Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesellschaftsvermögen. GmbH. wesentlicher Bestandteil. Werterhaltung. überlassene Sachen. Handlungstendenz. Sozialraum. werterhaltende Arbeiten
Orientierungssatz
Unabhängig von der Nutzung, dem sein Vermögen im einzelnen zugeführt wird, umfaßt der Betrieb eines Unternehmens sozialversicherungsrechtlich auch die Werterhaltung aller zum Vermögen des Unternehmens gehörenden Sachen. Unternimmt ein Benutzer werterhaltende Arbeiten an den ihm überlassenen Sachen (hier Reparatur der Außentür des ihm zur Verfügung gestellten Aufenthaltsraumes), so tragen sie regelmäßig eine Handlungstendenz in sich, die wesentlich auf das Unternehmensinteresse gerichtet ist. Eine solche werterhaltende Renovierungsarbeit an einer zum Gesellschaftsvermögen gehörenden Sache ist daher eine nach § 548 Abs 1 RVO versicherte Tätigkeit.
Normenkette
RVO § 548 Abs 1; BGB §§ 94, 536, 541a
Verfahrensgang
Tatbestand
In dem Verfahren um Witwenentschädigung streiten die Beteiligten, ob der Tod des Ehemannes der Klägerin durch einen Arbeitsunfall eingetreten ist.
Der Fliesenlegermeister Otto G. (G.), der Ehemann der Klägerin, war Mitgesellschafter der Firma Fliesen-G. GmbH (F.), Fliesengeschäft und Marmorwerk, und wurde von dieser Firma als Geschäftsführer beschäftigt. Ihn fand die Klägerin am Dienstag, den 19. Juli 1983 auf dem Betriebsgelände des Unternehmens tot auf. Er hatte mit einer Schleifmaschine gearbeitet, die mit einer defekten, ungeschützten elektrischen Zuleitung versehen war. Dabei war er von einem tödlichen Stromschlag getroffen worden.
Die Beklagte lehnte es ab, der Klägerin Witwenentschädigung zu gewähren (Bescheid vom 12. Januar 1984, Widerspruchsbescheid vom 26. Juli 1984). Zwar ging sie davon aus, daß G. bei ihr nach § 539 Abs 1 Nr 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) versichert gewesen sei, aber sie entschied, G. sei nicht bei einer versicherten Tätigkeit verunglückt. Er sei zum Unfallzeitpunkt damit beschäftigt gewesen, eine ausgehängte Tür abzuschleifen, die vom Garten aus zu einem Schlafzimmer geführt habe. Innerhalb des Betriebsgebäudes sei neben anderen dieser Raum der privaten Nutzung des G. zugeführt worden.
Das Sozialgericht (SG) Mannheim hat die Beklagte dagegen verurteilt, der Klägerin Witwenentschädigung zu gewähren und hat die Berufung zugelassen (Urteil vom 25. Februar 1986). Vor dem Landessozialgericht (LSG) ist die Beklagte ebenfalls ohne Erfolg geblieben (Urteil vom 3. März 1988). Das LSG hat festgestellt, daß G. in dem Aufenthaltsraum, den die bearbeitete Tür abschloß, werktags zur Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit die Mahlzeiten einnahm und dort nur übernachtete, wenn sich seine betriebliche Tätigkeit bis spät in die Abendstunden erstreckt hatte. Der Aufenthaltsraum habe zum Betriebsvermögen des Unternehmens gehört. So sei er auch steuerrechtlich behandelt worden. Im übrigen sei die gesamte Werkshalle dem Betriebsvermögen der GmbH zuzurechnen. Die Reparatur der Außentür als wesentlicher Bestandteil der Werkshalle habe objektiv der Erhaltung des Betriebsvermögens gedient und werde somit vom betrieblichen Interesse umfaßt. Es sei deshalb eine versicherte Tätigkeit gewesen, bei der G. verunglückt sei.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Beklagte die Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör als Verfahrensfehler sowie die rechtsirrige Bejahung eines Arbeitsunfalls. Das LSG habe seine Entscheidung für alle Beteiligten überraschend ausschließlich auf die steuerliche Bewertung der privat von G. genutzten Räume als Betriebsvermögen gestützt. Das Urteil sei deshalb unter Verletzung der §§ 62 und 128 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ergangen. Entgegen der Ansicht des LSG vertrete sie die Meinung, daß das Abschleifen der zur Werkshalle gehörenden Außentür zu dem überwiegend von G. privat genutzten Raum nicht im inneren Zusammenhang mit dem Beschäftigungsverhältnis stehe.
