Leitsatz (amtlich)

Eine Unterhaltspflicht "nach den Vorschriften des EheG iS von AVG § 42 (= RVO § 1265) ist auch dann gegeben, wenn der Versicherte zZt seines Todes der geschiedenen Frau einen Beitrag zu ihrem Unterhalt nach EheG § 60 zu leisten hatte. Auch in diesem Falle ist die Unterhaltspflicht aus dem Gesetz und nicht erst aus einem den Unterhaltsbeitrag zusprechenden zivilgerichtlichen urteil herzuleiten.

 

Normenkette

AVG § 42 S. 1 Alt. 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1265 S. 1 Alt. 1 Fassung: 1957-02-23; EheG § 60 Fassung: 1946-02-20

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 18. Oktober 1961 wird aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

Die Klägerin begehrt als frühere Ehefrau des Versicherten Gustav Pott die Hinterbliebenenrente nach § 42 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG). Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) wurde die Ehe 1949 aus beiderseitigem Verschulden geschieden. Der Versicherte ist im März 1959 verstorben.

Die Beklagte lehnte den Rentenantrag der Klägerin ab, weil die Voraussetzungen des § 42 AVG nicht gegeben seien. Klage und Berufung der Klägerin waren ohne Erfolg. Das LSG ging davon aus, der Versicherte habe im letzten Jahr vor seinem Tode der Klägerin keinen Unterhalt geleistet; er sei zur Zeit seines Todes auch nicht aus einem außerhalb des Ehegesetzes (EheG) bestehenden "sonstigen Grund" zur Unterhaltsleistung an die Klägerin verpflichtet gewesen. Eine ehegesetzliche Unterhaltspflicht des Versicherten habe zur Zeit seines Todes nicht bestanden. Der Anspruch aus § 60 EheG 1946 - auf den sich die Klägerin berufe - entstehe erst und nur durch einen rechtsbegründenden Urteilsspruch (konstitutives Zubilligungsurteil) des hierfür zuständigen Gerichts; der gegenteiligen Auffassung, von der der Bundesgerichtshof (BGH) im Urteil vom 16. Dezember 1955 (Lindenmaier/Möhring, Nachschlagwerk des BGH Nr. 1 zu § 60 EheG) und der 10. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) bei der Auslegung des § 42 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) ausgegangen seien (BSG 13, 166), könne nicht gefolgt werden. Da ein Unterhaltsurteil gegen den Versicherten für die Zeit nach 1950 nicht ergangen sei, sei er zur Zeit seines Todes auch nicht zur Leistung eines Unterhaltsbeitrages an die Klägerin verpflichtet gewesen (Urteil vom 18. Oktober 1961).

Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision beantragte die Klägerin,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides sowie der Urteile des SG und des LSG zu verurteilen, der Klägerin eine Witwenrente vom 1. August 1959 an zu gewähren,

hilfsweise, den Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen.

Sie machte geltend, das angefochtene Urteil sei unter Verletzung von § 42 AVG und § 60 EheG ergangen.

Die Beklagte beantragte die Zurückweisung der Revision.

Die Revision der Klägerin ist zulässig und begründet. Der Auffassung des LSG, eine ehegesetzliche Unterhaltspflicht im Sinne von § 42 AVG sei unter den - hier allein in Betracht kommenden - Voraussetzungen des § 60 EheG nur gegeben, wenn sie durch ein Urteil des hierfür zuständigen Gerichts ausgesprochen worden sei, kann der Senat nicht beitreten.

