Entscheidungsstichwort (Thema)

Umschulung

 

Leitsatz (amtlich)

Die Ausbildung für einen weiteren Beruf hat sich nur dann iS des BVG § 45 Abs 3 S 5 "verzögert", wenn sie zu einem späteren Zeitpunkt begonnen und abgeschlossen worden ist, als dies ohne den Tod des schädigungsbedingt verstorbenen Elternteils nach den bei Beginn der ersten Ausbildung maßgebenden objektiven Verhältnissen und der ihnen Rechnung tragenden Entscheidung eines verständigen Erziehungsberechtigten der Fall gewesen wäre (Fortführung von BSG 1975-11-26 10 RV 135/75 = BSGE 41, 34 und BSG 1976-12-16 10 RV 175/75).

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Schul- und Berufsausbildung iS des BVG § 45 Abs 3 umfaßt auch die Umschulung für einen neuen und mit der bisherigen Berufstätigkeit nicht zusammenhängenden Beruf.

2. Eine "Verzögerung" der Schul- oder Berufsausbildung liegt nicht vor, wenn die Waise aus gesundheitlichen Gründen den erlernten Beruf aufgeben muß und deshalb gezwungen ist, eine Ausbildung für einen weiteren Beruf (Umschulung) zu beginnen.

 

Normenkette

BVG § 45 Abs. 3 S. 4 Fassung: 1966-12-28, S. 5 Fassung: 1972-07-24

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 27. November 1975 aufgehoben.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 9. August 1973 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Rechtsstreit geht um die Gewährung von Waisenrente über die Vollendung des 27. Lebensjahres hinaus.

Die am 20. Dezember 1944 geborene Klägerin bezog bis zum 31. Dezember 1962 (Monat der Vollendung des 18. Lebensjahres) Waisenrente nach ihrem 1945 an den Folgen einer Kriegsverletzung verstorbenen Vater. Nach dem Besuch der Volksschule absolvierte sie von 1959 bis 1962 eine Lehre als Rechtsanwaltsgehilfin und war nach deren Abschluß bis zum 6. September 1970 als Stenokontoristin, Stenotypistin und Sekretärin tätig.

Am 29. Juli 1970 beantragte sie beim Versorgungsamt (VersorgA) Düsseldorf die Wiedergewährung von Waisenrente, weil ihr ärztlich dringend eine Umschulung angeraten worden sei. Nach den Bescheinigungen der S Schule I D vom 21. September 1970 und 8. September 1971 besuchte sie seit August bzw. September 1970 die Berufsaufbauschule in Teilzeitform. Ab 7. September 1970 bezog sie Arbeitslosengeld (Bescheid des Arbeitsamts D vom 17. November 1970). Die Klägerin gab an, ihr neues Berufsziel sei das einer Betriebswirtin. Voraussetzung hierfür sei die mittlere Reife. Diese werde in etwa zwei Jahren erreicht. Mit Bescheid vom 28. Dezember 1970 bewilligte das VersorgA Waisenrente vom 1. September 1970 an.

Am 12. Juli 1971 beantragte die Klägerin die Weitergewährung der Waisenrente über die Vollendung ihres 27. Lebensjahres hinaus bis zur Beendigung ihrer Berufsausbildung, weil sie ihren Beruf als Anwaltsgehilfin aus gesundheitlichen Gründen habe aufgeben müssen. Zum Beweise hierfür bezog sie sich auf ein Attest des Facharztes für Orthopädie Dr. K in D vom 17. September 1970, wonach wegen einer Spondylose der Hals- und Brustwirbelsäule mit rezidivierenden Cephalgien und Brachialgien eine Umschulung zur Betriebswirtin ärztlich zu befürworten und angezeigt sei. In einem von der Klägerin ebenfalls vorgelegten Schreiben vom 7. September 1971 hatte die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) die Kostenübernahme zum Betriebswirt in Aussicht gestellt, wenn die Klägerin vor Beginn der Umschulung den Nachweis erbringe, daß sie die mittlere Reife erlangt habe. Das Berufsförderungswerk H hatte der Klägerin am 8. November 1971 mitgeteilt, sie komme für die Ausbildung zum Betriebswirt (grad.) in Frage; Ausbildungsbeginn sei der 23. April 1972.

Durch Bescheid vom 25. November 1971 stellte das VersorgA die Zahlung der Waisenrente mit Ablauf des Monats Dezember 1971 ein, weil die Klägerin die Schulausbildung zur Erlangung der mittleren Reife bereits während ihrer früheren Berufstätigkeit hätte durchmachen können und diese Schulausbildung auch nicht Voraussetzung für die Ausbildung zum Betriebswirt (grad.) sei. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid des Landesversorgungsamts Nordrhein-Westfalen vom 27. März 1972).

Nachdem die Klägerin am 1. Januar 1973 von D nach L (Bodensee) verzogen war, hat das Sozialgericht (SG) Düsseldorf die gegen das Land Nordrhein-Westfalen (NRW) gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 19. August 1973). Im anschließenden Berufungsverfahren hat das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen dieses Land aus dem Rechtsstreit entlassen und festgestellt, Beklagter sei nunmehr das Land Baden-Württemberg (Beschluß vom 18. Januar 1974). Nachdem die Klägerin im März 1974 ihren Wohnsitz nach B (Kreis Z/Mosel) verlegt hatte, hat das LSG auch das Land Baden-Württemberg aus dem Rechtsstreit entlassen und festgestellt, Beklagter sei das Land Rheinland-Pfalz (Rh.-Pf.) (Beschluß vom 23. Juli 1974). Durch Beschluß vom 17. Oktober 1975 hat es den Beschluß vom 18. Januar 1974 insoweit aufgehoben, als das Land NRW aus dem Rechtsstreit entlassen worden war, dieses Land zum Rechtsstreit beigeladen und "zur Berichtigung der Beteiligtenstellung" das Land NRW zum Beklagten und das Land Rh.-Pf. zum Beigeladenen bestimmt. Im Verlauf des Rechtsstreits hat die Klägerin am 26. Oktober 1974 ihr Studium an der Fachhochschule beim Berufsförderungswerk H mit Erfolg abgeschlossen.

Mit Urteil vom 27. November 1975 (vgl. SGb 1976, 516) hat das LSG das Urteil des SG abgeändert und unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide den Beklagten (Land Rh.-Pf.) verurteilt, der Klägerin über den 31. Dezember 1971 hinaus bis zum 31. Oktober 1974 Waisenrente zu gewähren; es hat die Revision zugelassen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin habe bis zum Abschluß ihres Studiums in Berufsausbildung gestanden. Diese sei nicht mit der Zahlung von Dienstbezügen, Arbeitsentgelt oder sonstigen Zuwendungen in entsprechender Höhe verbunden gewesen. Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und Übergangsgeld aus der Angestelltenversicherung gehörten nicht dazu; trotz der Unterhaltsfunktion dieser Leistungen handele es sich nicht um Gegenleistungen für gegenwärtig erbrachte Dienste. Die Klägerin habe sich in einer von § 45 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) erfaßten und geschützten Berufsausbildung befunden. Dem stehe nicht entgegen, daß die Waise nach Vollendung einer ersten Berufsausbildung und anschließender langjähriger beruflicher Tätigkeit Ansprüche zB auf Arbeitslosengeld, Rente aus der Sozialversicherung oder Übergangsgeld erworben habe und es sich bei der Ausbildung zu einem zweiten Beruf nicht um eine Berufsausbildung im Sinne des § 45 Abs. 3 BVG, sondern um eine Umschulung oder Fortbildung handele. Der Gesetzgeber habe die atypischen Fälle in Kauf genommen und für die Gewährung der Waisenrente über das 27. Lebensjahr hinaus allein darauf abgestellt, ob sich die Ausbildung aus von der Waise zu vertretenden Gründe verzögert habe oder nicht. Der Begriff der Berufsausbildung in § 45 BVG umfasse auch die Ausbildung zu einem weiteren und neuen Beruf. Angesichts der technischen Entwicklung und der Veränderung der sozialen Wirklichkeit sei eine weitergehende Ausbildung weithin üblich und notwendig geworden und damit der Ausnahmecharakter des § 45 Abs. 3 BVG verloren gegangen. Durch die Gewährung von Waisenrente über das 18. Lebensjahr hinaus solle dem Berechtigten auch die Möglichkeit einer sinnvollen Berufswahl gegeben werden. Dabei sei zu beachten, daß der Gesetzgeber seit dem Inkrafttreten des § 45 BVG weitere Bildungswege eröffnet habe. Dies spreche ebenfalls gegen den Ausnahmecharakter der Vorschrift. Die weitere Ausbildung der Klägerin habe sich aus von ihr nicht zu vertretenden Gründen verzögert. Nach dem Attest des Dr. K habe sie ihren Beruf der Sekretärin nicht mehr ohne Gefährdung ihrer Gesundheit ausüben können. Die weitere Ausbildung zur Betriebswirtin (grad.), für die die mittlere Reife gefordert werde, sei nach Auffassung des Arbeitsamts eine angemessene Rehabilitationsmaßnahme gewesen. Die Klägerin habe diese Ausbildung nicht vor dem 27. Lebensjahr abschließen können. Hierin liege eine Verzögerung im Sinne des § 45 Abs. 3 BVG. Nach Wortlaut und Zweck der Vorschrift sei Grund für die Verlängerung der Waisenrente nicht nur eine Krankheit während einer Ausbildung, sondern auch die nicht zu vertretende Verzögerung ihres Beginns. Die Klägerin habe die Verzögerung der Ausbildung nicht zu vertreten. Zu den Umständen, die zwingend von außen in das Leben der Waise eingriffen, gehöre eine Erkrankung, und zwar nicht nur dann, wenn sie eine bereits begonnene Ausbildung verzögere, sondern auch, wenn die gesamte Ausbildung aus gesundheitlichen Gründen erst notwendig werden und wegen des Umfanges der für den neuen Beruf erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten ein Ausbildungsabschluß nur nach Vollendung des 27. Lebensjahres möglich sei.

Mit seiner Revision rügt der Beklagte (Land Rh.-Pf.) eine Verletzung des § 45 Abs. 3 BVG. Zur Begründung führt er aus: Trotz der technischen, bildungspolitischen und sozialen Entwicklung der letzten Jahre, wie sie ua teilweise im Arbeitsförderungsgesetz (AFG) ihren Niederschlag gefunden habe, habe § 45 Abs. 3 BVG seinen Charakter als Ausnahmevorschrift nicht verloren. Das AFG könne aufgrund einer etwaigen ihm immanenten Zielsetzung nicht zu einer stillschweigenden Änderung des § 45 Abs. 3 BVG führen, zumal ihm nicht im gleichen Maße wie dem § 45 BVG der Gedanke der Unterhaltsersatzfunktion zugrundeliege. Härtefälle infolge der in § 45 BVG festgelegten Altersgrenzen könnten nur im Einzelfall über § 89 BVG ausgeglichen werden und nicht zu einer extensiven Auslegung des § 45 BVG führen. Die verlängerte Waisenrente sei zwar grundsätzlich nicht auf das erste Ausbildungsverhältnis beschränkt. Sie könne jedoch, wenn die Waise nach abgeschlossener Berufsausbildung für einen weiteren Beruf ausgebildet werde, nur gewährt werden, wenn sich die Berufsausbildung im wesentlichen als eine Einheit darstelle, weil entweder ein bestimmter Ausbildungsgang Teil einer Gesamtausbildung sei oder weil die Waise aus wirtschaftlichen Gründen oder infolge einer objektiven Fehlentscheidung des überlebenden Elternteils zunächst einen anderen als den ihrer Neigung und Eignung entsprechenden Beruf ergriffen habe und von hier aus später einen beruflichen Aufstieg versuche. Bei der Klägerin sei ein Zusammenhang zwischen ihrem ursprünglichen Beruf und ihrer zweiten Ausbildung nicht gegeben; sie habe diese allein aus gesundheitlichen Gründen begonnen. Damit könne nicht von einer Unterbrechung oder Verzögerung der Schul- oder Berufsausbildung im Sinne des § 45 Abs. 3 BVG, sondern ausschließlich von einer Umschulung gesprochen werden. Der Verzicht auf eine Abgrenzung dieser beiden Begriffe im Rahmen des § 45 BVG wäre mit dessen Sinn und Zweck unvereinbar. Die Frage, ob eine Verzögerung im Sinne des § 45 Abs. 3 BVG auch bei einer Verzögerung des Beginns der Schul- oder Berufsausbildung vorliege, stelle sich daher nicht. Selbst wenn aber von einer Verzögerung der Schul- und Berufsausbildung der Klägerin auszugehen sei, so stehe ihr die verlängerte Waisenrente deswegen nicht zu, weil sie während ihrer Umschulung Ansprüche auf Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und Übergangsgeld gehabt habe. Diese Leistungen gingen ihrer Höhe nach über einen bloßen Zuschuß hinaus, hätten Unterhaltsersatzfunktion und stellten damit sonstige Zuwendungen im Sinne des § 45 Abs. 3 Satz 1 Buchst. a) BVG dar. Ihre Gewährung müsse angesichts des Zweckes der Waisenrente, die Unterhaltsleistungen des schädigungsbedingt verstorbenen Elternteils jedenfalls zum Teil aus Staatsmitteln zu ersetzen, zum Erlöschen des Anspruchs auf Waisenrente führen.

Der Beklagte beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 27. November 1975 die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 9. August 1973 zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf die nach ihrer Auffassung zutreffenden Gründe des angefochtenen Urteils und ist der Meinung, es könne für den streitigen Anspruch nicht darauf ankommen, ob die gesamte für den ersten und zweiten Beruf erforderliche Schul- und Berufsausbildung eine Einheit darstelle.

Der Beigeladene (Land NRW) hat seine Revision zurückgenommen. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Der Senat hat das Rubrum entsprechend der Stellung der Beteiligten dahingehend berichtigt, daß Beklagter das Land Rheinland-Pfalz und Beigeladener das Land Nordrhein-Westfalen ist.

Richtiger Beklagter ist das Land Rheinland-Pfalz. Die Versorgungsakten sind von dem nach § 3 Abs. 1 und 2 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (VerwVG-KOV) vom 2. Mai 1955 - BGBl I 202 - (gleichlautend in der Neufassung des Gesetzes vom 6. Mai 1976; BGBl I 1169) für den Antrag zunächst zuständigen VersorgA D nach der Übersiedlung der Klägerin nach L an das VersorgA R (später Außenstelle des VersorgA F) und von dort nach Verlegung des Wohnsitzes der Klägerin nach B an das VersorgA K abgegeben worden. Hierdurch ist die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden zunächst des Landes Baden-Württemberg und sodann des Landes Rheinland-Pfalz begründet worden (§ 4 Abs. 1 VerwVG-KOV). Wie der erkennende Senat im Urteil vom 17. November 1967 (BSGE 27, 200, 202 ff = SozR SGG § 71 Nr. 3) und ihm folgend der 9. Senat (KOV-Mitt. Berlin 1971, 32) sowie der 1. Senat des Bundessozialgerichts - BSG - (Breithaupt 1974, 431, 434) ausgesprochen haben, wird die Passivlegitimation eines Landes als Beklagter eines Versorgungsrechtsstreits durch die Zuständigkeit der Versorgungsbehörden bestimmt und damit durch deren Zuständigkeitswechsel nach § 4 Abs. 1 VerwVG-KOV kraft gesetzlichen Parteiwechsels die Passivlegitimation desjenigen Landes begründet, an dessen Behörden die Versorgungsakten abgegeben worden sind. Hiernach ist mit der Abgabe der Versorgungsakten an das VersorgA Koblenz im Mai 1974 das Land Rheinland-Pfalz Beklagter geworden und als solcher, da in der folgenden Zeit ein weiterer Parteiwechsel auf seiten des Beklagten nicht eingetreten ist, unverändert Beteiligter des Rechtsstreits (§ 69 Nr. 2 SGG) geblieben. Hingegen ist es zu keiner Zeit "anderer" oder "Dritter" (vgl. § 75 Abs. 1 und 2 SGG) gewesen und hat somit nicht beigeladen werden können (vgl. Urteil des Senats vom 17. November 1967, aaO.). Erst recht ist seine "Bestimmung" zum Beigeladenen "zur Berichtigung der Beteiligtenstellung" durch den Beschluß des Berufungsgerichts vom 17. Oktober 1975 weder zulässig noch erforderlich gewesen. Dementsprechend ist zur Vermeidung einer Unzulässigkeit des ganzen Verfahrens das Rubrum durch Einsetzung des Landes Rheinland-Pfalz als Beklagten zu berichtigen (vgl. BSG KOV-Mitt. Berlin 1971, 32; Peters/Sautter/Wolf, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 4. Aufl., § 69, Anm. 2).

Entsprechendes gilt für die Einsetzung des Landes Nordrhein-Westfalen als Beigeladener. Zwar bestehen angesichts dessen, daß dieses Land infolge des Zuständigkeitswechsels nach § 4 VerwVG-KOV aus dem Versorgungsrechtsverhältnis ausgeschieden ist, Bedenken dagegen, daß das Berufungsgericht die Voraussetzungen des § 75 SGG für eine Beiladung als erfüllt angesehen hat. Diesen Bedenken braucht jedoch im Hinblick auf die Unanfechtbarkeit des Beiladungsbeschlusses vom 17. Oktober 1975 (§ 75 Abs. 3 Satz 3 SGG) nicht nachgegangen zu werden. Vielmehr ist von einer wirksamen Beiladung des Landes Nordrhein-Westfalen auszugehen. Seine "Bestimmung" zum Beklagten ist hingegen ebenfalls unzulässig gewesen und daher auch insoweit das Rubrum zu berichtigen.

Die durch Zulassung statthafte Revision des Beklagten (Land Rh.-Pf.) ist zulässig und begründet.

Die von der Klägerin für die Zeit nach Vollendung ihres 27. Lebensjahres begehrte Waisenrente ist eine laufende Versorgungsleistung. Maßgebend für die Beurteilung des Anspruchs ist daher das in der Zeit vom 1. Januar 1972 bis zum 31. Oktober 1974 jeweils geltende Recht (BSG SozR BVG § 45 Ca 15 Nr. 13). Nach § 45 Abs. 3 Satz 1 Buchst. a) BVG in der Fassung des Dritten Neuordnungsgesetzes-KOV - 3. NOG-KOV - vom 28. Dezember 1966 (BGBl I 750) und des Gesetzes zur Änderung sozial- und beamtenrechtlicher Vorschriften über Leistungen für verheiratete Kinder vom 25. Januar 1971 (BGBl I 65) ist Waisenrente nach Vollendung des 18. Lebensjahres für eine Waise zu gewähren, die sich in einer Schul- oder Berufsausbildung befindet, welche ihre Arbeitskraft überwiegend in Anspruch nimmt und nicht mit der Zahlung von Dienstbezügen, Arbeitsentgelt oder sonstigen Zuwendungen in entsprechender Höhe verbunden ist, längstens bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres. Verzögert sich die Schul- oder Berufsausbildung aus einem Grunde, den die Waise nicht zu vertreten hat, wird nach § 45 Abs. 3 Satz 4 (nach Inkrafttreten des Vierten Anpassungsgesetzes-KOV vom 24. Juli 1972 - BGBl I 1284 -: Satz 5) BVG die Waisenrente entsprechend dem Zeitraum der nachgewiesenen Verzögerung länger gewährt.

Durch die Wiedergewährung der Waisenrente ab 1. September 1970 ist anerkannt worden, daß sich die Klägerin von diesem Zeitpunkt an in Schul- und Berufsausbildung befunden hat. Dem steht nicht entgegen, daß sie vorher eine abgeschlossene Berufsausbildung als Rechtsanwaltsgehilfin absolviert und diesen bzw. einen ähnlichen Beruf mehrere Jahre lang ausgeübt hatte. Wie der Senat in seinen Urteil vom 19. Juli 1972 (SozR BVG § 45 Nr. 13), 26. November 1975 (BSGE 41, 34, 36 = SozR 3100 § 45 Nr. 4) und 16. Dezember 1976 - 10 RV 175/75 - entschieden hat, ist die "verlängerte" Waisenrente grundsätzlich auch dann zu gewähren, wenn die Waise nach abgeschlossener Berufsausbildung und Ausübung des (ersten) Berufes für einen weiteren (zweiten) Beruf ausgebildet wird (vgl. auch Allgemeine Verwaltungsvorschriften zum BVG - VV - Nr. 1 zu § 45 und Nr. 11 zu § 33 b BVG vom 26. Juni 1969, Beilage zu BAnz Nr. 119 vom 4. Juli 1969; neugefaßt durch VV vom 25. April 1975, BAnz Nr. 83 vom 6. Mai 1975).

Entgegen der Auffassung der Beklagten umfaßt der Begriff der "Schul- oder Berufsausbildung" im Sinne des § 45 Abs. 3 BVG auch die Umschulung für einen neuen und mit der bisherigen Berufstätigkeit nicht zusammenhängenden Beruf (vgl. § 47 Abs. 1 Satz 1 AFG vom 25. Juni 1969; BGBl I 582). Zwar stellt § 45 Abs. 3 letzter Satz BVG nach Wortlaut und systematischem Zusammenhang eine Ausnahmevorschrift dar. Durch sie wird die Gewährung von Waisenrente über die Vollendung des 27. Lebensjahres hinaus von weiteren als den in § 45 Abs. 3 Satz 1 Buchst. a) BVG festgelegten Voraussetzungen für den Bezug von Waisenrente nach Vollendung des 18. Lebensjahres abhängig gemacht. In dieser Erschwerung der Voraussetzungen für die Gewährung von Waisenrente nach Vollendung des 27. Lebensjahres erschöpft sich jedoch der Ausnahmecharakter des § 45 Abs. 3 letzter Satz BVG. Nicht hingegen ermöglicht und erfordert er eine restriktive Auslegung der Vorschrift dahingehend, daß unter Schul- oder Berufsausbildung nur eine solche zu verstehen ist, die an den zunächst erlernten und ausgeübten Beruf anschließt und mit ihm in Zusammenhang steht. Vielmehr hat der in § 45 Abs. 3 letzter Satz BVG verwendete Begriff der Schul- oder Berufsausbildung denselben Inhalt wie im Rahmen des § 45 Abs. 3 Satz 1 Buchst. a) BVG. Hierfür ist allein maßgeblich, daß eine staatliche oder staatlich anerkannte Schule besucht (vgl. VV Nr. 10, jetzt Nr. 9 zu § 33 b BVG) oder die Ausbildung für einen zukünftigen, gegen Entgelt auszuübenden Beruf absolviert wird und hierdurch die Arbeitskraft und Arbeitszeit des Auszubildenden ausschließlich oder überwiegend in Anspruch genommen werden (vgl. BSGE 27, 16, 17; BSG SozR BVG § 45 Nr. 8 und Nr. 13). Dem Umstand, daß es sich bei der Schul- oder Berufsausbildung möglicherweise um eine berufliche Umschulung im Sinne des § 47 Abs. 1 AFG handelt, kann Bedeutung allenfalls für die Frage zukommen, ob die von der Bundesanstalt für Arbeit erbrachten Leistungen sonstige Zuwendungen im Sinne des § 45 Abs. 3 Satz 1 Buchst. a) BVG darstellen.

Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts (S. 6 des Urteils) haben der Besuch der Berufsaufbauschule und das anschließende Studium an der Fachhochschule beim Berufsförderungswerk H, die als Einheit anzusehen sind (vgl. Urteile des Senats vom 26. November 1975 und 16. Dezember 1976, aaO.), die Arbeitskraft und Arbeitszeit der Klägerin überwiegend in Anspruch genommen. Gegen diese Feststellungen sind Revisionsrügen nicht vorgebracht worden; sie sind daher für das Revisionsgericht bindend (§ 163 SGG).