Die Beklagte beantragt,
die angefochtenen Urteile aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Zutreffend haben das SG und das LSG der Klägerin dem Grunde nach Witwenentschädigung zugesprochen, da ihr Ehemann durch einen Arbeitsunfall tödlich verunglückt ist (§ 589 Abs 1 RVO). Die Tätigkeit, bei der G. verunglückte, stand in dem nach § 548 Abs 1 RVO erforderlichen inneren Zusammenhang mit dem Betrieb der Firma F. (s BSGE 61, 127, 128; BSG SozR 2200 § 539 Nr 119; BSGE 58, 76, 77; BSG SozR Nr 22 zu § 548 RVO; Krasney BG 1987, 383). Sie war deshalb nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO versichert.
Nach den insoweit unangegriffenen und deshalb für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) gehörte das Betriebsgelände mit der darauf errichteten (alten) Werkshalle jedenfalls zivilrechtlich zum Gesellschaftsvermögen der Firma F., abgesehen von der steuerrechtlichen Frage, ob es auch Betriebsvermögen gewesen ist (s § 4 Einkommensteuergesetz -EStG-; BFHE 151, 360, 363 f). Demzufolge sind sowohl der dem G. zur Verfügung gestellte Aufenthaltsraum als auch die von ihm bearbeitete Außentür als wesentliche Bestandteile des Grundstücks und der Werkshalle (§ 94 Abs 1 und 2 Bürgerliches Gesetzbuch -BGB-) Sachen des Gesellschaftsvermögens gewesen. Unabhängig von der Nutzung, dem sein Vermögen im einzelnen zugeführt wird, umfaßt der Betrieb eines Unternehmens sozialversicherungsrechtlich auch die Werterhaltung aller zum Vermögen des Unternehmens gehörenden Sachen. Denn der Wert des Vermögens trägt in dem Bereich, in dem sich das Unternehmen betätigt, zu seinem betriebsnotwendigen Ansehen bei. Diese Belange des Unternehmens und sein darauf gerichtetes Interesse sind wegen des Vermögenswerts der Sache denen des Benutzers vorrangig, dem die einzelne Sache nur zum Gebrauch überlassen worden ist (s zB §§ 536, 541a BGB). Unternimmt ein Benutzer werterhaltende Arbeiten an den ihm überlassenen Sachen, so tragen sie regelmäßig eine Handlungstendenz in sich (s Krasney aaO S 383), die wesentlich auf das Unternehmensinteresse gerichtet ist. Sie wäre es zB dann nicht und zielte stattdessen vorrangig auf das eigene Interesse, wenn es der Benutzer als eigene Pflicht übernommen hätte, für die Werterhaltung zu sorgen, oder wenn er Arbeiten wesentlich allein im eigenen Interesse ausführte. So war es indessen hier nicht. Das LSG hat keine Anhaltspunkte dafür festgestellt, die auf eine solche eigene, private Verpflichtung des G. gegenüber der Firma F. oder auf eine wesentlich allein auf eigene Interessen des G. gerichtete Tätigkeit schließen lassen. Da G. nach den bindenden Feststellungen des LSG damit beschäftigt war, werterhaltende Renovierungsarbeiten an einer zum Gesellschaftsvermögen der Firma F. gehörenden Sache vorzunehmen, erlitt er den tödlichen Unfall somit bei einer versicherten Tätigkeit gemäß § 548 Abs 1 RVO. Auf die Frage, ob die Firma F. nicht auch betrieblich interessiert gewesen sein kann, ihrem Geschäftsführer G. den Aufenthaltsraum als Sozialraum zur Verfügung zu stellen, damit er dort werktags seine Mahlzeiten einnehmen und sich von der Betriebsarbeit auf kürzestem Wege erholen kann, kommt es danach nicht mehr an.
Die Beklagte hat den zur steuerrechtlichen Bewertung des Aufenthaltsraums geltend gemachten Verfahrensfehler nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG nicht zulässig gerügt (§ 164 Abs 2 Satz 3 letzter Teilsatz SGG). Sie hat nicht schlüssig dargelegt, daß die Entscheidung des LSG darauf beruhen kann. Nach dem oben Dargelegten ist das wegen der rechtlichen Unerheblichkeit des Steuerrechts in diesem Falle ausgeschlossen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen