zur Kriegsvorbereitung gegen Polen eingesetzt war und ob der Kläger die gesundheitliche Schädigung am 31. Juli 1939 durch eine Dienstverrichtung oder durch einen Unfall während der Ausübung des Dienstes in seiner SS-Einheit erlitten hat. Das LSG. hat somit im Ergebnis zu Recht die Berufung des Klägers gegen das klagabweisende Urteil des Württembergischen OVA. zurückgewiesen. Die Revision gegen das Urteil des LSG. mußte daher zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2290975

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