Die Schul- und nachfolgende Berufsausbildung der Klägerin hat sich jedoch nicht im Sinne des § 45 Abs. 3 letzter Satz BVG über die Vollendung des 27. Lebensjahres hinaus "verzögert". Die Auffassung des Berufungsgerichts, eine Verzögerung liege auch dann vor, wenn die gesamte Ausbildung aus gesundheitlichen Gründen überhaupt erst notwendig werde und wegen des Umfanges der für den neuen Beruf erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten einen Ausbildungsabschluß nur nach dem 27. Lebensjahr zulasse, hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Die Gewährung der sog. verlängerten Waisenrente über die Vollendung des 27. Lebensjahres hinaus ist von zwei Voraussetzungen abhängig. Einmal muß sich die Schul- oder Berufsausbildung verzögert haben; zum anderen muß die Verzögerung auf einem von der Waise nicht zu vertretenden Grunde beruhen. Damit kommt die Gewährung der verlängerten Waisenrente nicht in Betracht, wenn entweder die Schul- oder Berufsausbildung sich nicht verzögert hat oder die Verzögerung von der Waise zu vertreten ist. Dem Begriff der "Verzögerung" im Sinne des § 45 Abs. 3 letzter Satz BVG ist ein zeitliches Moment immanent; er setzt notwendigerweise eine Divergenz der Zeitpunkte einmal einer möglichen und zum anderen der tatsächlichen Schul- oder Berufsausbildung voraus. Eine Verzögerung liegt damit zunächst vor, wenn eine bereits aufgenommene Schul- oder Berufsausbildung unterbrochen und wegen dieser Unterbrechung erst zu einem späteren als dem bei ihrem Beginn vorgesehenen Zeitpunkt abgeschlossen wird. Unter Berücksichtigung dessen, daß zur Schul- oder Berufsausbildung im Sinne des § 45 Abs. 3 BVG auch die Ausbildung für einen weiteren Beruf gehört, tritt eine Verzögerung ferner dann ein, wenn die Ausbildung für den weiteren Beruf und die hierfür gegebenenfalls erforderliche zusätzliche Schulausbildung zu einem späteren Zeitpunkt begonnen und abgeschlossen werden, als dies ohne den Kriegstod des Vaters nach den bei Beginn der ersten Ausbildung maßgebenden objektiven Verhältnissen und der ihnen Rechnung tragenden Entscheidung eines verständigen Erziehungsberechtigten (vgl. hierzu Urteil des Senats vom 16. Dezember 1976 - 10 RV 175/75 -) der Fall gewesen wäre. Wäre dagegen nach den insoweit maßgebenden Umständen die Ausbildung für den weiteren Beruf gar nicht oder jedenfalls nicht zu einem früheren als dem tatsächlichen Zeitpunkt durchgeführt worden, so liegt eine Verzögerung nicht vor; es fehlt an der erforderlichen Diskrepanz zwischen den Zeitpunkten einer nach den maßgebenden Umständen zu erwartenden und der tatsächlichen Ausbildung. Dabei ist es unerheblich, ob die Waise sich der Ausbildung für einen weiteren Beruf aufgrund eines freiwilligen Entschlusses oder aus einem von ihr nicht zu vertretenden Grunde wie etwa einer Erkrankung, wegen derer der bisherige (erste) Beruf nicht mehr ausgeübt werden kann, unterzieht. Für den Begriff der "Verzögerung" kommt es allein auf die vorerwähnte zeitliche Diskrepanz an; erst wenn eine solche besteht, ist zu prüfen, ob sie von der Waise zu vertreten ist oder nicht.

Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts hat sich die Klägerin ausschließlich wegen ihrer Erkrankung und des daraus folgenden Unvermögens zur Ausübung ihres erlernten und zunächst ausgeübten Berufes der für den weiteren Beruf des Betriebswirtes erforderlichen Schul- und Fachhochschulausbildung unterzogen. Dafür, daß sie ohne den Kriegstod ihres Vaters und die sich daraus ergebende wirtschaftliche Situation ihrer Mutter bereits zu einem früheren Zeitpunkt eine Schulausbildung mit dem Ziel der mittleren Reife und eine Fachhochschulausbildung mit dem Abschluß der Betriebswirtin (grad.) absolviert hätte, enthalten die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts keine Anhaltspunkte. Die Klägerin selbst hat dies nicht behauptet und stets darauf abgehoben, daß sie die Ausbildung für den weiteren Beruf erst nach und aufgrund ihrer Erkrankung begonnen habe und habe beginnen müssen. Auf der Grundlage dieser Tatsachen besteht keine zeitliche Diskrepanz zwischen dem ohne den Kriegstod des Vaters zu erwartenden und dem tatsächlichen Beginn und Abschluß der zweiten Ausbildung; es fehlt damit an einer "Verzögerung" der Schul- oder Berufsausbildung im Sinne des § 45 Abs. 3 letzter Satz BVG als Voraussetzung für die Gewährung der Waisenrente über die Vollendung des 27. Lebensjahres hinaus.