Nach § 60 EheG kann für den Fall, daß - wie hier - die beiden früheren Ehegatten ein Verschulden an der Scheidung trifft, aber keiner die überwiegende Schuld trägt, dem Ehegatten, der sich nicht selbst unterhalten kann, unter den im Gesetz näher genannten Voraussetzungen ein Beitrag zu seinem Unterhalt zugebilligt werden; die Beitragspflicht kann zeitlich beschränkt werden. Mit der Frage, ob eine nach dieser Vorschrift des EheG bestehende Pflicht des geschiedenen Mannes die Voraussetzung für den Anspruch auf die Rente nach § 42 AVG (= § 1265 der Reichsversicherungsordnung - RVO -) bilden kann, haben sich die Rentensenate des BSG bisher noch nicht ausdrücklich befaßt. Dagegen hat der 10. Senat des BSG bei der Auslegung der dem § 42 AVG inhaltlich ähnlichen Vorschrift in § 42 Abs. 1 Satz 1 BVG entschieden, der Unterhaltsbeitrag nach § 60 EheG sei Unterhalt nach den "eherechtlichen Vorschriften" (BSG 13, 166). In der Entscheidung ist ausgeführt, der Anspruch auf die Geschiedenen-Witwenrente nach dem BVG sei nicht nur dann gegeben, wenn der Verstorbene als allein oder überwiegend schuldig im Sinne der §§ 58, 59 EheG erklärt worden sei, vielmehr sei diese Rente in allen Fällen zu gewähren, in denen sich eine Unterhaltspflicht des geschiedenen Mannes aus den eherechtlichen Vorschriften ergebe. Auch § 60 EheG gewähre einen unmittelbar aus dem Gesetz folgenden Rechtsanspruch auf Unterhalt; der Anspruch entstehe nicht erst durch eine richterliche Entscheidung. Für den Rentenanspruch komme es nur darauf an, ob in der maßgeblichen Zeit die sachlichen Voraussetzungen für eine Verpflichtung nach § 60 EheG gegeben seien. Dieser vom 10. Senat ausführlich und unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts und des BGH sowie auf das neuere Schrifttum begründeten Auffassung tritt der Senat für die Auslegung des § 42 AVG nach eigener Prüfung der Rechtslage bei. Er hält die gegenteilige Auffassung des LSG, das sich insoweit auf die frühere Rechtsprechung des Kammergerichts und auf das ältere Schrifttum stützt, nicht für begründet. Das LSG geht selbst zutreffend davon aus, daß ein - tatsächlich gewährter - Beitrag zum Unterhalt des Berechtigten als Unterhaltszahlung im Sinne der letzten Alternative des § 42 AVG anzusehen ist, wenn der Beitrag seiner Höhe nach für den Unterhalt des Berechtigten ins Gewicht fällt (BSG 12, 279). Es meint jedoch, eine Verpflichtung des Versicherten, einen solchen Unterhaltsbeitrag zu gewähren, habe deshalb nicht bestanden, weil sie zur Zeit seines Todes nicht gerichtlich festgestellt gewesen sei. Den Argumenten, die das LSG für seine Auffassung anführt, ist aber schon der BGH in seinem Urteil vom 16. Februar 1955 entgegengetreten; danach ist weder aus dem Wortlaut des § 60 EheG noch aus der Zweckbestimmung dieser Vorschrift zu entnehmen, daß der Anspruch auf den Unterhaltsbeitrag erst mit der richterlichen Entscheidung entsteht, die eine hierauf gerichtete Klageforderung zuerkennt. Es wäre, wie der BGH sagt, ganz außergewöhnlich, daß der Richter den Unterhaltsbeitrag sollte versagen können, wenn er alle Voraussetzungen des § 60 EheG bejaht; bei seiner Mitwirkung handele es sich deshalb um eine erkennende, nicht um eine rechtsgestaltende richterliche Tätigkeit. Dieser Auffassung ist zuzustimmen. Danach verschafft aber § 60 EheG dem Bedürftigen einen Rentenanspruch, der - sofern seine Voraussetzungen vorliegen - schon kraft Gesetzes mit der Rechtskraft der Ehescheidung jedenfalls dem Grunde nach entsteht, ohne daß es hierzu einer richterlichen Entscheidung bedarf. Zuzugeben ist dem LSG allerdings, daß es in diesem Fall, d. h. wenn der Anspruch auf den Unterhaltsbeitrag zu Lebzeiten des Verpflichteten nicht gerichtlich festgestellt ist, dem Versicherungsträger, der einen Antrag nach § 42 AVG bescheiden soll, mitunter nicht leicht fallen wird, nachträglich das Bestehen oder Nichtbestehen der Unterhaltsbeitragspflicht festzustellen, zumal das Gesetz diese Verpflichtung weitgehend von Billigkeitserwägungen abhängig macht, wie sie im allgemeinen in richterlichen Entscheidungen anzustellen sind. Auch kann die Frage, ob der Versicherte zur Leistung des Unterhaltsbeitrags an die geschiedene Frau verpflichtet war, im Hinblick auf die im Gesetz genannten Voraussetzungen nicht selten nur nach umfangreichen Ermittlungen beantwortet werden. Diese Schwierigkeiten, die in ähnlicher Weise auch bei der Prüfung der Unterhaltspflicht nach den §§ 58 und 59 EheG bestehen, berühren aber nicht die Frage nach der Entstehung des Anspruchs, auf die es nach dem Gesetz allein ankommt. Danach ist aber eine Unterhaltspflicht "nach den Vorschriften des Ehegesetzes" im Sinne von § 42 AVG auch dann gegeben, wenn der Versicherte zur Zeit seines Todes der geschiedenen Frau einen Unterhaltsbeitrag nach § 60 EheG zu leisten hatte; auch in diesem Falle ist die Unterhaltspflicht aus dem Gesetz und nicht erst aus einem den Unterhaltsbeitrag zusprechenden zivilgerichtlichen Urteil herzuleiten. Es kann daher der Klägerin des vorliegenden Rechtsstreits keinen rechtlichen Nachteil bringen, daß sie in der Zeit bis zum Tode des Versicherten keine weiteren Schritte unternommen hat, um dessen Beitragspflicht nach § 60 EheG gerichtlich feststellen zu lassen.

Der Senat muß das von der gegenteiligen Rechtsauffassung ausgehende Urteil des LSG aufheben. Er kann jedoch den Rechtsstreit nicht selbst entscheiden, weil es hierzu noch der Klärung weiterer tatsächlicher Umstände bedarf. Das LSG hat bisher nicht geprüft, welches der letzte wirtschaftliche Dauerzustand in der Zeit zwischen der Ehescheidung und dem Tode des Versicherten gewesen ist, nach dem die Unterhaltspflicht des Versicherten "zur Zeit seines Todes" zu beurteilen ist (BSG 14, 255, 260); es fehlen auch Feststellungen darüber, daß die Klägerin sich in dem maßgeblichen Zeitraum nicht selbst unterhalten konnte, was im allgemeinen voraussetzt, daß sie damals nicht nur einkommens- und vermögenslos, sondern daneben auch erwerbsunfähig gewesen ist (BSG 13, 170 mit weiteren Nachweisungen) und daß vorrangig haftende (§ 63 Abs. 1 Satz 3 EheG) unterhaltspflichtige Verwandte fehlten. Mangels Klärung der wirtschaftlichen Lage der Klägerin reichen auch die bisherigen Feststellungen über die Einkommensverhältnisse des Versicherten nicht aus, um über die etwaige Beitragspflicht nach § 60 EheG zu entscheiden. Das LSG brauchte diese Ermittlungen von seiner Rechtsauffassung her nicht anzustellen. Es wird jedoch nach der vom Senat ausgesprochenen Aufhebung und Zurückverweisung (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG) die nach den §§ 60, 63 EheG erforderlichen tatsächlichen Feststellungen noch zu treffen haben.

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil des LSG vorbehalten.

 

Fundstellen

NJW 1965, 1400

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