Diese Ergebnis entspricht dem Sinn und dem systematischen Zusammenhang des § 45 Abs. 3 letzter Satz BVG. § 45 BVG unterscheidet für die Gewährung der Waisenrente drei Zeitabschnitte. Bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres erhält die Waise stets Rente. Dabei ist es jedenfalls für die Gewährung der Grundrente (§ 46 BVG) unerheblich, ob sie sich noch in Schul- oder Berufsausbildung befindet oder bereits einer Erwerbstätigkeit nachgeht. Für den folgenden Zeitabschnitt bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres ist dies hingegen von Bedeutung. Die Zahlung von Waisenrente während dieses Zeitabschnitts kommt nur noch dann in Betracht, wenn die Waise wegen einer Schul- oder Berufsausbildung oder aus einem anderen der in § 45 Abs. 3 Satz 1 BVG aufgeführten Gründe außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, und deswegen nach der im Versorgungsrecht gebotenen typisierenden Betrachtungsweise davon ausgegangen werden kann, daß sie ohne den Tod des schädigungsbedingt verstorbenen Elternteils weiterhin von diesem unterhalten worden wäre. Ohne Belang ist es dabei aber, aus welchen Gründen die Schul- oder Berufsausbildung sich über die Vollendung des 18. Lebensjahres hinaus erstreckt; allein die Schul- oder Berufsausbildung als solche löst unter den weiteren Voraussetzungen des § 45 Abs. 3 Satz 1 Buchst. a) BVG den Anspruch auf Weitergewährung der Waisenrente aus.

Für die Bewilligung der Rente auch über die Vollendung des 27. Lebensjahres hinaus reicht dies hingegen nicht aus. Vielmehr ist zusätzliche Voraussetzung, daß sich die Schul- oder Berufsausbildung verzögert hat, d.h. zu einem späteren als dem möglichen und ursprünglich beabsichtigten Zeitpunkt abgeschlossen worden ist. Liegt eine solche Verzögerung nicht vor, so kommt auch die Gewährung der Waisenrente über die Vollendung des 27. Lebensjahres hinaus nicht in Betracht. Wie der Senat insbesondere in seinem Urteil vom 16. Dezember 1976 - 10 RV 175/75 - ausgesprochen hat, soll § 45 Abs. 3 letzter Satz BVG nicht dazu dienen, Fehlentwicklungen jeder Art zu korrigieren und nachträglich aufgetretenen Schul- oder Berufswünschen Rechnung zu tragen. Vielmehr soll die Kriegswaise so gestellt werden, als seien der Kriegstod ihres Vaters und die dadurch bedingten familiären und wirtschaftlichen Schwierigkeiten und Einengungen nicht eingetreten. Nicht hingegen kann es der Sinn des § 45 Abs. 3 letzter Satz BVG sein, einen umfassenden wirtschaftlichen Schutz auch gegenüber den vom Kriegstod des Vaters unabhängigen und insbesondere in der eigenen Person der Waise liegenden Wechselfällen des Lebens zu bieten, selbst wenn diese von der Waise nicht zu vertreten sind. Dementsprechend hat es der Senat in seinem Urteil vom 26. November 1975 (BSGE 41, 34, 36 = SozR 3100 § 45 Nr. 4) für entscheidungserheblich angesehen, daß gerade der Kriegstod des Vaters des dortigen Klägers und die dadurch bedingten wirtschaftlichen Schwierigkeiten seiner Mutter für seine erste Schul- und Berufswahl verantwortlich gewesen sind und die erst später aufgenommene zweite Ausbildung verhindert haben. Hierin liegt der wesentliche Unterschied zum vorliegenden Fall.

Einer Entscheidung der vom Beklagten aufgeworfenen Frage, ob die der Klägerin während ihrer Ausbildung zur Betriebswirtin Gewährten Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit und der BfA sowie die ihr gezahlte, vom Berufungsgericht allerdings nicht erwähnte Erziehungsbeihilfe sonstige Zuwendungen im Sinne des § 45 Abs. 3 Satz 1 Buchst. a) BVG darstellen, bedarf es nicht mehr. Vielmehr ist schon deswegen, weil sich die Ausbildung der Klägerin nicht im Sinne des § 45 Abs. 3 letzter Satz BVG "verzögert" hat, auf die Revision des Beklagten das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Düsseldorf vom 9. August 1973 zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1649389

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge